Inhalt

VGH München, Beschluss v. 02.12.2024 – 19 ZB 24.1655
Titel:

Aufnahmezusage als jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion 

Normenkette:
AufenthG § 23 Abs. 2
Leitsatz:
Eine Personenstandsurkunde zum Nachweis der jüdischen Abstammung für die Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion muss vor 1990 ausgestellt sein. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufnahmezusage, Aufnahmeanordnung des BMI, Vor 1990 ausgestellte Originalurkunden, Archivauszug, jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, Originalurkunden, Archivbescheinigung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 16.08.2024 – AN 5 K 23.1734
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34691

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

1
Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein in erster Instanz erfolgloses Begehren weiter, ihm eine Aufnahmezusage als jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion gemäß § 23 Abs. 2 Satz 1 AufenthG zu erteilen. Die Beklagte hat seinen Antrag mit Bescheid vom 27. Juli 2023 abgelehnt.
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1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.
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Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), dessen Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7), wurde schon nicht hinreichend dargelegt und liegt auch nicht vor.
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Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Klärungsbedürftig sind solche Rechts- oder Tatsachenfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend ober- oder höchstgerichtlich geklärt sind (vgl. BVerfG, B.v. 28.4.2011 – 1 BvR 3007/07 – juris Rn. 21; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 38). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung mithilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann (stRspr, BVerwG, B.v. 9.4.2014 – 2 B 107.13 – juris Rn. 9 m.w.N.; BVerfG, B.v. 29.7.2010 – 1 BvR 1634/04 – juris Rn. 64). Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 72).
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1.1 Der Kläger formuliert schon keine grundsätzlich klärungsbedürftige und -fähige Tatsachen- oder Rechtsfrage. Der Sache nach wendet er sich im Stile einer Berufungsbegründung gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, welches die Klage abgewiesen hat, weil der Kläger keine vor dem Jahr 1990 ausgestellte Originalurkunde vorgelegt habe, wonach er selbst jüdischer Nationalität ist.
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Dies genügt bereits nicht den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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1.2 Im Übrigen wirft der Kläger mit seinen Einwänden gegen die erstinstanzliche Entscheidung auch der Sache nach keine Tatsachen- oder Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung auf.
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1.2.1 Soweit der Kläger vorträgt, die Aufnahmeanordnung sei überholt, es seien seit dem Zerfall der ehemaligen UdSSR im Jahr 1990 und dem Erlass der Anordnung im Jahr 1991 mittlerweile 30 Jahre vergangen und es könne niemandem mehr zugemutet werden, vor 1990 ausgestellte Originalurkunden zu besitzen, die Antragsteller würden durch die fragliche Regelung unter Generalverdacht gestellt, Urkundenfälscher zu sein, das Erfordernis der Vorlage von Originalurkunden sei im Jahr 1991 mangels Internet und elektronischer Dokumentenverwaltung berechtigt gewesen, digitale Abschriften seien jedoch wesentlich fälschungssicherer als Papierurkunden und es handele sich bei den vom Kläger vorgelegten Urkunden um amtliche Abschriften von ursprünglichen Personenstandsurkunden vom staatlichen Einheitsportal für digitale Verwaltungsdienstleistungen des Justizministeriums der Republik Usbekistan, zeigt er keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf.
9
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass eine Personenstandsurkunde zum Nachweis der jüdischen Abstammung gemäß Nr. I 2. lit. a) der Anordnung über die Aufnahme jüdischer Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion mit Ausnahme der Baltischen Staaten vom 24. Mai 2007 in der Fassung vom 22. April 2020, zuletzt geändert am 18. März 2022 (im Folgenden: Aufnahmeanordnung) vor 1990 ausgestellt sein muss (BayVGH, B.v. 29.2.2024 – 19 ZB 23.675, n.v.). Denn die Intention der Regelung in Nr. I 2. lit. a) Aufnahmeanordnung besteht darin, die Aufnahmeberechtigung in sachgerechter und willkürfreier Weise auf Personen zu beschränken, die selbst oder zumindest deren (Groß-)Eltern sich vor 1990 – seinerzeit eventuell auch unter Hinnahme von Nachteilen – zu ihrer jüdischen Glaubenszugehörigkeit in Form der Angabe einer jüdischen Nationalität in staatlichen Personenstandsurkunden bekannt haben. Diese Regelungsintention sowie die Annahme, dass unter dem bis 1990 in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion herrschenden Regime der Grad der Verlässlichkeit staatlicher Urkunden wesentlich höher war als nach der so genannten Wende (vgl. zu diesen Begründungsansätzen: BayVGH, B.v. 16.8.2021 – 19 ZB 21.1323 – juris Rn. 26), sprechen dafür, dass eine Personenstandsurkunde zum Nachweis der jüdischen Abstammung vor 1990 ausgestellt sein muss, da es bei später ausgestellten Dokumenten an einem (relevanten) Bekenntnis zur jüdischen Nationalität fehlt.
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Des Weiteren ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass Personenstandsurkunden nach der insoweit maßgeblichen Anerkennungspraxis der Beklagten nur Geburts-, Abstammungs-, Heirats- und Sterbeurkunden sind (BayVGH, B.v. 16.8.2021 – 19 ZB 21.1323 – juris Rn. 32), mithin nicht eine Archivbescheinigung mit der Ablichtung des Registereintrags (BayVGH, B.v. 29.2.2024 – 19 ZB 23.675, n.v.). Diese Erwägungen gelten auch für digitale Auszüge wie die vorgelegten (abgesehen davon, dass die Geburtseintragung der Tochter des Klägers aus der Zeit nach 1990 stammt). Eine rechtliche Einordnung einer Archivbescheinigung als Personenstandsurkunde im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 PStG ist in diesem Zusammenhang unerheblich, weil die Aufnahmeanordnung keiner eigenständigen Auslegung durch die Beklagte oder das Gericht zugänglich ist (BayVGH, B.v. 16.8.2021 – 19 ZB 21.1323 – juris Rn. 32).
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1.2.2 Der Kläger kann auch nicht mit seiner Rüge durchdringen, dass für den Fall des Nichtausreichens von Archivunterlagen die Möglichkeit der positiven Entscheidung aufgrund des Gesamteindrucks bestehen müsse.
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Nach der Rechtsprechung des Senats bleibt es auch aufgrund des Erlasses des Bundesministeriums vom 26. August 2011 (BMI-Erlass), mit welchem das Bundesamt um Umsetzung seiner vom Beirat Jüdische Zuwanderung vom 29. Juni 2011 gebilligten Handlungsempfehlungen zur Urkundenproblematik gebeten wurde, bei dem Grundsatz einer Beweispflicht mittels vor 1990 ausgestellter Personenstandsurkunden. Ausschließlich in den Fällen, in denen der Antragsteller substantiiert und glaubhaft vortragen kann, dass ihm dies nicht möglich ist, kommt es zu einer Gesamtschau. Hierbei werden die in der Handlungsempfehlung aufgeführten weiteren Dokumente zugelassen und in ihrer Gesamtheit bewertet, wobei der unterschiedliche Beweiswert zu berücksichtigen ist. In den Handlungsempfehlungen des Bundesamtes heißt es, im Hinblick auf den erforderlichen Nachweis der jüdischen Nationalität gemäß Nr. I 2. lit. a) der Aufnahmeanordnung seien als jüdische Zuwanderer nur Personen im Rahmen des Aufnahmeverfahrens antragsberechtigt, die nach staatlichen, vor 1990 ausgestellten Personenstandsurkunden selbst jüdischer Nationalität sind oder von mindestens einem jüdischen Elternteil abstammen. Falls diese Personenstandsurkunden nicht vorhanden seien oder Zweifel an deren Rechtmäßigkeit bestünden, sei der Antragsteller gehalten, in einem substantiierten Vortrag die Gründe glaubhaft hierfür darzulegen. Komme das Bundesamt im Rahmen einer freien Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass die Glaubhaftmachung gelingt, seien alle zusätzlich vorgelegten Urkunden und Dokumente in einer Gesamtschau zu würdigen. Aufgezählt werden sodann die dabei heranzuziehenden Urkunden und Dokumente. Angeordnet wird, dass der Beweiswert der einzelnen Dokumente bei der Gesamtschau angemessen zu berücksichtigen ist.
13
Der Kläger hat schon nicht substantiiert dargelegt, dass und warum ihm die Vorlage von Originalurkunden aus der Zeit vor 1990 nicht möglich ist. Sein allgemeiner Verweis auf den Zeitablauf und die Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit, derartige Urkunden im Jahr 2024 (noch) zu besitzen, genügt dafür nicht. Der Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren, nach dem Zerfall der Sowjetunion habe der Kläger in den Wirren der 1990er Jahre seine Originalunterlagen verloren, da er zunächst aus Usbekistan nach Belarus habe fliehen müssen und dann kurzzeitig in die USA gereist sei, wo er Asyl beantragt habe, legt ebenfalls nicht substantiiert dar, weshalb und unter welchen Umständen er die angeblich besessenen Originalunterlagen (aus der Zeit vor 1990) verloren hat. Damit fehlt es in seinem Fall an den Voraussetzungen einer Gesamtschau.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 Satz 1, § 47 Abs. 2 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
16
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).