Inhalt

VG München, Beschluss v. 19.08.2024 – M 28 S 24.4852
Titel:

Erfolgloser Eilantrag gegen versuchsweise Einrichtung einer Fußgängerzone

Normenketten:
BayStrWG Art. 7, Art. 8 Abs. 1 S. 2, Art. 17 Abs. 1, Art. 53 Abs. 2
BayVwVfG Art. 36 Abs. 2 Nr. 1, Art. 37 Abs. 3 S. 1, Art. 41 Abs. 4 S. 2, Art. 46
GG Art. 20a
VwGO § 80 Abs. 5
Leitsätze:
1. Eine straßenrechtliche Teileinziehung kann in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens mit einer Befristung erlassen werden. (Rn. 37 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das bayerische Straßenrecht gewährleistet im Hinblick auf den Anliegergebrauch nicht die Aufrechterhaltung einer bestehenden günstigen Zufahrtsmöglichkeit, sondern nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nur die Zugänglichkeit des Anliegergrundstücks vom öffentlichen Straßenraum als solchem. (Rn. 52) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Straßenrecht, befristete Teileinziehung einer Ortsstraße zur Erprobung einer „Fußgängerzone“, einstweiliger Rechtsschutz von Straßenanliegern (erfolglos), Straße, Fußgängerzone, Einziehung, Befristung, Anliegergebrauch, Lärmimmissionen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 29.11.2024 – 8 CS 24.1462
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34822

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller begehren die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen eine von der Antragsgegnerin verfügte straßenrechtliche Teileinziehung. Die Antragsgegnerin möchte mit der befristeten Maßnahme auf einer Länge von ca. 230 Metern die Einrichtung einer Fußgängerzone in der betreffenden Ortsstraße erproben.
2
Die Antragsteller zu 1., 2. und 4. sind Anlieger der W* … Straße, welche sich im Stadtgebiet der Antragsgegnerin befindet und laut Eintragungsverfügung vom 15. Februar 1962 als Ortsstraße gewidmet wurde. Sie wohnen dort (Antragsteller zu 2.), betreiben dort eine … Praxis (Antragstellerin zu 4.) und ein Ladengeschäft (Antragstellerin zu 1.). Die Antragstellerin zu 3. wohnt in einer benachbarten Straße zur W* … Straße. Das betreffende Teilstück der W* … Straße liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 1707 der Antragsgegnerin, welcher im streitgegenständlichen Bereich ein allgemeines Wohngebiet (WA) festsetzt.
3
Am 28. Februar 2024 beschloss der Bezirksausschuss des *. Stadtbezirkes … (BA) (Sitzungsvorlagen Nr. 20-26 / * 1* …4), dass auf der Teilstrecke der W* … Straße zwischen dem W* … Platz und dem P* … Platz (auf der FlNr. 16442/1 Gemarkung … S. 9) testweise eine Fußgängerzone eingerichtet werden solle.
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In ihrem Amtsblatt Nr. 8/2024 vom 20. März 2024 (S. … f.) machte die Antragsgegnerin die Absicht zur Teileinziehung des betreffenden Straßenstücks bekannt.
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Mit Beschluss vom 24. Juli 2024 stimmte der BA der vom Baureferat der Antragsgegnerin (mit Sitzungsvorlage Nr. 20-26 / * 1* …9) vorgeschlagenen Teileinziehung zu.
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Am 26. Juli 2024, bekanntgegeben im Amtsblatt der Antragsgegnerin Nr. 22/2024 (S. … ff.) vom 9. August 2024, traf das Baureferat der Antragsgegnerin folgende Allgemeinverfügung:
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„1. Die bisher als Ortsstraße gewidmete Teilstrecke der W* … Straße (Flst Nr. 16442/1 Gemarkung … Sektion *) zwischen dem W* … Platz (= km 0,089) und dem P* … Platz (= km 0,316) ist befristet bis zum 29.07.2025 gem. Art. 8 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG teileingezogen.
8
Die Widmung ist in dieser Zeit auf „Fußverkehr, Radverkehr frei, Elektrokleinstfahrzeuge frei, zeitlich begrenzter Lieferverkehr frei, Zufahrt zu den angrenzenden Anwesen für Bewohner gestattet“ beschränkt.
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Der als Anlage beiliegende Lageplan ist Bestandteil der Allgemeinverfügung.
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2. Die sofortige Vollziehung der Teileinziehung nach Ziffer 1 wird gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet.
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3. Die Allgemeinverfügung wird am 09.08.2024 bekanntgemacht und tritt zum 10.08.2024 in Kraft.“
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Zur Begründung der Allgemeinverfügung wird unter Bezugnahme auf den Beschluss des BA vom 24. Juli 2024 im Wesentlichen ausgeführt, dass die temporäre Teileinziehung der Prüfung diene, ob sich die städtebaulichen Belange, insbesondere eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität und eine Reduzierung des Verkehrs, gegenüber den allgemeinen Verkehrs- und Anliegerinteressen am Fortbestand der Widmung des Teilabschnitts der W* … Straße als höherwertig erweisen. Für die Teileinziehung sprächen überwiegende Gründe des Allgemeinwohls und die Auswirkungen auf die örtliche Verkehrssituation seien verträglich. Daher müssten die privaten Belange der Anlieger an der Aufrechterhaltung der derzeitigen Verkehrssituation gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Verkehrsberuhigung der W* … Straße zurücktreten. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Teileinziehung sei in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens geboten, weil die Antragsgegnerin das Ziel verfolge, die Aufenthaltsqualität in der W* … Straße sowie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs in diesem Bereich schnellstmöglich zu verbessern.
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Mit Schriftsatz vom *. August 2024 beantragten die Antragsteller bei der Antragsgegnerin die Aussetzung der Vollziehung der noch bekanntzumachenden Allgemeinverfügung, was von dieser mit Schreiben vom 8. August 2024 abgelehnt wurde.
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Gegen diese Allgemeinverfügung erhoben die Antragsteller am *. August 2024 Klage zum Verwaltungsgericht München (Az. M 28 K 24.4780), über die bislang noch nicht entschieden wurde.
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Mit Schriftsatz vom … August 2024 haben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht München Eilrechtsschutz beantragt. Zur Begründung führen sie insbesondere aus: Die Teileinziehung führe zur einer Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit, da auf der abgesenkten Verkehrsfläche nunmehr Fußgänger auf Rad-, Elektrokleinstfahrzeug-, Liefer- und Anliegerverkehr treffe. Erschwerend komme hinzu, dass aufgrund der bestehenden Baustellen mit Zu- und Abfahrtsverkehr von Baustellenfahrzeugen zu rechnen sei. Weiter verlagere sich der Verkehr infolge der Teileinziehung auf die umgebenden Ausweichstraßen, was insbesondere in der S* …straße zur Überschreitung der Lärmschutzgrenzwerte führe. Auch in der W* … Straße selbst werde es aufgrund des erhöhten Personenaufkommens vor allem in den Abend- und Nachtstunden zu einer erheblichen Lärmzunahme kommen. Hinzu komme, dass die zeitliche Beschränkung des Lieferverkehrs zu einer weiteren Erhöhung der nächtlichen Nutzung der W* … Straße führen werde. Ausweislich der Widmung betreffe dies ein Drittel des Lieferverkehrs, der zuvor zu den nun ausgeschlossenen Tageszeiten abgewickelt worden sei. Weiter seien die an der W* … Straße anliegenden Gewerbetreibenden existentiell betroffen, da Zufahrts- und Parkmöglichkeiten der Kundinnen und Kunden entfielen. Dies gelte vor allem für Geschäfte, die Waren verkaufen würden, die nur schwer transportabel seien, wie beispielsweise das …geschäft, Getränkemarkt oder Lebensmittelmärkte. Insoweit werde ein Umsatzeinbruch befürchtet. Auch könnten die mehrmals täglich erforderlichen Frischelieferungen jetzt nicht mehr erfolgen. Zuletzt würden Patientinnen und Patienten, die an der W* … Straße befindlichen Arztpraxen nicht mehr erreichen und ortsfeste medizinische Geräte könnten nicht mehr gewartet werden. Die Teileinziehung sei rechtswidrig, weil es keine Rechtsgrundlage für deren Befristung gebe, sie nicht ordnungsgemäß bekannt gemacht worden sei, es sich mangels Umstufung um eine unzulässige nachträgliche Widmungsbeschränkung handele und schließlich die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 8 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG mangels überwiegender Gründe des öffentlichen Wohls nicht vorlägen. In einem zusätzlich vorgelegten Rechtsgutachten wird ferner zur Rechtswidrigkeit des angeordneten Sofortvollzugs ausgeführt. Die Antragsteller beantragen,
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die aufschiebende Wirkung der gegen die am 9. August 2024 bekanntgegebenen Allgemeinverfügung der Landeshauptstadt München vom … Juli 2024 erhobenen Klage wiederherzustellen.
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Die Antragsgegnerin hat eine Behördenakte des Baureferats vorgelegt, sich bis zum Entscheidungszeitpunkt aber noch nicht inhaltlich geäußert.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten des Klage- und Eilverfahrens sowie die vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
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Der Antrag ist jedenfalls unbegründet.
20
A. Der Antrag wird im Interesse der Antragsteller an einer zeitnahen inhaltlichen Entscheidung des Gerichts als insgesamt zulässig angesehen, obwohl die Zulässigkeit hinsichtlich der Antragsteller zu 1., 2. und 3. nicht unproblematisch erscheint:
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Bezüglich der Antragstellerin zu 1. ist festzustellen, dass die von ihr geführte … ausweislich des Impressums ihrer Homepage in der Rechtsform einer GmbH betrieben wird, deren Geschäftsführerin die Antragstellerin zu 1. ist (vgl. das am 19.8.2024 unter www. …de abgerufene Impressum). Sowohl Klage als auch Eilantrag wurden – lediglich – im Namen der Geschäftsführerin erhoben. Eine mögliche Rechtsverletzung dürfte indes nur in der (juristischen) Person der A* … … GmbH in Betracht kommen, so dass es der Antragstellerin zu 1. an der erforderlichen Antragsbefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO analog, fehlen dürfte.
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Bezüglich der Antragsteller zu 2. und 3. bewegt sich der bisherige Vortrag der Antragsteller hinsichtlich der behaupteten Betroffenheit durch neu entstehenden Lärm aus der künftigen Nutzung der Fußgängerzone (Antragsteller zu 2.) bzw. durch neu entstehenden Verkehrslärm aus Verlagerungsverkehr (Antragstellerin zu 3.) allenfalls noch im Grenzbereich ausreichender Substantiierung für eine i.S.v. § 42 Abs. 2 VwGO analog mögliche eigene und rechtlich relevante Betroffenheit. Der Vortrag, die Antragsteller zu 2. und 3. seien künftig grenzwertüberschreitenden gesundheitsschädlichen Lärmimmissionen ausgesetzt, geht bislang über eine bloße Behauptung nicht hinaus.
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B. Der Antrag ist aber jedenfalls unbegründet.
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I. Die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO gebotene gerichtliche Interessenabwägung (vgl. zum Prüfungsmaßstab im Einzelnen: Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 85 ff. m.w.N.) fällt zu Lasten der Antragsteller aus. Vorliegend überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Teileinziehung die geltend gemachten Interessen der Antragsteller an der Aufrechterhaltung des straßenrechtlichen status quo bis zur Entscheidung in der Hauptsache. Die Klage der vier Antragsteller wird – nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung – gemessen an ihrem bisherigen Vortrag und den dem Gericht sonst bislang erkennbaren Erkenntnissen im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben (nachfolgend 1.) und es besteht auch ein besonderes Vollziehungsinteresse hinsichtlich der angefochtenen Teileinziehung (nachfolgend 2.).
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1. Die Klage der vier Antragsteller wird gemessen an ihrem bisherigen Vortrag und den dem Gericht sonst bislang erkennbaren Erkenntnisse im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben.
26
a) Der Vortrag der Antragsteller, die Antragsgegnerin habe es übersehen, zusammen mit oder alternativ zur Teileinziehung auch eine Um- bzw. Abstufung der W* … Straße zu verfügen, weshalb die Maßnahme der Antragsgegnerin rechtswidrig sei, überzeugt nicht.
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Eine Umstufung nach Art. 7 BayStrWG wäre in Betracht zu ziehen, wenn sich durch die von der Antragsgegnerin veranlassten Maßnahmen die Verkehrsbedeutung der W* … Straße auf der teileingezogenen Teilstrecke ändern würde. Die Antragsteller führen insoweit an, die W* … Straße sei künftig keine Ortsstraße mehr, sondern ein beschränkt-öffentlicher Weg i.S.v. Art. 53 Nr. 2 BayStrWG, nämlich in der Gestalt des dort ausdrücklich gesetzlich angeführten Fußgängerbereichs. Diese Auffassung teilt die Kammer nicht:
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Nach ganz überwiegender Auffassung liegt ein Fußgängerbereich i.S.v. Art. 53 Nr. 2 BayStrWG im Kern – nur – dann vor, wenn jeglicher Kraftfahrzeugverkehr auf der Straße ausgeschlossen ist und in der Konsequenz ggf. doch notwendiger Kfz-Verkehr über die Regelungsmöglichkeiten für Sondernutzungen, vgl. Art. 18 ff., insbesondere Art. 22a BayStrWG, bewältigt werden kann und soll (insgesamt hierzu: Schmid in Zeitler, BayStrWG, Stand Januar 2023, Art. 53 Rn. 26 ff., insbesondere Rn. 29). Festzuhalten ist ferner, dass generell bei der „inhaltlich etwas unscharf gefassten Straßenklasse der beschränkt öffentlichen Wege“ und insbesondere bei den Fußgängerbereichen gemessen an der Vielgestaltigkeit der örtlichen Gegebenheiten und Erfordernisse „die Grenze zwischen Teileinziehung und Abstufung fließend“ sein kann (Häußler in Zeitler, a.a.O., Art. 8 Rn. 22).
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Vor diesem Hintergrund kann aus Sicht der Kammer angesichts des von der Antragsgegnerin weiterhin zugelassenen Kfz-Verkehrs (freie Zufahrt für Bewohner zu Stellplätzen der angrenzenden Anwesen; zeitlich in nennenswertem Umfang zulässiger Lieferverkehr) und angesichts der zeitlichen Befristung der verfügten Maßnahme (auch in Verbindung mit der bislang fehlenden baulichen Umgestaltung der Aufteilung des Straßenkörpers in Fahrbahn und Gehwege) von einer i.S.v. Art. 7 BayStrWG beachtlichen Änderung der Verkehrsbedeutung – noch – nicht die Rede sein.
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Anzumerken bleibt:
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Selbst wenn man dies anders sehen sollte, ist nicht ersichtlich, woraus sich aus einer – kumulativ oder alternativ zur verfügten Teileinziehung – fehlenden Abstufung eine jedenfalls im vorliegenden Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes durchgreifende Rechtsverletzung der Antragsteller ergeben könnte. Das für die Wahrung ihrer Belange wichtige Element einer „quasi“ Öffentlichkeitsbeteiligung durch längerfristige Bekanntmachung der Absicht zur Änderung des straßenrechtlichen status quo mit der Möglichkeit zur Äußerung sieht der Gesetzgeber gerade nur bei der (Teil-)Einziehung vor, nicht jedoch bei der Umstufung. Auch ein sich materiell-rechtlich maßgeblich unterscheidender Prüfungsumfang ist weder erkennbar noch schlüssig dargelegt.
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b) Auch der gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung erhobene Einwand der Antragsteller greift nicht durch.
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aa) Die Auffassung der Antragsteller, die Allgemeinverfügung leide an einem „schweren Bekanntmachungsfehler“, weil in der öffentlichen Bekanntmachung entgegen der zwingenden Vorschrift des Art. 41 Abs. 4 Satz 2 BayVwVfG nicht angegeben sei, wo der Verwaltungsakt und seine Begründung eingesehen werden könne, ist nicht haltbar.
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Vorliegend hat die Antragsgegnerin in ihrem Amtsblatt nicht nur als sog. „verkürzte“ Bekanntgabe den verfügenden Teil der Allgemeinverfügung veröffentlicht, sondern auch die gesamte Begründung einschließlich Lageplan. Dies ist nicht nur zulässig, sondern führt dazu, dass in diesem Fall auch das Erfordernis des Art. 41 Abs. 4 Satz 2 BayVwVfG entfällt (Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2022, § 41 VwVfG, Rn. 157, 177 m.w.N.).
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bb) Hingewiesen wird lediglich noch auf den bislang nicht gerügten Aspekt, dass die Antragsgegnerin wohl bei der öffentlichen Bekanntgabe Art. 37 Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG nicht beachtet hat (die Allgemeinverfügung wird entgegen der in der Behördenakte enthaltenen, unterzeichneten Fassung lediglich mit „Baureferat Verwaltung und Recht“ abgeschlossen). Dieser Formmangel verhilft dem Antrag aber schon vor dem Hintergrund des Art. 46 BayVwVfG nicht zum Erfolg.
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c) Auch hinsichtlich der materiellen Rechtmäßigkeit wird die Klage der Antragsteller voraussichtlich erfolglos bleiben.
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aa) Die Rechtsauffassung der Antragsteller, die Teileinziehung sei rechtswidrig, weil es straßenrechtlich keine Rechtsgrundlage für eine temporäre Teileinziehung „zu Versuchszwecken“ gebe, überzeugt nicht.
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Bereits die dieser Auffassung zu Grunde liegende und als allgemeingültig postulierte These, straßenrechtliche Widmungsakte seien aufgrund des straßenrechtlichen Typenzwangs, ihrer öffentlich-sachenrechtlichen Wirkung sowie der insoweit gebotenen Rechtssicherheit auflagen- und bedingungsfeindlich, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen. Vielmehr wird bereits in einer der führenden Kommentierungen des bayerischen Straßenrechts gerade für die Einziehung eindeutig ausgeführt: „Die Einziehung kann […] befristet werden oder unter einer aufschiebenden Bedingung ergehen. Eine Frist ist in zweifacher Hinsicht möglich: Zum einen kann die Einziehung zeitlich begrenzt werden, das wird allerdings nicht für eine Volleinziehung wegen des Verlustes jeglicher Verkehrsbedeutung der Straße in Betracht kommen, […]. Zum anderen kann der Zeitpunkt der Wirksamkeit der Einziehung in der Verfügung auf ein künftiges Datum oder Ereignis festgelegt werden“ (Häußler in Zeitler, a.a.O., Art. 8 Rn. 7). Auch lässt sich weder aus dem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck des Art. 8 BayStrWG etwas für die Rechtsauffassung der Antragsteller herleiten. Dass das Straßenverkehrsrecht ausdrücklich Vorschriften „zu Versuchszwecken“ enthält, ist zutreffend, lässt aber auf Grund der unterschiedlichen Regelungsmaterien keinen Umkehrschluss hinsichtlich des Straßenrechts zu. Die Behauptung schließlich, dass straßenrechtliche Verwaltungsakte „auf Dauer“ angelegt seien, erscheint in dieser Pauschalität ebenfalls nicht haltbar, weil sie zwangsläufig mit der aus Art. 9 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG folgenden Obliegenheit des Baulastträgers kollidieren würde, wie etwa das Beispiel des Baus einer Ortsumfahrung unschwer vor Augen führt.
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Daher sind keine Gründe ersichtlich, warum es der Antragsgegnerin verwehrt sein sollte, die straßenrechtliche Teileinziehung in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens mit einer Befristung im Sinne des Art. 36 Abs. 2 Nr. 1 BayVwVfG zu erlassen.
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bb) Die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG sind aller Voraussicht nach erfüllt.
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Danach kann die Teileinziehung einer Straße angeordnet werden, wenn überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls für eine nachträgliche Beschränkung der Widmung auf bestimmte Benutzungsarten, -zwecke und -zeiten vorliegen. Eine Teileinziehung aus Gründen des öffentlichen Wohls ist nur zulässig, wenn das Interesse der Allgemeinheit an der Einziehung höher zu gewichten ist als das Interesse an der Aufrechterhaltung der Straße in ihrem derzeitigen Widmungsumfang. Hinsichtlich der Gegenbelange, die in die Abwägung einzubeziehen sind, sieht die gesetzliche Regelung eine Beschränkung auf öffentliche Belange nicht vor. Auch private Interessen von Anliegern, etwa das geschäftliche Interesse an der Erhaltung des Kundenzustroms, sind daher bereits bei der Abwägung und nicht erst bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen (OVG LSA, U.v. 25.11.2021 – 2 L 80/19 – juris Rn. 45). Maßgeblich für die Beurteilung dieses Abwägungsvorgangs ist der Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung (vgl. BayVGH, U.v. 14.1.2010 – 8 B 09.2529 – juris Rn. 14 f.). Der Behörde steht insoweit weder ein Beurteilungsspielraum noch eine Einschätzungsprärogative zu, sodass die erforderliche Abwägung aller einschlägigen öffentlichen und privaten Belange der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (BayVGH, B.v. 22.10.20115 – 8 ZB 13.647, 8 ZB 15.2320 – juris Rn. 23).
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Die Antragsgegnerin hat die für (1) und gegen (2) die Teileinziehung sprechenden Belange zutreffend ermittelt und ist nach Auffassung der Kammer nachvollziehbar zu dem Ergebnis gekommen, dass diese durch überwiegende Gründe des öffentlichen Wohls gerechtfertigt ist (3).
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(1) Die Antragsgegnerin hat taugliche Gründe des öffentlichen Wohls für die Teileinziehung angeführt.
44
Die vom Gesetzgeber normierte Tatbestandsalternative ist in diesem Punkt weit gefasst. Die für die Einziehung sprechenden Belange können vielfältiger Art sein. Grundsätzlich genügt es, wenn irgendwelche vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls die Einziehung rechtfertigen (BayVGH, U.v. 14.9.1982 – 8 B 81 A.934 – BayVBl 1983, 150). Gründe des öffentlichen Wohls, die eine Einziehung rechtfertigen, können z.B. städtebauliche und städteplanerische Ziele (BayVGH, B.v. 19.8.2009 – 8 ZB 09.1065 – juris Rn. 3) oder die Erhaltung und Verbesserung der Wohnqualität bzw. Belange der Wohnumfeldverbesserung sein, insbesondere zur Vermeidung von Lärm- und Abgasbelastungen, oder auch Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung (vgl. hierzu m.w.N. VG Regensburg, U.v. 10.8.2023 – RO 2 K 20.2641 – juris Rn. 41).
45
Die Antragsgegnerin begründet die streitgegenständliche Teileinziehung mit dem Ziel, die Aufenthaltsqualität und Attraktivität der W* … Straße steigern zu wollen und vom bisherigen Durchgangsverkehr zu entlasten. Weiter diene die Teileinziehung der Umsetzung der Verkehrswende. Die Teileinziehung werde lediglich temporär und zunächst noch ohne grundlegende baulichen Veränderungen am Straßenkörper vorgenommen, um – sozusagen im Echtbetrieb – eine Prüfung zu ermöglichen, ob sich diese städtebaulichen Belange gegenüber dem allgemeinen Verkehrsinteresse sowie den privaten Anliegerinteressen tatsächlich langfristig durchsetzen werden.
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Hierbei handelt es sich unzweifelhaft um tragfähige Gemeinwohlbelange. Während der Aufenthaltsqualität und Attraktivitätssteigerung städtebauliche Erwägungen zugrunde liegen und die beabsichtigte Verkehrsentlastung einen unmittelbaren straßenrechtlichen Bezug aufweist, trägt die Antragsgegnerin hierdurch im Übrigen der auch den Kommunen zufallenden, zentralen Rolle (Kenkmann et al., CLIMATE CHANGE 48/2022, Kommunales Einflusspotenzial zur Treibhausgasminderung, Umweltbundesamt) bei der Erfüllung der Staatszielbestimmung in Art. 20a GG Rechnung. Um diesen öffentlichen Belangen unter Berücksichtigung gegenläufiger (privater) Interessen zur Geltung zu verhelfen, muss es öffentlichen Hoheitsträgern möglich sein, entsprechende Verkehrsversuche zu unternehmen, um deren dauerhafte Praktikabilität und Rechtmäßigkeit beurteilen zu können (vgl. für das Straßenverkehrsrecht etwa § 45 Abs. 1 Nr. 6 StVO). Das öffentliche Interesse an der Daten- und Informationsgewinnung stellt dabei – entgegen der Auffassung der Antragsteller – einen eigenständigen und jedenfalls die befristete Teileinziehung tragenden öffentlichen Belang dar.
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(2) Aus der Begründung der Allgemeinverfügung und den Sitzungsprotokollen der BA-Beschlüsse vom 28. Februar 2024 und 24. Juli 2024 ist weiter ersichtlich, dass die Antragsgegnerin entgegenstehende öffentliche und private Belange – soweit möglich - ermittelt und in die Abwägung eingestellt hat. Am 23. Oktober 2023 fand diesbezüglich eine Informations- und Diskussionsveranstaltung zur „Testphase neue Fußgängerzone W* … Straße“ statt. Mit den infolge der Bekanntmachung der Einziehungsabsicht gemäß Art. 8 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG am 20. März 2024 erhobenen Einwendungen hat sich die Antragsgegnerin in der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung auch hinreichend auseinandergesetzt.
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So lässt sich der Begründung der Allgemeinverfügung entnehmen, dass aus verkehrlicher Sicht der allgemeine Durchgangsverkehr zwischen W* … Platz und P* … Platz nicht zwingend erforderlich sei, da beide Plätze weiter befahrbar blieben und durch andere Straßen an das Verkehrsnetz angebunden seien. Die mit der Einziehung verbundenen Verlagerungseffekte würden als verträglich eingeschätzt. Erste Erhebungen (Knotenpunktzählungen im umliegenden Straßennetz, Querschnittszählungen zur Ermittlung der Verkehrsmengen im KfZ-, Rad- und Fußverkehr, Erhebung der Liefer- und Ladevorgänge) seien bereits im April 2023 durchgeführt worden. Die Zufahrt zu den angrenzenden Grundstücken im teileingezogenen Bereich der W* … Straße sowie der Lieferverkehr blieben weiterhin möglich. Für den Lieferverkehr außerhalb der zugelassenen Zeiten werde am P* … Platz nördlich der Einmündung zur Fußgängerzone eine zusätzliche Ladezone eingerichtet. Zudem könnten gegebenenfalls erforderliche Zufahrtserlaubnisse beantragt werden. Die W* … Straße sei darüber hinaus mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar. Daher müssten die privaten Belange der Anlieger an der Aufrechterhaltung der derzeitigen Verkehrssituation gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Verkehrsberuhigung der W* … Straße zurücktreten. Auch mit Blick auf den temporären Charakter der Teileinziehung seien die Beeinträchtigungen nur geringfügig. Die im Rahmen des Verwaltungsverfahrens geäußerte Befürchtung steigender Mietpreise, sei unabhängig von straßenrechtlichen Entscheidungen und stelle insoweit kein zu beachtendes Kriterium dar. Zudem sei es widersprüchlich, dass einerseits Gewinneinbußen befürchtet, aber andererseits Mieterhöhungen aufgrund der gestiegenen Standortattraktivität geltend gemacht würden. Hinsichtlich der Parksituation seien im Vorgriff auf die Teileinziehung bereits Änderungen der Parkregelungen zugunsten der Bewohner und Bewohnerinnen in der S* …straße, der M* …straße, der K* …straße sowie in der L* … Straße angeordnet worden. Patientinnen und Patienten sei die Anfahrt mit Kraftfahrzeugen gestattet, wenn die Bewegungseinschränkung ärztlich attestiert sei. Weiter würden zwei zusätzliche Behindertenparkplätze an der Einmündung zum W* … Platz eingerichtet. Auch stünden die beiden Großbaustellen in der W* … Straße der Teileinziehung nicht entgegen. Im innerstädtischen Bereich komme es regelmäßig zu aufwändigen Baumaßnahmen. Hiervon gingen keine unüberwindbaren Hindernisse aus.
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(3) Diese Abwägungsentscheidung der Antragsgegnerin ist nach Auffassung der Kammer nicht zu beanstanden.
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Im Ausgangspunkt ist insoweit zunächst zu berücksichtigen, dass bei der Einrichtung von Fußgängerzonen in aller Regel davon ausgegangen werden kann, dass überwiegende Gründe des Wohls der Allgemeinheit den Ausschluss des Kfz-Verkehrs erforderlich machen (OVG LSA, U.v. 25.11.2021 – 2 L 80/19 – juris Rn. 50 m.w.N. aus der Rspr; Sauthoff in Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 274). Insoweit kann das Diktum des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Urteil vom 11. November 1971 – 70 VIII 69 – (BeckRS 1971, 103416, S. 9) auch heute noch Gültigkeit beanspruchen:
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„Die starke Zunahme der Fußgänger im Stadtinneren zwingt dazu, den ebenfalls ständig steigenden Fahrverkehr von den in Betracht kommenden Straßen weitestgehend fernzuhalten. Einmal reichen die Gehwege an diesen Straßen nicht mehr zur Aufnahme derartiger Personenansammlungen aus. Vor allem aber läßt es sich in einer Zeit, in der Umweltschutz, Hygiene, Krankheitsvorbeugung und Lärmbekämpfung im Vordergrund stehen, nicht mehr verantworten, eine solche Vielzahl von Menschen Unfallsgefahren, Abgasen, Straßenschmutz und Lärm, also erhöhten körperlichen, insbesondere nervlichen Beeinträchtigungen auszusetzen. Überwiegende Gründe des öffentlichen Wohles erfordern vielmehr, in den Geschäftszentren in möglichst weitem Umfang Fußgängerzonen und damit moderner Daseinsvorsorge entsprechende „Einkaufsstraßen“ (Sieder-Zeitler a.a.O. Art. 53 RdNr. 26) zu schaffen.“
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Außerdem ist anzumerken, dass im Rahmen der Abwägung auch der Rechtsgrundsatz des Straßen- und Wegerechts berücksichtigt werden darf, dass den Straßenanliegern grundsätzlich keine geschützte Rechtsposition im Hinblick darauf zusteht, dass eine Straße nicht geändert oder eingezogen wird (vgl. Art. 17 Abs. 1 BayStrWG). Das bayerische Straßenrecht gewährleistet auch ausnahmsweise im Hinblick auf den Anliegergebrauch nicht die Aufrechterhaltung einer bestehenden günstigen Zufahrtsmöglichkeit, sondern nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich nur die Zugänglichkeit des Anliegergrundstücks vom öffentlichen Straßenraum als solchem (vgl. VG Regensburg, U.v. 10.8.2023 – RO 2 K 20.2641 – juris Rn. 49).
53
Vor diesem Hintergrund verfangen die seitens der Antragsteller vorgetragenen Einwände gegen die Abwägungsentscheidung der Antragsgegnerin nicht.
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(a) Dass aufgrund der Teileinziehung eine Verkehrsgefährdung im streitgegenständlichen Bereich entstünde, vermag die Kammer nicht zu erkennen. Anders als die Antragsteller meinen, schafft die Widmungsbeschränkung nicht erst eine „verkehrliche Gemengelage“, sondern entzerrt die aktuelle Mischnutzung zugunsten des Fußgängerverkehrs, indem diesem nunmehr die gesamte Fahrbahnbreite zur Verfügung gestellt und der Kraftfahrzeugverkehr auf den Anliegerverkehr bzw. den Lieferverkehr zu bestimmten Tageszeiten beschränkt wird. Die Antragsteller räumen selbst sein, dass die Verkehrssicherheit durch die damit einhergehende Verkehrsberuhigung verbessert werde. Soweit – wie von den Antragstellern behauptet – dennoch Gefahren für den Straßenverkehr durch aufgestellte Pflanzenkübel und Hochbeete entstünden, so ist dies nicht auf die Teileinziehung und den geänderten Benutzungszweck zurückzuführen, sondern es handelt sich – wenn überhaupt – um ein straßenverkehrsrechtliches Problem, dem mit dem dort vorgesehenen Instrumentarium zu begegnen ist. Dem steht auch nicht entgegen, dass es ausweislich der seitens der Antragsteller vorgelegten Zeitungsberichte in den ersten Tagen nach dem Inkrafttreten der Allgemeinverfügung sowie der diese umsetzenden, straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen mitunter zu Verkehrsverstößen und Unstimmigkeiten zwischen den unterschiedlichen Verkehrsteilnehmern gekommen sei. Diese sind nach Überzeugung der Kammer nicht auf die rechtliche Ausgestaltung der Teileinziehungsverfügung zurückzuführen, sondern vielmehr auf im Vergleich zu der sofort vollziehbaren Allgemeinverfügung retardierende Umgewöhnungsprozesse der Verkehrsteilnehmenden, die nunmehr mit einer gänzlich neuen Verkehrssituation konfrontiert sind.
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(b) Einer straßenverkehrsrechtlichen Lösung sind auch die beiden auf der W* … Straße derzeit befindlichen Großbaustellen zuzuführen. Der bloße Umstand, dass in innerstädtischen Lagen regelmäßig Bauarbeiten, mit den damit einhergehenden Nutzungskonflikten am öffentlichen Verkehrsraum, durchgeführt werden müssen, hindert die Beschränkung des Widmungszwecks grundsätzlich nicht. Zu einer konkreten, nicht zu bewältigenden Verschärfung des Nutzungskonflikts ist nichts vorgetragen.
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(c) Soweit die Antragsteller befürchten, dass durch die Teileinziehung Parkflächen verloren gehen, ist darauf zu verweisen, dass sich aus dem Anliegergebrauch gerade kein Anspruch darauf ergibt, dass Parkmöglichkeiten auf öffentlichen Straßen oder Plätzen unmittelbar vor dem eigenen Grundstück oder in dessen Nähe eingerichtet werden oder erhalten bleiben (vgl. BVerwG, U.v. 6.8.1982 – 4 C 58/80 – juris Rn. 14).
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Unbeschadet dessen bleibt anzumerken:
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Den Mitgliedern der Kammer ist die konkrete örtliche Situation bekannt. Bei dem fraglichen Quartier handelt es sich um eine dicht bebaute und durch unterschiedliche Nutzungen stark frequentierte zentrale innerstädtische Lage, in der schon seit vielen Jahren eine Knappheit an Parkplätzen besteht und ein „vernünftiger“ und die Park- und Verkehrslage realistisch einschätzender Autofahrer ohnehin nicht ernsthaft erwarten wird, bei Einkaufs- oder Besorgungsfahrten gleichsam unmittelbar vor der gewünschten Adresse eine Parkmöglichkeit vorfinden zu können. Vor diesem Hintergrund erstaunt der in der Antragsschrift erweckte Eindruck, dass erst und gerade durch die nun vorgenommenen Maßnahmen, den Wegfall von Parkplätzen auf einer Länge von ca. 230 m, etwa die Kundinnen der Antragstellerin zu 1. (Antragsschrift Seite 21: „…vor allem […] modebewusste[n] Frauen aus dem Münchner Umland, die mit dem eigenen Pkw anfahren…“) gehindert wären, die … der Antragstellerin zu 1. aufzusuchen.
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(d) Auch die – nicht substantiiert – vorgetragene Befürchtung, dass die Lärmbelastung für die Anwohner, sowohl in der W* … Straße als auch der benachbarten S* …straße, steigen werde, begründet – jedenfalls bei summarischer Prüfung – keinen Zweifel am Überwiegen der öffentlichen Belange.
60
Generell gilt dabei, dass ein Straßenanlieger verkehrslenkende Maßnahmen, die (voraussichtlich) zu einem Anwachsen des Straßenverkehrs vor seinem Wohngrundstück führen, grundsätzlich als situationsbedingte Folge der Wohnlage an einer Straße hinzunehmen hat (BayVGH, U.v. 1.6.1999 – 11 B 93.1721 – juris). Eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kommt daher erst dann in Betracht, wenn sich eine nachhaltige Verschlechterung der Grundstücks- und Wohnsituation ergibt und wenn für den Anlieger die Hinnahme dieser Veränderung nach den Umständen des Einzelfalles billigerweise nicht mehr zumutbar erscheint (BayVGH, U.v. 1.6.1999 – 11 B 93.1721 – juris Rn. 80), was dann der Fall ist, wenn durch den Straßenverkehr Immissionen in einer Weise hervorgerufen werden, die die Gesundheit schwer schädigen (OVG Nds, B.v. 24.1.2018 – 7 ME 110/17 – juris Rn. 8). Insoweit darf nur der mit der Teileinziehung kausal zusammenhängende Verkehr auf der W* … Straße bzw. Verlagerungsverkehr in der S* …straße berücksichtigt werden. Nur durch diese insoweit erhöhte Verkehrsfrequenz kann eine erhebliche Beeinträchtigung der hier geltend gemachten Belange der Antragsteller überhaupt eintreten (BayVGH, U.v. 1.6.1999 – 11 B 93.1721 – juris Rn. 77).
61
Eine derartige Gesundheitsgefahr haben die Antragsteller nicht substantiiert dargetan. Auch hat die Antragsgegnerin die Auswirkungen der Sperrung der W* … Straße nicht gänzlich ausgeblendet. So geht die Stellungnahme des Referats für Stadtplanung und Bauordnung zum BA-Antrag Nr. 14-20/ B 0* …1 explizit auf die „Belastung der Anwohner*innen“ ein. Auch aus der Sitzungsvorlage Nr. 20-26/ * 1* …4 geht hervor, dass die Antragsgegnerin davon ausgeht, dass die Verlagerungseffekte verträglich sein werden. Zudem wurden bereits im April 2023 erste Erhebungen zur Beurteilung der verkehrstechnischen Auswirkungen durchgeführt. Während den Antragstellern zuzugeben ist, dass es weiterer diesbezüglicher Feststellungen der Antragsgegnerin bedürfte, um eine dauerhafte Teileinziehung zu rechtfertigen, genügen die bisherigen Einschätzungen jedenfalls, um den einjährigen „Testbetrieb“ einzuleiten und so eine verlässliche Datengrundlage auch hinsichtlich etwaiger – von den Antragstellern behaupteter – Lärmbelästigungen zu schaffen. Da die W* … Straße jedoch auch bislang lediglich eine Erschließungsstraße ohne Verbindungsfunktion war (vgl. Sitzungsvorlage Nr. 20-26/ V 1* …4), steht nicht zu erwarten, dass aufgrund der befristeten Teileinziehung derart gravierende Lärmbelästigungen eintreten werden, dass die Erfolgsaussichten der Klage insoweit als offen anzusehen wären.
62
Gleiches gilt im Übrigen auch hinsichtlich der durch den Antragsteller zu 2. insbesondere für die Abend- und Nachstunden behaupteten grenzwertüberschreitenden und gesundheitsschädigenden Lärmbelastung durch die neue Nutzung der W* … Straße als Fußgängerzone (Antragschrift Seite 18: „…Schreien, Rufen, Grölen…“). Ob und ggf. inwieweit bei einer derart zentralen innerstädtischen Lage wie in der W* … Straße von verweilenden Passanten, „feiernden“ Jugendlichen, Besuchern von Geschäften und Lokalen, etc., Lärmimmissionen zu Lasten der Nachbarschaft ausgehen, ist nach Einschätzung der Kammer bei lebensnaher Betrachtung jedenfalls nicht wesentlich davon abhängig, ob in einer Straße (auch) Kfz-Verkehr stattfindet oder nicht. Der diesbezügliche Lärmpegel wird vielmehr immer wesentlich von anderen Faktoren zumindest mitbestimmt werden, etwa den Öffnungszeiten von Ladenlokalen mit einem Angebot an alkoholischen Getränken, der An- oder Absiedlung von „attraktiven“ Gaststätten, der – etwa bei Jugendlichen – Einschätzung, ob ein Quartier „in“ ist oder nicht, etc. Auch insoweit kann die beabsichtigte Testphase dem Antragsteller zu 2. die Möglichkeit bieten, die bislang nicht existierenden belastbaren Erkenntnisse zur tatsächlichen Entwicklung zu gewinnen.
63
(e) Auch den wirtschaftlichen Auswirkungen der Teileinziehung auf die Anlieger kommt keine Bedeutung zu, die ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Teileinziehung zweifelhaft erscheinen lassen.
64
Eigentümer oder sonstige (auch gewerbliche) Nutzungsberechtigte eines Grundstücks, das an eine Straße grenzt und ausschließlich durch diese erschlossen wird, können sich auf das von der Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannte Rechtsinstitut des Anliegergebrauchs berufen, weil sie nur so Verbindung mit dem Straßennetz haben (vgl. BVerfG, B.v. 10.6.2009 – 1 BvR 198/08 – juris Rn. 24; BVerwG, B.v. 11.5.1999 – 4 VR 7.99 – juris Rn. 5 ff.; BayVGH, U.v. 31.5.2011 – 8 B 10.1653 – juris Rn. 15 m.w.N.). Dieses Rechtsinstitut, das nicht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, sondern aus dem einfachen Recht herzuleiten ist (vgl. BVerwG, B.v. 11.5.1999 – 4 VR 7.99 – juris Rn. 5), vermittelt dem Anlieger einer öffentlichen Straße über die Regelungen der Art. 14 Abs. 1, Art. 17 BayStrWG hinaus eine besondere Stellung und namentlich dem Grunde nach einen Anspruch auf Zugang zu dieser Straße. Der Anliegergebrauch schützt die besondere Beziehung des Anliegers zur Straße jedoch nicht uneingeschränkt. So gewährleistet er keinen optimalen Zugang zum Grundstück, sondern nur einen Anspruch auf eine nach den jeweiligen Umständen zumutbare Erreichbarkeit (BayVGH, U.v. 25.6.2010 – 8 B 10.298 – juris Rn. 17; B.v. 1.12.2009 – 8 B 09.1980 – juris Rn. 19 m.w.N.; B.v. 9.10.2019 – 8 ZB 17.2519 – juris Rn. 9). Abwehrrechte gegen eine Änderung der Straße stehen dem Anlieger deshalb nur so weit zu, wie die angemessene Nutzung des Grundeigentums die Verbindung mit der Straße erfordert. Angemessen ist nicht schon jede Nutzung, zu der das Grundeigentum Gelegenheit bietet. Maßgebend ist, was aus dem Grundstück unter Berücksichtigung der Rechtslage und der tatsächlichen Gegebenheiten als anerkennenswertes Bedürfnis hervorgeht. Der gegenüber dem schlichten Gemeingebrauch gesteigerte Anliegergebrauch reicht nur so weit, wie eine angemessene Nutzung des Grundeigentums die Benutzung der Straße erfordert und der Anlieger auf deren Vorhandensein in spezifischer Weise angewiesen ist. Er garantiert keine optimale, sondern nur eine nach den jeweiligen Umständen zumutbare Erreichbarkeit des Grundstücks. Aus ihm lässt sich insbesondere kein Anspruch auf den Fortbestand einer Verkehrsverbindung herleiten, die für eine bestimmte Grundstücksnutzung von besonderem Vorteil ist. Er bietet auch keine Gewähr dafür, dass ein Grundstück ohne jegliche Einschränkung angefahren werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 8 ZB 18.734 – juris Rn. 9; B.v. 7.12.2020 – 8 CS 20.1973 – juris Rn. 15; B.v. 27.5.2021 – 8 CE 21.1289 – juris Rn. 12 m.w.N.; BVerwG, B.v. 11.5.1999 – 4 VR 7.99 – juris Rn. 7 m.w.N. zu § 8 a FStrG). Dies gilt auch für Gewerbebetriebe (BayVGH, B.v. 10.8.2021 – 8 CE 21.1989 – juris Rn. 49).
65
Gemessen hieran begegnet die Teileinziehung keinen rechtlichen Bedenken. Die Anlieger selbst können ihre Grundstücke nach wie vor anfahren und auch der Lieferverkehr ist – wenn auch zeitlich beschränkt – hinreichend möglich. Der Kundschaft der an der W* … Straße ansässigen Läden ist es – gerade aufgrund der guten Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel – möglich, die jeweiligen Geschäfte zu Fuß zu erreichen. Die von den anliegenden Geschäftsinhabern befürchteten Umsatzeinbußen sind insoweit rechtlich unbeachtlich (OVG LSA, U.v. 25.11.2021 – 2 L 80/19 – juris Rn. 69). Etwaige Lagevorteile und Umsatzerwartungen eines Gewerbebetriebs sind nicht durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützt (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 6.8.1982 – 4 C 58.80 – juris Rn. 12). Konkrete und überzeugende Anhaltspunkte dafür, dass Geschäftsbetriebe mit gravierenden Auswirkungen bis hin zur Existenzgefährdung zu rechnen haben, sind der Kammer bislang nicht ersichtlich, insbesondere lässt die insoweit behauptet betroffene Antragstellerin zu 1. bislang auch völlig außer Acht, dass die Steigerung der Aufenthaltsqualität für Passantinnen und Passanten mit Möglichkeiten zum Verweilen gerade für ihr Ladengeschäft auch dazu führen kann, dass neue Kundschaft generiert wird, welche die W* … Straße bislang nur „schnell“ oder gar nicht passiert hat.
66
(f) Gleiches gilt auch für die von Antragstellerseite gerügte Betroffenheit in Art. 12 GG. Die Antragsgegnerin hat jedenfalls für die nun eingeleitete Testphase ein Konzept für die Zufahrtsmöglichkeiten für stark bewegungseingeschränkte Personen und Patienten sowie für Notfallpatienten entwickelt (vgl. die Veröffentlichung auf: https://muenchenunterwegs.de/angebote/w* …strasse). Hiermit setzen sich die Antragsteller, insbesondere die Antragstellerin zu 4., in ihrer Antragsschrift nicht ansatzweise auseinander. Der Kammer erscheint damit die Erreichbarkeit der Arztpraxis der Antragstellerin zu 4. hinreichend sichergestellt. Soweit Wartungsarbeiten an ortsfesten, medizinischen Gerätschaften durchgeführt werden müssen, gehört dies zum Lieferverkehr und ist nach wie vor während der festgelegten Anlieferzeiten zulässig. Für den Fall, dass eine Wartung in diesem Zeitraum nicht möglich sein sollte, besteht zudem die Möglichkeit gesonderte Zufahrtserlaubnisse zu beantragen. Unzumutbare Schwierigkeiten sind damit nicht verbunden. Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 StVO steht zwar im Ermessen der Behörde. Jedoch sind im Rahmen der Ermessensausübung Anliegerinteressen zu berücksichtigen, so dass Besonderheiten im Hinblick auf die Arztpraxis der Antragstellerin zu 4. entsprechend zu berücksichtigen sind. Soweit im Übrigen durch die Antragstellerin zu 4. im Schriftsatz vom … August 2024 mit Anlage K 10 geltend gemacht wurde, dass das sie bislang beliefernde Sanitätshaus wegen der Entstehung der Fußgängerzone die Zusammenarbeit beendet habe, weil eine pünktliche Auslieferung von … Hilfsmitteln nun nicht mehr möglich sei, erscheint dieser Vortrag der Kammer bislang nicht schlüssig. Wie bereits oben ausgeführt, handelt es sich bei der W* … Straße um eine stark frequentierte zentrale innerstädtische Lage, in der schon seit vielen Jahren eine Knappheit an Parkplätzen besteht und ein „vernünftiger“ und die Park- und Verkehrslage realistisch einschätzender Autofahrer ohnehin nicht ernsthaft erwarten wird, gleichsam unmittelbar vor der gewünschten Adresse eine Parkmöglichkeit vorfinden zu können. Dass sich für das Sanitätshaus trotz der Möglichkeit, künftig innerhalb der Anlieferzeiten sogar gleichsam „bis vor die Praxis“ fahren zu können, nun eine wesentliche Verschlechterung ergibt, vermag die Kammer bislang nicht nachzuvollziehen.
67
Damit überwiegen die Gründe des öffentlichen Wohls an der Teileinziehung der W* … Straße.
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cc) Auf der Rechtsfolgenseite räumt Art. 8 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG der Behörde Ermessen ein, welches nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist, § 114 VwGO.
69
Die Antragsgegnerin hat das ihr eingeräumte Ermessen erkannt und hiervon in ermessensfehlerfreier Weise und verhältnismäßig Gebrauch gemacht.
70
Wie bereits ausgeführt wurde, überwiegt das öffentliche Interesse an der Teileinziehung die betroffenen privaten Belange. Mit der befristeten Teileinziehung hat die Antragsgegnerin das mildeste, gleich geeignete Mittel gewählt, um die mit der Einrichtung einer Fußgängerzone zu Erprobungszwecken verfolgten legitimen, städtebaulichen Ziele auf angemessene Art und Weise zu erreichen.
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Dem steht nicht entgegen, dass sich die Antragsgegnerin nicht für die Einrichtung eines verkehrsberuhigten Geschäftsbereichs, vgl. § 45 Abs. 1 Buchst. d) StVO, sondern für die Einrichtung einer Fußgängerzone entschieden hat. Denn die beiden Maßnahmen sind in ihrer Wirksamkeit nicht vergleichbar, weil erstere den Durchgangsverkehr nur verlangsamt, aber Kraftfahrzeuge nicht in gleichem Maße fernhält (Sauthoff in Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 274; VG Freiburg, U.v. 31.8.2009 – 1 K 1055/09 – juris).
72
Dass sich die Antragsgegnerin bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Ermessensausübung vom Erprobungszweck und der damit einhergehenden Befristung dieser Maßnahme hat lenken lassen, ist ebenfalls nicht zu beanstanden.
73
Andere gleich geeignete, mildere Mittel, um die Auswirkungen der Einrichtung der Fußgängerzone in der W* … Straße verlässlich zu ermitteln, sind nicht ersichtlich. Lärm- und Verkehrsprognosen sind statistische Ungenauigkeiten und Unschärfen inhärent, die im Wege eines „Realversuchs“ vermieden werden können. Die hiermit einhergehenden, jedenfalls nicht wesentlichen Beeinträchtigungen der Anlieger sind – auch wenn sie noch nicht zur Gänze absehbar sind – vor dem Hintergrund, dass die Teileinziehung befristet ist und zur Erprobung erfolgt, wobei weitreichende Ausnahmen für Anlieger und den Anlieferverkehr bestehen, sowie der Möglichkeit, Ausnahmegenehmigungen zu beantragen, hinzunehmen.
74
2. Es besteht auch ein besonderes Vollziehungsinteresse i.S.v. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4. VwGO hinsichtlich der angefochtenen Teileinziehung.
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Auch bei einem – wie hier – voraussichtlich rechtmäßigen Verwaltungsakt bedarf es zur Rechtfertigung der sofortigen Vollziehung im gerichtlichen Eilverfahren einer weiteren Bewertung der Interessenlage, denn hier wird durch die Behörde im Einzelfall von dem gesetzlich vorgesehenen Suspensiveffekt abgesehen. Der Ausnahmecharakter der Regelung gebietet es, ein besonderes Interesse an der Vollziehung zu fordern. Es müssen besondere Gründe dafür sprechen, dass der Verwaltungsakt sofort und nicht erst nach Eintritt der Bestands- und Rechtskraft verwirklicht, umgesetzt oder vollzogen wird (vgl. im Einzelnen: Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 91; Gersdorf in BeckOK VwGO, Posser/Wolff/Decker, Stand 1.1.2024, § 80 Rn. 99) .
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Anders als die Antragsteller meinen, besteht aus Sicht der Kammer ein solch besonderes Vollziehungsinteresse gerade in Ansehung des Versuchscharakters der befristeten Teileinziehung. Die Maßnahme dient der Erprobung der tatsächlichen Entlastungseffekte und Attraktivitätssteigerungen, die durch die Einrichtung einer Fußgängerzone erreicht werden können. Wie bereits ausgeführt wurde, ist ein „Realversuch“ nach Auffassung der Kammer am besten geeignet, um insoweit eine verlässliche Daten- und Erkenntnisgrundlage zu schaffen. Dies ist jedoch nur möglich, soweit dieser Zweck nicht durch die Erhebung aller Voraussicht nach erfolgloser Klagen mit aufschiebender Wirkung vereitelt wird. Ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung würde zunächst in einem aufwändigen, erfahrungsgemäß mehrjährigen Hauptsacheverfahren gleichsam „am grünen Tisch“ versucht werden zu klären, auf welcher prognostischen Grundlage eine Teileinziehung überhaupt möglich wäre, ohne dass die Auswirkungen in diesem Rahmen tatsächlich verlässlich (und voraussichtlich auch kostensparender für die Allgemeinheit) ermittelt werden könnten. Dies würde nicht nur die legitimen städtebaulichen Bestrebungen der Antragsgegnerin um Jahre zurückwerfen. Es würde auch den von der Antragsgegnerin und den kommunalen Mandatsträgern bislang – soweit erkennbar – konsequent und bürgernah verfolgten Planungs- und Dialogprozess, der die Anlieger mit ihren unterschiedlichen Standpunkten und Meinungen einbezog, zum Stillstand bringen und damit das Projekt in der öffentlichen Wahrnehmung wieder gleichsam „auf Null“ setzen. Mit Blick auf die lediglich als gering einzustufenden Nachteile des räumlich eng begrenzten Projekts auf manche Anlieger würde hieraus eine unangemessene Beschränkung der kommunalen Handlungsmöglichkeiten resultieren und würden sich die langfristig verfolgten Ziele, wie insbesondere der Gesundheitsschutz der Anlieger und des Fußgängerverkehrs, verzögern, ohne dass währenddessen verlässlichere Erkenntnisse zu den tatsächlichen Auswirkungen der beabsichtigten Maßnahme gewonnen würden. Im Ergebnis streitet hier also auch bei Beachtung des bei Anordnungen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO zu beachtenden Regel-Ausnahme-Verhältnisses gerade der Erprobungscharakter der Maßnahme für die sofortige Vollziehbarkeit.
II.
77
Der Antrag hat auch nicht im Sinne einer Aufhebung – lediglich – der sofortigen Vollziehung Erfolg. Die Antragsgegnerin ist vielmehr auch der aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO folgenden formellen Pflicht, das besondere Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen, hinreichend nachgekommen (1.). Die von den Antragstellern aufgeworfenen Bedenken hinsichtlich der Organkompetenz für die Anordnung des Sofortvollzugs teilt die Kammer nicht (2.).
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1. Vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG ist dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung nicht bereits genügt, wenn überhaupt eine Begründung gegeben wird. Es bedarf vielmehr einer schlüssigen, konkreten und substantiierten Darlegung der wesentlichen Erwägungen, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat (BVerwG, B.v. 18.9.2001 – 1 DB 26/01 – juris Rn. 6).
79
Die Antragsgegnerin hat sich – entgegen der Ansicht der Antragsteller – nicht auf floskelhafte Wendungen zurückgezogen, sondern eine Reihe von Gründen angeführt, warum die Allgemeinverfügung im konkreten Einzelfall sofort und nicht erst nach Eintritt der Bestandskraft vollzogen werden müsse. So bestehe ein öffentliches Interesse daran, die Aufenthaltsqualität in der W* … Straße schnellstmöglich zu verbessern. Gleichzeitig werde so auch ein Beitrag zu der dringend erforderlichen Verkehrswende geleistet und die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs – gerade mit Blick auf besonders gefährdete Fußgänger wie ältere Menschen und Kinder – verbessert. Gleichzeitig werde die Attraktivität der W* … Straße hierdurch verbessert. Demgegenüber entstünden den Anliegern – denen insoweit aufgrund des Anliegergebrauchs ohnehin nur eine schwache Rechtsposition zukomme – durch die sofortige Vollziehung keine irreparablen Schäden,
80
Diese Ausführungen werden der Informationsfunktion, die dem Begründungserfordernis im Hinblick auf die Adressaten, insbesondere im Interesse der Einschätzung der Rechtsschutzmöglichkeiten zukommt, ebenso gerecht wie der Warnfunktion gegenüber der Behörde selbst, durch die ihr der Ausnahmecharakter der sofortigen Vollziehung vor Augen geführt wird. Anders als die Antragsteller meinen, hat die Antragsgegnerin zu erkennen gegeben, dass mit der Teileinziehung nicht länger zugewartet werden kann und sich auch mit den Folgen der mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung einhergehenden Verkürzung des Rechtsschutzes auseinandergesetzt. Diese Ausführungen gehen erkennbar über das bloße Erlassinteresse hinaus. Ob die Begründung die Anordnung der sofortigen Vollziehung auch inhaltlich trägt – was die Antragsteller in Zweifel gezogen haben – bedarf im Rahmen des formellen Begründungserfordernisses nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO keiner Entscheidung (stRspr BVerwG, B.v. 4.12.2020 – 4 VR 4/20 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 22.7.2024 – 11 CS 24.764 – juris Rn. 12 m.w.N.).
81
2. Die von den Antragstellern aufgeworfenen Bedenken hinsichtlich der Organkompetenz für die Anordnung des Sofortvollzugs teilt die Kammer nicht.
82
Zwar weisen die Antragsteller zutreffend darauf hin, dass die vorliegend (i.V.m. Art. 23 Satz 1, Art. 60 Abs. 2 und 5 BayGO) die Organkompetenz des BA für die straßenrechtliche Verfügung begründende „Satzung für die Bezirksausschüsse der Landeshauptstadt München“ dem BA nicht explizit eine Entscheidungsbefugnis auch hinsichtlich der Anordnung eines Sofortvollzug zuweist. Dies ist indes auch nicht erforderlich: Bereits § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO erachtet diejenige Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, als entscheidungsbefugt hinsichtlich des Sofortvollzugs. Es wird sich deshalb aller Voraussicht nach im Hauptsacheverfahren erweisen, dass jedenfalls im Wege einer Annexkompetenz die Bezirksausschüsse auch für die Anordnung eines Sofortvollzugs in denjenigen Materien als organkompetent angesehen werden müssen, in denen ihnen durch die vorgenannte Satzung ein Entscheidungsrecht eingeräumt wurde (dies mittelbar bestätigend im umgekehrten Fall: OVG Lüneburg, B.v. 24.1.2018 – 7 ME 110/17 – juris Rn. 22).
C.
83
Der Antrag war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO abzulehnen.
84
D. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. Nummern 1.1.3, 1.5, 43.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai bzw. 1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen.