Titel:
Heranziehung zu einem IHK-Beitrag
Normenkette:
IHKG § 3 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
Der in dem Wirtschaftsplan ermittelte Finanzbedarf ist die Grundlage für die Beitragssätze. Eine rückwirkende Bemessung der Beiträge ist ausgeschlossen. Für eine teleologische Reduktion von § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG gibt es keinen Spielraum. (Rn. 11 – 18)
1. Der Grundsatz der Jährlichkeit verbietet es, nachträgliche Veränderungen der Finanzlage einer IHK durch eine Anpassung der Beitragsforderungen auszugleichen, wenn das jeweilige Beitragsjahr vorüber ist. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Gebot der Schätzgenauigkeit verlangt ein angemessenes Bemühen um realitätsnahe Prognosen, begründet aber gerade keine Pflicht zur genauestmöglichen Vorhersage; entscheidend ist, dass die Prognose nach einer geeigneten Methode durchgeführt wird, der zugrundeliegende Sachverhalt zutreffend ermittelt und das Ergebnis nachvollziehbar begründet ist. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
IHK Beiträge, Rückwirkende Änderung, Eröffnungsbilanz, Jahresabschluss, Wirtschaftsplan, Grundsatz der Jährlichkeit, Grundsatz der Schätzgenauigkeit, IHK Beitrag, Beitragssatz, rückwirkende Änderung, Finanzbedarf, teleologische Reduktion, Grundsatz der Haushaltswahrheit, Prognose
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 09.03.2023 – Au 2 K 21.933
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34701
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 216,20 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin, Kammerzugehörige der Beklagten, wendet sich gegen die Heranziehung zu einem IHK-Beitrag für das Jahr 2013. Sie wurde mit Bescheid der Beklagten vom 21. November 2016 unter anderem zu einem IHK-Beitrag für 2013 (Berichtigung) in Höhe von 216,20 EUR herangezogen.
2
Das Verwaltungsgericht hob den Bescheid der Beklagten auf, soweit damit gegenüber der Klägerin ein IHK-Beitrag für den Veranlagungszeitraum 2013 festgesetzt wurde. Die Bemessung der Höhe der Ausgleichsrücklagen überschreite jeweils den Gestaltungsspielraum, den das Haushaltsrecht der Kammer bei der Aufstellung ihres Wirtschaftsplans einräume. Denn die Prognose sei als nicht mehr vertretbar zu werten, weil sie die naheliegenden Möglichkeiten der Informationsgewinnung nicht annähernd ausgeschöpft habe. Zur realitätsgerechten Kalkulation des Risikos von Beitragsausfällen hätte die Beklagte zunächst auf die Daten des laufenden Jahres zurückgreifen und überprüfen müssen, inwieweit die Beitragseinnahmen hinter den Annahmen des Wirtschaftsplans zurückgeblieben waren. Dieser rechtliche Mangel sei nicht dadurch beseitigt bzw. geheilt worden, dass die Beklagte durch die Beschlüsse der Vollversammlung vom 3. Dezember 2020 nachträglich unter anderem ihren Jahresabschluss bzw. ihre Bilanz für das Jahr 2013 geändert habe, da damit die jeweils zeitlich vor dem betreffenden Geschäftsjahr ex-ante zu treffende Mittelbedarfsfeststellung nicht in rechtlich zulässiger Weise – durch die Einstellung des jeweiligen ex-post festgestellten tatsächlichen Finanzbedarfs in die Bilanz – ersetzt werden könne.
3
Die Beklagte hat gegen das am 16. März 2023 zugestellte Urteil am 12. April 2023 die Zulassung der Berufung beantragt.
4
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Das von der Beklagten innerhalb der Begründungsfrist Dargelegte, auf dessen Prüfung der Senat im Grundsatz beschränkt ist, rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung. Es bestehen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Der Rechtstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
5
1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
6
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn gegen dessen Richtigkeit nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, wovon immer dann auszugehen ist, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten derart in Frage gestellt wird, dass sich die gesicherte Möglichkeit der Unrichtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergibt (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 und B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – jeweils juris). Solche ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich aus dem Zulassungsvorbringen nicht.
7
Nach Auffassung der Beklagten kann die rückwirkende Korrektur einer Wirtschaftssatzung Grundlage für einen Beitragsbescheid sein.
8
1.1 Das Verwaltungsgericht hat eine rückwirkende Heilung abgelehnt. Die Rechtsprechung habe es zwar zugelassen, dass formale Fehler in einer Wirtschaftsatzung nach dem Ende eines Geschäftsjahres durch rückwirkenden Beschluss der Vollversammlung geheilt werden könnten, wenn dieser Beschluss die Beitragssätze und nicht den Wirtschaftsplan betreffe (Thüringisches OVG, U.v. 18.12.2008 – 2 KO 994/06 – juris Rn. 36 ff.). Selbst wenn man dieser Auffassung folge und in der rückwirkenden Änderung der Wirtschaftssatzung der Beklagten keinen Verstoß gegen die zeitliche Beschränkung des § 10 Abs. 2 Finanzstatut erkennen wollte, bedeuteten die Beschlüsse der Vollversammlung vom 3. Dezember 2020 eine Verletzung von § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG, weil sie die Beitragserhebung für 2013 an den Finanzbedarf der Beklagten für diese Jahre knüpften, wie er dem Jahresabschluss entnommen werden könne und nicht an den Finanzbedarf, wie er sich aus dem vor dem Beginn des jeweiligen Beitragsjahres aufzustellenden Wirtschaftsplan ergebe. Ein solches Vorgehen widerspreche den gesetzlichen Vorgaben und sei rechtlich nicht in der Lage, eine fehlende bzw. nicht ausreichende Schätzung des Finanzbedarfs zu kompensieren. Damit läge in Bezug auf die Beitragserhebung für den streitgegenständlichen Veranlagungszeitraum 2013 ein – nicht durch Heilung rückwirkend obsolet gewordener – Rechtsfehler vor, der für sich betrachtet jeweils bereits zur Rechtswidrigkeit des angegriffenen Beitragsbescheids führte. Die Rechtsfehlerhaftigkeit der Mittelbedarfsfeststellung führe zur Rechtswidrigkeit der Vorgaben der Beitragsbemessung in den jeweiligen Wirtschaftssatzungen.
9
1.2 Die Beklagte ist der Auffassung, dass sich der vorliegende Verwaltungsprozess im Kern um die Rechtsfrage drehe, ob die Beklagte auf die Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 2020 reagieren und ihre Eröffnungsbilanz, die folgenden Jahresabschlüsse und ihre Mittelbedarfsfeststellung und Rücklagenbildung an die verschärften beitragsrechtlichen Maßstäbe rückwirkend anpassen dürfe. Zwar dürfe ein Wirtschaftsplan nach Ablauf des jeweiligen Wirtschaftsjahres nicht mehr inhaltlich geändert werden, jedoch sei eine rückwirkende Korrektur der Wirtschaftssatzung nach allgemeinen Grundsätzen möglich. Es liege ein Fall der unechten Rückwirkung vor. Diese sei grundsätzlich zulässig und vorliegend auch nicht ausnahmsweise aufgrund eines schutzwürdigen Vertrauens der Beitragspflichtigen unzulässig. Die Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG stehe nicht entgegen, weil die Norm für den Fall teleologisch reduziert werden müsse, dass eine Korrektur des Wirtschaftsplans wegen Ablaufs des Wirtschaftsjahres ausscheide, aber gleichwohl ein begründeter Anlass für eine rückwirkende Berichtigung der Beitragsgrundlage bestehe. Für eine teleologische Reduktion stritten hier die Grundsätze der Beitrags- und Periodengerechtigkeit, denn anderenfalls müssten die Mindereinnahmen der Kammer im Hinblick auf das Kostendeckungsprinzip durch die aktuellen Beitragszahler ausgeglichen werden. Auch § 10 Abs. 2 Finanzstatut stünde dem rückwirkenden Erlass einer Wirtschaftssatzung nicht entgegen. Wie § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG sei auch § 10 Abs. 2 Finanzstatut nach Sinn und Zweck auszulegen und für den Fall einer berechtigten Korrektur der Wirtschaftssatzung in Folge einer geänderten Eröffnungsbilanz und geänderter Jahresabschlüsse teleologisch zu reduzieren. Abgesehen davon erweise sich eine fehlerhafte Mittelbedarfsfeststellung jedenfalls dann als unbeachtlich, wenn feststehe, dass der von einer Kammer angenommene Mittelbedarf in derselben Höhe auch ohne Verstoß gegen Haushaltsrecht ermittelt worden wäre. Die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Rücklagenbemessung wirke sich dann nicht auf die Gestaltung des Beitragstarifs aus. Die Beklagte verweist auch auf Entscheidungen des thüringischen Oberverwaltungsgerichts (U.v. 18.12.2008 – 2 KO 994/06 – juris) und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 24.10.2022 – 6 S 965/21 – juris).
10
1.3 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung ergeben sich daraus nicht. Vielmehr ist das Ergebnis des Verwaltungsgerichts nach dem Gesetzeswortlaut (s. 1.3.1), der Systematik der Vorschrift (s. 1.3.2) und den bei der Aufstellung eines Wirtschaftsplans herrschenden Grundsätzen (s. 1.3.3) nicht zu beanstanden. Auch teleologische Gesichtspunkte führen zu keinem anderen Ergebnis (s. 1.3.4). Für hypothetische Erwägungen sieht der Senat keinen Spielraum (s. 1.3.5).
11
1.3.1 Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern (IHKG) werden die Kosten der Errichtung und Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer, soweit sie nicht anderweitig gedeckt sind, nach Maßgabe des Wirtschaftsplans durch Beiträge der Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung aufgebracht. Der Wirtschaftsplan ist jährlich nach den Grundsätzen einer sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung unter pfleglicher Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen aufzustellen und auszuführen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 IHKG). Grundlage für die Beitragserhebung ist der voraussichtliche Finanzbedarf der Kammer, wie er sich aus dem Wirtschaftsplan ergibt. Dieser Wirtschaftsplan ist einschließlich der Wirtschaftssatzung vor dem Beginn des jeweiligen Geschäftsjahres aufzustellen. Der Wirtschaftsplan kann nachträglich, also nach dem Ende des jeweiligen Geschäftsjahres nicht mehr geändert werden. Demgemäß bestimmt § 10 Abs. 2 Finanzstatut der Beklagten vom 20. Mai 2014, dass die Vollversammlung eine geänderte Wirtschaftssatzung und gegebenenfalls einen Nachtragswirtschaftsplan nur bis zum Ende eines Geschäftsjahres beschließen kann.
12
Letztlich möchte die Beklagte die Beitragserhebung nachträglich von der ursprünglichen Wirtschaftsplanung für das Beitragsjahr entkoppeln. Dies ist indes nicht zulässig. Der Wortlaut des § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG ist insoweit unmissverständlich. Danach werden die Beiträge „nach Maßgabe des Wirtschaftsplans“ erbracht. Ausschlaggebend für die Festsetzung der Beitragssätze ist allein der vor dem Beginn des jeweiligen Beitragsjahres in dem Wirtschaftsplan der IHK festgestellte Finanzbedarf. § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG schreibt für die Beitragssätze zwingend vor, dass diese nach „Maßgabe des Wirtschaftsplans“ zu bemessen sind. Soweit die Beklagte der Auffassung ist, dass sich im Gesetzestext mit den Tatbestandsmerkmal der „Kosten“ in § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG ein normativer Anknüpfungspunkt für eine ex-post Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten findet, teilt der Senat diesen Ansatz nicht. Denn nach dem Sinnzusammenhang der Norm ist die Aufbringung der Kosten mit den Maßgaben, die der Wirtschaftsplan trifft, verknüpft. Nur die Kosten, die den Maßgaben des Wirtschaftsplans entsprechen, können bei den Beiträgen, die die Kammerzugehörigen zu leisten haben, berücksichtigt werden.
13
1.3.2 Der Senat sieht in der Systematik des Gesetzes keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Vorgehen der Beklagten – wenn auch nur ausnahmsweise – zulässig sein könnte. § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG verlangt, die Beiträge in einem zweistufigen Verfahren zu bestimmen. Auf einer ersten Stufe stellt die Kammer den Haushaltsplan (Wirtschaftsplan) auf. Dieser prognostiziert unter Berücksichtigung der erwartbaren Einnahmen und Ausgaben den voraussichtlichen Bedarf, den es durch Beiträge zu decken gilt. Auf einer zweiten Stufe wird dieser voraussichtliche Bedarf alsdann gemäß einer Beitragsordnung im Weg der Beitragserhebung auf die Kammerzugehörigen umgelegt (vgl. BVerwG, U.v. 09.12.2015 – 10 C 6.15 – BVerwGE 153, 315; U.v. 22.1.2020 – 8 C 10/19 – juris Rn. 17). Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Beitragsbescheids sind die Ansätze des im Zeitpunkt seines Erlasses aktuellen, prospektiven Wirtschaftsplans zugrunde zu legen (so ausdrücklich BVerwG, U.v. 22.1.2020 – 8 C 10/19 – juris Rn. 17). Die jeweils zeitlich vor dem betreffenden Geschäftsjahr ex-ante zu treffende Mittelbedarfsfeststellung kann damit nicht in rechtlich zulässiger Weise – durch die Einstellung des jeweiligen ex-post festgestellten tatsächlichen Finanzbedarfs in die Bilanz – ersetzt werden.
14
1.3.3 Das gefundene Ergebnis, dass der in dem Wirtschaftsplan ermittelte Finanzbedarf die Grundlage für die erforderlichen Beitragssätze und eine rückwirkende Bemessung der Beiträge ausgeschlossen ist, wird auch dadurch gestützt, dass bei der Aufstellung des Wirtschaftsplans die Grundsätze der Vorherigkeit, der Jährlichkeit (s. 1.3.3.1), der Vollständigkeit, der Haushaltswahrheit und der Schätzgenauigkeit gelten (s. 1.3.3.2).
15
1.3.3.1 Der Grundsatz der Jährlichkeit verbietet es, nachträgliche Veränderungen der Finanzlage einer IHK durch eine Anpassung der Beitragsforderungen auszugleichen, wenn das jeweilige Beitragsjahr vorüber ist. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass die Beklagte nach einem Jahresabschluss, der negativ ausfällt, die Beiträge nachträglich erhöht, um einen Verlust auszugleichen, sondern auch wenn wie im vorliegenden Fall, die Beklagte rückwirkend ihre Wirtschaftssatzung ändert, um dadurch Rücklagen in anderer Höhe zu dotieren und im Übrigen eine höhere Nettoposition als Residualgröße zu bilden. Würde man dies anders sehen, hätte der Grundsatz der Jährlichkeit keine Bedeutung mehr. Weil im Beitragsprozess allein die Wirtschaftspläne, die dem Beitragsbescheid zugrunde liegen, nicht aber Erfolgsrechnungen und Bilanzen maßgeblich sind (Jahn, BayVBl. 2018, 258/264; VG Trier v. 04.05.2015 – 6 K 1553/14.Tr – juris Rn. 22), ist es auch unerheblich, dass die Beklagte lediglich eine Umschichtung innerhalb ihres Eigenkapitals vorgenommen hat.
16
1.3.3.2 Es würde auch dem Grundsatz der Schätzgenauigkeit widersprechen und diesen weitgehend obsolet machen, wenn man eine nachträgliche Heilung zuließe. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in der Vergangenheit ausdrücklich mit den Anforderungen an die Bildung von Rücklagen im Bereich der Industrie- und Handelskammern befasst und zuletzt ausgeführt, dass die im Rahmen der Haushaltsaufstellung erforderlichen Prognosen so weit wie möglich dem Gebot der Schätzgenauigkeit genügen müssten. Jeder einzelne Ansatz müsse sachbezogen begründbar sein. Es genüge gerade nicht, dass ein pauschal festgelegter maximaler Prozentsatz der geplanten Aufwendungen nicht überschritten werde oder sich in einem durch Prozentanteile begrenzten Korridor bewege (vgl. BVerwG, U.v. 22.1.2020 – 8 C 10.19 – juris Rn. 20 ff.; BayVGH, U.v. 24.04.2024 – 21 B 23.379 – juris.). Das Gebot der Schätzgenauigkeit verlangt dabei ein angemessenes Bemühen um realitätsnahe Prognosen, begründet aber gerade keine Pflicht zur genauestmöglichen Vorhersage. Entscheidend ist, dass die Prognose nach einer geeigneten Methode durchgeführt wird, der zugrundeliegende Sachverhalt zutreffend ermittelt und das Ergebnis nachvollziehbar begründet ist (siehe hierzu NdsOVG, U.v. 17.9.2018 – 8 LB 128/17 – juris Rn. 100). Es ist hierbei Aufgabe der Kammer darzulegen, dass innerhalb des aus dem Selbstverwaltungsrecht folgenden weiten Gestaltungsspielraums die Grenzen des Vertretbaren bei der Aufstellung des Haushaltsplans eingehalten worden sind und eine hinreichend nachvollziehbare, plausible Prognose angestellt worden ist (siehe hierzu BayVGH, U.v. 15.11.2021 – 22 B 20.1948 – juris Rn. 33). Eine gesetzlich nicht vorgesehene Heilungsmöglichkeit würde dem widersprechen.
17
Im Übrigen hat die Beklagte ohnehin weitgehende Möglichkeiten dem Grundsatz der Schätzgenauigkeit und damit dem Grundsatz der Haushaltswahrheit zu entsprechen und damit fehlerhafte Schätzungen zu „heilen“. Denn nach der Rechtsprechung des Senats (BayVGH, U.v. 24.04.2024 – 21 B 23.379 – juris) ist in diesem Zusammenhang eine materielle Betrachtung geboten. Auch die von der Kammer erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens vorgetragenen Tatsachen können für die Beurteilung der Wahrung des Gebotes der Schätzgenauigkeit sowie des Grundsatzes der Haushaltswahrheit herangezogen werden, sofern sie zum maßgeblichen Zeitpunkt der Aufstellung des Haushaltsplans bereits objektiv vorlagen. Dies folgt daraus, dass die Kammern keinen besonderen Verfahrens-, Begründungs- oder Anhörungspflichten bei der Aufstellung der Haushaltspläne unterliegen. Es ist somit unerheblich, ob dem jeweiligen Beschlussorgan die Tatsachen bekannt waren, ausreichend ist, dass sie objektiv gegeben waren (siehe hierzu BVerwG, U.v. 22.1.2020 – 8 C 9/19 – juris Rn. 22; NdsOVG, U.v. 17.9.2018 – 8 LB 129/17 – juris Rn. 96). Für eine weitergehende Korrektur- oder Heilungsmöglichkeit sieht der Senat keinen Anlass.
18
1.3.4 Der Senat sieht keinen Spielraum für eine teleologische Reduktion von § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG (so aber wohl Borrmann GewArch 2022, 157/158). Der Sinn und Zweck von § 3 Abs. 2 IHKG liegt darin, sicher zu stellen, dass die Kammerzugehörigen nur insoweit zu Beiträgen herangezogen werden, wie es zur Finanzierung der Aufgabenerfüllung einer IHK notwendig ist. Aus diesem Grund sollen die Kosten einer IHK „nach Maßgabe des Wirtschaftsplans“ durch Beiträge gedeckt werden. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, den Wortlaut von § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass im Fall einer notwendigen Korrektur die Kosten einer IHK nur insoweit „nach Maßgabe des Wirtschaftsplans“ durch Beiträge aufgebracht werden, wie der Wirtschaftsplan rechtmäßig ist. Letztlich würde mit einer solchen Auslegung ein entsprechendes ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal in die Vorschrift hineingelesen. Die Beklagte behauptet lediglich eine teleologische Reduktion, zeigt jedoch methodisch nicht auf, wo denn die planwidrige, verdeckte Lücke liegen soll, die der Gesetzgeber, wenn er sie erkannt hätte, dementsprechend geregelt hätte. Allein der Umstand, dass es Fallkonstellationen geben mag, in denen Mindereinnahmen der Kammer im Hinblick auf das Kostendeckungsprinzip durch den aktuellen Beitragszahler ausgeglichen werden müssten (Munding, GewArch 2022, 449 (451 u. 452)), vermag noch nicht aufzuzeigen, dass hier eine planwidrige Lücke besteht.
19
1.3.5 Der Senat hat keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich eine fehlerhafte Mittelbedarfsfeststellung jedenfalls dann als unbeachtlich erweisen soll, wenn feststeht, dass der von einer Kammer angenommene Mittelbedarf in derselben Höhe auch ohne Verstoß gegen Haushaltsrecht ermittelt worden wäre. Soweit die Beklagte diesbezüglich auf eine Entscheidung des VGH Baden-Württemberg (U.v. 24.10.2022 – 6 S 965/21 Rn. 85) hinweist, ist anzumerken, dass sich die fehlerhafte Mittelbedarfsfeststellung gerade nicht als unbeachtlich erwiesen hatte. Außerdem verweist der VGH Baden-Württemberg zur Begründung seiner Entscheidung auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 17.04.2002 – 9 CN 1.01 – juris Rn. 31). Diese Entscheidung betraf die Kalkulation von Abgaben eines kommunalen Satzungsgebers. Die Beitragserhebung von Kammermitgliedern bewegt sich jedoch in einem ganz anderen normativen Zusammenhang. Eine dem § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG entsprechende Norm fehlt in den Gemeindeordnungen bzw. den Kommunalabgabengesetzen.
20
Zusammenfassend ist für den Senat nicht ersichtlich, dass durch die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Erhebung von Beiträgen für Industrie- und Handelskammern die richterlichen Maßstäbe so verschärft worden sind, dass jeder Versuch, eine wirksame Satzung zu erlassen, für den Beitragsgläubiger zu einem unkalkulierbaren Wagnis wird – so jedoch die Beklagte – und deshalb contra legem eine Heilungsmöglichkeit zugelassen werden muss.
21
2. Die Rechtssache weist nicht die von der Beklagten geltend gemachten besonderen rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Beklagte macht geltend, dass die Möglichkeit einer nachträglichen Anpassung der Beitragsmaßstäbe auf der Grundlage der Ist-Zahlen aus korrigierten Jahresabschlüssen obergerichtlich und höchstrichterlich nicht entschieden sei. Die Rechtsfragen umspannten das Kammerbeitragsrecht, das staatliche Haushaltsrecht und das Verfassungsrecht und wiesen eine gesteigerte rechtliche Schwierigkeit auf.
22
Diese Einschätzung teilt der Senat nicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat mittlerweile zur Rücklagenthematik entschieden (s.o.) und in diesem Zusammenhang die Maßstäbe für eine rechtmäßige Beitragserhebung erschöpfend dargelegt. An diese Maßstäbe hat sich das Erstgericht gehalten. Die Frage einer nachträglichen Anpassung der Beitragsmaßstäbe lässt sich durch eine einfache Subsumtion unter § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG lösen.
23
3. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.
24
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, wenn sie eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, die klärungsbedürftig sowie für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist und eine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung hat (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 36). Dementsprechend ist zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage zu formulieren und näher auszuführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist, weshalb sie klärungsbedürftig ist und inwiefern der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 72).
25
Die Beklagte wirft als klärungsbedürftig folgende Rechtsfragen auf:
26
Schließen die haushaltsrechtlichen Grundsätze der Jährlichkeit und Vorherigkeit eine Korrektur der Wirtschaftsatzung nach Ablauf eines Wirtschaftsjahres aus, obwohl nach allgemeinen beitragsrechtlichen und rechtstaatlichen Grundsätzen eine unzureichende Rechtsgrundlage durch rückwirkenden Erlass einer rechtmäßigen Satzung geheilt werden kann und als Fall der zulässigen unechten Rückwirkung anzusehen ist?
27
Ist § 3 Abs. 2 Satz 1 IHKG teleologisch dahingehend zu reduzieren, das im Falle einer nachträglichen Änderung der Wirtschaftssatzung nach Ablauf des Wirtschaftsjahres die Beitragssätze nicht nur „nach Maßgabe des Wirtschaftsplans“, sondern auch auf der Grundlage der Ist-Zahlen eines Jahresabschlusses (der einem idealprognostizierten Wirtschaftsplan gleichsteht) bemessen werden können?
28
Klärungsbedürftig sind nur Fragen, die nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz zu lösen sind oder im Fall revisiblen Rechts nicht bereits durch die Rechtsprechung geklärt sind. Die Klärungsbedürftigkeit fehlt auch dann, wenn die Frage zwar nicht ausdrücklich entschieden ist, bereits ergangene Entscheidungen aber ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der Frage geben (vgl. BVerwG, B.v. 28.5.1997 – 4 B 91/97 – NVwZ 1998, 172; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022 § 124 Rn. 38). So liegt es hier. In den ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 22.1.2020 – 8 C 10/19 – juris; U. v. 9.12.2015 – 10 C 6/15 – juris) zu den Kammerbeiträgen sind hinreichende Maßstäbe entwickelt worden, die eine rückwirkende Heilung und eine teleologische Reduktion ausschließen. Die aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten. Insofern ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen.
29
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
30
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 3 GKG.
31
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.
32
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).