Titel:
Zulässige Einsicht der Staatsanwaltshaft in die Akte eines zivilgerichtlichen Verfahrens
Normenketten:
EGGVG § 23, § 24b Abs. 1, § 25 Abs. 2, § 26 Abs. 1, § 28 Abs. 1 S. 1
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 35 Abs. 1
AGGVG Art. 12 Nr. 3
ZPO § 299 Abs. 2
BayDSG Art. 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Alt. 2, Abs. 2, Abs. 4 S. 1, S. 2, S. 3
StPO § 160 Abs. 2, § 161 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Die Gewährung von Akteneinsicht stellt einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Verfahrensbeteiligten auch dann dar, wenn eine zivilgerichtliche Akte betroffen ist, die lediglich Unterlagen zu geschäftlichen Vorgängen und keine besonders sensiblen Daten enthält (BGH BeckRS 2017, 109045). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Antrag einer Staatsanwaltschaft auf Übersendung einer in einem Zivilprozess geführten Akte ist kein Antrag auf Akteneinsicht gem. § 299 Abs. 2 ZPO, sondern ein Amtshilfeersuchen eines Dritten iSd Art. 35 Abs. 1 GG. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für ihr auf Aktenübersendung gerichtete Amtshilfeersuchen kann sich die Staatsanwaltschaft auf die Regelung des § 161 Abs. 1 S. 1 StPO als gesetzliche Eingriffsgrundlage stützen. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Akteneinsicht, Amtshilfeersuchen, Zivilakte, Zivilprozess, Staatsanwaltschaft, Ermittlungsverfahren, Justizverwaltungsakt, allgemeines Persönlichkeitsrecht, informationelle Selbstbestimmung, schutzwürdige Interessen
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34857
Tenor
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
3. Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wendet sich der Antragsteller gegen einen Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg, mit dem der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Einsicht in die Akte eines beim Oberlandesgericht Nürnberg geführten zivilgerichtlichen Berufungsverfahrens bewilligt wurde.
2
Im Ausgangsverfahren erhob die A. GmbH vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth Klage auf gesamtschuldnerische Rückzahlung einer geleisteten Maklerprovision in Höhe von … € gegen die B. mbH als Beklagte zu 1) und deren damaligen Geschäftsführer, den Antragsteller, als Beklagten zu 2). Mit Endurteil vom … Februar 2024 (Az. x HK O …) gab das Landgericht der Klage gegen die Beklagte zu 1) mit der Begründung statt, es bestehe ein bereicherungsrechtlicher Anspruch, da die Vertragsklausel über die Vereinbarung der Provision nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sei. Die Klage gegen den Beklagten zu 2) wurde abgewiesen, weil keine deliktischen Ansprüche bestünden. Gegen das Urteil legten die Beklagte zu 1) und die Klägerin Berufung zum Oberlandesgericht Nürnberg ein (Az. x U …).
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Mit Schreiben vom 18. April 2024 bat die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth das Landgericht Nürnberg-Fürth unter Hinweis auf ein gegen den Antragsteller und weitere Beschuldigte geführtes Ermittlungsverfahren wegen Betrugs um Übersendung der Akte x HK O …. Mit Schreiben vom 26. April 2024 informierte der Präsident des Oberlandesgerichts Nürnberg die Staatsanwaltschaft darüber, dass sich die Akten mittlerweile beim Oberlandesgericht Nürnberg befänden, welches die Akten unter dem Aktenzeichen x U … führe. Er wertete das Schreiben vom 18. April 2024 als Akteneinsichtsgesuch und bat im Hinblick auf Art. 5 BayDSG um kurze Mitteilung, aus welchem Grund die Akten für das in dem Ersuchen genannte Ermittlungsverfahren von Bedeutung seien. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erläuterte daraufhin mit Schreiben vom 6. Mai 2024, dass für die Ermittlungen die zivilrechtliche Wirksamkeit einer Vertragsklausel (Provisionsvereinbarung) von Bedeutung sei, welche nach derzeitigem Ermittlungsstand Gegenstand des zur Einsicht erbetenen Verfahrens sei. Diese Annahme gehe darauf zurück, dass eine Geschädigte des Ermittlungsverfahrens Partei im Zivilverfahren sei. Die dortigen Erkenntnisse seien für die Beurteilung des objektiven und subjektiven Tatbestands des Betrugs von Bedeutung. Den Beschuldigten seien die Ermittlungen bereits bekannt.
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Mit Schriftsatz vom 6. Juni 2024 teilten die zu dem Einsichtsgesuch angehörten Beklagten des Ausgangsverfahrens mit, diesem nicht zuzustimmen. Die Klägerin erklärte ihr Einverständnis mit der Einsicht.
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Mit Bescheid vom 15. Juli 2024 bewilligte der Präsident des Oberlandesgerichts Nürnberg die Übersendung der Akten x U … an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Zur Begründung führte er aus, die einfachgesetzliche Ausgestaltung der der ersuchenden Behörde verliehenen Befugnis, für Zwecke eines Strafverfahrens im Wege der Amtshilfe von allen Behörden Auskunft zu verlangen, liege in § 161 StPO begründet. Die Übermittlung der Akten erfolge nach Art. 5 BayDSG. Im unstreitigen Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils sei eine umfangreiche Provisionsvereinbarung zitiert. Die Verarbeitung der zu Zwecken des Zivilverfahrens erhobenen Daten sei zur Verfolgung von Straftaten erforderlich (Art. 6 Abs. 2 Nr. 3 BayDSG). Aus dem Gesuch gehe hervor, dass die zivilrechtliche Wirksamkeit der Provisionsklausel gleichsam als Vorfrage für den im Raum stehenden Betrugsvorwurf von Bedeutung sei. Der unmittelbare Zusammenhang zwischen dem Gegenstand des Strafverfahrens und dem Rechtsstreit, in dessen Akten Einsicht begehrt werde, sei dargelegt und ergebe sich aus den Akten. In Abwägung der in der Gesamtschau vorgetragenen Kriterien werde die Aktenübersendung bewilligt.
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Gegen den ihm am 30. Juli 2024 zugestellten Bescheid hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 27. August 2024 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.
den Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 15. Juli 2024 aufzuheben und den Antrag der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth auf Übersendung der Zivilakten x U … zurückzuweisen.
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Zur Begründung führt er aus, er sei in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Er sehe sich einer Reihe von Verdächtigungen ausgesetzt und werde in mehreren Verfahren des Betrugs bezichtigt. Darauf werde – auch gegen ihn persönlich – die Rückzahlung von Provisionszahlungen gestützt. Die Vertragspartner der mit der B. mbH abgeschlossenen Maklerverträge seien nachweislich in einem großen Netzwerk untereinander verbunden und betrieben Hetze in den sozialen Medien auch gegen ihn, den Antragsteller. Es stehe zu befürchten, dass durch die Einsicht in die Akte „weiteres Material“ in die Hände der die Strafanzeigen erstattenden Personen gelange.
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Datenschutzrechtliche Bestimmungen komme vorliegend Vorrang vor den Vorschriften der Strafprozessordnung zu. Die zivilrechtliche (Un-)Wirksamkeit einer Klausel, auf die es der Staatsanwaltschaft ankomme, sei nicht mit der Strafbarkeit desjenigen, der die Klausel verwende, gleichzusetzen. Im erstinstanzlichen Urteil sei die Provisionsklausel – weil es sich bei ihr um eine Allgemeine Geschäftsbedingung gehandelt habe – für unwirksam erklärt, aber eine Haftung des Antragstellers nach § 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB verneint worden. Dies zeige, dass die zivilrechtliche Beurteilung der Provisionsklausel keinen Rückschluss auf die Strafbarkeit zulasse. Die Staatsanwaltschaft müsse eigenständig die Bewertung eines zugrunde liegenden Sachverhalts im Hinblick auf einen möglichen Straftatbestand vornehmen. Zivilrechtliche Voraussetzungen müsse sie selbst beurteilen. In diesem Sinne scheitere das Gesuch an dem Merkmal der „Erforderlichkeit“ als Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips, welches Voraussetzung einer jeden Akteneinsicht sei.
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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 27. August 2024 als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zu verwerfen.
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Zur Begründung führt er aus, der Antrag auf gerichtliche Entscheidung sei bereits unzulässig. Der Antragsteller habe nicht gemäß § 24 Abs. 1 EGGVG geltend gemacht, in seinen Rechten verletzt zu sein. In Zusammenschau mit der erstinstanzlichen Klageabweisung handele es sich bei der behaupteten Rechtsverletzung um eine lediglich pauschale Darstellung. Bloße Beeinträchtigungen persönlicher oder wirtschaftlicher Interessen seien nicht ausreichend, vielmehr sei eine unmittelbare Rechtsverletzung erforderlich. Zivilrechtliche Akten beinhalteten im Gegensatz zu Betreuungsakten keine besonders sensiblen Daten, die eines besonderen Schutzes gegenüber Dritten, einschließlich der Behörden, bedürften.
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Jedenfalls sei der Antrag unbegründet. Die Staatsanwaltschaft habe die Erforderlichkeit der Übermittlung der Zivilrechtsakten ausreichend dargestellt. Aus der Einsichtnahme ergäben sich vorliegend keine besonders schutzwürdigen Informationen über die Persönlichkeit der betreffenden Person; vielmehr gehe es um Fragen rechtlicher Natur. Der Prüfungsumfang der Staatsanwaltschaft werde nicht eingeschränkt, es ergebe sich auch keine bindende Bewertung im Hinblick auf ein mögliches Zivilurteil. Vielmehr diene die Einsicht der Gewinnung von Umständen, die im Rahmen der Prüfung des Tatvorwurfs mögliche Erkenntnisse sowohl zugunsten als auch zu Lasten des Beschuldigten ermöglichen könnten.
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Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2024 hat der Antragsteller sein Vorbringen wiederholt und vertieft. Er sehe sich fortgesetzter Hetze und Verleumdung in verschiedenen Internetforen ausgesetzt.
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Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG ist statthaft und auch im Übrigen zulässig.
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a) Die Entscheidung über den Antrag der am Verfahren nicht beteiligten Behörde, ihr Einsicht in die Akte des Zivilverfahrens zu bewilligen, ergeht bei zutreffender Behandlung – wie hier geschehen – als Justizverwaltungsakt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 2. Juni 2022, 102 VA 7/22, FamRZ 2022, 1732 [juris Rn. 33]; Beschluss vom 6. August 2020, 1 VA 33/20, FamRZ 2020, 1942 [juris Rn. 14]).
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b) Der Antragsteller macht gemäß § 24 Abs. 1 EGGVG geltend, durch die angegriffene Maßnahme in seinen Rechten verletzt zu sein, indem er anführt, die bewilligte Übermittlung der Akte zur Einsicht verletze ihn in seinem in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
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Betroffenes Schutzgut ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das über den Schutz der Privatsphäre des Einzelnen hinausgeht und ihm die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis gibt, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, ob, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2006, 2 BvR 67/06, NJW 2007, 1052 [juris Rn. 9]; BGH, Urt. v. 29. April 2014, VI ZR 137/13, NJW 2014, 2276 Rn. 6). Gerichtsakten enthalten personenbezogene Daten der Parteien. Die Akteneinsicht ermöglicht es, von diesen Daten anhand des gesamten Sach- und Streitstands eines Verfahrens unter Einschluss aller privaten oder geschäftlichen Unterlagen umfassende Kenntnis zu erlangen. Die Gewährung von Akteneinsicht stellt daher einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Verfahrensbeteiligten auch dann dar, wenn eine zivilgerichtliche Akte betroffen ist, die lediglich Unterlagen zu geschäftlichen Vorgängen und keine besonders sensiblen Daten enthält (vgl. BGH, Beschluss vom 5. April 2017, IV AR [VZ] 2/16, NJW 2017, 1819 Rn. 14 f.).
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b) Der Antrag ist innerhalb der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG bei dem gemäß § 25 Abs. 2 EGGVG i. V. m. Art. 12 Nr. 3 AGGVG zuständigen Bayerischen Obersten Landesgericht gestellt worden.
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2. Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, da der angegriffene Justizverwaltungsakt nicht rechtswidrig ist (§ 28 Abs. 1 Satz 1 EGGVG).
21
a) Bei dem Antrag der Staatsanwaltschaft vom 18. April 2024 handelt es sich nicht um ein Akteneinsichtsgesuch im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO, sondern um ein Amtshilfersuchen eines Dritten im Sinne des Art. 35 Abs. 1 GG.
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b) Die Voraussetzungen für die Bewilligung der Einsicht durch Übermittlung der Akten x U … des Oberlandesgerichts Nürnberg an die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth liegen vor.
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aa) Art. 35 Abs. 1 GG verpflichtet zwar alle Behörden, einander Amtshilfe zu leisten, kann aber wegen des damit verbundenen Grundrechtseingriffs nicht als Rechtsgrundlage für die hier inmitten stehende Datenübermittlung dienen; insofern bedarf es nach dem sogenannten „Doppeltürmodell“ sowohl für die ersuchende als auch für die ersuchte Behörde einer den Datentransfer erlaubenden Vorschrift (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Mai 2020, 1 BvR 1873/13 ‒ Bestandsdatenauskunft II, BVerfGE 155, 119 [juris Rn. 93]; BayObLG FamRZ 2022, 1732 [juris Rn. 70]; Beschluss vom 27. Januar 2021, 1 VA 37/20, FamRZ 2021, 891 [juris Rn. 39]; FamRZ 2020, 1942 [juris Rn. 22]).
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bb) Die von der Staatsanwaltschaft begehrte Akteneinsicht lässt sich jedoch auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 i. V. m. Abs. 4 Sätze 1 und 2 BayDSG stützen. Danach ist eine Übermittlung personenbezogener Daten zulässig, wenn sie zur Erfüllung einer der empfangenden öffentlichen Stelle obliegenden Aufgaben erforderlich ist, wobei die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung die ersuchende Stelle trägt, während die ersuchte Stelle nur zu prüfen hat, ob das Ersuchen im Rahmen der Aufgaben des Empfängers liegt.
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Die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung trägt die ersuchte Stelle hingegen nur, wenn besonderer Anlass zur Prüfung der Zulässigkeit besteht (Art. 5 Abs. 4 Satz 3 BayDSG). Für den Fall, dass weitere, auf den Anlass der Übermittlung nicht bezogene personenbezogene Daten der betroffenen Person oder Dritter mit übermittelt werden, ist ferner Art. 5 Abs. 2 BayDSG zu beachten, wonach eine solche Übermittlung nur zulässig ist, wenn die Trennung der Daten nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist, und soweit nicht schutzwürdige Interessen der betroffenen Person oder Dritter offensichtlich überwiegen.
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An diesen Vorgaben gemessen, ist die vom Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg bewilligte Akteneinsicht rechtmäßig.
27
(1) Das Ersuchen um Akteneinsicht liegt im Aufgabenbereich der ersuchenden Staatsanwaltschaft (Art. 5 Abs. 4 Satz 2 BayDSG). Gemäß § 160 Abs. 1 StPO hat die Staatsanwaltschaft, sobald sie durch eine Anzeige oder auf anderem Weg von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, zu ihrer Entschließung darüber, ob öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen. Nach § 160 Abs. 2 StPO hat die Staatsanwaltschaft nicht nur die zur Belastung, sondern auch zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln. § 161 Abs. 1 Satz 1 StPO begründet für die Staatsanwaltschaft die Befugnis zu Ermittlungen jeder Art, die nicht mit einem erheblichen Grundrechtseingriff verbunden sind und daher keiner speziellen Eingriffsermächtigung bedürfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009, 2 BvR 1372/07, NJW 2009, 1405 Rn. 29; BayObLG FamRZ 2020, 1942 [juris Rn. 34 m. w. N.). Für das auf Aktenübersendung gerichtete Amtshilfeersuchen kann sich die Staatsanwaltschaft daher auf diese Befugnisnorm als gesetzliche Eingriffsgrundlage stützen.
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(2) Aus den Grenzen, die der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit allen Ermittlungsmaßnahmen setzt (vgl. BVerfG NJW 2009, 1405 Rn. 31), folgt für das Ersuchen auf Einsicht in die Akte des Zivilverfahrens nicht, dass es nicht im Rahmen der Aufgaben des Empfängers im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 i. V. m. Abs. 4 Sätze 1 und 2 BayDSG liegt. Anders als im Fall, der dem genannten Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 6. August 2020 (FamRZ 2020, 1942 [juris Rn. 57 und 64]; vgl. auch FamRZ 2022, 1732 [juris Rn. 83]) zugrunde lag, bestand hier für die ersuchte Stelle zudem kein besonderer Anlass im Sinne des Art. 5 Abs. 4 Satz 3 BayDSG, die Zulässigkeit der Übermittlung selbst zu prüfen.
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Im Unterschied zur das Gesuch stellenden Staatsanwaltschaft in dem dem Beschluss vom 6. August 2020 zugrunde liegenden Fall hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, die ihren Antrag mit Schreiben vom 6. Mai 2024 ausreichend begründet hat, nicht durch ein besonders weit gefasstes Ersuchen um Einsicht in eine üblicherweise in besonderem Maß sensible Daten enthaltende Betreuungsakte bei gleichzeitigem Fehlen einer Begründung zu erkennen gegeben, dass sie der zunächst ihr zugewiesenen Verantwortung zur Prüfung der Zulässigkeit der Datenübermittlung nicht Rechnung getragen hätte. Zudem hat das Bayerische Oberste Landesgericht in seinem Beschluss vom 6. August 2020 eine eigene Prüfungspflicht der ersuchten Stelle im Sinne des Art. 5 Abs. 4 Satz 3 BayDSG damit begründet, dass die besondere Schutzwürdigkeit der in einer Betreuungsakte enthaltenen sensiblen Daten einen besonderen Prüfungsanlass und deshalb eine eigene Prüfungspflicht der um Übersendung der gesamten Akte ersuchten Stelle begründe. Auch dies ist vorliegend nicht der Fall.
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(3) Auch Art. 5 Abs. 2 BayDSG steht der Rechtmäßigkeit der bewilligten Akteneinsicht nicht entgegen.
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(a) Diese Bestimmung eröffnet kein (Rechtsfolge-)Ermessen; vielmehr hängt die zwingende Rechtsfolge („ist unzulässig“) davon ab, ob (tatbestandliche) unbestimmte und ausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe, vorliegend ein offensichtliches Überwiegen schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person, erfüllt sind oder nicht. Diese Beurteilung obliegt dem Senat, denn die Regeln über die eingeschränkte Kontrolle des Verwaltungsermessens gelten nicht ohne Weiteres für die Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe (vgl. BayObLG, Beschluss vom 17. Oktober 2024, 102 VA 81/24, juris Rn. 31 f.).
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(b) Es kann nicht festgestellt werden, dass schutzwürdige Interessen des Antragstellers das Interesse der Staatsanwaltschaft an der Akteneinsicht im Sinne des Art. 5 Abs. 2 BayDSG offensichtlich überwögen.
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Als ein solches Interesse macht der Antragsteller geltend, er befürchte, dass durch die Einsicht der Staatsanwaltschaft in die Zivilakte Anzeigeerstatter, die in sozialen Netzwerken agierten und seine Persönlichkeitsrechte beeinträchtigten, Kenntnis von weiteren, sein allgemeines Persönlichkeitsrecht betreffenden Daten erlangen könnten. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass durch die Übersendung der Zivilakte an die Staatsanwaltschaft weitere nicht auf den Anlass der Übermittlung bezogene personenbezogene Daten des Antragstellers übermittelt werden. Der Antragsgegner hat außerdem zu Recht darauf hingewiesen, dass die Einsicht in strafrechtliche Ermittlungsakten gesetzlich vorgeschriebenen, eng umfassten Kriterien unterliegt, so dass es sich nicht erschließt, dass durch die Einsicht weiteres „Material“ unkontrolliert in die Hände von in Internetforen agierenden Anzeigeerstattern gerät.
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Ein Ausspruch zur Kostentragung ist nicht veranlasst, weil der Antragsteller bereits nach den gesetzlichen Bestimmungen (§ 1 Abs. 1 und 2 Nr. 19, § 22 Abs. 1 GNotKG) verpflichtet ist, die gerichtlichen Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Voraussetzungen, unter denen gemäß § 29 Abs. 2 EGGVG die Rechtsbeschwerde zuzulassen ist, liegen nicht vor.
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Die nach § 1 Abs. 1 und 2 Nr. 19, § 3 Abs. 1 und 2 GNotKG i. V. m. Nr. 15301 KV GNotKG erforderliche Geschäftswertfestsetzung beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.