Inhalt

VGH München, Beschluss v. 02.12.2024 – 10 CS 24.1697
Titel:

Sicherheitsbehördliches Tätigwerden nach einer "Kampfsituation" wegen einer von einem Hund ausgehenden Gefahr 

Normenketten:
VwGO § 146 Abs. 4
LStVG Art. 18 Abs. 2
Leitsätze:
1. Soweit eine konkrete Gefahr iSd Art. 18 Abs. 2 LStVG zu bejahen ist, wenn es bereits zu einem Beißvorfall oder einem sonstigen Schadensfall durch den Hund gekommen ist und nicht dargelegt werden kann, dass eine Wiederholung auch ohne eine sicherheitsrechtliche Anordnung auszuschließen ist, kann auch hunde- oder arttypisches Verhalten insoweit eine konkrete Gefahr begründen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sind an "Kampfsituationen" unter Hunden mehrere Tiere beteiligt, kommt es nicht auf die Ermittlung von eventuellen Mitverschuldensanteilen an. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sicherheitsrecht, Anordnung zur Hundehaltung (Maulkorbpflicht), Maulkorbpflicht, Hundehaltung, Kampfsituationen, Beißvorfall
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 10.09.2024 – Au 8 S 24.1635
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34683

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

1
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen einen Bescheid der Antragsgegnerin mit Anordnungen zur Hundehaltung weiter.
2
Der Antragsteller ist Halter des Rottweiler-Rüden „... “. Mit Bescheid vom 7. Juni 2024 in Verbindung mit dem Änderungsbescheid vom 29. August 2024 ordnete die Antragsgegnerin an, dass der Hund außerhalb der Wohnung bzw. des eigenen Besitztums nur noch mit ordnungsgemäß angebrachtem Maulkorb ausgeführt werden dürfe (Nr. 1.1.); von dieser Maulkorbpflicht wurden mehrere im Einzelnen umschriebene Ausnahmen zugelassen (Nr. 1.1.1. und Nr. 1.1.2.). Weiter wurde angeordnet, dass der Hund nur von Personen ausgeführt werden dürfe, denen er zuverlässig gehorcht (Nr. 1.2.). Ferner wurden dem Antragsteller verschiedene Informations- und Meldepflichten auferlegt (Nr. 1.3. und Nr. 1.4.). Die sofortige Vollziehung der gesamten Nr. 1 des Bescheids wurde angeordnet (Nr. 3). Ferner wurden Zwangsgelder angedroht (Nr. 2.1. bis Nr. 2.4.) und dem Antragsteller die Kosten auferlegt und festgesetzt (Nr. 4).
3
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 10. September 2024 stellte das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klage wieder her, soweit in Nr. 1.2. des Bescheids geregelt ist, dass der Hund „... “ nicht von Personen ausgeführt werden darf, denen er nicht zuverlässig gehorcht (Nr. I des Beschlusstenors). Die aufschiebende Wirkung der Klage wurde angeordnet hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 2.2. des Bescheids, soweit sie sich auf die Regelung bezieht, dass der Hund „... “ nicht von Personen ausgeführt werden darf, denen er nicht zuverlässig gehorcht, und hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 2.3. des Bescheids (Nr. II des Beschlusstenors) sowie hinsichtlich der Kostenentscheidung in Nr. 4 des Bescheids (Nr. III des Beschlusstenors).
4
Die laut Antragstellung im Schriftsatz vom 26. September 2024 gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 10. September 2024 insgesamt eingelegte Beschwerde ist bereits unzulässig, soweit das Verwaltungsgericht – wie dargelegt – dem Rechtsschutzbegehren stattgegeben und die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt bzw. angeordnet hat.
5
Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Abänderung der angegriffenen Entscheidung, soweit der Antrag abgelehnt wurde.
6
Die Begründung der Beschwerde in dem Schriftsatz vom 14. Oktober 2024 richtet sich allein gegen die Bewertung des Vorfalls vom 14. April 2024, der Anlass zu dem sicherheitsbehördlichen Tätigwerden gegeben hat, durch das Verwaltungsgericht. Dieses hat ausgeführt, dass unstreitig der Hund des Antragstellers auf den Hund des Zeugen zugerannt sei und diesen in Hals und Unterkiefer gebissen habe, wodurch dieser tierärztlich habe behandelt werden müssen. Damit habe sich die von dem Hund ausgehende Gefahr bereits verwirklicht. Es sei unerheblich, von welchem Hund der Vorfall am 14. April 2024 letztlich ausgegangen sei, dass der Hund des Antragstellers ebenfalls Verletzungen davongetragen habe und ob der Hund des Zeugen eventuell ein Mitverschulden an dem Vorfall trage. Denn von einem Hund gehe auch dann eine Gefahr aus, wenn die Reaktion auf einer „Provokation“ eines anderen Hundes beruhe. Vom Schutzzweck des Art. 18 Abs. 2 LStVG werde sowohl hundetypisches, artgerechtes als auch außergewöhnlich aggressives Verhalten erfasst. In „Kampfsituationen“ komme es nicht auf die Ermittlung von etwaigen Mitverschuldensanteilen an. Die Antragsgegnerin habe auch von der Richtigkeit der Mitteilung des Zeugen ausgehen können; Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit seiner Angaben hätten nicht vorgelegen. Im Übrigen bestreite auch der Antragsteller selbst nicht, dass sich der Vorfall vom 14. April 2024 grundsätzlich zugetragen habe. Verschiedene Sichtweisen der Hundehalter bestünden lediglich im Hinblick auf die Details, insbesondere hinsichtlich des Auslösers der Auseinandersetzung. Dass es zu einer durch „... “ verursachten Bissverletzung bei dem anderen Hund gekommen sei, stehe im Ergebnis nicht im Streit.
7
Der Antragsteller meint, das Gericht gehe zu Unrecht davon aus, dass sein Hund den anderen Hund angegriffen habe. Sein Hund sei nicht in feindseliger Absicht auf den anderen Hund zugegangen; vielmehr sei die Eskalation von dem anderen Hundehalter ausgegangen, der sich hier nicht richtig verhalten habe. Der Antragsteller vertrete weiterhin die Ansicht, dass sein Hund im Rahmen eines artgerechten Abwehrverhaltens reagiert habe. Für ihn stehe fest, dass der Angriff von dem anderen Hund ausgegangen sei, auch wenn sein Hund auf diesen zugegangen sei, jedoch nicht in aggressiver Absicht. Die Antragsgegnerin habe den Sachverhalt nicht ausreichend ausermittelt.
8
Damit geht der Antragsteller nicht – wie gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO geboten – substantiiert auf die Erwägungen des Verwaltungsgerichts ein. Er stellt selbst nicht in Abrede, dass sein Hund „... “ auf den anderen Hund „zugegangen“ sei, worauf es zu einem Beißvorfall gekommen ist, bei dem der andere Hund erheblich verletzt wurde. Das angefochtene Urteil geht in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats davon aus, dass eine konkrete Gefahr im Sinn des Art. 18 Abs. 2 LStVG zu bejahen ist, wenn es bereits zu einem Beißvorfall oder einem sonstigen Schadensfall durch den Hund gekommen ist und nicht dargelegt werden kann, dass eine Wiederholung auch ohne eine sicherheitsrechtliche Anordnung auszuschließen ist (siehe z.B. BayVGH, U.v. 9.6.2020 – 10 B 18.1470 – juris Rn. 40; BayVGH, B.v. 3.6.2022 – 10 CS 22.982, 10 C 22.983 – juris Rn. 15). Auch hunde- oder arttypisches Verhalten kann insoweit eine konkrete Gefahr begründen. Sind an „Kampfsituationen“ unter Hunden mehrere Tiere beteiligt, kommt es nicht auf die Ermittlung von eventuellen Mitverschuldensanteilen an.
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Auf die weiteren Erwägungen in dem angefochtenen Beschluss, insbesondere zur Ermessensausübung der Antragsgegnerin, geht die Beschwerdebegründung nicht ein.
10
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).