Titel:
Kein einstweiliger Rechtsschutz gegen Geschäftsführerabberufung trotz Stimmrechtsvereinbarung
Normenketten:
ZPO § 935, § 940
GmbHG § 38, § 46 Nr. 5
Leitsätze:
1. Stimmbindungsvereinbarungen – eine solche liegt hier schon nicht vor – beeinträchtigen den Grundsatz der freien Abberufbarkeit eines Geschäftsführers einer GmbH gem. § 38 GmbHG nicht. Vereinbarungen dieser Art sind grundsätzlich für die an der Vereinbarung beteiligten Parteien bindend. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Streit über den Verstoß gegen die Vereinbarung und seine Folgen ist zwischen den Parteien der Vereinbarung auszutragen. Nach der Rspr. des BGH begründet ein solcher Verstoß allerdings die Anfechtbarkeit des Abberufungsbeschlusses, wenn die vertragliche Bindung gegenüber sämtlichen Gesellschaftern der Gesellschaft besteht. Der Abberufungsbeschluss ist demzufolge nicht nichtig, sondern allenfalls anfechtbar. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wegen der wirksamen Abberufung als Geschäftsführer, kann ein Betretungsrecht nicht aus einer Organstellung hergeleitet werden. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abberufung, Geschäftsführer, Stimmvereinbarung, einstweilige Verfügung, Betretungsrecht, Fremdgeschäftsführer, Vereinbarung, Zustimmungsvorbehalt
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 10.12.2024 – 7 W 1704/24 e
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34811
Tenor
1. Die Anträge vom 08.10. und 24.10.2024 werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
3. Der Streitwert wird auf 11.000,00 € festgesetzt.
Gründe
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I. Die Antragstellerin (= ASt.), die mit der Antragsgegnerin zu 1) (= AG 1)) durch einen Vertrag über eine atypische stille Beteiligung (Anl. AG 4) verbunden ist, begehrt unter anderem ihre Wiederbestellung als Geschäftsführerin der AG 1) und Gewährung des Zutritts zu den Geschäftsräumen des …. Die Antragsgegner zu 2) und 3) (= AG 2) bzw. AG 3)) sind Alleingesellschafter der AG 1). Die Gesellschafterversammlung der AG 1) beschloss am 01.10.2024 einstimmig die Abberufung der ASt. als Geschäftsführerin der AG 1) (Anl. AG 2). Die ASt. wurde zuvor weder angehört noch stimmte sie der Abberufung im Vorfeld der Gesellschafterversammlung zu. Mit Schreiben vom 10.10.2024 (Anl. ASt. 11) wurde der ASt. aufgegeben bis auf Weiteres den Räumlichkeiten des … fernzubleiben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Antragsschriften vom 08.10. und 14.10.2024, die Schutzschrift vom 08.10.2024 und die ergänzenden Ausführungen der Parteien in den Schriftsätzen vom 17.10. und 18.10.2024 verwiesen.
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II. Die Verfügungsanträge waren vollumfänglich zurückzuweisen, da es – abgesehen von den Verfügungsanträgen vom 14.10.2024 – an der Glaubhaftmachung eines Verfügungsanspruches fehlt und betreffend sämtliche Verfügungsanträge an der Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes gem. §§ 936, 938, 940 ZPO fehlt.
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1. Zu Antrag 1: Die ASt. hat weder einen materiellen Anspruch auf Rückgängigmachung des Abberufungsbeschlusses und Wiederbestellung der ASt. als Geschäftsführerin der AG 1) noch einen Verfügungsgrund nicht glaubhaft gemacht.
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A. Der Abberufungsbeschluss vom 01.10.2024 wurde entsprechend den Bestimmungen der Satzung der AG 1) wirksam auf Grund einstimmigen Beschlusses der Gesellschafter der AG 1) gefasst. Der Gesellschaftervertrag der AG 1) (Anl. ASt. 5) enthält keine Einschränkungen des § 38 Abs. 1 GmbHG. Die ASt. ist nicht Gesellschafterin der AG 1) und somit Fremdgeschäftsführerin. Stimmbindungsvereinbarungen – eine solche liegt hier schon nicht vor – beeinträchtigen den Grundsatz der freien Abberufbarkeit eines Geschäftsführers einer GmbH gem. § 38 GmbHG nicht. Vereinbarungen dieser Art sind grundsätzlich für die an der Vereinbarung beteiligten Parteien bindend. Der Verstoß gegen wirksam eingegangene schuldrechtliche Bindungen führt nicht zur Unwirksamkeit eines ansonsten fehlerfrei gefassten Abberufungsbeschlusses. Der Streit über den Verstoß gegen die Vereinbarung und seine Folgen ist zwischen den Parteien der Vereinbarung auszutragen. Nach der Rspr. des BGH begründet ein solcher Verstoß allerdings die Anfechtbarkeit des Abberufungsbeschlusses, wenn die vertragliche Bindung gegenüber sämtlichen Gesellschaftern der Gesellschaft besteht (vgl. MüKoGmbHG/Stephan/Tieves, 4. Aufl. 2023, GmbHG § 38 Rn. 24, beck-online). Der Abberufungsbeschluss ist demzufolge nicht nichtig, sondern allenfalls anfechtbar. Die ASt. ist nicht Gesellschafterin der AG 1) und somit nicht anfechtungsbefugt. Die Gesellschafter der AG 1) haben auf Rechtsmittel gegen den Abberufungsbeschluss verzichtet. Die ASt. ist somit auch nicht befugt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen ihre Abberufung vorzugehen.
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B. Die ASt. hat keinen materiellen Anspruch auf Bestellung zur Geschäftsführerin der AG 1). Ein solcher Anspruch ergibt sich nicht aus dem Vertrag über eine atypische stille Beteiligung (Anl. AG 4). Dort ist in Ziffer 4.1. lediglich vereinbart, dass die Geschäfte der … Privatversorgung von der AG 1) geführt werden. Ein Recht der ASt. auf Geschäftsführung ist in diesem Vertrag nicht verankert.
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C. Im Übrigen kann dem Vertrag über eine atypische stille Beteiligung (Anl. AG 4) nicht entnommen werden, dass vor Abberufung eines Geschäftsführers der AG 1) die Zustimmung der ASt. eingeholt werden müsste. Gem. Ziffer 4.1 und 4.2. dieses Vertrages werden die Geschäfte der … Privatversorgung und die Geschäfte der MVZ Vertragsarztversorgung allein von der Gesellschaft, somit der AG 1) geführt. Lediglich zur Vornahme von Rechtsgeschäften oder sonstigen Maßnahmen der … Privatversorgung in Ansehung der … Privatversorgung, die nach dem Gesetz oder dem Gesellschaftsvertrag der Gesellschaft eines Beschlusses der Gesellschafter bedürfen, der mit einer höheren als der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu fassen ist, bedarf die AG 1) gem. Ziffer 4.1.1. der Zustimmung der ASt. Dieses Zustimmungserfordernis betrifft jedoch nicht die allein auf Ebene der Gesellschaft der AG 1) angesiedelte Befugnis zur umfassenden Geschäftsführung. Somit wurde Abberufungsbeschluss auch nicht unter Verstoß gegen den Vertrag über eine atypische stille Beteiligung gefasst, der – wie bereits ausgeführt – kein Recht der ASt. auf umfassende Geschäftsführung beinhaltet. Die Kompetenzen der ASt. als Geschäftsführerin waren auch nicht auf den privatärztlichen und nichtärztlichen Bereich beschränkt, eine Beschränkung der Organstellung dürfte auch nicht möglich sein. Ein Anspruch auf Wiederbestellung als Geschäftsführerin der AG 1) kann daher auch nicht auf § 280 ff BGB gestützt werden, zumal sich die Gesellschafter der AG 1) auch nicht zu einem bestimmten Abstimmungsverhalten verpflichtet haben. Eine Stimmbindung beinhaltet der Vertrag über die atypische stille Gesellschaft nicht.
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C. Schließlich ist auch ein Verfügungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung der rechtlichen Interessen (vgl. OLG München, BeckRS 2009, 28888) der ASt. durch einen nichtigen Gesellschafterbeschluss kann deren Vortrag nicht entnommen werden. Der streitgegenständliche Gesellschafterbeschluss ist nicht nichtig. Das Vorbringen der ASt. erschöpft sich zudem in allgemein gehaltenen, pauschalen Befürchtungen, eine Glaubhaftmachung fehlt.
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2. Zu Antrag 2: Da der Verfügungsantrag Ziffer 1 nicht begründet ist, besteht auch kein Anspruch der ASt. auf Wiedereintragung als Geschäftsführerin in das Handelsregister.
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3. Zu Antrag 3 in der Fassung vom 17.10.2024: Ein genereller Anspruch, gegründet auf eine abstrakte vertragliche Vereinbarung, im Vorfeld von Gesellschafterversammlungen auf die Willensbildung der Gesellschafter Einfluss zu nehmen, besteht nicht. Es fehlt zudem an dem erforderlichen Verfügungsgrund. Ein berechtigtes Interesse der ASt. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vor künftigen Gesellschafterversammlungen abstrakt und generell auf die Willensbildung der Gesellschafterversammlung zur Verhinderung schwerwiegender Beeinträchtigungen einzuwirken, ist nicht glaubhaft gemacht.
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4. Zu Antrag 6: Ein Verfügungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht. Ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Änderung der Vertretungs- und Geschäftsführungsbefugnisse der AG zu 1) dahingehend, dass den Geschäftsführern anstelle der Einzelvertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis eine Gesamtvertretungs- und Geschäftsführungsbefugnis zusteht, ist nicht ersichtlich und kann aus dem Vertrag über die atypische stille Gesellschaft nicht hergeleitet werden. Ein Verfügungsgrund ist ebenfalls nicht glaubhaft gemacht. Ergänzend wird auf die Ausführungen zu Antrag 1 Bezug genommen.
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4. Zu den Verfügungsanträgen vom 14.10.2024: Es ist fraglich, ob die AG 1 bis 3) sich zur Begründung eines Betretungsverbots der Räumlichkeiten des … auf Ziffer 1. 3. des Vertrages über die gemeinsame Nutzung des Mietobjekts … in … berufen können. Denn Ziffer 1.3 des genannten Vertrages sieht lediglich vor, dass die MHP ganz oder teilweise, räumlich oder zeitlich andere Parteien von der Nutzung bestimmter Teile des Mietobjekts ausschließen kann, soweit dies für den Betrieb ihrer ärztlichen Praxis erforderlich ist. Dass die Nutzung der Räumlichkeiten den weiteren Parteien des Vertrags gänzlich untersagt wurde, behaupten die AG 1) bis 3) nicht. Solange den anderen Vertragsparteien die Nutzungsrechte nicht entzogen wurden, dürfte auch die ASt. als deren Mitgeschäftsführerin das Recht haben die Räumlichkeiten zu betreten.
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Es fehlt jedoch an der Glaubhaftmachung des erforderlichen Verfügungsgrundes. Unstreitig sind in den Räumlichkeiten nur Mitarbeiter der AG 1) beschäftigt. Da die ASt. wirksam als Geschäftsführerin abberufen wurde und der Verfügungsantrag Ziffer 1) nicht begründet ist, kann die ASt. ein Betretungsrecht nicht aus einer Organstellung betr. die AG 1) herleiten. Soweit die ASt. ein Betretungsrecht auf ihre Organstellung bei den weiteren Parteien des Vertrags stützen kann, fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Verfügungsgrundes. Eine schwerwiegende Beeinträchtigung ist auf Grund der Erklärungen der ASt. in der eidesstattlichen Versicherung vom 14.10.2024 (Anl. ASt. 13) nicht glaubhaft gemacht.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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IV. Streitwert: § 3 ZPO (Antrag 1 und 2: 6.000,00 €, Antrag 3: 3.000,00 €, Antrag 6: 1.000,00 €, Anträge vom 14.10.2024: 1.000,00 €).