Titel:
Gerechtfertigte außerordentliche Kündigung einer selbständigen Handelsvertreterin
Normenketten:
HGB § 84 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, § 86a Abs. 1, § 89a Abs. 1 S. 1
BGB § 280, § 665, § 675
ZPO § 291
GVG § 17a Abs. 3 S. 2, Abs. 5
Leitsätze:
1. Bei der Abgrenzung zwischen Selbständigen und Unselbständigen ist weder isoliert auf die von den Parteien gewählte Einordnung des Vertrags oder die von diesen gewählte Bezeichnung als Angestellter oder Handelsvertreter noch allein auf die tatsächliche Durchführung des Vertrags abzustellen. Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse unter Würdigung sowohl der vertraglichen Gestaltung als auch der tatsächlichen Handhabung des Vertrages. (Rn. 42 – 43) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Art der Vergütung spielt keine Rolle für die Frage der Selbständigkeit bzw. Unselbständigkeit, da sich die persönliche Abhängigkeit danach bestimmt, inwieweit die Ausführung der versprochenen Dienste weisungsgebunden und damit fremdbestimmt erfolgt. Entscheidend sind die Umstände der Dienstleistung, nicht aber die Modalitäten der Entgeltzahlung. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein wichtiger Grund für die Kündigung iSd § 89a Abs. 1 S. 1 HGB liegt vor, wenn es dem Kündigenden nicht zumutbar ist, das Handelsvertreterverhältnis bis zu seinem Ablauf oder auch nur bis zu dem Zeitpunkt fortzusetzen, zu welchem es durch ordentliche Kündigung beendet werden kann. (Rn. 57 – 59) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
außerordentliche Kündigung, wichtiger Grund, selbständig, Handels- und Versicherungsvertretertätigkeit, unternehmerische Weisungsrechte, Absatzorganisation, kaufmännische Dispositionsfreiheit
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 15.07.2022 – 40 O 8507/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34894
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 15.07.2022, Az. 40 O 8507/21, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 bezeichnete Endurteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren wird auf 854.006,68 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Family-B.-Vertrages sowie um Handelsvertreterausgleichs- und Schadensersatzansprüche.
2
Nachdem die Klägerin auf der Grundlage sogenannter „Auslagerungsverträge“ laut Anl. K 1 und K 2 bereits seit 01.07.2006 als Vermittlerin für von der Beklagten vertriebenen Bank- und Versicherungsprodukte gewesen war, schlossen die Parteien am 01.04.2015 den „Family B.-Vertrag“ laut Anl. K 3 (im Folgenden mit FBV abgekürzt), durch den gemäß Ziffer 6.8 FBV die zeitlich früher getroffenen Auslagerungsverträge ersetzt wurden.
3
Der FBV lautete auszugsweise wie folgt.
1.2 Zur Sicherstellung der Betreuung der Kunden der Bank und für die Vermittlung von Zahlungsdiensten, Bankgeschäften, Finanzinstrumenten, Versicherungen und Finanzierungen kooperiert die Bank mit Handelsvertretern, die die Bezeichnung Family B. führen. Die Bank lagert damit die vorgenannten Geschäfte, insbesondere die Vermittlung von und die Beratung zu Finanzinstrumenten auf den Family B. aus.
2.2 Der Family B. ist als selbständiger Handelsvertreter i.S.d. §§ 83 ff., 92 HGB auf dem Gebiet der Vermittlung von Finanzinstrumenten, Versicherungen und Finanzierungen und sonstiger Vertragsprodukte tätig (…)
2.3 In der Ausübung seiner Tätigkeit ist der Family B. im Wesentlichen frei; insbesondere ist er darin frei, seine Tätigkeit zu gestalten und seine Arbeitszeit zu bestimmen. Der Bank stehen gegenüber dem Family B. unternehmerische Weisungsrechte – insbesondere zur Sicherstellung der Einhaltung aufsichtsrechtlicher Bestimmung [sic] – zu, die die Bank jedoch dergestalt ausübt, dass die Selbständigkeit des Family B.s im Kernbereich nicht beeinträchtigt wird.
5.1 Das Vertragsverhältnis wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. Es kann (…) ab dem dritten Jahr mit einer Frist von sechs Monaten ordentlich gekündigt werden. (…) Die ordentliche Kündigung ist nur zum Schluss eines Kalendermonats zulässig. Die außerordentliche und fristlose Kündigung ist bei Vorliegen wichtiger Kündigungsgründe auch ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist möglich.
4
Die Anlage 1 „Allgemeine Kooperationsbestimmungen“ zum FBV lautete auszugsweise wie folgt:
3.1 Der Family B. ist von der Bank ständig damit betraut, in ihrem Namen und für ihre Rechnung (…)
deren Kunden zu Produkten zu beraten und Verträge zwischen den Kunden und der Bank bzw. den Produktgesellschaften zu vermitteln.
4 Hilfskräfte des Family B.s
4.1 Zur Erledigung seiner vertraglichen Aufgaben und Pflichten nach diesem Vertrag kann der Family B. Hilfskräfte nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen heranziehen.
4.5 Sämtliche von seinen Hilfskräften akquirierte Anträge wird der Family B. unter seinem Namen und seiner Mitarbeiternummer bei der Bank einreichen.
5.4 Der Family B. befolgt sachgerechte Weisungen der Bank gleichgültig, ob diese allgemein in Form von Geschäftsanweisungen oder nur für den Einzelfall erteilt werden.
15.7 Mit der Beendigung dieses Vertrags enden ferner alle Rechte und Pflichten aus den Anlagen und Ergänzungsvereinbarungen, soweit diese nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen.
5
Die „Anlage 2B Vergütungsbestimmungen“ zum FBV lautete auszugsweise wie folgt:
14.1 Die Bank gewährt dem Family B. eine Ausgleichszahlung, wenn dessen selbst aufgebauter Kunden- und Vertragsbestand (nachfolgend auch kurz „Portfolio“) auf einen anderen für die Bank tätigen Family B. übertragen wird.
14.2 Grundvoraussetzungen für die Inanspruchnahme der Ausgleichszahlung sind (kumulativ):
b) die Kooperationsvereinbarung wurde von keiner der Vertragsparteien aus wichtigem Grunde gekündigt;
d) mindestens ein oder mehrere Family B. sind bereit, das Portfolio des übertragenden Family B.s zu übernehmen, und schließen mit der Bank eine schriftliche Vereinbarung (…)
15. Vertragsbeendigung und Folgen (…)
15.3 Das Recht beider Vertragspartner zur Kündigung aus wichtigem Grund bleibt unberührt. Ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des Vertrages durch die Bank liegt insbesondere dann vor, wenn der Family B. (alternativ):
- Kunden vorsätzlich falsch berät;
- Zahlungsmittel für Rechnung der Bank oder eines Produktanbieters entgegennimmt;
- die Tätigkeit trotz Abmahnung durch die Bank ausübt oder fortsetzt, ohne über die für die Ausübung der Tätigkeit erforderliche Erlaubnis zu verfügen;
- Hilfskräfte im Außendienst einsetzt, deren Einsatz die Bank untersagt hat;
- Kontakt mit Produktanbietern mit dem Ziel aufnimmt, diesen unter Umgehung der Bank seine Dienste anzubieten;
- unter Verstoß gegen Ziffer 11.2 der Allgemeinen Kooperationsbestimmungen Wettbewerb zu Lasten der Bank betreibt;
- entgegen Ziffer 11.6 der Allgemeinen Kooperationsbestimmungen Personen abwirbt, die in einem Vertragsverhältnis zur Bank stehen;
- i.S. der Insolvenzordnung (InsO) überschuldet ist;
- gemäß § 807 ZPO vor einer dazu befugten Stelle eine Erklärung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben hat, deren Richtigkeit er an Eides statt versichert hat.
6
Die Beklagte war bis Oktober 2022 eine Universalbank (vgl. den Handelsregisterauszug laut Anl. BB1).
7
Am 19.06.2020 beschloss die Hauptversammlung der Beklagten, „das Family B. Geschäft einzustellen und die damit zusammenhängenden (…) Maßnahmen umzusetzen“ (vgl. das Protokoll der Hauptversammlung vom 19.06.2020 laut Anl. B 7).
8
Die Klägerin (zusammen mit anderen Family B.n) wurde auf einem sogenannten Sales-Meeting in Erfurt am 23. und 24.06.2020 von Seiten der Beklagten darüber informiert, dass sich die Muttergesellschaft der Beklagten (die Banca M. S.p.A.) entschlossen habe, das Privatkundengeschäft in Deutschland gänzlich einzustellen (vgl. das Exposé laut Anl. B 8).
9
Mit Schreiben vom 28.07.2020 laut Anl. K 6 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sich die Beklagte „basierend auf dem Hauptversammlungsbeschluss vom 19.06.2020 entschlossen (habe), das sog. „Family B. Geschäft“ mit Wirkung zum 31.12.2020 ersatzlos einzustellen“. Aus diesem Grund kündige sie das mit der Klägerin „bestehende Handelsvertreterverhältnis, namentlich den Family B.-Vertrag vom 13.03./01.04.2015 einschließlich aller Änderungs-, Ergänzungs- und Zusatzvereinbarungen, außerordentlich mit Wirkung zum 31.12.2020“. Hilfsweise kündigte die Beklagte „ordentlich fristgerecht zum nächstmöglichen Zeitpunkt“.
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Am 03.12.2020 gründete die Klägerin zusammen mit Sven Schäffner, einem anderen Family B., die C.F. GmbH.
11
Die Klägerin behauptete, dass die außerordentliche Kündigung des FBV zum 31.12.2020 unwirksam sei, da ein wichtiger Grund hierfür nicht vorliege. Etwaige unternehmerische Entscheidungen und deren Folgen lägen grundsätzlich in der Risikosphäre der Beklagten und stellten keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Bei der Aufgabe des Privatkundengeschäfts habe es sich um eine freie unternehmerische Entscheidung gehandelt, ohne dass insoweit ein rechtlicher oder wirtschaftlicher Zwang bestanden habe.
12
Der Klägerin, die unselbständig und damit als Arbeitnehmerin der Beklagten für diese tätig gewesen sei, stehe ein Handelsvertreterausgleich in Höhe des Zwölffachen der monatlichen Einnahmen der Klägerin multipliziert mit einem Faktor von 1,5 und damit insgesamt 431.670,48 € zu (35.972,54 x 12 x 1,5).
13
Darüber hinaus habe die Klägerin aufgrund der unwirksamen außerordentlichen Kündigung gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 96.010,00 €. Davon entfielen 5.300,00 € auf von der Klägerin bei der Beklagten auf eigene Rechnung angeschaffte Werbemittel, die nunmehr nicht mehr verwendet und damit wertlos seien. 40.710,00 € seien für frustrierte Personalkosten und Mietaufwendungen zu ersetzen. Schließlich sei der Klägerin durch die unwirksame Kündigung und die deshalb erforderliche Gründung eines Unternehmens (der C.F. GmbH) ein Aufwand von 50.000,00 € entstanden.
14
Schließlich habe die Beklagte der Klägerin den Portfoliowert von 326.326,20 € zu erstatten.
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Die Klägerin beantragte daher:
1. Es wird festgestellt, dass das Dienstvertragsverhältnis der Klägerin zur Beklagten nicht durch die Kündigung vom 28.07.2020 zum 31.12.2020 aufgelöst wird;
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 854.006,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 26.09.2020 zu bezahlen;
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 6.6787,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
16
Die Beklagte beantragte,
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Sie erwiderte, dass die außerordentliche Kündigung zum 31.12.2020 wirksam sei. Die Beklagte habe das Privatkundengeschäft aufgrund erheblicher und nachhaltiger Verluste nach mehreren Restrukturierungsversuchen zum 31.12.2020 eingestellt. Die Muttergesellschaft habe die entstehenden jährlichen Verluste durch Einzahlungen in die Kapitalrücklage ausgeglichen. Der Verlustvortrag habe sich im Jahr 2019 auf rund 90 Mio. € belaufen. Zwar habe die Beklagte im Rumpfgeschäftsjahr vom 01.06.2019 bis 30.06.2019 einen Überschuss von 86,74 Mio. € erzielt. Dieser resultierte jedoch ausschließlich aus dem außerordentlichen Ertrag eines konzerninternen Beteiligungsverkaufs. Ohne diesen Beteiligungsverkauf hätte sich auch im Rumpfgeschäftsjahr vom 01.01.2016 bis 30.06.2019 ein Verlust von 7,377 Mio. € ergeben.
18
Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin scheide schon deshalb aus, weil der klägerische Vortrag insoweit unschlüssig bzw. unsubstanziiert sei.
19
Mit Endurteil vom 15.07.2022, Az. 40 O 8507/21, wies das Landgericht München I, nachdem es einen Hinweis erteilt hatte (Bl. 80/81 d.A.), die Klage ab. Die Klägerin habe nämlich keinen Anspruch auf Feststellung, dass ihr Vertragsverhältnis mit der Beklagten nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 28.07.2020 zum 31.12.2020 aufgelöst worden sei. Auch stehe der Klägerin kein Anspruch auf Zahlung von 854.006,68 € gegen die Beklagte zu.
20
Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Landgericht u.a. aus, dass durch den streitgegenständlichen Family B.-Vertrag vom 01.04.2015 laut Anl. K 3 entgegen der Ansicht der Klägerin kein Arbeits-, sondern ein Handelsvertreterverhältnis zwischen den Parteien begründet worden sei. So habe die Klägerin nicht substanziiert dargelegt, dass sie nur einen Auftraggeber gehabt habe und sie von der Beklagten sozial abhängig gewesen sei. Es fehle auch Vortrag der Klägerin, dass sie aufgrund strikter Vorgaben der Beklagten weisungsgebunden gewesen sei. Die Klägerin sei auch noch bei Klageerhebung selbst davon ausgegangen, dass sie Handelsvertreterin sei, da sie die Klage beim Landgericht Stuttgart, nicht aber beim Arbeitsgericht erhoben habe und zudem ihren Ausgleichsanspruch auf § 89b HGB stütze. Auch sei im klägerischen Vortrag immer die Rede von einem Dienstverhältnis, das aber – anders als ein Arbeitsverhältnis – die Erbringung selbständiger Leistungen zum Gegenstand habe. Die klägerischen Ausführungen zu einer etwaigen Scheinselbständigkeit seien nicht nachvollziehbar (LGU S. 8).
21
Die außerordentliche Kündigung des Handelsvertreterverhältnisses vom 28.07.2020 durch die Beklagte sei wirksam, da ein wichtiger Grund für die Kündigung vorliege. Denn das Family B.-Geschäft sei wirtschaftlich nicht mehr rentabel gewesen, sodass die Einstellung dieses Geschäftszweiges der Beklagten auf vernünftigen unternehmerischen Erwägungen beruht habe und deshalb nicht willkürlich erfolgt sei. Trotz mehrerer Restrukturierungsversuche der Beklagten, die die Klägerin nicht nur pauschal habe bestreiten können, sei das Family B.-Geschäft nach wie vor defizitär geblieben. Nachdem die Beklagte zum Beweis ihrer Behauptung weiterbestehender Verluste ihren Jahresabschluss vom 30.06.2020 vorgelegt habe und sich daraus entnehmen lasse, dass im Geschäftsjahr vom 01.07.2019 bis 30.06.2020 ein Verlust in Höhe von 20 Mio. € entstanden sei, könne die Klägerin nicht einfach pauschal bestreiten, dass nachhaltige Verluste erzielt worden seien. Daran ändere auch der unstreitige im Zeitraum vom 01.01.2019 bis 30.06.2019 von der Beklagten erzielte Gewinn in Höhe von 86,74 Mio. € nichts. Denn dieser resultiere allein aus dem außerordentlichen Ertrag eines konzerninternen Beteiligungsverkaufs, ohne den auch das Rumpfgeschäftsjahr vom 01.01.2019 bis 30.06.2019 mit einem Verlust von 7,377 Mio. € geendet hätte. Auch diesbezüglich habe die Klägerin sich nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken können (LGU S. 9 und 10).
22
Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Kündigung mit einer Auslauffrist von fünf Monaten ausgesprochen habe (LGU S. 10).
23
Die Kündigung sei zeitnah nach dem Hauptversammlungsbeschluss vom 19.06.2020 und damit innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntnis des wichtigen Grundes erklärt worden (LGU S. 10 und 11).
24
Ein Zahlungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ergebe sich weder aus § 89 b HGB noch aus § 280 BGB.
25
Ein Handelsvertreterausgleich scheide schon deshalb aus, weil die Beklagte nach Einstellung des Family B.-Geschäfts aus der früheren Tätigkeit der Klägerin keine Vorteile mehr habe. Denn wenn der Prinzipal infolge Geschäftseinstellung keine Kundenbeziehungen mehr unterhalte, könne ein vom Handelsvertreter geschaffener Kundenstamm keinen Vorteil darstellen. Darüber hinaus müssten die Vorteile in der Person des Unternehmers bestehen. Erträge aus der früheren Tätigkeit des Handelsvertreters, die einer Konzerngesellschaft des Unternehmers zuflössen, müssten nach der Rechtsprechung des EuGH bei der Berechnung des Handelsvertreterausgleichs nicht notwendigerweise berücksichtigt werden (LGU S. 12 und 13).
26
Ein Anspruch aus § 280 BGB bestehe gleichfalls nicht, da es schon an einer Pflichtverletzung der Beklagten mangele. Die außerordentliche Kündigung des Handelsvertretervertrags sei nämlich rechtmäßig gewesen. Unabhängig davon habe die Klägerin auch schon einen Schaden nicht substanziiert dargetan (LGU S. 13 und 14).
27
Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 BGB auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
28
Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrags ihr erstinstanzliches Klageziel vollumfänglich weiter.
29
Die Klägerin rügt insbesondere, dass das Landgericht verkannt habe, dass die Klägerin in einem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten beschäftigt gewesen sei. Die Klägerin sei weisungsgebunden und in den Betrieb der Beklagten eingebunden gewesen. Sie sei zur höchstpersönlichen Leistungserbringung verpflichtet gewesen. Die berufliche Tätigkeit der Beklagten habe in der Regel stets mehr als 50 Stunden pro Woche umfasst. Die Klägerin sei auch stets als Mitarbeiterin der Beklagten aufgetreten.
30
Die Klägerin beantragt daher:
Das Urteil des Landgerichts München I vom 15.07.2022, AZ 40 O 8507/21, wird wie folgt geändert:
a. es wird festgestellt, dass das Dienstvertragsverhältnis der Klägerin zur Beklagten nicht durch die Kündigung vom 28.07.2020 zum 31.12.2020 aufgelöst wird;
b. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 845.006,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 26.09.2020 zu bezahlen;
c. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 6.6787,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
31
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Berufung.
32
Außerdem beantragt die Beklagte im Rahmen einer Anschlussberufung hilfsweise widerklagend:
Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2020 zum 31. Januar 2021 aufgelöst worden ist.
33
Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil.
34
Die Klägerin beantragt,
die Anschlussberufung und auch die Hilfs-Widerklage kostenpflichtig zurückzuweisen bzw. abzuweisen.
35
Die Parteien haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren zugestimmt (Schriftsatz des Klägervertreters vom 22.10.2014, Bl. 253 d.A. und Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 28.10.2024, Bl. 255 d.A.). Auf den Beschluss des Senats vom 04.11.2024, Bl. 258/259 d.A., die zwischen den Prozessbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt wird Bezug genommen.
36
I. Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
37
1. Der Senat ist zur Entscheidung über das Rechtsmittel in der Sache zuständig, auch wenn die Klägerin schon in erster Instanz zuletzt (erstmals mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 24.02.2014, S. 1, Bl. 90 d.A.) geltend gemacht hatte, ohne allerdings die Zulässigkeit des Rechtswegs gerügt zu haben, sie sei Arbeitnehmerin. Die Eröffnung des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten ist nämlich in zweiter Instanz gem. § 17a Abs. 5 GVG nicht mehr zu prüfen.
38
Das Überprüfungsverbot nach § 17a Abs. 5 GVG ist auch nicht deshalb ausnahmsweise aufgehoben, weil das Landgericht gegen entscheidende Verfahrensgrundsätze des § 17a GVG verstoßen hätte. Denn da die Klägerin die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den ordentlichen Gerichten erstinstanzlich nicht gerügt hatte, war nach § 17a Abs. 3 S. 2 GVG eine Vorabentscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten nicht zwingend erforderlich und konnte das Landgericht deshalb – wie geschehen – durch die Abweisung der Klage als unbegründet konkludent über die Zulässigkeit des von der Klägerin beschrittenen Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten entscheiden.
39
2. Die Berufung der Klägerin ist allerdings unbegründet. Die gegen die klagabweisende Entscheidung des Landgerichts erhobenen Rügen der Klägerin greifen nicht durch.
40
a. Der Feststellungsantrag ist unbegründet, da der FBV durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 28.07.2020 laut Anl. K 6 zum 31.12.2020 beendet wurde.
41
Zu Recht ist das Landgericht insoweit davon ausgegangen, dass der zwischen den Parteien zuletzt alleinrelevante FBV laut Anl. K 3, durch den gemäß Ziffer 6.8 FBV der bis dahin geltende „Auslagerungsvertrag“ vom 29.01.2009 laut Anlage K 2 ersetzt wurde, welcher seinerseits den „Auslagerungsvertrag“ vom 01.07.2006 laut Anlage K 1 ersetzt hatte, durch die mit Schreiben der Beklagten vom 28.07.2020 laut Anl. K 6 ausgesprochene außerordentliche Kündigung zum 31.12.2020 aufgelöst wurde, sodass der Klageantrag zu 1) abzuweisen war.
42
aa. Die Wirksamkeitsvoraussetzungen der außerordentlichen Kündigung bemessen sich nach § 89a Abs. 1 S. 1 HGB, da es sich bei dem durch den FBV konstituierten Vertragsvertragsverhältnis entgegen der Ansicht der Klägerin nicht um ein Arbeitsverhältnis, sondern um ein Handels- und gleichzeitig Versicherungsvertreterverhältnis iSd. §§ 84 ff HGB handelt (gemäß Ziffer 1. 2 FBV umfassten die von der Klägerin zu vermittelnden Produkten nämlich neben Zahlungsdiensten, Bankgeschäften, Finanzinstrumenten und Finanzierungen auch Versicherungen).
43
(1) Das von der Klägerin behauptete Angestelltenverhältnis läge nach § 84 Abs. 2 HGB nur vor, wenn sie durch den FBV, ohne selbständig im Sinne von § 84 Abs. 1 HGB zu sein, ständig damit betraut war, für einen (anderen) Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Selbständig wiederum ist gemäß § 84 Abs. 1 S. 2 HGB, „wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann“. Für die Abgrenzung zum unselbständigen Angestellten hat sich das Gesetz daher im Bereich der Vermittlung von Geschäften und Versicherungen für Dritte auf diese beiden Kriterien beschränkt. Zwar sind dabei alle Umstände des Falles in Betracht zu ziehen und schließlich in ihrer Gesamtheit zu würdigen. Die heranzuziehenden Anknüpfungspunkte müssen sich jedoch diesen beiden gesetzlichen Unterscheidungsmerkmalen zuordnen lassen (vgl. BAG, Urteil vom 15.12.1999 – 5 AZR 770/98, Rdnrn 38 – 39). Bei der Abgrenzung zwischen Selbständigen und Unselbständigen ist weder isoliert auf die von den Parteien gewählte Einordnung des Vertrags oder die von diesen gewählte Bezeichnung als Angestellter oder Handelsvertreter noch allein auf die tatsächliche Durchführung des Vertrags abzustellen. Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse unter Würdigung sowohl der vertraglichen Gestaltung als auch der tatsächlichen Handhabung des Vertrages (vgl. BGH, Beschluss vom 27.10.2009 – VIII ZB 42/08, Rdnr. 12).
44
(2) Die Anwendung dieser Maßstäbe führt zu der Bewertung der klägerischen Tätigkeit als selbständig.
45
(a) Die Parteien haben im FBV für die Klägerin ersichtlich die Rechtsstellung einer selbständigen Handels- und Versicherungsvertreterin vorgesehen (vgl. insbesondere Ziffern 2.2 und 2.3 FBV). Der gemeinsame Regelungswille war somit auf einen Vertrag im Sinne von § 84 Abs. 1 HGB gerichtet.
46
(b) Die weitere rechtliche Ausgestaltung und die tatsächliche Umsetzung dieser Vereinbarung deuten ebenfalls auf eine Handels- und Versicherungsvertretertätigkeit der Klägerin hin.
47
(aa) Der pauschale Vortrag der Klägerin, sie sei „durch strikte Vorgaben der Beklagten im Rahmen ihrer Tätigkeit weisungsgebunden“ (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 24.02.2022, S. 2, Bl. 91 d.A.), was die Beklagte bereits in erster Instanz ebenso pauschal bestritten hatte (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 19.02.2022, S. 2 vorletzter Absatz, Bl. 108 d.A.), reicht für die Annahme einer Weisungsgebundenheit nicht aus. Auch auf die Ausführungen des Landgerichts im angegriffenen Urteil, dass zur Weisungsgebundenheit schlüssiger Vortrag der Klägerin fehle (LGU S. 8 letzter Absatz), hat die Klägerin in der Berufung nur vorgetragen, dass sie „an die Weisungen der Beklagten gebunden gewesen sei“ und zur „höchst persönlichen [sic] Leistungserbringung“ verpflichtet gewesen sei (Berufungsbegründung S. 4). Unabhängig davon, ob eine Pflicht zur höchstpersönlichen Leistungserbringung eine Handels- und Versicherungsvertreterstellung der Klägerin überhaupt ausschließen würde, bestand eine solche Pflicht nach dem FBV schon gar nicht, da Ziffer 4.1 der Anlage 1 zum FBV (Anl. K 3) dem Family B. im Gegenteil ausdrücklich das Recht zur Heranziehung von Hilfskräften einräumt und diese Hilfskräfte ausweislich Ziffer 4.5 der Anlage 1 zum FBV (Anl. K 3) auch Anträge akquirieren dürfen. Dieser vertraglichen Regelung entsprach nach dem eigenen Vortrag der Klägerin auch die gelebte Vertragswirklichkeit. Denn die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche u.a. wegen ihr entstandener Personalkosten (vgl. Klageschrift, S. 8) geltend, sodass sie (die Richtigkeit ihres Vortrags unterstellt) selbst Dritte angestellt haben muss. Die Klägerin war deshalb sowohl nach dem Vertragstext als auch nach der Vertragspraxis darin frei zu entscheiden, ob sie ihre vertraglichen Leistungspflichten in eigener Person oder durch Dritte erbringt. Dies ist ein Indiz für eine selbstständige Tätigkeit (vgl. BAG, Urteil vom 15.12.1999 – 5 AZR 770/98, Rdnr. 56).
48
(bb) Die Klägerin konnte nach dem FBV, der keine Regelung zum Arbeitsort der Klägerin enthält, aber offensichtlich auch ihren Arbeitsort frei bestimmen, was ebenfalls gegen eine Weisungsgebundenheit spricht. Denn ausweislich ihres eigenen Vortrags bezüglich des von ihr geltend gemachten Schadensersatzanspruchs nach § 280 BGB mietete die Klägerin „für die zugunsten der Beklagten ausgeübte Tätigkeit“ Gewerberäume in R. an (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 27.05.2021, S. 12, Bl. 63 d.A.). Diese Anmietung erfolgte auch nicht namens und auf Rechnung der Beklagten, da die Klägerin des weiteren darlegte, dass der Mietvertrag erst „frühestens Mitte kommenden Jahres kündbar“ sei und ihr deshalb ein „fruchtloser Kostenaufwand“ entstehe. Der Klägerin selbst kann ein finanzieller Schaden aus der Anmietung von Gewerberäumen aber nur entstehen, wenn sie selbst und nicht die Beklagte aus dem Mietvertrag verpflichtet ist, weshalb sie bei der Anmietung in eigenem Namen und auf eigene Rechnung im Außenverhältnis tätig geworden sein muss (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 27.05.2021, S. 12, Bl. 63 d.A.). Der Aufbau einer eigenen Büroorganisation, wofür nach dem FBV eine Zustimmung der Beklagten nicht erforderlich war, spricht für den Selbständigenstatus (vgl. BAG, Urteil vom 15.12.1999 – 5 AZR 770/98, Rdnr. 54 aE).
49
(cc) Dass nach Ziffer 2.3 S. 1 FBV die Klägerin in der Ausübung ihrer Tätigkeit nur „im Wesentlichen frei“ war und der Beklagten „unternehmerische Weisungsrechte – insbesondere zur Sicherstellung der Einhaltung aufsichtsrechtlicher Bestimmung(en)“ zustanden und nach Ziffer 5.4 S. 1 der Anlage 1 zum FBV (Anl. K 3) die Klägerin „sachgerechte Weisungen“ der Beklagten zu befolgen hatte, schließt eine Selbständigenstellung nicht aus. Denn kraft Gesetzes (§ 675 iVm. § 665 BGB) hat der Vertreter allgemeine Weisungen in Bezug auf den Inhalt seiner Tätigkeit zu befolgen. Dabei darf in der Versicherungswirtschaft wegen der außerordentlichen Vielgestaltigkeit und Schwierigkeit des Versicherungsrechts und der sehr hohen finanziellen Risiken der Rahmen für zulässige Weisungen nicht zu eng gezogen werden. Mit dem Selbständigenstatus eines Handels- und/oder Versicherungsvertreters ist es also durchaus vereinbar, dass er einem Weisungsrecht unterliegt (BAG, Urteil vom 15.12.1999 – 5 AZR 770/98, Rdnr. 47). Für Bankgeschäfte gilt nichts anderes. Die von der Beklagten in der Berufung eingeräumten Vorgaben für den Vertrieb von Versicherungsverträgen und Anlagen (vgl. Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 14.03.2023, S. 8, Rdnr. 36, Bl. 199 d.A.) ändern daher am Selbständigenstatus der Klägerin nichts.
50
Zu konkreten Weisungen durch die Beklagte und/oder Berichtspflichten gegenüber der Beklagten hat die Klägerin trotz der Ausführungen des Landgerichts in seinem Urteil zur Unsubstanziiertheit des erstinstanzlichen Klägervortrags in der Berufung nichts weiter vorgetragen.
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(dd) Vor diesem Hintergrund fällt es nicht ins Gewicht und kann als wahr unterstellt werden, dass die Klägerin nach eigenem Parteivortrag von der Beklagten „sozial abhängig“ gewesen und nur für die Beklagte tätig gewesen sei (Schriftsatz des Klägervertreters vom 24.02.2022, S. 1, Bl. 90 d.A.). Ersteres hat für die Abgrenzung von Selbständigen und Unselbständigen zumindest kein wesentliches Gewicht (vgl. Ströbl in Münchener Kommentar HGB, 5. Auflage, München 2021, Rdnr. 58 zu § 84 HGB m. w. N.: „nicht entscheidend“). Auch wenn die Klägerin faktisch nur für die Beklagte tätig gewesen sein sollte, nimmt dies dem Vertragsverhältnis bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht das selbständige Gepräge. Dass die Klägerin regelmäßig wöchentlich mehr als 50 Stunden für die Beklagte tätig gewesen sei (Berufungsbegründung, S. 4), kann daher als wahr unterstellt werden. Ein Verbot, für andere Unternehmer tätig zu werden, vermag der Senat dem FBV nicht zu entnehmen. Ohnehin geht das Gesetz selbst in § 92a HGB davon aus, dass es sogar selbständige Handels- und/oder Versicherungsvertreter gibt, die nur für einen Prinzipal tätig werden dürfen.
52
(ee) Nach der Rechtsprechung des BAG spielt die Art der Vergütung keine Rolle für die Frage der Selbständigkeit bzw. Unselbständigkeit, da sich die persönliche Abhängigkeit danach bestimmt, inwieweit die Ausführung der versprochenen Dienste weisungsgebunden und damit fremdbestimmt erfolgt. Entscheidend sind die Umstände der Dienstleistung, nicht aber die Modalitäten der Entgeltzahlung (BAG, Urteil vom 21.07.2015 – 9 AZR 484/14, Rdnr. 29). Ob die Klägerin (auch) fixe Gehaltskomponenten erhielt (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 27.05.2021, S. 4, Bl. 55 d.A.), ist damit irrelevant. Unabhängig davon war die Vergütung aber – wie sich aus den Provisionsbestimmungen der Anlagen zum FBV und dem eigenen Vortrag der Klägerin zu entgangenen Provisionen (vgl. bspw. Klageschrift S. 8) ergibt – in erheblichem Maße erfolgsabhängig.
53
(ff) Die weiteren – wenig substanziierten – Behauptungen der Klägerin (Berufungsbegründung, S. 3 f.), die die Arbeitnehmereigenschaft belegen sollen, führen nicht zu einer abweichenden Bewertung. Ob die Klägerin „ausschließlich als Mitarbeiterin der Beklagten“ aufgetreten ist, ist unerheblich, da dies für die allein entscheidende Frage, ob und inwieweit die Klägerin ihre Tätigkeit frei gestalten und ihre Arbeitszeit frei bestimmen konnte, keine Rolle spielt. Gleiches gilt für die angebliche Nutzung von Betriebsmitteln der Beklagten, wobei § 86a Abs. 1 HGB sogar eine Verpflichtung des Prinzipals zur Überlassung bestimmter Betriebsmittel vorsieht.
54
(gg) Die Einbindung in die Absatzorganisation der Beklagten ist der (selbständigen) Handels-/Versicherungsvertretertätigkeit wesensimmanent.
55
Bei Vornahme der erforderlichen Gesamtschau übte die Klägerin damit eine selbständige Tätigkeit als Handels- und Versicherungsvertreterin aus.
56
bb. Die Kündigungserklärung vom 28.07.2020 (Anlage K 6) erfüllt die formalen Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung. Angesichts des klaren Wortlauts (“(…) kündigen wir (…) außerordentlich mit Wirkung zum 31.12.2020. Hilfsweise kündigen wir Ihnen hiermit ordentlich fristgerecht zum nächstmöglichen Zeitpunkt“) ist der klägerische Vortrag in der Klageschrift (dort S. 4 zweiter Absatz), wonach nur eine ordentliche Kündigung ausgesprochen worden sein soll, nicht nachvollziehbar.
57
cc. Zum Zeitpunkt der Kündigung lag auch ein wichtiger Grund im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB für die Kündigung vor.
58
(1) Ein solcher wichtiger Grund ist anzunehmen, wenn es dem Kündigenden nicht zumutbar ist, das Handelsvertreterverhältnis bis zu seinem Ablauf oder auch nur bis zu dem Zeitpunkt fortzusetzen, zu welchem es durch ordentliche Kündigung beendet werden kann (BGH, Urteil vom 25.11.1998 – VIII ZR 221/97, Rdnr. 18). Im Rahmen einer umfassenden Abwägung aller Umstände des Einzelfalls muss das Interesse des Kündigenden an einem sofortigen Vertragsende das Interesse des Vertragspartners an der Vertragsfortsetzung überwiegen (Semmler in Ebenroth/Boujong, 5. Auflage, München 2024, Rdnr. 17 zu § 89a HGB). In die Prüfung der der Gesamtwürdigung zugrunde liegenden Umstände und deren Abwägung sind insbesondere die Art und Dauer des Vertragsverhältnisses, die Ausgestaltung der Vertragsbeziehung im Einzelnen sowie das Verhalten des Kündigenden und auch seines Vertragspartners einzubeziehen.
59
(2) Die Parteien haben zwar in Ziffer 5.1 S. 5 FBV keine Regelung dahingehend getroffen, welche Umstände als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung gelten sollen. Sie habe solche Gründe aber in Ziffer 15.3 S. 2 der Anlage 1 zum FBV (Anl. K 3) niedergelegt. Die Tatsache, dass die Aufgabe bestimmter Geschäftsfelder durch den Prinzipal (wie streitgegenständlich des Family B. Geschäfts) in Ziffer 15.3 S. 2 der Anlage 1 zum FBV nicht als wichtiger Grund aufgeführt ist, besagt nicht, dass eine außerordentliche Kündigung aus diesem Grund von vorneherein ausgeschlossen ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass in Ziffer 15.3 S. 1 der Anlage 1 zum FBV ausdrücklich stipuliert ist, dass das Recht beider Vertragspartner zur Kündigung aus wichtigem Grund unberührt bleiben soll. Diese Regelung trägt § 89a Abs. 1 S. 2 HGB-Rechnung, der eine Beschränkung des Rechts zur fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund ausdrücklich ausschließt. Um eine solche unzulässige Beschränkung des Rechts zur außerordentlichen fristlosen Kündigung zu vermeiden, wird die Auflistung der wichtigen Gründe in Ziffer 15.3 S. 2 der Anlage 1 zum FBV auch mit dem Wort „insbesondere“ eingeleitet, womit klargestellt werden soll, dass die Aufzählung von wichtigen Gründen in Ziffer 15.3 S. 2 der Anlage 1 zum FBV eben gerade nicht abschließend sein soll.
60
(3) Demnach ist für das Vorliegen eines wichtigen Grundes zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände “an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist.
61
Dies ist zu bejahen. Das Landgericht hat insoweit sorgfältig herausgearbeitet, dass dem Unternehmer im Verhältnis zum Handels-/Versicherungsvertreter kaufmännische Dispositionsfreiheit zuzubilligen ist. Es ist dem Unternehmer nämlich grundsätzlich unbenommen, selbständig zu disponieren und sein Vertriebssystem zu ändern, wenn er das für zweckmäßig und erforderlich hält. Wenn er einen unrentablen Geschäftszweig einstellt, berechtigt ihn dies grundsätzlich zur außerordentlichen Kündigung des Handels-/Versicherungsvertretervertrags (BGH, Urteile vom 20.02.1958 – II ZR 20/57, Rdnr. 7, BGH, 30.01.1986 – I ZR 185/83, Rdnr. 23 und vom 07.10.2004 – I ZR 18/02, Rdnr. 32). Dass der Handels-/Versicherungsvertreter grundsätzlich eine Einstellung des Geschäftsbetriebs bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten hinzunehmen hat, ergibt sich aus dem über gewöhnliche Austauschverträge hinausgehenden, regelmäßig besonders engen Vertrauensverhältnis zwischen einem Unternehmen und dem in seinen Vertrieb eingebundenen Handels-/Versicherungsvertreter sowie aus dessen besonders enger Bindung an den wirtschaftlichen Erfolg und eben auch den Misserfolg des Unternehmens. Der fehlende wirtschaftliche Erfolg liegt daher nicht nur in der Risikosphäre des Unternehmens, sondern auch in der des mit ihm vertraglich verbundenen Handels-/Versicherungsvertreters (vgl. BGH, Urteil vom 07.10.2004 – I ZR 18/02, Rdnr. 32). Hierin liegt der entscheidende Unterschied zu einem Arbeitnehmer (vgl. BGH, Urteil vom 20.02.1958 – II ZR 20/57, Rdnr. 7).
62
Vor diesem Hintergrund wäre es verfehlt, Umstrukturierungen des Prinzipals nur anzuerkennen, soweit sie wirtschaftlich notwendig sind; damit würde die wirtschaftliche Gestaltungsfreiheit des Unternehmers unzulässig eingeschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 09.11.1967 – VII ZR 40/65, Rdnr. 14). Denn es ist nicht Aufgabe des erkennenden Gerichts, die unternehmerischen Entscheidungen der Beklagten zu überprüfen (vgl. DIS-Schiedsgericht, Schiedsspruch vom 17.01.1997, Az. DIS-SV-B 627/96, BB-Beilage 1999, Nr. 11, 13 [15]). Es ist auch nicht notwendig, dass der Unternehmer schon „rote Zahlen schreibt“ (Hopt in ders., HGB, 43. Auflage, München 2024, Rdnr. 21zu § 89a HGB) oder gar bereits zahlungsunfähig ist (Busche in Oetker, HGB, 8. Auflage, München 2024, Rndr. 21 zu § 89a HGB). Eine Grenze ist freilich dort anzuerkennen, wo sich der Unternehmer willkürlich und ohne vertretbaren Grund über die schutzwürdigen Belange seiner Handels-/Versicherungsvertreter hinwegsetzt (BGH, Urteile vom 09.11.1967 – VII ZR 40/65, Rdnr. 14 aE und vom 30.01.1986 – I ZR 185/83, Rdnr. 23).
63
Davon kann allerdings mit Blick auf die anhaltenden Verluste der Beklagten keine Rede sein. Die Klägerin hat diese Verluste zwar pauschal bestritten. Die Tatsache, dass Verluste in den geprüften Jahresabschlüssen für das Geschäftsjahr vom 01.07.2019 – 30.06.2020 (Anlage B 3 und 4) sowie die Geschäftsjahre 2016 bis 2018 festgestellt sind, hält der Senat indes für offenkundig im Sinne des § 291 ZPO (die Abschlüsse sind über den Bundesanzeiger abrufbar unter https://www.bundesanzeiger.de). Das Bestreiten der Klägerin ist vor diesem Hintergrund ersichtlich ins Blaue hinein erfolgt und damit prozessual unbeachtlich. Denn Anhaltspunkte dafür, dass die publizierten Jahresabschlüsse inhaltlich falsch sind, gibt es nicht. Soweit im Rumpfgeschäftsjahr 01.01.2019 – 30.06.2019 ausnahmsweise ein Jahresüberschuss in Höhe von ca. 86,7 Mio. EUR festgestellt wurde, geht dieser laut geprüftem Jahresabschluss (Anl. B 3, dort S. 2) auf einen „außerordentlichen Ertrag aus der Veräußerung der Anteile an verbundenen Unternehmen zurück“ und belegt folglich nicht die Rentabilität des Geschäftsmodells. Auch dieser Jahresabschluss ist öffentlich abrufbar und somit gerichtsbekannt (§ 291 ZPO); auch insoweit ist das einfache klägerische Bestreiten unbeachtlich.
64
(4) Nach der Feststellung, dass der streitgegenständliche Sachverhalt „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist, bedarf es des Weiteren der Prüfung, ob dem Prinzipal die Fortsetzung des Handels-/Versicherungsvertreterverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist.
65
Nach Auffassung des Senats war es der Beklagten nicht zuzumuten, bis zur Beendigung des FBV durch ordentliche Kündigung am 31.01.2021 zuzuwarten. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die fehlende Zumutbarkeit besonders genau betrachtet werden muss, wenn das Handels-/Versicherungsvertreterverhältnis ohnehin zeitnah hätte ordentlich gekündigt werden können (vgl. Semmler in Ebenroth/Boujong, HGB, 5. Auflage, München 2024, Rdnr. 19 zu § 89a HGB). Dies ist streitgegenständlich der Fall, da die am 28.07.2020 von der Beklagten hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung des FBV das Handels-/Versicherungsvertreterverhältnis gemäß Ziffer 5.1 S. 2 FBV zum 31.01.2021 und damit nur einen Monat später als die von der Beklagten erklärte außerordentliche Kündigung mit fünfmonatiger Auslauffrist beendet hätte. Vorliegend ermöglichte allerdings nur die außerordentliche Kündigung zum 31.12.2020 einen Endtermin mit Ablauf des Geschäftsjahres 2020. Eine Weiterführung des Privatkundengeschäfts über den 31.12.2020 hinaus und sei es auch nur für einen Monat bis zum 31.01.2021 hätte aber nach dem Vortrag der Beklagten im Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 19.04.2022, S. 10 und 11, Bl. 116 und 117 d.A., dazu geführt, dass die Beklagte die Infrastruktur für das Privatkundengeschäft für das gesamte Jahr 2021 (und nicht nur für den Monat Januar 2021) hätte weiterführen müssen. Denn demnach seien insbesondere bestimmte steuer- und wertpapierrechtliche Unterlagen wie Depotauszüge und Steuerbescheinigungen auf Jahresbasis zu erstellen. Allein die dadurch entstehenden IT-Kosten hätten sich auf über zwei Mio. Euro belaufen. Hinzugekommen wären Personalkosten und Depotprüfungskosten in Höhe von weiteren vier Mio. Euro. Da die Klägerin diesen Vortrag nicht bestritt (vgl. Schriftsatz des Klägervertreters vom 05.07.2022, Bl. 135/137 d.A.), war er der Entscheidung des Senats zu Grunde zu legen.
66
Zugunsten der Beklagten war in die Interessenabwägung auch einzustellen, dass sie mit der von ihr gewährten fünfmonatigen Auslauffrist zum 31.12.2020 dem Interesse der Klägerin an der längstmöglichen Fortsetzung des Vertragsverhältnisses so weit wie möglich entsprach, ohne gleichzeitig das Handels-/Versicherungsvertreterverhältnis mit den oben dargelegten für die Beklagten nachteiligen wirtschaftlichen Folgen noch in das Jahr 2021 hinein fortsetzen zu müssen.
67
Es ist zulässig, eine außerordentliche Kündigung mit einer Auslauffrist auszusprechen. Zwar ist eine solche Fristsetzung in § 86a HGB nicht vorgesehen. Gleichwohl bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen eine vom Kündigenden ausgesprochene Befristung (BGH, Urteil vom 25.11.1998 – VIII ZR 221/97, Rdnr. 17), solange sich dadurch nicht erweist, dass es für den Kündigenden zumutbar war, den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist abzuwarten. Teilweise wird postuliert, dass eine Auslauffrist erforderlich sein könne, um je nach Fallgestaltung einen verhältnismäßigen Ausgleich der widerstreitenden Interessen zu ermöglichen, indem das Interesse des Handels-/Versicherungsvertreters, sich binnen angemessener Zeit am Markt neu zu orientieren, angemessen zur Geltung gebracht wird (vgl. DIS-Schiedsgericht Schiedsspruch vom 17.01.1997, Az. DIS-SV-B 627/96, BB-Beilage 1999, Nr. 11, 13 [16 f.]; siehe allgemein Semmler in Ebenroth/Boujong, HGB, 5. Auflage, München 2024, Rdnr. 49 zu § 89a HGB).
68
Es kann offenbleiben, ob eine Auslauffrist zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit geboten war. Vorliegend ist dem Landgericht nämlich beizupflichten, dass die von der Beklagten gewährte Auslauffrist von fünf Monaten jedenfalls ausreicht. Hierzu ist ergänzend anzumerken, dass die Beklagte einen einheitlichen Endtermin für das einzustellende Geschäftsfeld insgesamt und unabhängig von den ordentlichen Kündigungsrechten in 38 Family B.-Verträgen zu bestimmen hatte und der Jahreswechsel, der mit dem Ende des Geschäftsjahres zusammenfiel, schon aus den oben dargelegten finanziellen Gründen ein überaus geeigneter Zeitpunkt hierfür war. Die Interessen der Handels-/Versicherungsvertreter wurden nicht zuletzt dadurch gewahrt, dass die Beklagte die Handels-/Versicherungsvertreter unstreitig frühzeitig noch im Juni 2020 und damit mehr als sechs Monate vor dem Endtermin informiert hatte und damit ihrer Informationspflicht gem. § 86a Abs. 2 Satz 3 HGB nachgekommen ist. In dieser frühzeitigen Information der Handels-/Versicherungsvertreter durch die Beklagte und der gleichzeitigen Gewährung einer fünfmonatigen Auslauffrist liegt auch der Unterschied zu dem der Entscheidung des BGH vom 30.01.1986 zu Grunde liegenden Sachverhalt, in der der BGH eine außerordentliche Kündigung mit einer Auslauffrist von lediglich zwei Wochen für unwirksam erklärte (BGH, Urteil vom 30.01.1986 – I ZR 185/83, Rdnr. 18).
69
Auch unter Berücksichtigung, dass die Parteien zum Kündigungszeitpunkt bereits seit 14 Jahren durch wechselnde Handels-/Versicherungsvertreterverträge erfolgreich miteinander verbunden waren, überwiegt das Interesse der Beklagten an einer Beendigung des FBV zum 31.12.2020 und liegt damit ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung des FBV vor.
70
ee. Die außerordentliche Kündigung vom 28.07.2020 wurde auch rechtzeitig erklärt. Es entspricht allgemeiner Meinung, dass insofern § 626 Abs. 2 BGB nicht maßgeblich ist. Vielmehr ist nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 314 Abs. 3 BGB eine angemessene Frist zu wahren (Hopt in ders., HGB, 43. Auflage, München 2024, Rdnr. 30 zu § 89a HGB m.w.N.). Anzustellen ist im Übrigen eine Einzelfallbetrachtung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte seit dem Hauptversammlungsbeschluss am 19.06.2020, auf den es, wie das Landgericht richtig erkannt hat, maßgeblich ankommt, bis zum Ausspruch der Kündigung am 28.07.2020 etwas mehr als fünf Wochen hat verstreichen lassen. Diese Frist liegt indes nach Auffassung des Senats wie des Erstgerichts (LGU S. 10 letzter Absatz und S. 11 erster Absatz) noch im Rahmen einer der Beklagten zuzubilligenden angemessenen Überlegungsfrist, auf welche Weise die Abwicklung des Geschäftsbereichs und der Handels-/Versicherungsvertreterverhältnisse rechtlich sachgerecht zu bewältigen ist. Entscheidend ist, dass in der Zwischenzeit keine Unsicherheit über das von der Beklagten ins Auge gefasste Ende des Family B.-Geschäfts entstanden ist. Vielmehr hat die Beklagte die Zeit nach der frühzeitigen Information der Family B. für das Ausloten von Lösungen zur einvernehmlichen Trennung genutzt. Es wäre nicht sachgerecht, wenn der Kündigende sein Recht zur Kündigung infolge von Verhandlungen mit dem Ziel einer einvernehmlichen Lösung verlieren würde (vgl. Ströbl in Münchener Kommentar, HGB, 5. Auflage, München 2021, Rdnr. 70 zu § 89a HGB). Auch die Klageseite macht nicht geltend, dass sie aufgrund der Zeitdauer zwischen Hauptversammlungsbeschluss und Kündigungsausspruch davon ausgegangen sei, die Beklagte sei von ihrem Ziel, das Geschäftsfeld zum 31.12.2020 einzustellen, abgerückt.
71
Nach alledem endete der FBV zum 31.12.2020 und war der Feststellungsantrag der Klägerin unbegründet.
72
b. Zu Recht hat das Landgericht auch den klägerischen Leistungsantrag (Zahlung von 854.006,68 €) abgewiesen.
73
aa. Ansprüche aus den vertraglichen Vereinbarungen (Anlagen K 3 bis K 5) sind nicht ersichtlich und werden von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.
74
bb. Ein Anspruch auf Handelsvertreterausgleich gemäß § 89b HGB besteht nicht.
75
(1) Insoweit ist die Klage bereits nicht schlüssig. Denn die Klägerin hat zuletzt schon in erster Instanz vorgetragen, sie sei Arbeitnehmerin. Diese Behauptung hat sie auch in der Berufung erhoben und ihre Berufung maßgeblich auf die angebliche Verkennung der Arbeitnehmereigenschaft der Klägerin durch das Landgericht gestützt. Damit ist klägerseits nicht (mehr) vorgetragen, die Klägerin sei Handels- und Versicherungsvertreterin gewesen. Unselbständigen Vermittlern steht ein Ausgleichsanspruch jedoch nicht zu (Hopt in ders., HGB, 43. Auflage, München 2024, Rdnr. 4 zu § 89b HGB m. w. N.).
76
(2) Im Übrigen fehlt es, wie das Landgericht zutreffend entschieden hat, an ausgleichspflichtigen erheblichen Unternehmervorteilen auf Seiten der Beklagten. Der Unternehmer, der aufgrund einer Geschäftsaufgabe keine Kundenbeziehungen mehr unterhält, zieht hieraus nämlich grundsätzlich keinen Vorteil (vgl. BGH, Urteil vom 30.01.1986 – I ZR 185/83, Rdnr. 21, Ströbl in Münchener Kommentar, HGB, 5. Auflage, München 2021, Rdnr. 80 zu § 89a HGB). Dass die Klägerin nicht mit dem Vorwurf gehört werden kann, die Einstellung des Geschäftsbetriebs habe nicht erfolgen dürfen und sei deshalb nicht beachtlich, wurde bereits erörtert (siehe oben unter a).
77
Schließlich ergeben sich aus dem von der Klägerin für die Beklagte geworbenen Kundenstamm keine Vorteile für der Beklagten verbundene Unternehmen, die mittelbar der Beklagten zuzurechnen wären. Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass Vorteile von Konzernunternehmen grundsätzlich nicht zur Begründung des Ausgleichsanspruchs ausreichen (EuGH, Urteil vom 26.03.2009 – C-348/07, Rdnr. 26 ff., BGH, Urteil vom 30.01.1986 – I ZR 185/83, Rdnr. 22). Hinzu kommt, dass die Vorteile der Schwestergesellschaften ihrer Eigentätigkeit als Emittentinnen von Anlageprodukten/Versicherungen entspringen. Dies sind qualitativ andere Vorteile als diejenigen, die der Beklagten als vermittelndes/verwahrendes Bankhaus durch die Tätigkeit ihres Vertriebsmittlers bis zur Geschäftseinstellung entstanden sind.
78
cc. Zutreffend hat das Landgericht auch einen Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung vertraglicher Pflichten abgelehnt.
79
Es ist keine Pflichtverletzung der Beklagten ersichtlich, die zu einem kausalen Schaden führte.
80
(1) Die Beklagte hat den Kläger entsprechend § 86a Abs. 2 Satz 3 HGB unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, über die beabsichtigte Betriebseinstellung unterrichtet.
81
(2) Die außerordentliche Kündigung zum 31.12.2020 war – wie oben unter a dargelegt – rechtmäßig. Aufgrund dessen stellen auch die Drosselung des Neugeschäfts und die gänzliche Einstellung des Geschäftsbetriebs im Dezember 2020 keine Verletzung der Verpflichtungen der Beklagten aus dem FBV dar.
82
(3) Obwohl es damit letztendlich entscheidungserheblich gar nicht mehr darauf ankommt, ist unter Zugrundelegung des klägerischen Vortrags auch kein durch die unterstellt rechtswidrige außerordentliche Kündigung der Beklagten der Klägerin entstandener Schaden erkennbar.
83
Insoweit ist zu den einzelnen von der Klägerin vorgetragenen Schadensposten ergänzend Folgendes zu bemerken:
84
(a) Die Klägerin behauptet unter der Rubrik „Aufwände, Schäden, Risiken“ (S. 8 der Klageschrift, S. 12 des Schriftsatzes des Klägervertreters vom 27.05.2021, Bl. 63 d.A., S. 11 der Berufungsbegründung) eine extreme Verärgerung und Verunsicherung von Kunden durch die Beendigung des Privatkundensgeschäfts sowie namentlich aufgrund einzelner „kundenschädlicher“ Handlungen der Beklagten, wodurch hinsichtlich zukünftiger Bestandsprovisionen Mindereinnahmen in Höhe von 30% zu befürchten seien. Die Klägerin trägt insofern aber schon keinen konkreten Schaden vor (“es ist zu befürchten“) und legt auch das benannte Volumen 86.334,08 € nicht nachvollziehbar dar, obwohl das Landgericht dies bereits in seinem Hinweis vom 09.12.2021 (S. 1 vorletzter Absatz – Bl. 80 d. A.) bemängelt hatte. Ohnehin lässt die Klägerin außer Acht, dass sie selbst bei unterstellter Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung jedenfalls nach Beendigung des FBV durch die mit Schreiben vom 28.07.2020 laut Anl. K 6 hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 31.01.2021 keinen Anspruch „auf künftige Bestandsprovisionen“ mehr hätte (vgl. Ziffer 15.7 der Anlage 1 zum FBV).
85
Unklar bleibt insoweit auch, warum zu dem Schadensposten von 86.334,08 € zwar sowohl in der Klageschrift (dort S. 8 oben), im Schriftsatz des Klägervertreters vom 27.05.2021 (dort S. 12 unten) als auch in der Berufungsbegründung (dort S. 10 oben und S. 11 unten) – wenngleich unsubstanziiert – ausgeführt wird, diese Schadensposition in der Aufschlüsselung der Klageforderung (S. 9 der Klageschrift, S. 13 des Schriftsatzes des Klägervertreters vom 27.05.2021, Bl. 64 d.A., S. 12 unten und 13 oben der Berufungsbegründung) jedoch keine Berücksichtigung findet.
86
(b) Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten frustrierten Aufwendungen für Werbemittel in Höhe von 5.300 € hat bereits das Landgericht auf die diesbezügliche unternehmerische Risikotragung durch die Klägerin als Handels- und Versicherungsvertreterin hingewiesen (LGU S. 13 vorletzter Absatz unter Hinweis auf BGH, Urteil vom 04.05.2011 – VIII ZR 10/10, Rdnr. 25). Hinzu kommt, dass die Klägerin ohnehin damit rechnen musste, dass die Beklagte sie jedenfalls ordentlich mit einer Frist von sechs Monaten kündigen konnte. Deshalb wäre außerdem Vortrag erforderlich, wieso die Klägerin das jeweilige noch vorhandene Produkt gerade aufgrund der nur um ca. einen Monat kürzeren Auslauffrist und der schrittweisen Beendigung der Geschäftstätigkeit der Beklagten im 2. Halbjahr 2020 nicht mehr einsetzen konnte.
87
(c) Dem Landgericht ist auch zu folgen, soweit es befunden hat, dass die Klägerin hinsichtlich der behaupteten Beeinträchtigung des Neugeschäfts nicht hinreichend vorgetragen hat (LGU S. 13 letzter Absatz und S. 14 erster Absatz). Es fehlt auch in der Berufung weiterhin konkreter Tatsachenvortrag, der dem Beweis zugänglich ist. Vor diesem Hintergrund ist auch die geltend gemachte Höhe (143.890,14 €) nicht nachvollziehbar dargelegt. Hinzu kommt, dass jedenfalls die notwendigerweise mit der – rechtmäßigen – außerordentlichen Kündigung verbundenen negativen Auswirkungen auf den Abschluss von Neugeschäften hinzunehmen sind.
88
Auch zur Beeinträchtigung des Neugeschäfts wird sowohl in erster Instanz als auch in der Berufung zwar – wenn auch unsubstanziiert – vorgetragen, jedoch findet diese Position keine Berücksichtigung in der von der Klägerin vorgenommenen Aufschlüsselung der Klageforderung.
89
(d) Die geltend gemachten Aufwendungen für die Anmietung der Büroräume in R. wären selbst dann nicht erstattungsfähig, wenn – wie nicht – die außerordentliche Kündigung der Beklagten pflichtwidrig gewesen sein sollte. Für den Zeitraum bis Dezember 2020 folgt dies daraus, dass die Klägerin seinerzeit noch für die Beklagte tätig war. Hinsichtlich der Mietaufwendungen für Januar 2021 ist der behauptete Schaden kompensiert, da die von der Klägerin angemieteten Räume jedenfalls ab Januar 2021 von der C.F. GmbH genutzt wurden, deren (Mit) Gesellschafterin die Klägerin ist. Für den Zeitraum ab 01.02.2021 fehlt es an einer Kausalität der (unterstellten) Pflichtverletzung der Beklagten für den behaupteten Schaden, da die Beklagte das Handels- und Versicherungsvertreterverhältnis jederzeit ordentlich mit einer Kündigungsfrist von sechs Monaten hätte kündigen können. Falls sich die Klägerin gegenüber ihrem Vermieter, in dem von ihr geschlossenen Mietvertrag längerfristig gebunden haben sollte, so ist dies Folge einer von ihr getroffenen unternehmerischen Entscheidung, die ausschließlich in ihren Risikobereich fällt. Entsprechendes gilt für die der Klägerin behauptetermaßen entstandenen Personalkosten.
90
(e) Die geltend gemachten Kosten für die Gründung der C.F. GmbH (des neuen Unternehmens der Klägerin) sind schon der Höhe nach (50.000,00 €) nicht nachvollziehbar. Aufgrund der ohne weiteres zulässigen ordentlichen Kündigung des FBV durch die Beklagten zum 31.01.2021 hätte sich die Klägerin darüber hinaus ohnehin ab 31.01.2021 beruflich neu orientieren müssen und wäre deshalb die Gründung der C.F. GmbH erforderlich gewesen. Ein durch die unterstellt unwirksame außerordentlichen Kündigung zum 31.12.2020 entstandener Schaden der Klägerin könnte also ausschließlich darin liegen, dass gerade durch die nunmehr um einen Monat vorzuziehende Gesellschaftsgründung höhere Kosten anfielen. Dies ist jedoch nicht ersichtlich, zumal die Gründung der C.F. GmbH auch unstreitig bereits vor Ablauf der Auslauffrist am 31.12.2020 und damit noch früher erfolgte.
91
(f) (aa) Ein Anspruch auf Zahlung des Portfoliowerts gemäß Ziffer 14 der „Anlage 2B Vergütungsbestimmungen“ (Anl. K 3) scheidet schon deshalb aus, weil der FBV von der Beklagten wirksam aus wichtigem Grund gekündigt wurde.
92
(bb) Eine Haftung für einen „Portfoliowert“ in Höhe von 326.326,20 € aus § 280 Abs. 1 BGB ist fernliegend. Denn ein solcher Schadensersatzanspruch setzt neben einer (unterstellt) unwirksamen außerordentlichen Kündigung nach Ziffer 14 der Anlage 2b zum FBV voraus, dass die Klägerin ihren selbst aufgebauten Kunden- und Vertragsbestand auf einen anderen Family B. mit dessen Zustimmung übertragen hätte. Dies wäre aber gar nicht mehr möglich gewesen, da die Beklagten ihr Privatkundengeschäft Ende 2020 einstellte und deshalb ihre Verträge sowohl mit den anderen Family B.n als auch mit den Bankkunden kündigte.
93
(g) Soweit die Klägerin aus ihren durchschnittlichen Provisionseinnahmen der letzten 12 Monate vor Vetragsbeendigung unter Zuhilfenahme eines in keiner Weise nachvollziehbaren Faktors von 1,50 „wegen Kundenausfallrisiko bzw. entgangene[m] Neugeschäft“ eine Ersatzsumme von 431.670,48 € errechnet, kann dies nach dem Vorstehenden nicht nachvollzogen werden. Überdies sticht die versuchte doppelte Inanspruchnahme der Beklagten bei Addition mit dem behaupteten „Portfoliowert“ ins Auge.
94
c. Mangels Hauptforderung kann die Klägerin auch die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht beanspruchen.
95
II. Über die Anschlussberufung der Beklagten war nicht mehr zu entscheiden, da die Bedingung, unter der die Beklagte sie erhoben hat, nämlich dass die Klägerin mit ihrem Feststellungsantrag durchdringt (vgl. Anschlussberufungsbegründung, S. 22, Rdnr. 107, Bl. 213 d.A.), nicht eingetreten ist. Denn – wie oben unter I 2 a dargelegt – war der Berufungsantrag zu 1 a (Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 28.07.2020 zum 31.12.2020) zurückzuweisen.
96
I. Der Ausspruch zu den Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, da die Klägerin mit ihrer Berufung zur Gänze unterlag.
97
II. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
98
III. Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, da ein Revisionsgrund nicht vorliegt.
99
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG und in Übereinstimmung mit der landgerichtlichen Festsetzung bestimmt. Der Feststellungsantrag hat den Streitwert neben dem Zahlungsantrag nicht erhöht, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Die hilfsweise Anschlussberufung, über die mangels Bedingungseintritt nicht entschieden wurde, hat den Streitwert ebenfalls nicht erhöht.