Titel:
Heimrechtliche Anordnung zur Reaktionszeit auf Rufglockenanlage rechtswidrig
Normenketten:
BayPfleWoqG Art. 3 Abs. 2, Art. 13 Abs. 2, Abs. 6
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
Leitsätze:
1. Erweisen sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach einer gebotenen summarischen Prüfung heimrechtliche Anordnungen als rechtswidrig, ist die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen darauf beruhende sofort vollziehbare Anordnungen bzw. Zwangsgeldandrohungen nach Art. 13 Abs. 6 BayPfleWoqG anzuordnen. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Will die zuständige Behörde gegenüber dem Träger einer Einrichtung mittels einer vollstreckungsfähigen und zwangsgeldbewehrten Ordnungsverfügung eine Zielvorgabe erteilen, wonach sichergestellt werden muss, dass das Pflegepersonal nach maximal fünf Minuten auf Klingelrufe einer Rufanlage reagiert, müssen auch Mittel benannt bzw. eine Regelung getroffen werden, durch welche konkreten Maßnahmen diese "Reaktion" zu erreichen ist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Vorgaben für "Reaktionszeiten" auf Rufanlagen in Krankenhäusern oder bei der Inaugenscheinnahme eines Patienten in einer Notaufnahme lassen sich aufgrund der völlig unterschiedlichen Ausgangssituation nicht auf die Rufanlage eines Pflegeheims übertragen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für die nach Art. 13 Abs. 2 S. 1 BayPfleWoqG anzustellende Prognoseentscheidung ist die Gesamtsituation zu analysieren. Es genügen dabei nicht allein abstrakte Erwägungen, sonders es bedarf einer konkret drohenden "Gefährdung". (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
5. Die "Verhältnismäßigkeitsprüfung" in einem Bescheid geht insoweit ins Leere, wenn sie sich nicht auf eine konkrete Maßnahme, sondern abstrakt auf die getroffene "Anordnung" bezieht. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Heimrechtliche Anordnung, Bestimmtheit der Anordnung, Reaktionszeit auf Rufglockenanlage, Expertenstandards in der Pflege, Anforderungen an Gefährdungsprognose, Ermessensausübung, Verhältnismäßigkeitsprüfung, heimrechtliche Anordnung, Bestimmtheit, Gefährdungsprognose, Klingelanlage
Vorinstanz:
VG Würzburg, Beschluss vom 17.01.2024 – W 3 S 23.1174
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34684
Tenor
I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 17. Januar 2024 (Az.:3 S 23.1174) wird mit Ausnahme der Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen Ziffer 4.2 des Bescheids des Antragsgegners vom 3. August 2023 aufgehoben.
II. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen Ziffern 1, 2 und 4.1 des Bescheids des Antragsgegners vom 3. August 2023 wird angeordnet.
III. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
IV. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf 2.500,- € festgesetzt.
Gründe
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1. Die Antragstellerin, Betreiberin einer Altenpflegeeinrichtung in E. im Landkreis W., verfolgt im Beschwerdeverfahren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen zwangsgeldbewehrte heimrechtliche Anordnungen des Antragsgegners im Bescheid vom 3. August 2023 weiter. Der Antragsgegner hatte ihr aufgegeben sicherzustellen, dass das Pflege- und Betreuungspersonal sowohl zur Tages- als auch zur Nachtzeit nach maximal fünf Minuten auf Klingelrufe der Rufanlage reagiert (Ziffer 1. des Bescheids), sowie zum Nachweis hierfür jeweils vierzehntägig die Rufglockenprotokolle der FQA vorzulegen (Ziffer 2. des Bescheids). Für den Fall, dass die Antragstellerin den angeordneten „Pflichten und Maßnahmen“ nicht fristgemäß nachkomme, hat der Antragsgegner der Antragstellerin jeweils Zwangsgelder angedroht (Ziffer 4.1 und 4.2 des Bescheids). Mit dem nunmehr mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss ordnete das Verwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen Ziffer 4.2 des Bescheids vom 3. August 2023 an, wies den Antrag im Übrigen hingegen ab.
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2. Gemessen am Vorbringen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtsmäßigkeit der streitgegenständlichen heimrechtlichen Anordnungen im Bescheid des Antragsgegners vom 3. August 2023 (§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO analog; zu diesem Prüfungsmaßstab vgl. Hoppe in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 95; Gersdorf in BeckOK VwGO, Stand 1.1.2024, § 80 Rn. 126). Ziffer 1, 2 und 4.1 des Bescheids vom 3. August 2023 erweisen sich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als rechtswidrig, sodass die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die nach Art. 13 Abs. 6 PfleWoqG sofort vollziehbaren Anordnungen bzw. Zwangsgeldandrohungen anzuordnen war.
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2.1 Rechtsgrundlage für die Anordnungen, „sicherzustellen, dass das Pflege- und Betreuungspersonal sowohl zur Tages- als auch zur Nachtzeit nach maximal fünf Minuten auf Klingelrufe der Rufanlage reagiert“ und gegenüber der FQA den Nachweis hierüber „durch Vorlage des Rufglockenprotokolls über einen Zeitraum von zwei Wochen für alle Bewohnerinnen und Bewohner mittwochs, erstmals am 23.08.2023 für den Zeitraum vom 07.08.2023 bis 20.08.2023“ zu erbringen, bildet Art. 13 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung der Pflege-, Betreuungs- und Wohnqualität im Alter und bei Behinderung (Pflege- und Wohnqualitätsgesetz – PfleWoqG – in der seit 1. August 2023 geltenden Fassung des Gesetzes vom 24.7.2023, GVBl. S. 431). Danach kann die zuständige Behörde, wenn in einer stationären Einrichtung Abweichungen von den Anforderungen des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes festgestellt worden sind (Mängel), gegenüber den Trägern Anordnungen erlassen, die zur Beseitigung einer eingetretenen oder der Abwendung einer drohenden Beeinträchtigung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner oder zur Sicherung der Einhaltung der dem Träger gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern obliegenden Pflichten erforderlich sind (Satz 1). Bei erneuten und in Fortsetzung festgestellten Mängeln sowie erheblichen Mängeln soll eine derartige Anordnung getroffen werden.
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2.2 Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts in dem mit der Beschwerde angegriffenen Beschluss erweist sich die in Ziffer 1 des Bescheids vom 3. August 2023 getroffene „Anordnung“ bereits als nicht hinreichend bestimmt und verstößt damit gegen Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG. Denn die getroffene „Anordnung“ beschränkt sich darauf, gegenüber dem Träger der Einrichtung eine Zielvorgabe zu formulieren, nämlich die „Sicherstellung“ einer „Reaktion“ des Pflegepersonals nach maximal fünf Minuten auf Klingelrufe der Rufanlage. Sie benennt hingegen keine Mittel bzw. trifft keine Regelung, durch welche konkreten Maßnahmen diese „Reaktion“ zu erreichen ist. Angesichts des Umstands, dass es sich nach dem maßgeblichen Fachrecht um eine vollstreckungsfähige, zwangsgeldbewehrte Ordnungsverfügung gegenüber dem Einrichtungsträger handelt, deren Erlass nach Art. 13 Abs. 2 Satz 1 PfleWoqG im Ermessen der Fachstelle des Landratsamts steht („kann“) und die dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen muss, bedarf es jedoch neben der Angabe des Ziels der Anordnung (im Sinne einer finalen Programmierung) auch der Bezeichnung des zur Zielerreichung geeigneten und erforderlichen Mittels (vgl. hierzu etwa Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2022, § 37 Rn. 33 ff.; Schröder in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 37 VwVfG Rn. 37; Schönenbroicher in Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 37 Rn. 64; Schwarz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, § 37 VwVfG Rn. 19 f.). Denn ohne Benennung einer konkreten vollstreckungsfähigen Maßnahme lässt sich weder Ermessen ausüben noch die hierzu erforderliche Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen. Letztere verlangt von der anordnenden Behörde unter Abwägung verschiedener Handlungsoptionen die Prüfung, ob es sich bei der gewählten Anordnung um die zur Zielerreichung (gleich) geeignete, aber den Betroffenen am geringsten belastende handelt. Beschränkt sich die Anordnung hingegen, wie im vorliegenden Fall, lediglich auf die Angabe eines Ziels, genügt sie den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG nicht und erweist sich bereits aus diesem Grund als rechtswidrig. Hinzu kommt, dass auch die geforderte „Reaktion“ des Pflegepersonals auf Klingelsignale der Rufanlage sich als auslegungsbedürftig, wenn nicht gar unter dem Gesichtspunkt der Vollstreckungsfähigkeit ebenfalls als zu unbestimmt erweist.
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2.3 Weiter fehlt es nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung am Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 13 Abs. 2 Satz 1, 2 PfleWoqG.
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2.3.1 Grundvoraussetzung für den Erlass einer heimrechtlichen Anordnung bildet die Feststellung eines Mangels, d.h. nach der Legaldefinition des Art. 13 Abs. 2 Satz 1 PfleWoqG einer Abweichung von den Anforderungen des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes, wie sie in Art. 3 PfleWoqG für stationäre Einrichtungen normiert sind. Zu Recht bemängelt die Antragstellerin insoweit, dass der Antragsgegner keinen nach Art. 3 Abs. 2 PfleWoqG gebotenen, anerkannten Qualitätsstandard der Altenpflege benennen kann, wonach eine Einrichtung sicherstellen muss, dass auf das Signal einer Rufanlage, die ihrerseits nach § 9 Abs. 1 der Ausführungsverordnung zum Pflege- und Wohnqualitätsgesetz (AVPfleWoqG) zwingend zu installieren ist, binnen maximal fünf Minuten zu „reagieren“ ist. Soweit bislang anerkannte Expertenstandards für die Pflege bestehen (vgl. hierzu etwa Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege unter www.dnqp.de/expertenstandars-und-auditinstrumente), lassen sich nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung daraus für Qualitätsbereiche wie etwa Schmerzmanagement, Sturzprophylaxe, Förderung der Harnkontinenz oder Umgang mit Demenz keine konkreten Vorgaben für die Handhabung einer Rufanlage entnehmen. Insbesondere bleibt unklar, wie der Antragsgegner die Festlegung einer „Reaktionszeit“ von maximal fünf Minuten auf das Rufanlagensignal herleitet. Allein die Bezugnahme auf eine Diplomarbeit reicht zur Etablierung eines entsprechenden Qualitätsstandards nicht aus. Zu Recht weist die Antragstellerin in diesem Zusammenhang weiter darauf hin, dass sich Vorgaben für „Reaktionszeiten“ auf Rufanlagen in Krankenhäusern oder bei der Inaugenscheinnahme eines Patienten in einer Notaufnahme aufgrund der völlig unterschiedlichen Ausgangssituation nicht auf die Rufanlage eines Pflegeheims übertragen lassen. Angesichts dessen erweist sich bereits die Annahme eines in der „verspäteten Reaktion“ auf ein Rufsignal liegenden Qualitätsmangels infolge der nicht nachvollziehbaren Postulierung eines entsprechenden Qualitätsstandards als rechtsfehlerhaft.
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2.3.2 Hinzu kommt, dass, selbst wenn man vom Vorliegen eines Qualitätsmangels im Hinblick auf die „Reaktionszeiten“ auf die Rufanlage ausginge, die vom Antragsgegner getroffenen tatsächlichen Feststellungen den Erlass einer heimrechtlichen Anordnung nach Art. 13 Abs. 2 PfleWoqG nicht tragen. Denn der Antragsgegner stützt, wie auch Ziffer 2. des angefochtenen Bescheids zeigt, die Annahme eines Mangels ausschließlich auf die Auswertung der Datenprotokolle der Rufanlage in der Einrichtung der Antragstellerin. Insoweit verweist diese jedoch zu Recht darauf, dass die genannten Protokolle lediglich den Zeitpunkt der Betätigung der Rufanlage durch den jeweiligen Bewohner sowie den Zeitpunkt des Abschaltens der Rufanlage dokumentieren, nicht jedoch den Zeitpunkt der pflegerischen „Reaktion“ auf die Auslösung der Rufanlage. Soweit die Antragstellerin im Hinblick gerade auf die Fälle übermäßig langer „Reaktionszeiten“ in den ausgewerteten Protokollen darauf verweist, dass die Rufanlage womöglich erst nach Erledigung der pflegerischen Bedürfnisse des Betroffenen abgeschaltet worden sei, erscheint dies nicht a priori als unplausibel. Ob tatsächlich eine „verzögerte“ Reaktion auf die Betätigung der Rufanlage erfolgt ist, lässt sich demnach wohl allein durch die Befragung der konkret betroffenen Heimbewohner bzw. des eingesetzten Pflegepersonals belegen. Einzelfälle, wonach Bewohner selbst verzögerte „Reaktionszeiten“ reklamieren, trägt der Antragsgegner zur Begründung seiner Anordnung jedoch nicht vor. Angesichts dessen ist aus Sicht des Senats eine unangemessen lange, pflegerische „Reaktion“ auf die Betätigung der Rufanlage nicht hinreichend nachgewiesen, sodass es insoweit an der erforderlichen Tatsachengrundlage für die Annahme eines Mangels fehlt.
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2.4 Darüber hinaus ist – jedenfalls derzeit – die Notwendigkeit der unter Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids getroffenen „Anordnung“ zur Beseitigung einer eingetretenen Gefährdung oder zur Abwendung einer drohenden Beeinträchtigung oder Gefährdung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner oder zur Sicherung der Einhaltung der dem Träger gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern obliegenden Pflichten nicht dargetan. Eine bereits eingetretene Gefährdung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner weist der Antragsgegner schon nicht nach. Ebenso wenig nimmt der Bescheid auf die Notwendigkeit der Festlegung einer „Reaktionszeit“ auf das Rufglockensystem zur Sicherung der dem Träger gegenüber den Heimbewohnern obliegenden Pflichten Bezug. Soweit der Antragsgegner im vorliegenden Fall eine drohende Beeinträchtigung bzw. Gefährdung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner für gegeben erachtet, erweist sich auch diese Prognose als defizitär. Der streitgegenständliche Bescheid stützt sich insoweit allein auf abstrakte Erwägungen, legt jedoch keine im Einzelfall einem Bewohner konkret drohende „Gefährdung“ aufgrund zu langer Reaktionszeiten auf die Rufsignalanlage dar. Anders als das Verwaltungsgericht meint, muss die anzustellende Prognoseentscheidung im vorliegenden Fall nicht nur diejenigen Einzelfälle in den Blick nehmen, in denen nach dem Protokoll der Rufanlage eine „Reaktionszeit“ von länger als 10 Minuten ausgewiesen ist, sondern muss, wie vom Antragsteller vorgetragen, im Rahmen der Prognoseentscheidung die Gesamtsituation analysiert werden. Auch der von der Antragstellerin vorgetragene und eidesstattlich versicherte Umstand, dass sämtliche im maßgeblichen Prüfzeitraum aufgetretenen Notfälle, beispielsweise durch Stürze, nicht durch Betätigung der Rufanlage, sondern anderweitig, z.B. durch regelmäßige, nicht anlassbezogene Kontrollgänge, entdeckt worden sind, muss in die Prognoseentscheidung einfließen, ebenso der Umstand, dass die Antragstellerin besonders sturzgefährdete Bewohner mit einer separaten Rufmöglichkeit (Knopf am Handgelenk) ausgestattet hat bzw. für bestimmte bettlägerige Bewohner eine Sensormatte installiert worden ist. Hingegen allein auf das – wie dargestellt nur bedingt aussagekräftige – Protokoll der Rufanlage zur Gefährdungsprognose abzustellen, erweist sich als defizitär und ungeeignet, eine drohende Gefährdung des Bewohnerwohls anzunehmen. Mithin ist die unter Ziffer 1 getroffene Anordnung auch unter diesem Gesichtspunkt voraussichtlich als rechtswidrig anzusehen.
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2.5 Schließlich erweist sich die unter Ziffer 1. des streitgegenständlichen Bescheids getroffene Anordnung als ermessensfehlerhaft. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin kein konkretes Handlungs- oder Unterlassungsgebot verfügt, sondern sich stattdessen auf die Vorgabe einer Zielvorstellung – Sicherstellung einer „Reaktionszeit“ von höchstens fünf Minuten auf ein Rufsignal – beschränkt. Demzufolge fehlt es an der Ermessensbetätigung im Hinblick auf mögliche Handlungsalternativen auf Seiten der Antragstellerin und insbesondere an der erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. zum hierin liegenden Ermessensfehler Riese in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand März 2023, § 114 VwGO Rn 68 f.). Die im Bescheid vom 3. August 2023 vorgenommene „Verhältnismäßigkeitsprüfung“ geht insoweit ins Leere, weil sie sich nicht auf eine konkrete Maßnahme, sondern abstrakt auf die getroffene „Anordnung“ bezieht. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hätte der Antragsgegner insbesondere berücksichtigen müssen, dass die Antragstellerin besonderen Gefährdungssituationen durch ein eigenes Notrufsystem – Rufknopf am Handgelenk bei besonders sturzgefährdeten Bewohnern – Rechnung trägt und dass es möglicherweise auch andere „Maßnahmen“, wie etwa die Durchführung regelmäßiger anlassloser Kontrollgänge, gibt, durch die sich Notsituationen jenseits des Rufsystems erkennen lassen. Die Ermessensfehlerhaftigkeit der getroffenen Maßnahme führt daher ebenfalls zur Rechtswidrigkeit der getroffenen Anordnung.
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2.6 Anders, als das Verwaltungsgericht meint, ist daher nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung nicht lediglich von offenen Erfolgsaussichten der Klage der Antragstellerin, sondern von ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Bescheids des Antragsgegners auszugehen, sodass vorliegend die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen war. Die mutmaßliche Rechtswidrigkeit von Ziffer 1 des Bescheids des Antragsgegners erfasst – bereits mangels Vorliegens eines Mangels im Sinne von Art. 13 Abs. 2 PfleWoqG – auch die in Ziffer 2 getroffene Regelung zur Vorlage der Protokolle der Rufanlage sowie die an die Nichterfüllung der genannten Verpflichtungen anknüpfende Zwangsgeldandrohungen.
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3. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich aus dem Inhalt und der Begründung des Bescheids vom 3. August 2023 ergibt, dass der Antragsgegner von der Antragstellerin „eigentlich“ einen erhöhten Personaleinsatz als adäquate Maßnahme zur Sicherung der Pflegequalität fordert, dies aber nicht direkt nach Art. 13 Abs. 2 PfleWoqG anordnet, sondern durch die Vorgabe eines sicherzustellenden Ziels – „Reaktionszeit“ auf die Rufanlage von höchstens fünf Minuten – verschleiert. Der Einsatz weiteren Personals – sofern in der gegenwärtigen Arbeitsmarktsituation überhaupt verfügbar – in der Pflegeeinrichtung der Antragstellerin hätte indes zwangsläufig eine Kostenmehrung zur Folge. Dass die hieraus resultierenden Konsultationsverpflichtungen nach Art. 13 Abs. 4 und 5 PfleWoqG vom Antragsgegner eingehalten worden sind, lässt sich jedenfalls den dem Senat vorliegenden Akten nicht entnehmen. Durch ein Ausweichen auf die „Anordnung“ abstrakter Zielvorgaben unter fehlender Benennung der für deren Erreichung erforderliche Maßnahmen lassen sich die genannten gesetzlichen Vorgaben indes nicht umgehen.
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4. Der Antragsgegner trägt nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens in beiden Rechtszügen. Der Streitwert ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG in Verbindung mit Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.