Titel:
Untersagung des stehenden Gewerbes
Normenketten:
GewO § 35 Abs. 1
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz:
Die von § 35 Abs. 1 S. 1 GewO vorausgesetzte Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit liegt insbesondere dann vor, wenn das Vermögen der öffentlichen Hand – wie zB durch die unberechtigte Vorenthaltung Steuern – oder Privatvermögen – etwa durch die Nichtabgabe der Vermögensauskunft – gefährdet ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewerbeuntersagung, Unzuverlässigkeit, Schuldnerverzeichnis, Eintragung, Vermögen, Sanierungskonzept, Vermögensauskunft, Nichtabgabe
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 09.07.2024 – M 16 K 23.5418
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34704
Tenor
I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 9. Juli 2024 – M 16 K 23.5418 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,00 € festgesetzt.
Gründe
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Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin, eine UG, ihre in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 25. Oktober 2023 weiter, mit dem ihr die Ausübung des Gewerbes „Vermittlung von Personal, Beratung von Personal, Tätigkeit im Marketingbereich, Durchführung von Konzepten, Organisation von Grafiken und/oder Illustrationen“ als selbstständiger Gewerbetreibender im stehenden Gewerbe sowie die Ausübung jeglicher selbständigen Tätigkeit im stehenden Gewerbe untersagt wurde.
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Zur Begründung der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit der Klägerin berief sich die Beklagte im Wesentlichen auf die Rückstände der Klägerin beim Finanzamt (Stand 24.10.2023: 2.100 €) und der Stadtkasse (Stand 24.10.2023: 714 €), die bestehenden fünf Eintragungen im Schuldnerverzeichnis sowie die Unzuverlässigkeit des Geschäftsführers der Klägerin.
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Die Klägerin erhob gegen den Bescheid vom 25. Oktober 2023 Klage zum Verwaltungsgericht München, die mit Urteil vom 9. Juli 2024, ihrem Prozessbevollmächtigten zugestellt am 29. Juli 2024, abgewiesen wurde.
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Mit am 29. August 2024 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom gleichen Tag beantragte die Klägerin die Zulassung der Berufung. Sie begründete diesen Antrag mit Schriftsatz vom 30. September 2024, eingegangen beim Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tag (Montag). Sie macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend.
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Die Beklagte ist dem Antrag auf Zulassung der Berufung entgegengetreten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bereits nicht hinreichend dargelegt im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind und auch nicht vorliegen.
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Ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426.17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
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1. Zur gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit der Klägerin gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass sie sich in ungeordneten Vermögensverhältnissen befinde, weil sie im maßgeblichen Zeitpunkt des Wirksamwerdens des angefochtenen Bescheids Steuerrückstände gehabt habe und mit fünf Eintragungen im Schuldnerverzeichnis wegen „Nichtabgabe der Vermögensauskunft“ erfasst gewesen sei. Die Eintragungen im Schuldnerverzeichnis belegten für sich genommen bereits hinreichend, dass die Klägerin vollstreckbare Forderungen nicht wie geschuldet sofort zahlen könne und zeigten darüber hinaus, dass sie bzw. ihr Geschäftsführer zur Erfüllung der ihr im Vollstreckungsverfahren obliegenden Pflichten, ihren Gläubigern den notwendigen Überblick über ihre Vermögensverhältnisse zu verschaffen, wiederholt freiwillig nicht bereit gewesen sei. Die Klägerin habe im maßgeblichen Zeitpunkt auch nicht nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept gearbeitet. Zwar möge unter dem Druck des Gewerbeuntersagungsverfahrens eine durchaus beträchtliche Summe an das Finanzamt zur Verminderung der Rückstände bezahlt worden sein, ein Sanierungskonzept liege damit jedoch noch nicht vor. Offenkundig habe das vorhandene Vermögen auch nicht ausgereicht, um sämtliche Schulden zu begleichen. Ratenzahlungsvereinbarungen seien ebenfalls nicht geschlossen worden. Das vom Geschäftsführer der Klägerin im Umgang mit Zahlungs-, Erklärungs- und Auskunftspflichten wiederholt an den Tag gelegte Verhalten wie auch die Tätigkeit des Geschäftsführers trotz rechtskräftiger Verurteilung wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung zeigten darüber hinaus, ohne dass es entscheidungserheblich noch darauf ankomme, dass sich die Klägerin eines unzuverlässigen Geschäftsführers bediene.
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Demgegenüber bringt die Klägerin im Zulassungsverfahren lediglich vor, das Verwaltungsgericht habe den Umstand, dass sich die Steuerrückstände zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids auf 2.100 € gemindert hätten, nicht hinreichend gewürdigt.
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Damit zieht die Klägerin die Feststellung des Verwaltungsgerichts bezüglich ihrer ungeordneten Vermögensverhältnisse und der daraus resultierenden gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO nicht ernsthaft in Zweifel. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin hat das Verwaltungsgericht die im laufenden Gewerbeuntersagungsverfahren erreichte Verminderung der Steuerrückstände bei der Prognose zur gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit berücksichtigt. Es hat diesem Umstand aber keine entscheidungserhebliche Bedeutung beigemessen, weil die Rückstandsminderung nur durch Vollstreckungsmaßnahmen des Finanzamts erreicht wurde und die Klägerin nicht nach einem Sanierungskonzept gearbeitet hat. Mit diesen Erwägungen des Verwaltungsgerichts setzt sich die Klägerin nicht substantiiert auseinander.
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Zudem hat das Verwaltungsgericht die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit der Klägerin jeweils selbstständig tragend auch damit begründet, dass sie mit fünf Eintragungen im Schuldnerverzeichnis wegen „Nichtabgabe der Vermögensauskunft“ erfasst gewesen sei und sich eines unzuverlässigen Geschäftsführers bedient habe. Auf diese Gründe, die jeweils für sich genommen die negative Zuverlässigkeitsprognose der Beklagten und des Verwaltungsgerichts tragen, geht die Klägerin in der Begründung des Zulassungsantrags nicht ein.
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2. Das Vorbringen der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine Untersagung insbesondere zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich gewesen sei, führt nicht zur Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Die von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO vorausgesetzte Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit liegt insbesondere dann vor, wenn das Vermögen der öffentlichen Hand – wie z.B. durch die unberechtigte Vorenthaltung Steuern – oder Privatvermögen – etwa durch die Nichtabgabe der Vermögensauskunft – gefährdet ist (Marcks/Heß in Landmann/Rohmer, GewO, Stand Dez. 2023, § 35 Rn. 76). Die Beklagte hat im streitgegenständlichen Bescheid die Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit ausführlich begründet. Da die Klägerin im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht diesbezüglich nichts vorgetragen hat, bedurfte es auch keiner weiteren Ausführungen durch das Verwaltungsgericht im Urteil. Die Erforderlichkeit der Gewerbeuntersagung ist ein Element des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. In Bezug darauf hat das Verwaltungsgericht unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (B.v. 1.2.1994 -1 B 211.93 – juris Rn. 16, B.v. 9.3.1994 – 1 B 33.94 – juris Rn. 3) im Urteil dargelegt, dass eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO entsprechende Gewerbeuntersagungsverfügung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verstoßen könne und für das Vorliegen eines Ausnahmefalls nichts ersichtlich sei. Dazu verhält sich das Zulassungsvorbringen nicht. Weiter hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass angesichts der eigenen ungeordneten Vermögensverhältnisse und des Umstands, dass die Klägerin trotz des Verhaltens und der Verurteilung ihres Geschäftsführers auch nach Anhörung zur beabsichtigten Gewerbeuntersagung an ihrem Geschäftsführer festgehalten habe, sowie angesichts der Gesellschaftsstruktur der Klägerin, wonach der (zuletzt faktische) Geschäftsführer zugleich Mehrheitsgesellschafter sei, sich die Beklagte nicht darauf beschränken habe müssen, der Klägerin aufzugeben, ihren Geschäftsführer auszuwechseln, und die Beschäftigung des bisherigen Geschäftsführers zu untersagen. Diese Feststellungen zur Verhältnismäßigkeit der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO zieht die Klägerin mit ihrem Zulassungsvorbringen ebenfalls nicht substantiiert in Zweifel.
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3. Soweit die Klägerin vorbringt, das Verwaltungsgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, ob die Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO ermessensfehlerfrei sei, verkennt sie bereits, dass die Behörde bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO die Ausübung des Gewerbes zu untersagen hat, es sich also um eine gebundene Entscheidung handelt.
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4. Der Vortrag der Klägerin zur Rechtmäßigkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung genügt ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Die Rechtmäßigkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung hat das Verwaltungsgericht damit begründet, dass nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO die Gewerbeuntersagung auf die vorgenannten Tätigkeiten erstreckt werden könne, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig sei. Insoweit müssten Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf die „Ausweichtätigkeit“ dartun („gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit“). Diese seien bei steuerlichen Pflichtverletzungen und bei ungeordneten Vermögensverhältnissen – wie hier – aber regelmäßig gegeben. Das Vorliegen geordneter Vermögensverhältnisse sei eine Zuverlässigkeitsvoraussetzung, die für jeden Gewerbebetrieb gelte und sich nicht auf eine bestimmte gewerbliche Tätigkeit beschränke. Die erweiterte Gewerbeuntersagung sei auch erforderlich, weil eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für ein Ausweichen der Gewerbetreibenden vorliege. Sei ein Gewerbetreibender in Bezug auf andere – nicht ausgeübte – gewerbliche Betätigungen unzuverlässig und sei die Untersagung auch hinsichtlich dieser Betätigungen erforderlich, so sei eine Ermessensentscheidung, die von der Möglichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung Gebrauch mache, nicht rechtswidrig, wenn der Verwaltungsentscheidung zumindest konkludent die maßgebliche Erwägung entnommen werden könne, die anderweitige Gewerbeausübung sei so wahrscheinlich, dass sich die Untersagung auch darauf erstrecken solle. Dem genügten die Ermessenserwägungen der Beklagten. Darlegungen der Klägerin, die diese Feststellungen des Verwaltungsgerichts ernsthaft in Zweifel ziehen könnten, finden sich in der Begründung des Zulassungsantrags nicht.
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5. Soweit die Klägerin darauf verweist, dass der Schutz der Allgemeinheit mit milderen Mitteln erreicht werden könne, bezieht sich dieser Einwand nicht auf die Voraussetzungen für eine erweiterte Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO, sondern betrifft die Verhältnismäßigkeit der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO. Insoweit haben das Verwaltungsgericht (UA Rn. 43) und die Beklagte (S. 8 des Untersagungsbescheids) jedoch begründet, weshalb eine mildere Maßnahme nicht in Betracht kommt (s.o.).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.2.1 und Nr. 54.2.2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
18
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).