Titel:
Überwachung des sog. Pressetelefons einer Gruppierung von Klimaaktivisten
Normenketten:
StPO § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 5, § 100a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Nr. 3, § 100e Abs. 4 S. 2, § 101 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, Abs. 7 S. 2, § 152 Abs. 2, § 160a Abs. 2 S. 1
StGB § 129 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2
GG Art. 5 Abs. 1 S. 2, Art. 8
Leitsätze:
Vorliegend bestehen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sich die „Letzte Generation" zum Ziel gesetzt hat, verschiedene Forderungen gegenüber der Bundesregierung durchzusetzen und sie sich hierbei verschiedener Protestformen bedient, wobei Blockaden von Straßen und Flughäfen medial und auch aufgrund der Beeinträchtigung einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern oder Flugreisenden dem Erscheinungsbild der „Letzten Generation“ ein nicht unwesentliches Gepräge geben. Das Erscheinungsbild der „Letzten Generation“ wird somit durch die infrage kommenden Straftatbestände – wie die hier in Betracht zu ziehenden Nötigungen oder (gemeinschädliche) Sachbeschädigungen – wesentlich mitgeprägt. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer verdeckten Maßnahme gem. § 101 Abs. 7 S. 2 StPO ist zu berücksichtigen, dass der die Maßnahme anordnenden Stelle bei der Feststellung des Tatverdachts ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht. Maßstab für die Rechtmäßigkeitsprüfung ist demgemäß, ob die anordnende Stelle diesen Beurteilungsspielraum gewahrt oder überschritten hat. Die Tatsachengrundlage hierfür bietet der Ermittlungs- und Erkenntnisstand im Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei einer Gruppierung, die sich zum Ziel gesetzt hat, verschiedene Forderungen gegenüber der Bundesregierung durchzusetzen, sind planmäßig hierzu eingesetzte Nötigungen oder (gemeinschädliche) Sachbeschädigungen im Rahmen von Flughafen- und Straßenblockaden nicht von untergeordneter Bedeutung iSv § 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
4. Aus dem Umstand, dass der Tatbestand des § 129 Abs. 1 StGB nach dem Willen des Gesetzgebers auf Straftaten begrenzt ist, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, lässt sich keine Beschränkung auf besonders schwere Straftaten ableiten. Ebenso wenig ist erforderlich, dass die Straftaten der Vereinigung ein allgemeines Klima der Angst schaffen. Entscheidend ist, dass der gesellschaftliche Diskurs durch illegitime Mittel verletzt wird, indem eine Gruppierung versucht, sich – gegebenenfalls moralisch überhöhend – über die rechtsstaatliche Ordnung und die konsentierten Formen demokratischer Abläufe zu stellen. (Rn. 38 – 39) (redaktioneller Leitsatz)
5. Zur Verhältnismäßigkeit der Telekommunikationsüberwachung eines von Klimaaktivisten betriebenen sog. Pressetelefons. (Rn. 53 – 72) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klimaaktivisten, kriminelle Vereinigung, Anfangsverdacht, Telekommunikationsüberwachung, Verdachtsgrad, Drittbetroffene, Journalisten, Rechtmäßigkeit, Überprüfung
Vorinstanz:
AG München, Beschluss vom 14.11.2023 – ER V Gs 7369/23
Fundstellen:
BeckRS 2024, 34800
StV 2024, 829
LSK 2024, 34800
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Drittbetroffenen J. P. vom 28.11.2023 gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 14.11.2023, Az. ER V Gs 7369/23 (Bl. 3163/3193), wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.
Gründe
1
Bei der Generalstaatsanwaltschaft M. ist ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Personen anhängig, die sich spätestens seit Anfang 2022 unter der Bezeichnung „L.G. “ als Klimaaktivisten betätigt bzw. diese unterstützt haben sollen. Die Beschuldigten sollen sich in unterschiedlichen Funktionen in der Vereinigung „Die L.G. (L. G.)“ engagiert haben oder die Organisation durch die Zurverfügungstellung einer Zugriffsmöglichkeit auf ein Bankkonto und die Verwaltung der eingehenden Spendengelder unterstützt haben. Die Generalstaatsanwaltschaft M. stufte die „L.G. “ als kriminelle Vereinigung ein und beantragte beim Amtsgericht München – Ermittlungsrichter – den Erlass mehrerer Beschlüsse, unter anderem zur Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation über mehrere Anschlüsse (§ 100a StPO).
2
Im Wesentlichen begründete die Generalstaatsanwaltschaft M. den Tatverdacht mit den Ergebnissen der durchgeführten Ermittlungen, wonach es sich bei der „L.G. “ um eine Vereinigung von Aktivisten handele, die durch Mittel des „zivilen Ungehorsams“ Maßnahmen der Bundesregierung gegen die Klimakrise zu erzwingen suchten. Straßenblockaden würden einen Schwerpunkt der Aktivitäten bilden. Um die Räumung von Straßenblockaden durch die Polizei zu erschweren, klebten sich immer wieder einzelne Aktivisten mit ihren Hand- oder Fußflächen auf den Straßenbelag. Zudem würden regelmäßig Aktionen gegen die Infrastruktur der Kohle-, Öl- und Gasindustrie in Deutschland durchgeführt und publikumswirksam der Öffentlichkeit präsentiert. Die Klimaaktivisten würden immer wieder bewusst und zielgerichtet Straftaten begehen, um die öffentliche Aufmerksamkeit zu erreichen und in ihrem Sinne auf den Klimawandel aufmerksam zu machen. Insbesondere würden zielgerichtet Sachbeschädigungen am Eigentum Unbeteiligter und Nötigungen von unbeteiligten Passanten begangen. Beispielhaft wurden eine Reihe von Aktionen konkret beschrieben, die unter anderem Blockaden von Autobahnen und Zufahrtsstraßen zu Flughäfen, Festklebeaktionen auf dem Rollfeld des Flughafens B.-B., sowie die Manipulation der Notabschaltung von Ölpipelines zum Gegenstand hatten.
3
Vor diesem Hintergrund erließ das Amtsgericht München – Ermittlungsrichter – am 03.11.2022 (ER V Gs 12561/22) den von der Generalstaatsanwaltschaft M. u.a. beantragten Beschluss zur Überwachung des Telekommunikationsverkehrs der der Beschuldigten zugeordneten Anschlüsse mit den Nummern … (sog. Pressetelefon) und ... (Bl. 304/309). Der Beschluss war bis zum 02.02.2023 befristet. Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 30.01.2023 (ER V Gs 1324/23) wurde die Maßnahme bis zum 26.04.2023 verlängert (Bl. 446/452). Die Benachrichtigung der Beteiligten der betroffenen Telekommunikation wurde bis zum 26.01.2024 zurückgestellt.
4
Am 07.07.2023 beantragte u.a. der Beschwerdeführer J. P., vertreten durch Rechtsanwältin B., in seiner Eigenschaft als von der angeordneten Überwachung drittbetroffener Journalist die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der durch Beschlüsse des Amtsgerichts München vom 13.10.2022 sowie vom 26.01.2023 angeordneten Ermittlungsmaßnahmen sowie der Art und Weise ihres Vollzugs, § 101 Abs. 7 S. 2 StPO (Bl. 1937/1941). Zum Inhalt des Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 07.07.2023 Bezug genommen.
5
Die Überprüfung der Betroffenheit des Beschwerdeführers P. ergab drei Verbindungen zwischen der von diesem genutzten Telefonnummer mit dem überwachten Anschluss … (Pressetelefon) am 24.04.2024: Ein Gespräch von ca. 1,5 Minuten sowie eine Internetverbindung und ein Anwahlversuch je ohne Gesprächsinhalt (vgl. Vermerk BLKA vom 10.08.2023, Bl. 2310).
6
Mit Schriftsatz vom 22.09.2023 (Bl. 2576/2594) stellte Rechtsanwältin B. klar, dass sich der Antrag vom 07.07.2023 auf die Beschlüsse des Amtsgerichts München vom 03.11.2022 (ER V Gs 12561/22) und vom 30.01.2023 (ER V Gs 1324/23) beziehe. Zudem wurde der Antrag vom 07.07.2023 nach gewährter Akteneinsicht begründet und ausgeführt, dass die Anordnung der Telekommunikationsüberwachung des Pressetelefons sowie die Art und Weise ihres Vollzugs rechtswidrig gewesen seien. Hinsichtlich der Details wird auf den Schriftsatz vom 22.09.2023 Bezug genommen.
7
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 24.10.2023 (Bl. 2943/2969) Stellung genommen und die Zurückweisung als unbegründet beantragt.
8
Mit Beschluss vom 14.11.2023, Az. ER V Gs 7369/23, wies das Amtsgericht München den Antrag des Beschwerdeführers vom 07.07.2023 auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Beschlüsse des Amtsgerichts München vom 03.11.2022 (Az. ER V Gs 12561/22) sowie vom 30.01.2023 (Az. ER V Gs 1324/23) sowie der Art und Weise ihres Vollzugs als unbegründet zurück (Bl. 3163/3193). Hinsichtlich der Begründung wird auf den Inhalt des Beschlusses verwiesen. Der Beschluss wurde am 22.11.2023 zugestellt (Bl. 3195b).
9
Am 28.11.2023 legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 14.11.2023 ein und beantragte, unter Aufhebung dieses Beschlusses die durch die Beschlüsse des Amtsgerichts vom 03.11.2022 und 30.01.2023 angeordneten Ermittlungsmaßnahmen sowie die Art und Weise ihres Vollzugs für rechtswidrig zu erklären (Bl. 3381/3382).
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Mit Verfügung vom 13.12.2023 hat die Generalstaatsanwaltschaft M. die Beschwerde vorgelegt und die Zurückweisung als unbegründet beantragt (Bl. 3435/3437).
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Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 26.01.2024 die sofortige Beschwerde begründet.
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Der Beschwerdeführer macht geltend, dass die angegriffenen Beschlüsse nicht ausreichend begründet und aus diesem Grund bereits formell rechtswidrig seien.
13
Aus § 100e Abs. 4 S. 2 StPO ergebe sich für die Anordnung der Ermittlungsmaßnahmen nach §§ 100a, 100b, 100c StPO eine „qualifizierte Begründungspflicht“. Zu den notwendigerweise darzustellenden wesentlichen Erwägungen gehöre die sich aus § 160a Abs. 2 StPO ergebende besondere Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Betroffenheit von Berufsgeheimnisträgern. Dieser „qualifizierten Begründungspflicht“ würde der Anordnungsbeschluss vom 03.11.2022 nicht gerecht. Das Gericht hätte erkennen müssen, dass § 160a Abs. 2 StPO relevanter Maßstab der Verhältnismäßigkeitsprüfung gewesen sei, da der von der Anordnung betroffene Anschluss als Pressekontakt bezeichnet worden sei. Gleichwohl werde weder die Vorschrift des § 160 Abs. 2 StPO genannt, noch erfolge eine Auseinandersetzung mit den potentiell betroffenen Grundrechten von Presseangehörigen nach Art. 5 Abs. 1 S. 2, Art. 10 Abs. 1 GG sowie eine diesen Maßstäben entsprechende Verhältnismäßigkeitsprüfung. Unabhängig von der Frage, ob die Vorschrift des § 160a Abs. 2 StPO ausdrücklich genannt hätte werden müssen, spreche deren Fehlen indiziell für ein Übersehen der Norm und damit einhergehend auch des spezifischen Beweiserhebungsverbotes. Ohne Nennung der gem. § 100e Abs. 4 S. 2 StPO wesentlichen Norm sei gerade nicht ersichtlich, dass der Ermittlungsrichter eine eigenverantwortliche Prüfung vorgenommen habe.
14
Auch die erläuternden Ausführungen im angegriffenen Beschluss vom 14.11.2023 entsprächen nicht den in § 160 Abs. 2 StPO aufgestellten Anforderungen. Das Amtsgericht habe bei Bejahen eines Anfangsverdachts dem Strafverfolgungsinteresse einen „grundsätzlichen“ Vorrang eingeräumt und damit auch im Nachhinein einen dem Wortlaut des § 160a Abs. 2 StPO sowie den verfassungsrechtlichen Vorgaben widersprechenden Maßstab angelegt.
15
Das Nachschieben von Gründen sei vorliegend zudem unzulässig gewesen. Es fehle erkennbar an einer eigenständigen Prüfung des Amtsgerichts bei Erlass des Beschlusses vom 03.11.2022 sowie des Verlängerungsbeschlusses vom 30.01.2023. Ein Teil der Aktionen der „L.G. “, auf die sich das Gericht im Beschluss vom 14.11.2023 maßgeblich stütze, habe erst nach Erlass der verfahrensgegenständlichen Beschlüsse stattgefunden und müssten aus diesem Grund für die Frage der Rechtmäßigkeit der Anordnung außer Betracht bleiben. Die vom Amtsgericht angeführte Rechtsprechung hinsichtlich des Nachschiebens von Gründen betreffe ausschließlich die Anordnungen von Wohnungsdurchsuchungen und sei aus diesem Grund bereits nicht übertragbar. Das Amtsgericht habe den wesensmäßigen Unterschied zwischen der offenen Durchsuchung und der heimlichen Telekommunikationsüberwachung, der sich in einfachgesetzlichen Grundlagen sowie der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung niederschlage, verkannt. Eine zeitnahe Kontrollmöglichkeit durch unabhängige, nicht mit dem Fall vorab betraute Gerichte, gebe es anders als bei Wohnungsdurchsuchungen nicht. Drittbetroffene Journalisten würden in aller Regel nicht bzw. sehr spät von der Ermittlungsmaßnahme erfahren, mit der Folge, dass die Bedeutung der vorgelagerten gerichtlichen Kontrolle steige. § 100e Abs. 4 S. 2 Nr. 2 StPO fordere die Darlegung der wesentlichen Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit bereits im anordnenden Beschluss; ein Nachholen sei nicht vorgesehen. Der in § 160a Abs. 2 StPO normierte – im Vergleich zu § 160a Abs. 1 StPO abgeschwächte – Schutz würde in verfassungswidriger Weise leerlaufen, wenn das Gericht die Verhältnismäßigkeitsprüfung nachholen könnte. Zudem enthalte der Beschluss keine Angaben darüber, inwieweit die Maßnahme zum Schutz der Grundrechte der betroffenen Medienangehörigen gem. § 160 Abs. 2 S. 2 StPO zu beschränken wäre.
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Der Beschluss sei zudem materiell rechtswidrig.
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Zum einen sei bereits der Anfangsverdacht gem. § 129 Abs. 1 StGB nicht gegeben. Die der „L.G. “ zugeordneten Handlungen würden bereits keine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit begründen. Zudem entfalle die Strafbarkeit wegen des Tatbestandsausschlusses gem. § 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB.
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Zum anderen seien die übrigen Voraussetzungen des § 100a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 3 StPO nicht erfüllt. Die Erforschung des Sachverhalts sei ohne die Anordnung nicht aussichtslos oder erschwert gewesen. Aus der angeordneten Überwachung des Pressetelefons der „L.G. “ seien keine tatsächlichen Erkenntnisse zu erwarten gewesen, die über das hinausgegangen wären, was sich bereits aus öffentlichen Quellen ergeben habe. Letztlich sei die Maßnahme insgesamt – sowie unter besonderer Berücksichtigung von § 160a Abs. 2 StPO – unverhältnismäßig gewesen.
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Weiterhin sei die Art und Weise des Vollzugs der angeordneten Telekommunikationsüberwachung rechtswidrig gewesen. Zur Begründung werde auf die Antragsbegründung vom 22.09.2023 Bezug genommen (Bl. 2576/2594). Dort führte der Beschwerdeführer insbesondere aus, dass sich die Rechtswidrigkeit der Art und Weise des Vollzugs konkret darin zeige, dass der Anruf vom 24.04.2023 in voller Länge aufgezeichnet worden sei, obwohl bereits nach vier Sekunden erkennbar gewesen sei, dass es sich um den Anruf eines Pressevertreters gehandelt habe. Ergänzend führte der Beschwerdeführer an, dass der Ermittlungsrichter die Verantwortung für die ordnungsgemäße Vollziehung nicht in die Hände der Strafverfolgungsbehörden habe abgeben dürfen, ohne die Grundlagen für die ordnungsgemäße Vollziehung im Beschluss zu erläutern und deren Umfang gegebenenfalls von vornherein einzuschränken. Vor dem Hintergrund, dass der anordnende Beschluss keinerlei Vorgaben für die Vollziehung gemacht habe, könne ein grundrechtskonformes Verhalten nicht angenommen werden.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf die Schriftsätze vom 26.01.2024 und vom 22.09.2023 (Bl. 2576/2594) Bezug genommen. Mit Schriftsatz vom 09.04.2024 wurde ergänzend vorgetragen, dass der Beschwerdeführer – anders als zahlreiche andere Betroffene – keine Benachrichtigung über die durchgeführte Telekommunikationsüberwachung erhalten habe.
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Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
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I. Die sofortige Beschwerde ist zulässig.
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1. Die sofortige Beschwerde ist der gem. § 101 Abs. 7 S. 3 StPO statthafte Rechtsbehelf gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 14.11.2023, mit dem der Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme sowie der Art und Weise ihres Vollzugs gem. § 101 Abs. 7 S. 2 StPO als unbegründet zurückgewiesen worden ist.
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2. Die sofortige Beschwerde wurde auch fristgerecht eingelegt, § 311 Abs. 2 StPO. Der Beschluss vom 14.11.2023 wurde am 22.11.2023 zugestellt (§ 35 Abs. 2 S. 1StPO); die am 28.11.2023 eingegangene sofortige Beschwerde wurde mithin innerhalb der Wochenfrist erhoben.
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3. Der Beschwerdeführer ist als Beteiligter der überwachten Telekommunikation (§ 101 Abs. 7 S. 2, Abs. 4 S. 1 Nr. 3 StPO) beschwerdebefugt.
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II. Die sofortige Beschwerde erweist sich indes als unbegründet.
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Die materiellen Voraussetzungen für die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung des verfahrensgegenständlichen Anschlusses mit der Rufnummer ... gem. § 100a StPO lagen vor.
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Soweit Begründungsdefizite in den ansonsten formell ordnungsgemäßen Anordnungsbeschlüssen vorhanden waren, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme, sondern die Begründung konnte nachgeholt werden. Auch hinsichtlich der Art und Weise des Vollzugs der Telekommunikationsüberwachung kann ein rechtswidriges Vorgehen nicht festgestellt werden.
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Gegenstand der gerichtlichen Kontrolle gem. § 101 Abs. 7 S. 2 StPO ist – wie sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut ergibt – die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Maßgeblich ist damit die Frage, ob zum Zeitpunkt ihrer Anordnung die entsprechenden materiellen und formellen Voraussetzungen vorgelegen haben (MüKoStPO/Rückert, 2. A. 2023, StPO, § 101 Rn. 89). Im Rahmen der Rechtmäßigkeitsprüfung ist dabei davon auszugehen, dass der die Maßnahme anordnenden Stelle bei der Feststellung des Tatverdachts ein gewisser Beurteilungsspielraum zusteht. Maßstab für die auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit beschränkte Prüfung nach § 101 Abs. 7 S. 2 StPO ist also, ob die genannten Stellen diesen Beurteilungsspielraum gewahrt oder überschritten haben. Die Tatsachengrundlage hierfür bietet der jeweilige damalige Ermittlungs- und Erkenntnisstand (KK-StPO/Henrichs/Weingast, StPO, 9. A. 2023, § 101 Rn. 35, 35a, ebenso Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, 67. A. 2024, § 101 Rn. 25b).
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1. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung des verfahrensgegenständlichen Anschlusses gem. § 100a StPO lagen vor.
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Gem. § 100a Abs. 1 S. 1 darf auch ohne Wissen der Betroffenen die Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet werden, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine in Absatz 2 bezeichnete schwere Straftat begangen hat, die Tat auch im Einzelfall schwer wiegt und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre.
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a) Gegen die Beschuldigte lag zum Zeitpunkt des Erlasses der Beschlüsse der Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung vor, § 100a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 d) StPO.
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Der Tatverdacht i.S.d. § 100a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO unterliegt zwar höheren Anforderungen als der bloße Anfangsverdacht, allerdings muss der Verdacht weder hinreichend i.S.v. § 203 StPO noch dringend i.S.v. § 112 Abs. 1 S. 1 StPO sein. Er muss aber größer sein als bei einem für die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens ausreichenden Anfangsverdacht nach §§ 160 Abs. 1, 152 Abs. 2 StPO. Mithin muss ein sog. qualifizierter Anfangsverdacht vorliegen. Erforderlich ist, dass aufgrund der Lebenserfahrung oder der kriminalistischen Erfahrung fallbezogen aus Zeugenaussagen, Observationen oder anderen sachlichen Beweisanzeichen auf das Vorliegen einer Katalogtat geschlossen werden kann (BeckOK StPO/Graf, StPO, 52. E., § 100a Rn. 106 m.w.N.; MüKoStPO/Rückert, StPO, § 100a Rn. 154)
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Das Vorliegen eines Tatverdachts dahingehend, dass es sich bei der „L.G. “ um eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB handelt, wurde zutreffend angenommen.
aa) Vereinigung im Sinne des § 129 StGB
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(1) Der Begriff der Vereinigung ist in § 129 Abs. 2 StGB legaldefiniert. Danach ist eine Vereinigung ein auf Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.
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(2) Diese Voraussetzungen sind bei der „L.G. “ vor dem Hintergrund der bisherigen Ermittlungsergebnisse erfüllt. Die „L.G. “ besteht jedenfalls seit Januar 2022. Nach den Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft haben sich bislang mehrere Hundert Menschen an Aktionen der „L.G. “ beteiligt und es gibt eine Internetseite, Personen, die für Kontakte, beispielsweise zur Presse, zuständig sind und verschiedene Aktionsgruppen, die im Rahmen bzw. unter Beachtung der zentral einsehbaren Vorgaben (Richtlinien) Aktionen durchführen. Diese dienen auch einem gemeinsamen übergeordneten Ziel, namentlich sollen durch Mittel des „zivilen Ungehorsams“ verschiedene Forderungen der Initiative gegenüber der Bundesregierung durchgesetzt werden.
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(3) Zweck oder Tätigkeit der Vereinigung muss auf die Begehung von Straftaten gerichtet sein, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass § 129 Abs. 1 StGB nicht nur dann anwendbar ist, wenn die Straftaten, die begangen werden sollen, Endziel, Hauptzweck oder ausschließliche Tätigkeit der Vereinigung sind (vgl. zum Ganzen BGH NJW 1995, 340, 343; BGH bei Wagner GA 1967, 103; NJW 1966, 310 – jeweils unter Hinweis auf BGHSt 15, 259, 260; ferner BGHSt 27, 325, 326). Die Begehung von Straftaten ist jedenfalls dann nicht von untergeordneter Bedeutung nach § 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB, wenn sie zwar nur einen von mehreren Zwecken (oder eine von mehreren Tätigkeiten) der Vereinigung darstellt, dieser Zweck (diese Tätigkeit) aber wenigstens in dem Sinne wesentlich und damit gleichgeordnet mit den anderen ist, dass durch das strafrechtswidrige Verhalten das Erscheinungsbild der Vereinigung aus der Sicht informierter Dritter mitgeprägt wird (vgl. Lampe ZStW 106 (1994), 683, 706, 707). Vorliegend bestehen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sich die „L.G. “ zum Ziel gesetzt hat, verschiedene Forderungen gegenüber der Bundesregierung durchzusetzen und sie sich hierbei verschiedener Protestformen bedient, wobei Blockaden von Straßen und Flughäfen medial und auch aufgrund der Beeinträchtigung einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern oder Flugreisenden dem Erscheinungsbild der „L.G. “ ein nicht unwesentliches Gepräge geben. Das Erscheinungsbild der „L.G. “ wird somit durch die infrage kommenden Straftatbestände – wie hier beispielhaft in Betracht zu ziehenden Nötigungen oder (gemeinschädliche) Sachbeschädigungen – wesentlich mitgeprägt. Der Straftatbestand der Nötigung sieht Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor, der Straftatbestand der Sachbeschädigung Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe, der Straftatbestand der gemeinschädlichen Sachbeschädigung Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
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bb) Nach herrschender Meinung hat zudem eine Begrenzung auf Straftaten zu erfolgen, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen (vgl. auch BT-Drs. 18/11275, S. 10).
39
(1) Daraus lässt sich aber keine Beschränkung auf besonders schwere Straftaten ableiten (vgl. Fischer, 70. Aufl., § 129 Rn. 20). Vielmehr ist § 129 Abs. 1 StGB dann anwendbar, wenn die begangenen und/oder geplanten Straftaten der Mitglieder eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten, wenn sie somit unter diesem Blickwinkel von einigem Gewicht sind (vgl. BT-Drs. 18/11275, S. 10, BGH NJW 1995, 340, BGHSt 31, 202, 207; BGH NJW 1975, 985, 986; Lackner 20. Aufl., § 129 Rn. 3). Hierbei ist primär nicht auf die gesellschaftliche Bedeutung der Gruppierung als solche abzustellen, sondern auf die Gefahr, die von den nicht völlig ungewichtigen Straftaten ausgeht. Entscheidend ist nicht die abstrakte Strafandrohung allein, sondern eine Gesamtwürdigung der begangenen und/oder geplanten Straftaten unter Einbeziehung aller Umstände, die für das Maß der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit von Bedeutung sein können, namentlich der Tatauswirkungen (vgl. zum Ganzen BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg/Kulhanek, § 129 Rn. 44 m. w. N.). Zur Tatbestandserfüllung bedarf es keines allgemeinen Klimas der Angst, vermittelt durch die Vereinigung oder ihre Straftaten (a.A. Kuhli/Papenfuß KriPoZ 2023, 71 (75)). Es geht nicht darum, ob sich der Einzelne oder eine Vielzahl konkret bedroht fühlen oder gar in Angst leben, sondern entscheidend ist, dass der gesellschaftliche Diskurs durch illegitime Mittel verletzt wird, indem eine Gruppierung versucht, sich – gegebenenfalls moralisch überhöhend – über die rechtsstaatliche Ordnung und die konsentierten Formen der demokratischen Abläufe zu stellen. Straftaten sind kein Mittel der freiheitlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen Diskussion. Sie sind Ausdruck krimineller Energie und als solche juristisch nüchtern zu bewerten (Schwarz NJW 2023, 275 Rn. 24). Moralische Argumente können jenseits der Gesetze eine Strafbarkeit weder begründen noch negieren (BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg/Kulhanek, § 129 Rn. 44; vgl. auch Fischer LTO 22.05.2023).
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(2) Dies zugrunde gelegt, liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor, zumal nach den zum Zeitpunkt der bei Erlass des Beschlusses vorliegenden Ermittlungsergebnisse neben einer Vielzahl von Straßenblockaden, die im Einzelfall ggf. einer näheren Betrachtung auch unter dem Blickwinkel von Art. 8 GG bedürfen, Mitglieder der „L.G. “ wiederholt unter Zerstörung von Schutzeinrichtungen widerrechtlich auf besonders gegen unberechtigten Zutritt gesicherte Gelände vorgedrungen sein sollen und dort durch Protestaktionen sensible Bereiche der Infrastruktur erheblich beeinträchtigt haben sollen (Störung und Blockaden des Betriebs verschiedener Flughäfen und konzertierte Aktionen, um den Durchfluss verschiedener Ölpipelines zu unterbrechen).
41
Die Ausführungen des Beschwerdeführers zum Fehlen der Voraussetzungen einer kriminellen Vereinigung führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Die erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit wurde von der Beschwerdekammer gerade nicht mit moralischen Erwägungen begründet (s.o.). Eine Rechtfertigung der Straftaten durch „zivilen Ungehorsam“, auf den sich der Beschwerdeführer bezieht (Schriftsatz vom 26.01.2024, S. 9), erscheint ebenso wenig naheliegend wie eine Rechtfertigung nach § 34 StGB (BayObLG, Beschluss 21.03.2023 – 205 StRR 63/23). Hinsichtlich der Straßenblockaden ist, wie bereits ausgeführt, im Einzelfall ggf. eine nähere Betrachtung auch unter dem Blickwinkel von Art. 8 GG notwendig. Ein (qualifizierter) Anfangsverdacht besteht jedenfalls insoweit (vgl. hierzu auch Kulhanek in BeckOK, StGB, 61. Edition 2024, § 129 Rn. 39.3, 50.1). Zudem sollen auch weitere Straftatbestände verwirklicht worden sein. Die Ausführungen des Beschwerdeführers hinsichtlich der weiteren Straftaten und auch generell betreffen weitgehend Wertungsfragen, wobei der Beschwerdeführer eine andere Meinung vertritt, insbesondere hinsichtlich der Gewichtung der verschiedenen Straftaten und der daraus folgenden Fragen der Erheblichkeit, damit jedoch nicht überzeugen kann.
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Auch die Ausführungen des Beschwerdeführers zum Vorliegen eines Tatbestandsausschlusses gemäß § 129 Abs. 3 Nr. 2 StGB überzeugen nicht. Die Begehung von Straftaten ist nach den vorliegenden Anhaltspunkten nicht nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dies dann nicht der Fall, wenn die Begehung von Straftaten zwar nur einen von mehreren Zwecken oder eine von mehreren Tätigkeiten darstellt, dieser Zweck oder diese Tätigkeit aber wenigstens in dem Sinne wesentlich und damit gleichgeordnet mit den anderen ist, dass durch das strafrechtswidrige Verhalten das Erscheinungsbild der Vereinigung aus der Sicht informierter Dritter mitgeprägt wird (BGH, Beschluss vom 10.08.2023 – 3 StR 36/23 m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Dass die „L.G. “ daneben auch legale Protestformen einsetzen mag, ist unschädlich.
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b) Die Tat wiegt auch im Einzelfall schwer, § 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO.
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Die zugrunde liegende Anlasstat muss nicht nur abstrakt, sondern auch im Einzelfall schwer wiegen. Auf diese Weise sollen jene Sachverhalte ausgeschieden werden, welche zwar dem Anlasstatenkatalog grundsätzlich unterfallen, jedoch mangels hinreichender Schwere im konkreten Einzelfall den mit einer Telekommunikationsüberwachung verbundenen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis nicht zu rechtfertigen vermögen (BeckOK StPO/Graf, StPO, § 100a Rn. 109). Indizien für eine im Einzelfall schwer wiegende Straftat können nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts u.a. die Schutzwürdigkeit der verletzten Rechtsgüter, der Grad der Bedrohung der Allgemeinheit, die Art der Begehung der Straftat, die Anzahl der Geschädigten oder das Ausmaß des Schadens sein (MüKoStPO/Rückert, StPO, § 100a Rn. 150)
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In Anwendung dieser Grundsätze ist der vorliegende Tatvorwurf als schwer im Sinne des § 100a Abs. 1 Nr. 2 StPO einzustufen.
46
Die Anzahl der Taten, die der „L.G. “ zuzuordnen sind, und damit auch die Anzahl der Geschädigten ist erheblich. Durch die der „L.G. “ zuordenbaren Handlungen werden eine Vielzahl an Rechtsgütern tangiert: Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung (§ 240 StGB), Eigentum (§ 303 StGB), Schutz von Betrieben, Einrichtungen und Anlagen, die dem Allgemeinwohl dienen (§ 316b StGB) sowie das Hausrecht (§ 123 StGB). Diese Rechtsgüter werden mittelbar auch durch § 129 StGB geschützt, der in erster Linie dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und des inneren Friedens als Teil derselben dient (BeckOK StGB/Kulhanek, StGB, 61. E., § 129 Rn. 11). Die zum Zeitpunkt des Beschlusserlasses der Aktenlage nach der „L.G. “ zuordenbaren Rechtsgutverletzungen betreffen somit sowohl Kollektiv- als auch Individualrechtsgüter. Die Anzahl der durch die Aktionen der „L.G. “ betroffenen Personen und verursachten Rechtsgutverletzungen und das Ausmaß der Störung des öffentlichen Friedens rechtfertigen die Annahme eines im Einzelfall schwer wiegenden Falls der Bildung krimineller Vereinigungen.
47
c) Die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wäre wesentlich erschwert oder aussichtslos gewesen, § 100a Abs. 1 Nr. 3 StPO.
48
Sowohl hinsichtlich der erstmaligen Anordnung der Telekommunikationsüberwachung als auch bezüglich deren Verlängerung ist Voraussetzung, dass die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos gewesen wäre.
49
Aussichtslosigkeit ist gegeben, wenn andere Ermittlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen oder keine Erfolgsaussicht haben. Eine wesentliche Erschwerung liegt vor, wenn andere Ermittlungsmaßnahmen zeitlich erheblich aufwendiger sind oder schlechtere bzw. nicht für eine schnelle Ermittlung erforderliche und ausreichende Erkenntnisse erwarten lassen (vgl. MeyerGoßner / Schmitt, StPO, § 100a Rn. 13). Vom Gesetz wird zudem vorausgesetzt, dass die TKÜ im konkreten Fall zur Beweisführung geeignet ist. Dies ist nicht der Fall, wenn auszuschließen ist, dass der Betroffene Telefongespräche führt, die Bezug zu der Straftat haben (KKStPO/Henrichs/Weingast, StPO, § 100a Rn. 31).
50
Vorliegend war die Telekommunikationsüberwachung zur Beweisführung geeignet. Die Erforschung des Sachverhalts wäre auf andere Weise auch wesentlich erschwert gewesen.
51
Erforscht werden sollte durch die Telekommunikationsüberwachung insbesondere das strukturelle Zusammenwirken innerhalb der Vereinigung. Im anordnenden Beschluss vom 03.11.2023 wird in diesem Zusammenhang dargestellt, dass sich die „L.G. “ „sehr konspirativ [verhalte]“ und die Strukturen erhellt werden sollen (Bl. 309). In der zugehörigen Beschlussanregung des BLKA vom 04.10.2022 wird ausgeführt, es sei „zu erwarten, dass durch eine Überwachung der o.g. Anschlüsse weitere Erkenntnisse über die Strukturen der Vereinigung „L.G.“, sowie deren Reisebewegungen erlangt werden können“ (Bl. 183). Dahingehende Erkenntnisse sind maßgeblich für die Beurteilung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 129 StGB. Es ist auch nachvollziehbar, dass insofern weiterer Ermittlungsbedarf gesehen wurde. Für die Beweisführung erscheint es zweckdienlich und sogar unabdingbar, die Beweislage nicht nur auf die eigene Außendarstellung einer Gruppierung zu gründen, sondern das sich dadurch ergebende Bild möglichst durch weitere objektive Beweismittel zu vervollständigen. Es war nach der Lebenserfahrung auch nicht fernliegend anzunehmen, dass die Kommunikation innerhalb der „L.G. “ und auch nach außen zu einem nicht unerheblichen Teil mittels Telekommunikation im Sinne des § 100a StPO erfolgen würde. Dabei war nicht davon auszugehen, dass die Überwachung des Anschlusses mit der Rufnummer ... nicht geeignet sein würde, weitere beweisrelevante Erkenntnisse zu gewinnen. Dies ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die gegenständliche Rufnummer auf der Homepage der „L.G. “ unter der Bezeichnung als „Pressekontakt“ und dem Namen „C. H.“ angegeben war, zumal dies eine anderweitige Nutzung der Nummer als zum Kontakt mit Journalisten nicht ausschließt. Tatsächlich ergab die TKÜ laut dem Sachstandsbericht Telekommunikationsüberwachung des BLKA vom 09.01.2023 (Bl. 373) eine Nutzung des Anschlusses durch Mitglieder eines Presseteams und Anrufe durch Aktionsteilnehmer sowie Erkenntnisse beispielsweise dazu, wie das Presseteam intern von Aktionsteilnehmern über einzelne Aktionen informiert wird (z.B.: „Wir gehen los, sind in ca. 5 Minuten da. Da ist auch Polizei vor Ort, dass ihr schon vorgewarnt seid“, „…Ich wollt Bescheid sagen, dass wir dann so in 5 Minuten loslegen“), somit zur Struktur und zur Art und Weise des Informationsaustauschs innerhalb der Gruppierung.
52
d) Betroffene der Maßnahme (§ 100a Abs. 3 StPO) war die Beschuldigte H. Diese war (und ist nach wie vor) auf der Homepage der „L.G. “ namentlich und unter Nennung der Nummer des überwachten Anschlusses unter der Bezeichnung „Pressekontakt“ angegeben. Bei der Anordnung der TKÜ konnte deshalb davon ausgegangen werden, dass es sich um einen von der Beschuldigten verwendeten Anschluss handelte. Dies ist für den Verlängerungsbeschluss vom 30.01.2023 auch nicht deshalb anders zu beurteilen, weil laut Sachstandsbericht Telekommunikationsüberwachung des BLKA vom 09.01.2023 die Beschuldigte selbst im bis dahin überwachten Zeitraum nicht über den Anschluss telefoniert hat, sondern andere Mitglieder des Presseteams. Die Beschuldigte war nach wie vor ebenfalls in der Pressearbeit der „L.G. “ aktiv, (laut dem Sachstandsbericht Telekommunikationsüberwachung des BLKA vom 09.01.2023 wird sie maßgeblich in die Entscheidungsfindung bezüglich Pressearbeit einbezogen und gibt auch selbst die Vorgehensweise vor und fungiert als Bindeglied zwischen der Presse AG und der „KTE“) und wurde im öffentlichen Internetauftritt nach wie vor zusammen mit der überwachten Nummer als Pressekontakt benannt. Es lag somit nahe, dass Anrufende auf diesem Wege das Gespräch mit der Beschuldigten suchten. Eine Nutzung des Anschlusses durch die Beschuldigte war somit ebenfalls nicht fernliegend. Aus dem Vermerk des BLKA vom 02.11.2022, Ziff. 2.3 (Bl. 295), ergibt sich zudem, dass der Beschuldigte B. einem ihn anrufenden Medienvertreter, der die Pressestelle nicht erreicht habe, die Handynummer der Beschuldigten mitteilte mit der Information, dass es sich um die „zweite“ Handynummer der Beschuldigten handele, was impliziert, dass sie auch eine „erste“ Nummer hat, womit aufgrund des Zusammenhangs offenbar die überwachte Rufnummer … gemeint war. Verwertbar ist dabei auch der Inhalt von Gesprächen, den unbeteiligte Personen über den Anschluss des Betroffenen führen (BGHSt 29, 23).
53
e) Die Anordnung der Telekommunikationsüberwachung und deren Verlängerung waren verhältnismäßig auch unter Berücksichtigung dessen, dass damit zu rechnen war, dass Gespräche mit Journalisten betroffen sein würden.
54
Gem. § 160a Abs. 2 S. 1 Hs. 1 StPO ist es im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit besonders zu berücksichtigen, soweit durch eine Ermittlungsmaßnahme eine in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder Nr. 5 StPO genannte Person betroffen wäre und dadurch voraussichtlich Erkenntnisse erlangt würden, über die diese Person das Zeugnis verweigern dürfte. Die Vorschrift des § 160a Abs. 2 StPO stellt nicht darauf ab, ob diesbezügliche Erkenntnisse den Strafverfolgungsbehörden durch Maßnahmen zugänglich werden, die gegen den Berufsgeheimnisträger gerichtet sind, oder ob es um Zufallserkenntnisse aus drittgerichteten Ermittlungen geht. Es kommt allein darauf an, ob die Prognose („voraussichtlich“) ergibt, dass die Maßnahme dem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO unterliegende Erkenntnisse erbringen würde (Meyer-Goßner / Schmitt, StPO, 67. A., § 160a Rn. 8). Dies ist hier der Fall.
55
Aus Ausdrucken von der Homepage der „L.G. “ ergibt sich, dass die Rufnummer … auf der Homepage der „L.G. “ im Zusammenhang mit dem angegebenen Pressekontakt aufgeführt worden ist. Aufgrund der umfangreichen medialen Berichterstattung im Zusammenhang mit der „L.G. “ zum Zeitpunkt des Beschlusserlasses am 03.11.2022 war aus einer ex-ante-Sicht mit telefonischen Anfragen von Medienvertretern und daraus resultierend mit deren Betroffenheit zu rechnen.
56
Aus dem Sachstandsbericht Telekommunikationsüberwachung des Bayerischen Landeskriminalamts vom 09.01.2023 (Bl. 373/389) geht hervor, „dass der Anschluss [...], wie auf der Homepage der L.G. angegeben, als Pressetelefon genutzt“ werde. Aufgrund dieser Erkenntnisse war auch bei einer Fortsetzung der Telekommunikationsüberwachung mit einer Betroffenheit von Medienvertretern zu rechnen.
57
Auch unter besonderer Berücksichtigung der Betroffenheit von Medienvertretern erweist sich die Maßnahme jedoch als verhältnismäßig, da das Strafverfolgungsinteresse überwiegt.
58
Das Verfahren betrifft eine Straftat von erheblicher Bedeutung, so dass § 160a Abs. 2 S. 1, 2. HS StPO nicht einschlägig ist. Wie bereits ausgeführt (Ziff. 1 b) liegt den Anordnungen eine auch im Einzelfall schwerwiegende Straftat zugrunde.
59
Bei der Gewichtung der Medienfreiheit im Verhältnis zu dem Gebot funktionstüchtiger Strafrechtspflege gebührt keinem der verfolgten Interessen abstrakt ein eindeutiger Vorrang (BVerfG, Beschluss vom 12. 10. 2011 − 2 BvR 236/08).
60
Abzuwägen ist das Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Strafrechtspflege gegen das öffentliche Interesse an den von dem Berufsgeheimnisträger wahrgenommenen Aufgaben und das individuelle Interesse an der Geheimhaltung der ihm anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen (BGH, Beschluss vom 04.02.2016 – StB 24/14).
61
Die Freiheit der Medien ist konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Eine freie Presse und ein freier Rundfunk sind daher von besonderer Bedeutung für den freiheitlichen Staat. Dementsprechend gewährleistet Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG den im Bereich von Presse und Rundfunk tätigen Personen und Organisationen subjektive Freiheitsrechte und schützt darüber hinaus in seiner objektivrechtlichen Bedeutung auch die institutionelle Eigenständigkeit der Presse und des Rundfunks – von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen. Die Gewährleistungsbereiche der Presse- und der Rundfunkfreiheit schließen diejenigen Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten mit ein, ohne welche die Medien ihre Funktion nicht in angemessener Weise erfüllen können. Geschützt sind namentlich die Geheimhaltung der Informationsquellen und das Vertrauensverhältnis zwischen Presse beziehungsweise Rundfunk und den Informanten. Geschützt ist auch der Kontakt zu Personen, die selbst Gegenstand der Berichterstattung sind. Der Ausstrahlungswirkung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist bei der Prüfung der Voraussetzungen der jeweiligen Anordnung Rechnung zu tragen (BVerfG, Urteil vom 12.03.2003 – 1 BvR 330/96). Im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung ist zudem der damit einhergehende Eingriff in das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) zu berücksichtigen.
62
Vorliegend war deshalb besonders in den Blick zu nehmen, dass der überwachte Anschluss als Pressekontakt angegeben war und tatsächlich auf dem überwachten Anschluss laut dem Sachstandsbericht Telekommunikationsüberwachung des BLKA vom 09.01.2023 fast ausschließlich Anfragen von Medienvertretern, Studenten und Schülern eingingen, die um eine Presseauskunft oder ein Interview gebeten haben. Auch aufgrund der Dauer der Überwachung handelt es sich um einen tiefgreifenden Eingriff.
63
Durch die Telekommunikationsüberwachung habe sich – laut dem Bericht vom 09.01.2023 – jedoch auch gezeigt, dass die tatsächlichen Anschlussnutzer für den örtlichen Raum B. Pressevertreter über Aktionen in Kenntnis setzen und auch durch Aktivisten über Aktionen informiert werden würden (vgl. hierzu auch die Ausführungen unter Ziff. II.1c). Das Verhalten der tatsächlichen Anschlussnutzer zeige laut dem Bericht vom 09.01.2022, dass diese bereits vorab von anderen Personen in Kenntnis gesetzt werden würden und beweise somit den Organisationgrad der „L.G. “. Über den überwachten Anschluss wurden somit auch andere interne Gespräche geführt, die relevante Erkenntnisse über die Struktur der Gruppierung erbrachten, wie bereits dargestellt.
64
Einem etwaigen von der Maßnahme ausgehenden Abschreckungs- oder Einschüchterungseffekt, auf den sich der Beschwerdeführer beruft, steht gegenüber, dass die strafrechtliche Relevanz der Betätigung der „L.G. “ oder einzelner Aktionen auch bereits zum Zeitpunkt der Telekommunikationsüberwachung allgemein nicht verborgen geblieben, wenn auch in einzelnen Fragen strittig war. Insofern handelte es sich vorliegend nicht um eine Kommunikation mit gänzlich „unverdächtigen“ Informanten.
65
Zu berücksichtigen in der Abwägung war auch, dass die Maßnahme der Telekommunikationsüberwachung nicht direkt gegen Medienvertreter gerichtet war, andererseits – da der überwachte Anschluss als Pressekontakt öffentlich angegeben war – die Betroffenheit im Ergebnis dennoch intensiv war.
66
Da die Darstellung der Aktionen und Forderungen der „L.G. “ in der Öffentlichkeit einen wesentlichen Baustein in deren Strategie darstellt, konnte dieser Aspekt bei den Ermittlungen auch nicht ausgespart werden. Insofern erscheint es, wie bereits ausgeführt, für die Zwecke der Wahrheitsermittlung im Strafprozess nach den Vorgaben der Strafprozessordnung auch angezeigt, die Beweisführung nicht von vorn herein allein auf Berichterstattung in den Medien und die Selbstdarstellung der Gruppe beispielsweise in Interviews zu stützen, ohne zumindest zu versuchen, die dahinterstehenden Strukturen und Arbeitsweisen innerhalb der „L.G. “ zu erforschen.
67
Abgesehen von der Betroffenheit anrufender Journalisten war im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung der Maßnahme ferner zu berücksichtigen, dass der Anschluss auch sonst von mehreren Personen benutzt bzw. kontaktiert wurde. Dabei handelte es sich laut dem Bericht des BLKA vom 09.01.2023 auf Seiten der Anschlussinhaberschaft um Mitglieder des Presseteams der „L.G. “ und ansonsten häufig beispielsweise um Aktionsteilnehmer, also Personen, hinsichtlich derer ein Verdacht der Beteiligung an einer Straftat nach § 129 StGB nicht ganz fernliegt. Die ausgetauschten Informationen bezogen sich dabei im Wesentlichen auf die Tätigkeit der „L.G. “. Der Kernbereich privater Lebensführung wird nicht ersichtlich tangiert.
68
Bei der aufzuklärenden Straftat, hinsichtlich derer ein konkreter Tatverdacht besteht, handelt es sich um eine auch im Einzelfall schwerwiegende Tat, wobei tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegen, wie bereits ausgeführt.
69
Die zu erwartenden Erkenntnisse waren geeignet, den bestehenden Verdacht wesentlich zu erhärten. Sie sind daher für den Nachweis der Straftat, deren Ermittlung und Verfolgung die Maßnahme dienen soll, von erheblicher Bedeutung. Die Bezeichnung als Pressekontakt schließt eine anderweitige Nutzung nicht von vornherein aus. Wie ebenfalls bereits ausgeführt (Ziff. 1c), ergaben sich nach dem Sachstandsbericht Telekommunikationsüberwachung des BLKA vom 09.01.2023 insbesondere Erkenntnisse zur Struktur und zur Art und Weise des Informationsaustauschs innerhalb der Gruppierung aus der Überwachung des gegenständlichen Anschlusses, weshalb auch nicht auf die Überwachung gerade dieses Anschlusses zu verzichten war.
70
Hinsichtlich Umfang und Dauer der Maßnahme war im Rahmen der Abwägung insbesondere zu berücksichtigen, dass die heimliche Maßnahme zunächst für drei Monate angeordnet wurde und nochmals um drei Monate verlängert wurde, also durchaus über einen längeren Zeitraum andauerte. Die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation über den betreffenden Anschluss wurde sonst nicht begrenzt. Insgesamt wurden, wie generell bei der Telekommunikationsüberwachung, erhebliche Mengen an Daten erhoben. Insgesamt handelt es sich um einen tiefgreifenden Eingriff.
71
Dies erscheint jedoch verhältnismäßig vor dem Hintergrund, dass sich an den zahlreichen Aktionen der „L.G. “ über einen längeren Zeitraum viele Personen in unterschiedlicher Weise beteiligen und die Organisationsstruktur verzweigt erscheint. § 129 StGB differenziert dabei zwischen verschiedenen Tathandlungen (Gründen einer Vereinigung, Beteiligung als Mitglied, Unterstützung, Werben um Mitglieder, Rädelsführer oder Hintermann) und knüpft daran unterschiedliche Strafdrohungen, so dass zu diesen Tatbestandsvoraussetzungen genauere Feststellungen in Bezug auf individualisierte Tatverdächtige und somit auch entsprechende Ermittlungen erforderlich sind. Ein milderes Mittel ist hierzu nicht ersichtlich.
72
In der Gesamtschau erweist sich die Maßnahme somit als verhältnismäßig.
73
3. Die Anordnung erfolgte formal ordnungsgemäß mit Ausnahme einzelner Defizite in der Begründung. Diese konnten jedoch geheilt werden und führen nicht zur Rechtswidrigkeit der Anordnung.
74
Die Anordnung der Telekommunikationsüberwachung erfolgte gemäß § 100e Abs. 1, Abs. 3 StPO durch schriftlich niedergelegten richterlichen Beschluss. Sowohl die erstmalige Anordnung als auch die Verlängerung waren im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben befristet. Die Entscheidungsformel enthielt die gemäß § 100e Abs. 3 S. 2 StPO erforderlichen Angaben.
75
Den Anforderungen des § 100e Abs. 4 StPO genügen die Beschlüsse vom 03.11.2022 und 30.01.2023 nicht vollumfänglich. Gemäß § 100e Abs. 4 StPO sind in der Begründung der Anordnung oder Verlängerung von Maßnahmen nach § 100a StPO deren Voraussetzungen und die wesentlichen Abwägungsgesichtspunkte darzulegen. Insbesondere sind einzelfallbezogen anzugeben die bestimmten Tatsachen, die den Verdacht begründen, und die wesentlichen Erwägungen zur Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Insofern fehlt insbesondere eine Darstellung der wesentlichen Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme unter Berücksichtigung einer möglichen Betroffenheit von Medienvertretern, § 160a Abs. 2 StPO. Diese konnte jedoch nachgeholt werden.
76
Insofern wurde insbesondere für Durchsuchungsanordnungen obergerichtlich entschieden, dass eine unzureichende Begründung unter bestimmten Voraussetzungen nicht zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führt, sondern nachgeholt werden kann. Erforderlich ist, dass die Umgrenzungsfunktion gewahrt ist und erkennbar ist, dass der Ermittlungsrichter die Voraussetzungen für den Erlass der Maßnahme eigenständig geprüft hat (BGH, Beschluss vom 18.12.2008 – StB 26/08 m.w.N.). Nachholbar sind dabei auch Ausführungen zur Angemessenheit des Eingriffs (BVerfG, Beschluss vom 20.04.2004 – 2 BvR 2043/03; Beschluss vom 01.08.2013 – 2 BvR 200/14).
77
Die Entscheidungen betreffen zwar Durchsuchungsanordnungen. Für die Anordnung nach § 100a StPO kann jedoch nichts anderes gelten. Zwar ergibt sich für die Durchsuchungsanordnung das Begründungserfordernis einfachgesetzlich aus § 34 StPO, während es sich für die Telekommunikationsüberwachung aus § 100e Abs. 4 StPO ergibt. In den Gesetzesmaterialien zum Gesetz vom 17.08.2017 (vgl. BT-Drs. 18/12785. S. 58) wird insoweit auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz (BVerfG, Beschluss vom 20.04.2016 – 1 BvR 966/09) Bezug genommen. Das Erfordernis einer Begründung wird dort vom Gebot vorbeugender unabhängiger Kontrolle abgeleitet (Rn. 235, 117ff). Dies hindert jedoch nicht grundsätzlich die Heilungsmöglichkeit im Beschwerdeverfahren.
78
Das Beschwerdegericht prüft die angefochtene Entscheidung – außer in Fällen des § 305a StPO – in vollem Umfang und trifft eine eigene Sachentscheidung (§§ 308 Abs. 2, 309 Abs. 2 StPO). Soweit der Erstrichter eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte, tritt an ihre Stelle die Ermessensentscheidung des Beschwerdegerichts (KK-StPO/Zabeck StPO § 309 Rn. 6). Das Beschwerdegericht kann seine Entscheidung dabei im Ergebnis auch auf andere Gründe stützen (BeckOK StPO/Cirener StPO § 309 Rn. 7).
79
Bei der Überprüfung einer durch Vollzug erledigten Maßnahme sind Prüfungsgegenstand und Heilungsmöglichkeit des Beschwerdegerichts zwar beschränkt (BVerfG, Beschluss vom 20.04.2004 – 2 BvR 2043/03). Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann die bereits durch Vollzug erledigte Maßnahme nicht mehr beeinflussen. Eine Nachbesserung hinsichtlich der Umgrenzungsfunktion ist nicht mehr möglich. Außerhalb der für den Vollzug einer Durchsuchungsgestattung verfassungsrechtlich unabdingbaren Umgrenzung von Tatvorwurf und Beweismitteln können Defizite in der Begründung des zu Grunde liegenden Tatverdachts und der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme im Beschwerdeverfahren grundsätzlich nachgebessert werden (BVerfG, a.a.O.).
80
Vorliegend ist die Umgrenzungsfunktion auch ohne weitergehende Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit gewahrt. Auch ist davon auszugehen, dass der Ermittlungsrichter die Voraussetzungen für den Erlass der Anordnung einschließlich der Verhältnismäßigkeit eigenständig geprüft hat. Dies ergibt sich daraus, dass die Beschlüsse vom 03.11.2022 und 30.01.2023 – wenn auch sehr knappe – Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit enthalten. Dabei wurde auf die „genannten Gründe“ Bezug genommen, wobei zuvor der Tatvorwurf ausführlich dargestellt worden war. Es wurde unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 100e Abs. 4 S. 2 Nr. 2 StPO ausgeführt, dass die Datenerhebung im angeordneten Umfang hinsichtlich der Datenarten und der Zeitdauer in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehe. Dem Ermittlungsrichter wurde ausweislich der Zuleitungsverfügungen die zu diesem Zeitpunkt noch nicht sonderlich umfangreiche Akte als Aktenscan zur Verfügung gestellt, aus der sich die mögliche Betroffenheit von Journalisten ergab. Durch seine Unterschrift bezeugt der Ermittlungsrichter, dass er den von der Unterschrift gedeckten Text geprüft und in seinen Willen aufgenommen hat und damit als Richter verantwortet. Die gegenteilige Annahme kann nur bei Vorliegen hinreichender und konkreter Anhaltspunkte dafür begründet sein, dass eine eigenständige richterliche Prüfung nicht stattgefunden hat (BVerfG, Beschluss vom 01.08.2013 – 2 BvR 200/14). Solche sind hier nicht ersichtlich. Allein daraus, dass die Norm § 160a Abs. 2 StPO oder die mögliche Betroffenheit von Journalisten nicht ausdrücklich erwähnt wurde, kann nicht geschlossen werden, dass eine dies berücksichtigende Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stattgefunden hat. Insofern ist auch in den Blick zu nehmen, dass die Maßnahme nicht direkt gegen einen Berufsgeheimnisträger gerichtet war, was noch verstärkt Anlass dazu gegeben hätte, dies in den Gründen zu erörtern.
81
Dass es sich bei der Telekommunikationsüberwachung im Gegensatz zur Durchsuchung um eine heimliche Maßnahme handelt, führt nicht dazu, dass die Möglichkeit der Heilung nicht bestünde. In beiden Fällen ist den Betroffenen in der Regel nur nachträglicher Rechtsschutz möglich. Die an Fristen gebundene Benachrichtigungspflicht dient dazu, die Möglichkeit dazu zu gewährleisten.
82
Die Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit konnten deshalb nachgeholt werden. Dies geschah bereits im Beschluss des Amtsgerichts München vom 14.11.2023 (Bl. 3186ff). Zudem wird auf die oben unter Ziff. II. 1e) erfolgten Ausführungen Bezug genommen.
83
4. Die Art und Weise des Vollzugs erfolgte rechtmäßig.
84
Der Begriff des Vollzugs im Sinne des § 101 Abs. 7 StPO umfasst die Durchführung der Ermittlungsmaßnahme in ihrer Gesamtheit bis zum vollständigen Abschluss, so dass die Durchführung der Telekommunikationsüberwachung mittels automatisierter Ausleitung und Aufzeichnung der Gesprächsdaten sowie die Einhaltung eines etwaigen Löschungsgebots zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden kann (BGH (Ermittlungsrichter), Beschluss vom 16.05.2013 – 2 BGs 147/13). Auch die Frage der Rechtmäßigkeit der Benachrichtigung gehört zum Prüfungsgegenstand im Rahmen des § 101 Abs. 7 S. 2 StPO (OLG Celle, Beschluss vom 24.02.2012 – 2 Ws 43/12).
85
a) Dagegen, dass die Gespräche aufgezeichnet wurden, ist nichts einzuwenden. Eine Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, eine Telekommunikationsüberwachung durch Mithören in Echtzeit umzusetzen, bestand vorliegend nicht (BGH (Ermittlungsrichter, a.a.O.) und ist generell bereits aus technischen Gründen allenfalls in Ausnahmefällen möglich und angezeigt (vgl. Rückert in Münchener Kommentar zur StPO, 2. A., 2023, § 100a Rn. 171f). Der Schutz der Kommunikation mit Berufsgeheimnisträgern erfolgt vielmehr in der Auswertungsphase.
86
b) Eine Verpflichtung zur sofortigen Löschung von Aufzeichnungen, die Berufsgeheimnisträger im Sinne des § 160a Abs. 2 StPO betrafen, ergibt sich aus § 160a Abs. 2 StPO nicht. Zum einen war die Maßnahme verhältnismäßig. Zum anderen ist eine Löschungspflicht in § 160a Abs. 2 StPO – im Gegensatz zu Abs. 1 – nicht normiert (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 67. A., 2024, § 160a Rn. 10; Erb in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. A., § 160a, Rn. 39; Weingarten in Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. A. 2023, § 160a, Rn. 16; offen gelassen von BGH, Beschluss vom 04.02.2016 – StB 24/14, für den Fall, dass ein Beweisverwertungsverbot bestehen sollte).
87
Auf eine Betroffenheit des Kernbereichs privater Lebensführung weist für das Gespräch des Beschwerdeführers nichts hin.
88
c) Eine Kennzeichnung von personenbezogenen Daten gemäß § 101 Abs. 3 StPO, die beispielsweise durch Ablage in einem Sonderband stattfinden kann, erfolgt ausweislich der Erwähnung eines – noch fertigzustellenden – TKÜ-Sonderbandes in der Akte.
89
d) Darüber hinaus üben die Generalstaatsanwaltschaft und die ermittelnden Polizeibeamten laut dem Vermerk der Generalstaatsanwaltschaft vom 28.06.2023 und der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 24.10.2023 (Bl. 2943ff.) einen angemessenen Umgang mit den erhobenen Daten, indem die Gespräche mit Pressevertretern gekennzeichnet und gesondert abgelegt werden („Containerlösung“), der Inhalt allenfalls im Einzelfall verschriftet wird und Anrufinhaberfeststellungen ebenfalls nur noch im Einzelfall erfolgen. Daraus, dass sich zu diesem Vorgehen kein früher datierter Vermerk in der Hauptakte findet, kann nicht auf die Rechtswidrigkeit der Art und Weise des Vollzugs geschlossen werden.
90
e) Für Anordnungen des Ermittlungsrichters zur Art und Weise des Vollzugs ist vorliegend kein Anwendungsbereich ersichtlich. So erschiene es – auch mit Blick auf die Hauptverhandlung – unbehelflich, wenn der Ermittlungsrichter etwa abstrakt im Voraus Vorgaben zur Verschriftung der TKÜ-Aufzeichnung machen würde. Im Übrigen sind gesetzliche Vorgaben, beispielsweise datenschutzrechtlicher Art, auch ohne explizite Anweisung durch den Ermittlungsrichter zu beachten.
91
f) Eine (weitere) Benachrichtigung des Beschwerdeführers von der erfolgten Telekommunikationsüberwachung war vorliegend entbehrlich, nachdem dieser bereits am 24.06.2023, somit vor Ablauf der Benachrichtigungsfrist, Kenntnis von der Maßnahme erlangt hatte, der ihn vertretenden Rechtsanwältin B. erstmals mit Verfügung vom 24.07.2023 (Bl. 1994) Teilakteneinsicht gewährt wurde und im folgenden weitere Auskünfte aus den Akten erteilt wurden.
92
5. Hinsichtlich der in den beanstandeten Beschlüssen ebenfalls angeordneten Maßnahmen nach § 100g StPO wurden keine spezifischen Einwendungen vorgebracht, so dass weitere Ausführungen über die bereits zur Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO erfolgten und hier entsprechend geltenden Ausführungen hinaus entbehrlich erscheinen.
93
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.