Inhalt

VGH München, Beschluss v. 29.11.2024 – 6 ZB 24.31005
Titel:

Keine grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit der Frage des subsidiären Schutzes aufgrund der Lage in Nigeria

Normenketten:
AsylG § 4 Abs. 1 Nr. 3, § 78 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge erfordert die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, ob "angesichts der derzeitigen prekären Sicherheitslage in Nigeria ein ernsthafter Schaden im Sinne einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) droht oder jedenfalls angesichts dessen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen ist". (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Hinblick auf die Größe und Einwohnerzahl Nigerias (mit über 200 Millionen Einwohnern) besteht kein Anlass für die Annahme, dass die für die Bejahung eines  Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 S. 1 AufenthG notwendige Gefahrendichte erreicht sein könnte. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Grundsatzrüge, grundsätzlich klärungsbedürftig, ernsthafter Schaden, innerstaatliche bewaffneter Konflikt, Nigeria, Gefahrendichte, innerstaatlicher bewaffneter Konflikt
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 11.10.2024 – M 26b K 23.31170
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34713

Tenor

I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 11. Oktober 2024 – M 26b K 23.31170 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, bleibt ohne Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG entsprechend dargelegt.
2
Die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) verlangt, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist, ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht. Eine auf tatsächliche Verhältnisse gestützte Grundsatzrüge erfordert überdies die Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind (BayVGH, B.v. 12.6.2018 – 6 ZB 18.31347 – Rn. 4; B.v. 10.1.2018 – 6 ZB 18.30037 – Rn. 5).
3
Diesen Anforderungen genügt die Zulassungsschrift nicht. Sie wirft als grundsätzlich bedeutsam die (Tatsachen-)Fragen auf, ob „angesichts der derzeitigen prekären Sicherheitslage in N. ein ernsthafter Schaden im Sinne einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG) droht oder jedenfalls angesichts dessen ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen ist“. Es liege in ganz Nigeria ein innerstaatlicher Konflikt vor.
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1. Das Zulassungsvorbringen übersieht zunächst, dass die Frage, inwieweit die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG vorliegen, nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung und damit nicht entscheidungserheblich war. Die im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts vom 23. Mai 2023 enthaltene Ablehnung des erneuten Asylfolgeantrags des Klägers als unzulässig hat der Kläger nicht angegriffen. Mit seiner Klage begehrte der Kläger vielmehr ausschließlich die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG. Das Verwaltungsgericht hatte daher keinen Anlass, sich mit der Frage zu befassen, ob dem Kläger angesichts der im Zulassungsverfahren geschilderten Zustände in N. („rechtswidrige Tötungen, exzessive Gewaltanwendung, willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, Folter und andere Misshandlungen, Verschwindenlassen“) etwa eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit im Sinn von § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG droht. Die Frage ist daher schon nicht klärungsbedürftig.
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2. Auch hinsichtlich der weiteren als grundsätzlich bedeutsam gestellten Frage, ob angesichts der geschilderten Umstände in N. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festzustellen seien, wird ein Klärungsbedarf nicht schlüssig dargetan. Die Frage ist schon deshalb nicht geeignet, eine generelle („grundsätzliche“) Klärung im Sinn von § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG herbeizuführen oder zu befördern, weil sie in der Regel nur nach den persönlichen Kriterien und Lebensumständen der betroffenen Person und damit einzelfallbezogen beantwortet werden kann. Sollte sie auf eine allgemeine Gefährdung aller Rückkehrer abzielen, so fehlt es ausgehend von den – strengen – rechtlichen Maßstäben für die Feststellung eines der in Rede stehenden Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG an der Angabe konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen etwa im Hinblick auf hierzu vorliegende gegensätzliche Auskünfte oder abweichende Rechtsprechung einer unterschiedlichen Würdigung zugänglich sind. Die Zulassungsschrift schildert im Wesentlichen gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren, exzessive Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte und bewaffnete Zusammenstöße verschiedener Bevölkerungsgruppen. Diese Hinweise geben mit Blick auf die Größe und Einwohnerzahl Nigerias (mit über 200 Millionen Einwohnern) keinen Anlass für die Annahme, dass die für die Bejahung eines solchen Abschiebungsverbotes notwendige Gefahrendichte (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – NVwZ 2013, 1167) erreicht sein könnte. Hierzu legt die Zulassungsschrift nichts Substantiiertes dar. Im Übrigen sind die in der Zulassungsschrift angeführten sicherheitsrelevanten Vorfälle aus den Jahren 2019 und 2020 nicht mehr geeignet, die aktuelle Sicherheitslage in N. zu beschreiben.
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Soweit der Kläger rügt, das Gericht habe sich mit diesen Tatsachen nicht ausreichend auseinandergesetzt, macht er der Sache nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils geltend, die keinen Zulassungsgrund im Sinn des § 78 Abs. 3 AsylG darstellen.
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Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 78 Abs. 5 Satz 1 AsylG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.