Titel:
Verlustfeststellung des Rechts eines italienischen Staatsbürgers auf Einreise und Aufenthalt - erfolgloser Antrag auf Zulassung der Berufung
Normenkette:
FreizügG/EU § 4a, § 6 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5
Leitsätze:
1. "Darlegen" iSd § 124a Abs. 4 S. 4 und Abs. 5 S. 2 VwGO erfordert mehr als einen nicht näher spezifizierten Hinweis auf das behauptete Vorliegen eines Zulassungsgrundes, sondern schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ein "erläutern", "erklären" oder "näher auf etwas eingehen". Erforderlich ist eine substantiierte Auseinandersetzung mit dem Ersturteil, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Straftaten, die auf einer Suchterkrankung beruhten oder durch sie gefördert wurden, kann von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden kann, solange nicht die erforderliche Therapie erfolgreich abgeschlossen und – darüber hinaus – die damit verbundene Erwartung eines künftig straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht worden ist. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gefahrprognose, BtM abgebrochene Therapie, Verstoß gegen Weisungen, italienischer Staatsangehöriger, Verlustfeststellung, Aufenthalt und Einreise als EU-Bürger, Maßregelvolllzug, Freiheitsstrafe, Wiederholungsgefahr, fehlender Abschluss einer Drogentherapie, Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 02.05.2022 – W 9 K 21.1333
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34693
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger, ein am ... Juli 1994 in A. geborener, ab 1995 in Italien aufhältiger und seit dem 10. April 2000 im Bundesgebiet gemeldeter italienischer Staatsangehöriger, seine in erster Instanz erfolglose Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Beklagten vom 17. September 2021, mit dem der Verlust des Rechts des Klägers auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet festgestellt, gegen ihn ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen und ihm unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise die Abschiebung nach Italien angedroht wurde, weiter.
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1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
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Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Die geltend gemachten Zulassungsgründe (ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, nachfolgend 1.1; besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, nachfolgend 1.2 und Vorliegen eines Verfahrensmangels, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, nachfolgend 1.3), deren Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12; Happ in Eyermann, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 81), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7), liegen nicht vor.
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1.1 Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass schwerwiegende Gründe die Feststellung des Verlusts des Klägers auf Aufenthalt und Einreise als EU-Bürger gemäß § 6 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 FreizügG/EU rechtfertigen, wobei das Verwaltungsgericht dabei zu Gunsten des Klägers davon ausging, dass er als italienischer Staatsangehöriger gemäß § 4a FreizügG/EU ein Daueraufenthaltsrecht erworben hatte.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33) und die Zweifel an der Richtigkeit dieser Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen würden. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
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1.1.1 Der Kläger rügt, dass ihm wegen zehnjährigem Aufenthalt der besondere Schutz vor Verlustfeststellung aus § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU zustehe, weshalb eine Verlustfeststellung nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit erfolgen dürfe. Eine solche Prüfung fehle in dem Urteil.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung vermag der Kläger damit nicht darzulegen.
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Es ist bereits unzutreffend, dass eine Prüfung von § 6 Abs. 5 FreizügG/EU in dem Urteil fehle: Auf S. 13 des Urteils sind unter Ziffer 1.2. ausführliche und zutreffende Darlegungen dazu zu finden, dass Art. 6 Abs. 5 FreizügG/EU im vorliegenden Fall wegen des Abreißens der Integrationsbande mit dem Aufnahmemitgliedstaat durch den Maßregelvollzug und die Verbüßung der Haftstrafe nicht einschlägig sei. Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht hilfsweise auch zutreffend dargelegt, dass auch die Voraussetzungen für die Annahme zwingender Gründe für eine Verlustfeststellung vorliegen würden (Freiheitsstrafe von fünf Jahren; Verhinderung von Drogenhandel). Hiergegen wendet sich der Kläger nicht.
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1.1.2 Soweit der Kläger rügt, die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass sich die Wiederholungsgefahr und die gegenwärtige Gefährdung aus dem fehlenden Abschluss einer Drogentherapie des Klägers ergebe und die derzeitige Drogen- und Straffreiheit des Klägers sowie sein vorgetragenes positives Verhalten vor und seit seiner Haftentlassung die Prognose zu Wiederholungsgefahr nicht erschüttern könne, sei sachlich und rechtlich fehlerhaft, zumal diese Annahme nicht valide und auch nicht gesichert sei, stellt er lediglich eine allgemeine Behauptung auf, ohne sich mit den Begründungserwägungen des Verwaltungsgerichts auseinanderzusetzen, welches seine zutreffende Gefahrenprognose im angefochtenen Urteil ausführlich auf das persönliche Verhalten des Klägers und die konkreten Umstände des Falles gestützt hat.
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„Darlegen“ im Sinne der § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO erfordert mehr als einen nicht näher spezifizierten Hinweis auf das behauptete Vorliegen eines Zulassungsgrundes, sondern schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ein „erläutern“, „erklären“ oder „näher auf etwas eingehen“. Erforderlich ist eine substantiierte Auseinandersetzung mit dem Ersturteil, durch die der Streitstoff durchdrungen und aufbereitet wird (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 8 ZB 21.23 – juris Rn. 8; B.v. 15.6.2020 – 8 ZB 19.1426 – juris Rn. 13; NdsOVG, B.v. 24.3.2017 – 8 LA 197/16 – juris Rn. 3; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 63). Dem wird der Kläger in diesem Zusammenhang nicht gerecht.
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Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) u.a. aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit festgestellt werden. Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in § 6 Abs. 1 FreizügG/EU genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen berücksichtigt werden, und diese nur insoweit, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (§ 6 Abs. 2 FreizügG/EU; vgl. Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 der RL 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, v. 29.4.2004, ABl. EU L 158 S. 77: Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt), wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass in der Regel eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (EuGH, U.v. 22.5.2012 – C-348/09 – juris Rn. 33 f.; EuGH, U.v. 27.10.1977 – C-30/77 -juris Rn. 29/30). Dieser Maßstab verweist – anders als der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im deutschen Polizeirecht – nicht auf die Gesamtheit aller Rechtsnormen, sondern auf einen spezifischen Rechtsgüterschutz, nämlich ein Grundinteresse der Gesellschaft, das berührt sein muss (BVerwG, U.v. 3.8.2004 – 1 C 30.02 – juris Rn. 24).
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen (wie auch bei Verlustfeststellungen) und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 18). Bei der Prognose, ob eine Wiederholung vergleichbarer Straftaten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit droht, sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (BVerwG, U.v. 16.11.2000 – 9 C 6.00 – juris Rn. 16; BayVGH, U.v. 30.10.2012 – 10 B 11.2744 – juris Rn. 33 m.w.N.). Da jeder sicherheitsrechtlichen Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß zugrunde liegt, sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bei dieser Prognose umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (stRspr; vgl. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 16; U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 16; U.v. 4.10.2012 – 1 C 13.11 – juris Rn. 18; U.v. 6.9.1974 – 1 C 17.73 – juris Rn. 23; U.v. 17.3.1981 – 1 C 74.76 – juris Rn. 29; U.v. 3.7.2002 – 6 CN 8.01 – juris Rn. 41). Die Annahme einer Wiederholungsgefahr scheidet nicht erst dann aus, wenn eine an naturwissenschaftlichen Erkenntnismaßstäben orientierte Gewissheit gegeben ist, dass der Ausländer nicht mehr straffällig wird, sondern bereits dann, wenn bei Anwendung praktischer Vernunft neue Verfehlungen nicht (mehr) in Rechnung zu stellen sind, d.h. das von dem Ausländer ausgehende Risiko bei Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalls letztlich kein anderes ist, als es bei jedem Menschen mehr oder weniger besteht (BVerwG, U.v. 17.10.1984 – 1 B 61.84 – juris Rn. 7; VGH BW, U.v. 2.1.2023 – 12 S 1841/22 – juris Rn. 45 m.w.N.).
13
Bei Straftaten, die wie im Fall des Klägers auf einer Suchterkrankung beruhten oder durch sie gefördert wurden, kann von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden kann, solange der Kläger nicht die erforderliche Therapie erfolgreich abgeschlossen und – darüber hinaus – die damit verbundene Erwartung eines künftig straffreien Verhaltens auch nach Therapieende glaubhaft gemacht hat (vgl. BayVGH, B.v. 3.7.3034 – 19 ZB 23.1944 – n.v., Rn. 7; B.v. 7.12.2023 – 10 ZB 23.1550 – juris Rn. 12), insbesondere indem er sich außerhalb des Straf- oder Maßregelvollzugs bewährt hat (vgl. BayVGH, B.v. 11.3.2024 – 19 ZB 23.1407, n.v., Rn. 18; B.v. 7.3.2024 – 19 ZB 22.2263 – juris Rn. 14; B.v. 18.12.2023 – 10 ZB 23.1200 – juris Rn. 7; B.v. 1.12.2022 – 19 ZB 22.1538 – juris Rn. 38; B.v. 27.2.2021 – 10 ZB 21.935 – juris Rn. 9; jeweils m.w.N. aus der – hier zu übertragenden – Rechtsprechung zum Ausweisungsrecht).
14
Gemessen daran ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts, vom Kläger, der zuletzt mit Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 4. Oktober 2016 wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden war, gehe eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, nicht zu beanstanden.
15
Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts war die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bereits für erledigt erklärt worden, da keinerlei Aussicht auf Erfolg mehr bestanden hatte, da der Kläger in einen anhaltenden und auch polytrophen Suchtmittelkonsum zurückgefallen sei. Eine erfolgreiche Bearbeitung des fortgesetzten Suchtverhaltens sei nicht mehr zu erwarten, auch wenn der Kläger verbal seine Therapiebereitschaft und Motivation beteuert habe (Beschluss des Landgerichts Würzburg vom 3. April 2019 – 1 StVK 1148/16). Darüber hinaus wurde mit diesem Beschluss auch entschieden, dass die Vollstreckung des Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 7. Oktober 2016 aus diesem Grund auch nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.
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Ausweislich der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt St. Georgen-Bayreuth vom 3. Dezember 2020 habe der Kläger erklärt, mit einer Anbindung an eine Suchtberatung nach der Entlassung (aus der Strafhaft) nicht einverstanden zu sein. Er habe seine Strafe voll verbüßen müssen und sehe keine Notwendigkeit hierfür.
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Die Annahme des Verwaltungsgerichts, vom Kläger gehe eine erhebliche Wiederholungsgefahr aus, erweist sich auch im maßgeblichen Zeitpunkt der Senatsentscheidung als zutreffend (vgl. zum maßgeblichen Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung einer Verlustfeststellung: BayVGH, B.v. 19.12.2023 – 10 ZB 23.2152 – juris Rn. 6). Weder hat der Kläger eine Drogentherapie erfolgreich abgeschlossen noch sprechen die Persönlichkeit des Klägers und die Weiterentwicklung nach Haftentlassung für einen Entfall der Wiederholungsgefahr.
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1.1.2.1 Wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat, hat der Kläger bereits eine mehrjährige Drogentherapie nicht erfolgreich absolviert (die Unterbringung sei für erledigt erklärt worden, da keinerlei Aussicht auf Erfolg mehr bestanden habe), der Kläger sei in einen anhaltenden und auch polytrophen Suchtmittelkonsum zurückgefallen. In der Justizvollzugsanstalt habe der Kläger dann zwar in Kontakt mit der Suchtberatung gestanden (den er dann aber eingestellt habe), eine Therapie sei jedoch wegen fehlender Kostenzusage nicht realisierbar gewesen. Zuletzt habe sich der Kläger auch mit einer Anbindung an eine Suchtberatung nach Haftentlassung nicht einverstanden erklärt, da er seine Strafe voll verbüßt habe und dafür keine Notwendigkeit sähe.
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Aus diesem Verlauf wird deutlich, dass der Kläger letztlich von der mehrjährigen, jedoch nicht erfolgreich abgeschlossenen Therapie nicht nachhaltig profitiert hat, sondern bereits im geschützten Rahmen der Entzugsklinik wieder rückfällig wurde.
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1.1.2.2 Auch die Persönlichkeit des Klägers und seine Entwicklung nach Haftentlassung lassen die Wiederholungsgefahr nicht entfallen. Eine ausreichende Glaubhaftmachung eines künftig straffreien Verhaltens liegt nach Auffassung des Senats nicht vor.
21
Zwar ist als positives Prognoseindiz zu werten, dass der Kläger – unter den geschützten Bedingungen von Haft und dem Legalbewährungsdruck von Führungsaufsicht und dem noch offenen Ausweisungsverfahren – seit der letzten Verurteilung vom 7. Oktober 2016 und seit seiner Haftentlassung am 24. Februar 2021 (soweit bekannt) keine weiteren Straftaten begangen hat und sich ausweislich eines übersandten Arbeitsvertrages seit dem 15. November 2022 in einem unbefristeten und ungekündigten Arbeitsverhältnis befindet. Diesem kommt jedoch kein die Wiederholungsgefahr widerlegendes Gewicht zu.
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Nach vollständiger Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren wurde durch Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 26. Januar 2021 festgelegt, dass die Führungsaufsicht nicht entfällt und ihre Höchstdauer (fünf Jahre) nicht abgekürzt wird. Darüber hinaus wurden weitere strafbewehrte Weisungen erlassen, unter anderem dass sich der Kläger am Tag der Entlassung und sodann nach der Entlassung mindestens einmal im Quartal, höchstens zweimal im Monat bei der für seinen Wohnort zuständigen Bewährungshilfe nach konkreter Terminsbestimmung persönlich zu melden habe sowie keine illegalen Drogen zu sich nehmen dürfe und sich zur Überprüfung seiner Abstinenz nach näherer Weisung seines Bewährungshelfers mindestens einmal im Quartal, höchstens zweimal im Monat Urinkontrollen zu unterziehen habe.
23
Nach seiner Haftentlassung am 24. Februar 2021 hat der Kläger am 9. März 2021 an einem Beratungsgespräch in der psychosozialen Beratungsstelle der Caritas teilgenommen; ein weiteres telefonisches Beratungsgespräch fand am 21. April 2021 statt. In diesem berichtete der Kläger von seiner stabilen Drogenabstinenz und erklärte, dass er aktuell keinen weiteren Bedarf an Suchtberatung habe. Eine erste Urinkontrolle vom 18. März 2021 und eine weitere Kontrolle vom 29. Juli 2021 enthielten keinen Nachweis von Betäubungsmitteln. Bei einer weiteren Urinkontrolle vom 25. November 2021 ließ sich kein Nachweis von Betäubungsmitteln finden, jedoch enthält der Befundbericht den Hinweis „Sehr wenig Urin – Manipulationsverdacht!!!“. Im ersten Führungsbericht vom 15. September 2021 wurde zusammenfassend mitgeteilt, dass der erste Eindruck vom Kläger zufriedenstellend sei; Straftaten seien im Berichtszeitraum nicht bekannt geworden, die Führungsaufsicht könne weitergeführt werden. Auch im zweiten Führungsbericht vom 23. März 2022 wurde zusammenfassend mitgeteilt, dass der Gesamteindruck des Klägers unverändert positiv sei. Eine weitere Urinkontrolle vom 24. März 2022 erbrachte keinen Nachweis von Betäubungsmitteln. Ein weiterer Befundbericht vom 8. Juni 2022 enthält keine Aussage zum Nachweis von Betäubungsmitteln, jedoch den Hinweis „Manipulationsverdacht – Urintemperatur: 32, 1 Grad Celsius!!“ Im Begleitschreiben der Bewährungshilfe vom 14. Juni 2022 wird diesbezüglich ausgeführt, dass eine weitere Urinkontrolle in einigen Wochen durchgeführt werde. Der Kläger bestreite einen Manipulationsversuch. Im Führungsbericht der Bewährungshilfe vom 21. November 2022 wird ausgeführt, dass der Gesamteindruck vom Kläger zufriedenstellend sei. Eine weitere Urinkontrolle sei für den 8. Dezember 2022 geplant. Ausweislich der Befundberichte waren bei den Urinkontrollen am 8. Dezember 2022, 29. März 2023 und 30. August 2023 keine Betäubungsmittel nachweisbar. Im Führungsbericht vom 11. Oktober 2023 wird zusammenfassend ausgeführt, dass der Gesamteindruck des Klägers unverändert positiv sei; Maßnahmen sei nicht erforderlich, die Führungsaufsicht könne weitergeführt werden. Im zuletzt erstellten Führungsbericht vom 23. September 2024 wird ausgeführt, dass es in der Zusammenarbeit mit dem Kläger keinerlei Probleme gebe: er melde sich zwischen Vorspracheterminen bei Bedarf telefonisch und halte die vereinbarten Gesprächstermine zuverlässig ein. In den Gesprächen zeige er sich offen und durchaus selbstkritisch. Er wirke nachvollziehbar suchtmittelfrei und habe nach eigenen Angaben keine Kontakte mehr in das delinquente Milieu. Deshalb seien seit Januar 2024 auch keine weiteren Urinkontrollen mehr durchgeführt worden – diese seien nach Erachten der Bewährungshilfe aktuell nicht nötig.
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Aus diesem Verlauf ergibt sich, dass im 2. Quartal 2021, im 3. Quartal 2022, im 2. Quartal 2023 sowie ab Januar 2024 keine Urinkontrollen zu Überprüfung der Abstinenz des Klägers im Hinblick auf die Einnahme von illegalen Drogen durchgeführt wurden; darüber hinaus standen die Urinkontrollen im vierten Quartal 2021 sowie im zweiten Quartal 2022 unter Manipulationsverdacht. Diese Unregelmäßigkeiten nähren den Verdacht, dass es dem Kläger trotz strafbewehrter Weisungen während laufender Führungsaufsicht nicht gelungen sein könnte, seine Suchtproblematik nachhaltig zu überwinden. Zwar liegen für den Kläger keine Ergebnisse von Urinkontrollen vor, die den Nachweis der Einnahme von illegalen Drogen beinhalten, jedoch kann im Hinblick auf die lückenhaften und teilweise in sehr großen zeitlichen Abständen bzw. unter Manipulationsverdacht durchgeführten Urinkontrollen nicht ausreichend sicher auf eine Überwindung der Suchtproblematik bei dem Kläger geschlossen werden.
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Daher kann auch die Rüge des Klägers, dass eine Wiederholungsgefahr nicht gegeben sei, weil der Kläger nicht in die Drogenszene zurückgekehrt und der Bericht der Bewährungshelferin überaus positiv sei, keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung begründen, weil – wie aufgezeigt – eine dauerhafte Suchtmittelabstinenz mit den nur lückenhaft durchgeführten Urinkontrollen, die darüber hinaus teilweise auch unter Manipulationsverdacht standen, nicht ausreichend glaubhaft gemacht wurde.
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Dies gilt ebenso für die weitere Rüge, dass der fehlende Abschluss der Drogentherapie kein Beleg dafür sei, dass eine dreijährige Therapie erfolglos geblieben sei und der Kläger nicht reflektiere; es seien keine Auskünfte oder Informationen zum konkreten Therapieverlauf eingeholt worden. Zum einen ist der Therapieverlauf im Maßregelvollzug bis hin zum Abbruch wegen Aussichtslosigkeit umfassend und ausführlich im beigezogenen Vollstreckungsheft der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg dokumentiert und es ist insbesondere dem Beschluss des Landgerichts Würzburg vom 3. April 2019 zu entnehmen, dass „der zuletzt geschilderte problematische Therapieverlauf beim Kläger sich leider fortgesetzt habe. Trotz der wiederholten Chance zur Therapieaufnahme sei es dem Kläger nicht gelungen, abstinent zu bleiben. (…) Der Kläger habe zwar Einsicht in sein Problemverhalten gezeigt, habe sich aber nicht vom Konsum distanzieren können. Ein längerfristiger Abstinenzwille habe nicht aufgebaut werden können. Trotz sehr langer Behandlungsdauer und wiederholter Therapiemöglichkeiten sei es ihm nicht gelungen, eine geeignete Rückfallprophylaxe zu erarbeiten. (…) Beim Kläger ist von einer schlechten Legalprognose auszugehen“, zum anderen ist – wie bereits ausgeführt – eine dauerhafte Suchtmittelabstinenz des Klägers mit den nur lückenhaft durchgeführten und seit Anfang 2024 völlig unterlassenen Urinkontrollen, die darüber hinaus teilweise auch unter Manipulationsverdacht standen, nicht ausreichend glaubhaft gemacht.
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1.1.2.3 Soweit der Kläger rügt, dass gegen die Annahme einer Wiederholungsgefahr spreche, dass eine Freiheitsstrafe gegenüber dem Kläger zum ersten Mal vollzogen worden sei, kann auch dies keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung begründen.
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Der Umstand, dass gegenüber dem Kläger erstmals eine Freiheitsstrafe vollzogen worden ist, spricht vorliegend nicht gegen die Annahme einer Wiederholungsgefahr. Zwar gehen die Straf- und Verwaltungsgerichte davon aus, dass die erstmalige Verbüßung einer Haftstrafe, insbesondere als erste massive Einwirkung auf einen jungen Menschen, unter Umständen seine Reife fördern und die Gefahr eines erneuten Straffälligwerdens mindern kann (BayVGH, B.v. 24.2.2016 – 10 ZB 15.2080 – juris Rn. 12).
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Die Straftaten des Klägers beruhen aber (zumindest auch) auf einer Suchtmittelabhängigkeit des Klägers, die – wie bereits ausgeführt – mangels einer erfolgreich abgeschlossenen Therapie und lückenhaften Urinkontrollen während der noch laufenden Führungsaufsicht, die auch noch teilweise unter Manipulationsverdacht standen, als weiterhin bestehend zu bezeichnen ist. Daher kann (wie dargelegt) ohne den erfolgreichen Abschluss einer Drogentherapie und die längerfristige Glaubhaftmachung einer damit verbundenen Erwartung eines künftigen drogen- und straffreien Verhaltens auch nach Haftende von einem Wegfall der Wiederholungsgefahr nicht ausgegangen werden.
30
1.1.3 Weiter rügt der Kläger, dass sowohl im angefochtenen Bescheid als auch im verwaltungsgerichtlichen Urteil schlicht übersehen werde, dass er in Deutschland geboren sei. Trotz seiner Abwesenheit im Säuglings- und Kleinkindalter sei er zu einem faktischen Inländer geworden. Auch strafbares Verhalten ändere an dieser Einstufung nichts. Enge Beziehungen zu Halbschwester und Nichte seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die Annahme einer Integrationsmöglichkeit in Italien beruhe auf fehlerhaften Feststellungen und Beurteilungen und die Schlussfolgerung, dass ausreichende Italienischkenntnisse schon aufgrund der Zugehörigkeit des Klägers zur „2. Generation“ bestehen müssten, sei fehlerhaft und sachwidrig.
31
Hierzu ist festzustellen, dass selbst eine Einstufung des Klägers als „faktischer Inländer“ nicht unter allen Umständen dazu führen würde, dass die Ausweisung rechtswidrig wäre (vgl. dazu BVerwG, U.v. 16.11.2023 – 1 32.22 – juris Rn. 16 ff.). Denn auch die Ausweisung einer Person, die aufgrund ihrer Verwurzelung in Deutschland und der damit korrespondierenden Entwurzelung im Heimatland als faktischer Inländer behandelt werden muss, ist nicht von vornherein unzulässig. Vielmehr ist der besonderen Härte, die mit einer solchen Ausweisung einhergeht, durch eine auf den konkreten Einzelfall bezogene individuelle Gefahrenprognose unter Berücksichtigung aktueller Tatsachen, die die Gefahr entfallen lassen oder nicht unerheblich vermindern können, sowie im Rahmen der Interessenabwägung durch eine besonders sorgfältige Prüfung und Erfassung der individuellen Lebensumstände des Ausländers, seiner Verwurzelung in Deutschland einerseits und seiner Entwurzelung im Herkunftsland andererseits, Rechnung zu tragen (BVerwG, U.v. 16.11.2023 a.a.O. Rn. 17 m.w.N.).
32
Diesen Maßstäben wird die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts gerecht. Das Verwaltungsgericht hat berücksichtigt, dass der Kläger im Bundesgebiet geboren wurde, überwiegend hier aufgewachsen ist und die Beziehungen des Klägers zu Italien, wo er zwischen 1995 und 2000 mit seiner Familie gelebt hat, viel geringer sind als zu Deutschland. Seine Eltern und seine Schwester, mit denen der Kläger Kontakt pflegt, halten sich ebenfalls im Bundesgebiet auf. Der Kläger hat keinen Schul- oder Berufsabschluss erworben. Vor diesem Hintergrund ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass das Maß der Verwurzelung des Klägers im Bundesgebiet einer Ausweisung nicht entgegensteht. Auch dem nunmehr wiederholten Vortrag, dass der Kläger keine ausreichenden Kenntnisse der italienischen Sprache besitze, hat das Verwaltungsgericht bereits zutreffend entgegengehalten, dass fehlende Sprachkenntnisse vor dem Hintergrund des mehrjährigen Aufenthalts der Familie in Italien zum Zeitpunkt der sprachlichen Prägung des Klägers gänzlich unglaubhaft sind. Darüber hinaus wäre es für den Kläger auch zumutbar, gegebenenfalls nicht mehr vorhandene Sprachkenntnisse aufzufrischen und sich in die Verhältnisse in Italien zu reintegrieren und sich dort eine Existenz aufzubauen. Auch die noch nicht sehr lange bestehende Beziehung zu seiner Freundin/Lebensgefährtin und deren Kindern ist nicht vom Schutzbereich des Art. 6 GG und Art. 8 EMRK (Ehe und Familie) erfasst, darüber hinaus wurde diese auch in Kenntnis des schwebenden Verlustfeststellungsverfahrens eingegangen. Soweit der Bewährungshilfebericht vom 23. September 2024 erwähnt, dass der Kläger Ende November 2024 zum ersten Mal Vater werde, seine Lebensgefährtin erwarte den gemeinsamen Sohn, fehlt es an entsprechenden Nachweisen, dass der Kläger der Vater dieses erwarteten Kindes ist und er ein Sorgerecht besitzen wird. Darüber hinaus fehlt es in diesem Stadium an der erforderlichen gelebten Vater-Kind-Beziehung.
33
1.1.4 Soweit der Kläger (mit Verweis auf EuGH, U.v. 23.11.2010 – C-145/09) rügt, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht erfolgt sei, ist in diesem Zusammenhang bereits nicht ausreichend dargelegt, welche der vom EuGH in dieser Entscheidung angesprochenen Kriterien (Grad der Integration der betroffenen Person, Dauer des Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat, ihr Alter, ihr Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Situation und die Bindungen zum Herkunftsstaat) bei der Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine Berücksichtigung gefunden haben soll. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass jedes dieser Kriterien vom Verwaltungsgericht geprüft wurde und das Verwaltungsgericht als Ergebnis zutreffend festgestellt hat, dass die Abwägungsentscheidung des Beklagten, dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unter Berücksichtigung der vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr den Vorrang zukommen zu lassen, keinen rechtlichen Bedenken begegnet (vgl. Ziff. 1.3 der Urteilsgründe).
34
Der Senat hat auch die weiteren vom Kläger vorgebrachten Argumente, die er in seiner umfangreichen Zulassungsbegründung und den weiteren Schriftsätzen, mit denen auch zahlreiche Bilder von dem Kläger in seinem Umfeld übersandt wurden, erwogen. Er hat sie jedoch ebenfalls nicht für geeignet gehalten, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung aufzuzeigen, ohne dass es insoweit im vorliegenden Beschluss einer ausdrücklichen Auseinandersetzung bedurft hätte.
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1.2 Die Berufung des Klägers ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
36
Bezüglich dieses Zulassungsgrundes fehlt es ebenso an der konkreten Darlegung, welche besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten die Rechtssache aufweisen sollte. Abgesehen vom Darlegungserfordernis weist die Rechtssache auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf.
37
Besondere tatsächliche Schwierigkeiten einer Rechtssache entstehen durch einen besonders unübersichtlichen und/oder einen schwierig zu ermittelnden Sachverhalt. Ob besondere tatsächliche Schwierigkeiten bestehen, ist unter Würdigung der aufklärenden Tätigkeit des Verwaltungsgerichts zu beurteilen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 33). Eine Rechtssache weist besondere rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn eine kursorische, aber sorgfältige, die Sache überblickende Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung keine hinreichend sichere Prognose über den Ausgang des Rechtsstreits erlaubt. Die Offenheit des Ergebnisses charakterisiert die besondere rechtliche Schwierigkeit und rechtfertigt – insbesondere zur Fortentwicklung des Rechts – die Durchführung des Berufungsverfahrens (Happ, a.a.O., § 124 Rn. 16, 25, 27). Dabei ist der unmittelbare sachliche Zusammenhang des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO mit Abs. 2 Nr. 1 VwGO in den Blick zu nehmen (Happ, a.a.O., Rn. 25). Schwierigkeiten solcher Art liegen vor, wenn der Ausgang des Rechtsstreits aufgrund des Zulassungsvorbringens bei summarischer Prüfung als offen erscheint und sich die aufgeworfenen Rechts- und Tatsachenfragen nicht schon ohne Weiteres im Zulassungsverfahren, sondern erst in einem Berufungsverfahren mit der erforderlichen Sicherheit klären und entscheiden lassen.
38
Die erforderliche Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung führt hier zur Prognose, dass diese zurückzuweisen wäre. Da die vom Kläger geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils – wie bereits unter 1.1 ausgeführt – nicht bestehen, ist die Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht besonders schwierig; besondere tatsächliche Schwierigkeiten sind nicht ersichtlich.
39
1.2.1 Soweit der Kläger rügt, dass mit der Notwendigkeit, die Prüfung im Zulassungsverfahren zu bestehen, dem Kläger die Überprüfung in einer weiteren Rechtsmittelinstanz erheblich erschwert werde und er durch den Verweis auf ein Zulassungsverfahren in seinem Recht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt sei, weil er einen Anspruch auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle habe und das Rechtsmittelgericht ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer „leerlaufen“ lassen dürfe, begründet dies keine besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeit der Rechtssache.
40
Die Beschränkung der Berufung durch das Erfordernis einer besonderen Zulassung ist, sofern der Gleichheitssatz gewahrt ist, verfassungsrechtlich zulässig und verstößt weder gegen Art. 19 Abs. 4 GG noch gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Da Art. 19 Abs. 4 GG keine zweite Instanz garantiert, ist auch ein gänzlicher Ausschluss der Berufung verfassungsrechtlich statthaft (Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 23. A. 2023, § 124 Rn. 2; Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 45. EL Januar 2024, Vorbem. § 124 Rn. 4).
41
Demzufolge eröffnet Art. 19 Abs. 4 GG zwar keinen Instanzenzug. Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer „leerlaufen“ lassen. Sehen die prozessrechtlichen Vorschriften – wie §§ 124, 124a VwGO – die Möglichkeit vor, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, so verbietet Art. 19 Abs. 4 GG eine Auslegung und Anwendung dieser Rechtsnormen, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert. Vor diesem Hintergrund dürfen an die Darlegung eines Zulassungsgrundes keine überspannten Anforderungen gestellt werden (vgl. (vgl. BVerfG, B.v. 16.1.2017 – 2 BvR 2615/14 – juris Rn. 18 m.w.N.). Insbesondere dürfen die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht derart erschwert werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalts mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können (BVerfG, B.v. 24.8.2010 – 1 BvR 2309/09 – juris Rn. 10). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die Anforderung, herauszuarbeiten, weshalb eine im konkreten Fall entscheidungserhebliche Tatsachen- oder Rechtsfrage bei kursorischer, aber sorgfältiger Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung keine hinreichend sichere Prognose über den Ausgang des Rechtsstreits erlaubt und das Ergebnis eines Berufungsverfahrens im Zeitpunkt der Entscheidung über den Zulassungsantrag somit offen ist, kann mit zumutbarem Aufwand erfüllt werden.
42
Nichts anderes gilt im Hinblick auf die Unionsbürgerschaft des Klägers. Gemäß Art. 31 Abs. 1 der RL 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens sind nach Art. 31 Abs. 3 Satz 1 RL 2004/38/EG dabei die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und Umstände zu überprüfen, auf denen die Entscheidung beruht. Nach Art. 31 Abs. 3 Satz 2 RL 2004/38/EG gewährleistet das Rechtsbehelfsverfahren darüber hinaus, dass die Entscheidung nicht unverhältnismäßig ist (BayVGH, U.v. 3.2.2015 – 10 BV 13.421 – juris Rn. 50). Diesen Vorgaben ist mit der Eröffnung der Klagemöglichkeit und der gerichtlichen Überprüfung der Verlustfeststellung hinsichtlich des Vorliegens ihrer tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) Genüge getan. Die Gewährleistung einer zweiten Instanz ist indes auch nach den unionsrechtlichen Verfahrensvorschriften nicht erforderlich.
43
1.2.2 Soweit der Kläger rügt, dass auch eine Verhängung einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren alleine nicht ausreiche, wenn der Betroffene das ganze Leben in Deutschland verbracht habe und sogar in Deutschland geboren sei, kann dies ebenfalls keine besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeit der Rechtssache begründen.
44
Da diese Rüge bereits keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils begründen konnte (vgl. oben unter 1.1), kann diesbezüglich auch keine besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeit vorliegen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird deshalb auf die dort getätigten Ausführungen verwiesen.
45
1.2.3 Dies gilt auch für die Rüge des Klägers, dass sich sein Therapieverlauf durch regelmäßige Teilnahme und Motivation auszeichne, die Therapie könne für den Zeitraum 25. Februar 2018 bis 30. Mai 2018 insgesamt als erfolgreich und legal prognostisch günstig bezeichnet werden. Auch hier wird insoweit auf die Ausführungen unter 1.1 verwiesen.
46
1.3 Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen.
47
Mit der Rüge, dass eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vorliege, weil der Kläger auf ein Zulassungsverfahren verwiesen werde und bei dem hier genannten Abhängigkeitssyndrom bzw. Substanzkonsumsstörungen im Rahmen des strukturierten Beweisverfahrens Ermittlungen durchgeführt werden müssten, um Feststellungen zum Schweregrad der Abhängigkeit im konkreten Einzelfall treffen zu können, solche Feststellungen habe das Verwaltungsgericht nicht vorgenommen, wird der Sache nach ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend gemacht. Die Rüge greift aber schon deswegen nicht durch, weil eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht grundsätzlich nicht geltend gemacht werden kann, wenn der anwaltlich vertretene Kläger es – wie hier – unterlassen hat, in der mündlichen Verhandlung entsprechende Beweisanträge zu stellen. Mit der Aufklärungsrüge können Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten, vor allem unterbliebene Beweisanträge, nicht kompensiert werden. Dass ein solcher Beweisantrag nicht gestellt wurde, ist nur dann unerheblich, wenn sich dem Gericht auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Ermittlung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge ist dabei nur dann erfolgreich, wenn das Gericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiterer Sachaufklärung hätte sehen müssen. Außerdem müsste der Kläger darlegen, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Aufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer für ihn günstigen Entscheidung geführt hätte (vgl. BVerwG, B.v. 16.3.2011 – 6 B 47.10 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 21.3.2012 – 10 ZB 10.100 – juris Rn. 22; B.v. 18.10.2013 – 10 ZB 11.618 – juris Rn. 25; B.v. 25.8.2014 – 10 ZB 12.2673 – juris Rn. 16; B.v. 8.10.2014 – 10 ZB 12.2742 – juris Rn. 52; B.v. 12.5.2015 – 10 ZB 13.629 – juris Rn. 23).
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Das Verwaltungsgericht hat vorliegend seine Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO nicht verletzt. Der Kläger hat weder eine Beweisaufnahme angeregt noch in der mündlichen Verhandlung einen förmlichen Beweisantrag gestellt. Auch hat sich dem Gericht eine diesbezügliche Beweisaufnahme nicht aufgedrängt.
49
Bei der Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind. Gerade die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen kann daher grundsätzlich von den Gerichten im Wege einer eigenständigen Prognose ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilt werden (stRspr BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20/11 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 25.3.2021 – 19 ZB 19.950 – juris Rn. 45; BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2636 – juris Rn. 36; B.v. 8.11.2017 – 10 ZB 16.2199 – juris Rn. 7 m.w.N.). Eine Ausnahme kommt danach nur in Betracht, wenn die Prognose die Feststellung oder Bewertung von Umständen voraussetzt, für die eine dem Richter nicht zur Verfügung stehende Sachkunde erforderlich ist, wie es z.B. bezüglich der Frage des Vorliegens oder der Auswirkungen eines seelischen Leidens der Fall sein kann (BVerwG, B.v. 4.5.1990 – 1 B 82/89 – juris Rn. 7).
50
Ein solcher Fall liegt hier schon deshalb nicht vor, weil bereits im strafgerichtlichen Urteil vom 7. Oktober 2016 bezüglich des Klägers festgehalten ist, dass er an einem Abhängigkeitssyndrom durch multiplen Substanzgebrauch (Polytoxikomanie) gem. ICD 10: F 19.21 leidet und auch im Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 26. Januar 2021 ausgeführt wird, dass bei dem Kläger eine ungelöste Drogenproblematik besteht, die erneute Straftaten befürchten lässt.
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2. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).