Inhalt

VGH München, Beschluss v. 09.12.2024 – 2 CS 24.1834
Titel:

Erfolgloser Eilantrag der Nachbarn gegen isolierte Befreiung von vorderer Baugrenze

Normenketten:
BayBO Art. 63 Abs. 3 S. 1
BauGB § 12 Abs. 2, § 31 Abs. 2
BauNVO § 12 Abs. 2, § 23
Leitsätze:
1. Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen (§ 23 BauNVO) vermitteln Drittschutz nur dann, wenn sie nach dem Willen der Gemeinde als Plangeberin diese Funktion haben sollen. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Vordere Baugrenzen oder Baulinien werden in aller Regel nur aus städtebaulichen Gründen, etwa zur Gestaltung des Orts- und Straßenbildes, zur Gewährleistung einer bestimmten Anordnung der Baukörper zur Straße hin oder zur Sicherung von Vorgartenzonen, festgesetzt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nachbarn haben die von den Stellplätzen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Emissionen im Regelfall – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – als sozialadäquat hinzunehmen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
4. Im Zweifel wird man einen Bedarf iSv § 12 Abs. 2 BauNVO annehmen müssen, wenn der Stellplatz als "Zubehör" zum Wohnen von einem Bewohner des Baugebiets benötigt wird. Eine Vermutung dafür, dass eine Überschreitung der notwendigen Anzahl von Stellplätzen zu einer unzumutbaren Belästigung der näheren Umgebung führt, besteht nicht. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Isolierte Befreiung, Fahrspuren, Bestimmtheit, Vordere Baugrenze, Rücksichtnahmegebot, Stellplätze, Lärm- und Abgasbelastungen
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 09.10.2024 – M 8 SN 24.5034
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34707

Tenor

I. Nummer 2 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 9. Oktober 2024 wird aufgehoben.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
III. Die Antragsteller haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen selbst.
IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,-- Euro festgesetzt.

Gründe

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Die zulässige Beschwerde bleibt überwiegend ohne Erfolg.
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Begründet ist sie nur, soweit den Antragstellern in Nummer 2 des Beschusses des Verwaltungsgerichts die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auferlegt wurden. Da die Beigeladenen keinen Antrag gestellt haben, sich also keinem Kostenrisiko ausgesetzt und das Verfahren nicht durch eigenen Tatsachen- oder Rechtsvortrag wesentlich gefördert haben, entspricht es billigem Ermessen im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen.
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Im Übrigen erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Die von den Antragstellern dargelegten Gründe, auf die die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses, soweit der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt wurde.
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1. Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, ist nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Das Rechtsmittel der Beschwerde nach § 146 Abs. 4 VwGO kann mit der Behauptung von Verfahrensfehlern des Verwaltungsgerichts grundsätzlich nicht geführt werden. Das Beschwerdeverfahren eröffnet im Rahmen der durch § 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO gezogenen Grenzen eine umfassende Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof, so dass ein etwaiger erstinstanzlicher Gehörsverstoß durch die nachholende Berücksichtigung des Vorbringens im Beschwerdeverfahren geheilt werden könnte (vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2022 – 9 CS 22.1573 – juris Rn. 12). Unabhängig davon ist eine Gehörsverletzung durch die angegriffene Entscheidung nicht ersichtlich. Dass das Erstgericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Antragsteller übergangen hat, ist nicht zu erkennen.
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2. Das Verwaltungsgericht ist bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zu Recht davon ausgegangen, dass die im Hauptsacheverfahren von den Antragstellern erhobene Klage gegen die den Beigeladenen erteilte isolierte Befreiung vom 21. August 2023 voraussichtlich erfolglos bleiben wird, so dass das Interesse an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegenüber dem Vollzugsinteresse der Beigeladenen nachrangig ist. Dritte – wie hier die Antragsteller als Nachbarn – können sich mit einer Anfechtungsklage gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegen eine bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens nur dann erfolgreich zur Wehr setzen, wenn diese gegen im einschlägigen Verfahren zu prüfende Normen verstößt, die zumindest auch dem Schutz des betreffenden Dritten zu dienen bestimmt sind. Eine solche Rechtsverletzung zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf.
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2.1. Soweit die Antragsteller rügen, für die Erteilung der streitgegenständlichen isolierten Befreiung sei innerhalb der Stadtverwaltung eine andere Abteilung zuständig gewesen, und damit einen Verstoß gegen verwaltungsinterne Zuständigkeitsbestimmungen, denen keine rechtliche Außenwirkung zukommt, geltend machen, kommt eine Rechtsverletzung der Antragsteller nicht in Betracht.
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2.2. Die Rüge, die angefochtene isolierte Befreiung sei nicht hinreichend bestimmt, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Gem. Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein, d.h. die im Bescheid getroffene Regelung muss – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich sein. Ein Nachbar hat jedoch keinen materiellen Anspruch darauf, dass dem Bauherrn nur inhaltlich hinreichend bestimmte Bescheide erteilt werden. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt nur vor, wenn sich die Unbestimmtheit gerade auf solche Merkmale des Vorhabens bezieht, deren genaue Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung der dem Schutz des Nachbarn dienenden Rechtsvorschriften auszuschließen (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2023 – 1 CS 23.940 – juris Rn. 8; B.v. 16.8.2019 – 1 ZB 17.2407 – juris Rn. 5)
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Gemessen an diesen Grundsätzen ist die streitgegenständliche isolierte Befreiung in nachbarrechtlicher Hinsicht hinreichend bestimmt. Aus dem Tenor und der Begründung des Bescheides ergibt sich, dass den Beigeladenen in Nummer 1 des Bescheides – ausschließlich – eine isolierte Befreiung von der im übergeleiteten Baulinienplan festgesetzten vorderen (straßenseitigen) Baugrenze für zwei mit grünem Wabengitter befestigten und begrünten Fahrspuren erteilt wurde, die in der von den Beigeladenen mit dem Befreiungsantrag eingereichten Skizze hellblau eingezeichnet sind und eine Zufahrt für ein mehrspuriges Kraftfahrzeug zu dem hinter der Baugrenze eingezeichneten Stellplatz ermöglichen. Für den Stellplatz selbst trifft der Bescheid, auch wenn im Betreff des Bescheides „Stellplatz hinter der Baugrenze“ angeführt ist, keine Regelung. Seine Errichtung bedarf im Übrigen weder einer Baugenehmigung, da er ebenso wie seine Zufahrt ein gem. Art. 57 Abs. 1 Nr. 15 lit. b BayBO verfahrensfreies Vorhaben darstellt, noch einer isolierten Befreiung von der vorderen (straßenseitigen) Baugrenze, da er hinter dieser liegt. Die Rüge der Antragsteller, mit dem „unpräzise formulierten“ Befreiungsbescheid werde letztlich die Genehmigung erteilt, dass der gesamte ca. 100 m² große Vorgarten auf dem Baugrundstück zu einer Stellplatzanlage umgewandelt und „nach Gusto“ genutzt werden dürfe, geht somit fehl. Ein nachbarrechtsrelevanter Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz ergibt sich auch nicht daraus, dass die Breite der beiden Fahrspuren in der Skizze nicht vermaßt ist. Für die Frage, ob die Nichtbeachtung der vorderen (straßenseitigen) Baugrenze durch die beiden Fahrspuren die Antragsteller in ihren Nachbarrechten verletzt, kommt es auf deren exakte Breite nicht an. Ebenso unerheblich ist in Bezug auf die Nachbarrechte der Antragsteller, dass der Bescheid keine Vorgabe enthält, mit welchem Material die Wabengitter zu befüllen sind.
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2.3. Die – allein streitgegenständliche – Zulassung der Überschreitung der vorderen (straßenseitigen) Baugrenze durch die beiden Fahrspuren, auf die sich der Regelungsgehalt der angefochtenen isolierten Befreiung beschränkt, verletzt die Antragsteller bei summarischer Prüfung nicht in ihren Rechten.
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2.3.1. Auf die Frage, ob durch die streitgegenständliche Befreiung die „Grundzüge der Planung“ im Sinne von § 31 Abs. 2 BauGB berührt werden, kommt es entgegen der Auffassung der Antragteller nicht an.
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Im Fall einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB hängt der Umfang des Nachbarrechtschutzes davon ab, ob die Festsetzungen, von deren Einhaltung dispensiert wird, Drittschutz vermitteln oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – juris Rn. 3). Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung objektiv rechtswidrig ist, sondern nur, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – juris Rn. 5).
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Der Festsetzung der vorderen (straßenseitigen) Baugrenze im übergeleiteten Baulinienplan – der gem. § 233 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 173 Abs. 3 BBauG 1960 als einfacher Bebauungsplan im Sinne von § 30 Abs. 3 BauGB fortgilt – kommt bei summarischer Prüfung keine nachbarschützende Wirkung zu. Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen (§ 23 BauNVO) vermitteln Drittschutz nur dann, wenn sie nach dem Willen der Gemeinde als Plangeberin diese Funktion haben sollen (vgl. BVerwG, B.v 11.6.2019 – 4 B 5.19 – juris Rn. 4; B.v. 13.12.2016 – 4 B 29.16 – juris Rn. 5). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln. Maßgebend ist, ob eine Festsetzung nach dem planerischen Willen nicht nur aus städtebaulichen Gründen getroffen wurde, sondern (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen soll (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.2021 – 9 ZB 20.602 – juris Rn. 19; B.v. 22.2.2017 – 15 CS 16.1883 – juris Rn. 13). Nach der ganz überwiegenden Auffassung in der obergerichtlichen Rechtsprechung entfaltet die Festsetzung von vorderen (straßenseitigen) Baulinien oder Baugrenzen (im Sinne von § 23 Abs. 1 bis 3 BauNVO) regelmäßig keine nachbarschützende Wirkung (vgl. OVG SH, B.v. 21.3.2022 – 1 LA 128/21 – juris Rn. 19; VGH BW, U.v. 21.7.2020 – 8 S 702/19 – juris Rn. 32; OVG Rh-Pf, B.v. 15.1.2010 – 8 B 11359/09 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 26.3.2002 – 15 CS 02.423 – juris Rn. 16). Vordere Baugrenzen oder Baulinien werden in aller Regel nur aus städtebaulichen Gründen, etwa zur Gestaltung des Orts- und Straßenbildes, zur Gewährleistung einer bestimmten Anordnung der Baukörper zur Straße hin oder zur Sicherung von Vorgartenzonen, festgesetzt (vgl. OVG SH, B.v. 21.3.2022 – 1 LA 128/21 – juris Rn. 19; OVG Rh-Pf, B.v. 15.1.2010 – 8 B 11359/09 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 26.3.2002 – 15 CS 02.423 – juris Rn. 16). Anhaltspunkte dafür, dass dies aufgrund der Umstände des Einzelfalls hier anders zu beurteilen wäre und die Festsetzung der vorderen (straßenseitigen) Baugrenzen nach dem planerischen Willen über ein lediglich städtebauliches Ordnungskonzept hinausgehen soll, sind nicht ersichtlich.
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2.3.2. Der Nachbarrechtschutz der Antragsteller richtet sich somit allein nach den Grundsätzen des aus § 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO folgenden Gebots der Rücksichtnahme. Bei summarischer Prüfung lässt die streitgegenständliche isolierte Befreiung keinen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme erkennen. Entgegen dem Beschwerdevorbringen sind durch eine Nutzung der beiden Fahrspuren als Zufahrt zu dem hinter der Baugrenze vorgesehenen Stellplatz keine unzumutbaren Lärm- und Abgasbelastungen zulasten der Antragsteller zu erwarten. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die Beurteilung der Zumutbarkeit von Geräusch- und Abgasbelastungen eines durch Wohnnutzung ausgelösten Stellplatzbedarfs unter Berücksichtigung der in § 12 Abs. 2 BauNVO enthaltenen Grundentscheidung zu erfolgen hat. Die Vorschrift, nach der in Kleinsiedlungsgebieten, reinen Wohngebieten und allgemeinen Wohngebieten sowie in Sondergebieten, die der Erholung dienen, Stellplätze und Garagen für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig sind, begründet für den Regelfall eine Vermutung der Nachbarverträglichkeit der Nutzung von Stellplätzen in von Wohnbebauung geprägten Bereichen. Nachbarn haben hiernach die von den Stellplätzen einer rechtlich zulässigen Wohnbebauung ausgehenden Emissionen im Regelfall – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls – als sozialadäquat hinzunehmen (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59.02 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris Rn. 26; B.v. 20.5.2020 – 9 ZB 18.2585 – juris Rn 9; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 43; OVG SL, B.v. 4.1.2019 – 2 B 344/18 – juris Rn. 17; OVG BB, B.v. 28.11.2017 – OVG 2 S 20.17 – juris Rn. 15). Eine Unzumutbarkeit von Stellplätzen kann im Einzelfall ausnahmsweise als Ergebnis einer wertenden Gesamtbetrachtung etwa dann anzunehmen sein, wenn die Stellplatzzufahrt besonders steil ist, ungünstige Höhenverhältnisse zu Wohnräumen auftreten, eine beengte Situation zu vermehrtem Rangieraufwand führt oder eine Massierung von Stellplätzen auf der dem ruhigen und besonders schützenswerten Bereich des Grundstücks des Nachbarn zugewandten Seite erfolgt (vgl. BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris Rn. 26). Der durch die zugelassene Wohnnutzung verursachte Bedarf im Sinne von § 12 Abs. 2 BauGB wird entgegen der Beschwerdebegründung nicht durch die Gesamtzahl der bauordnungsrechtlich oder durch örtliche Bauvorschrift geforderten, für die zugelassenen Nutzungen notwendigen Stellplätze und Garagen beschränkt (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – juris Rn. 26; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, 155. EL August 2024, § 12 BauNVO Rn. 56). Der verursachte Bedarf kann im Einzelfall oder gebietsweit durchaus die Zahl der notwendigen Stellplätze übersteigen – diese geben nur den Mindestbedarf an. Im Zweifel wird man einen Bedarf im Sinne von § 12 Abs. 2 BauNVO annehmen müssen, wenn der Stellplatz als „Zubehör“ zum Wohnen von einem Bewohner des Baugebiets benötigt wird (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – juris Rn. 26). Eine Vermutung dafür, dass eine Überschreitung der notwendigen Anzahl von Stellplätzen zu einer unzumutbaren Belästigung der näheren Umgebung führt, besteht nicht (vgl. BayVGH, B.v. 20.5.2020 – 9 ZB 18.2585 – juris Rn. 10; Molodovsky/Farmers/Waldmann, BayBO, Stand August 2024, Art. 66 Rn. 105).
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In Ansehung dieser Grundsätze müssen die Antragsteller nach der gebotenen Einzelfallwürdigung durch die beiden Fahrspuren keine Lärm- und Abgasbeeinträchtigungen befürchten, die über das als sozialadäquat hinzunehmende Maß hinausgehen. Das mit einem Einfamilienhaus bebaute Grundstück der Beigeladenen verfügt bislang lediglich über einen den Anforderungen des Art. 47 Abs. 1 BayBO entsprechenden Stellplatz. Sog. „gefangene“ Stellplätze, die nur über einen anderen (freien) Stellplatz angefahren werden können, weisen entgegen der Beschwerdebegründung nicht die nach der Vorschrift erforderliche „geeignete Beschaffenheit“ auf (vgl. BayVGH B.v. 4.9.2015 – 1 ZB 14.1084 – juris Rn. 3). Die beiden Fahrspuren ermöglichen die Zufahrt zu einem zweiten Stellplatz auf dem Baugrundstück. Von einer Massierung von Stellplätzen, wie die Antragsteller rügen, kann demnach keine Rede sein. Dass die Anfahrt des Stellplatzes über die beiden Fahrspuren für die Antragsteller unzumutbare Lärm- oder Abgasbeeinträchtigungen hervorruft, ist auch im Hinblick auf die Situierung der beiden Fahrspuren im vorderen, straßenseitigen Grundstücksbereich mehrere Meter von der gemeinsamen Grundstücksgrenze entfernt sowie die direkte Anfahrbarkeit des Stellplatzes, die keine übermäßigen Rangiervorgänge erwarten lässt, nicht anzunehmen.
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2.4. Soweit die Antragsteller die unterbliebene Prüfung weiterer bauplanungs- und bauordnungsrechtlicher Vorschriften rügen, verkennen sie den begrenzten Prüfungs- und Regelungsumfang einer isolierten Befreiung nach Art. Art. 63 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 BayBO. Dieser beschränkt sich auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB. Von der Gemeinde wird nur geprüft, ob der Widerspruch zu den Festsetzungen des Bebauungsplans durch die beantragte Befreiung aufgehoben werden kann. Ob das verfahrensfreie Vorhaben – oder gar weitere bauliche Anlagen auf dem Baugrundstück, wie die Antragsteller etwa in Bezug auf das Einfahrtstor geltend machen – mit sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Einklang stehen, ist für die Erteilung einer isolierten Befreiung unerheblich und auch von ihrem Regelungsgehalt nicht umfasst. In Anbetracht dessen bestand auch für die von den Antragstellern begehrte Beiziehung weiterer Bauakten keine Veranlassung.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 155 Abs. 1 Satz 3, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 VwGO und entspricht der von den Beteiligten nicht infrage gestellten erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung.