Titel:
Abgewiesene Klage im Streit um Anerkennung als Investmentfonds
Normenkette:
KAGB § 1 Abs. 1, Abs. 19 Nr. 32, § 17 Abs. 2 Nr. 2
Leitsätze:
1. Auch für den Zeitraum vor dem 1.1.2021 hat das FA ein eigenständiges Prüfungsrecht für die Frage, ob ein Investmentvermögen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB und damit ein Investmentfonds im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG vorliegt; bei dieser Entscheidung ist es nicht an die Entscheidung der BaFin im Zusammenhang mit der Registrierung der Gesellschaft als AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaft nach § 44 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 4 KAGB und damit an die Anerkennung als Investmentvermögen im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB gebunden.
2. Aus dem Gebot der Eigenständigkeit des Anlagevermögens kann kein Gebot der ausschließlichen Fremdverwaltung des Investmentvermögens über die von der European Securities and Markets Authority bestimmte Schädlichkeit von laufenden Ermessens- und Kontrollbefugnissen der Anteilseigner als Gruppe hinaus abgeleitet werden.
3. Aus § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB lässt sich kein Gebot der ausschließlichen Fremdverwaltung ableiten. Das Tatbestandsmerkmal des Organismus für gemeinsame Anlagen unterliegt lediglich einem Verbot der gemeinsamen (Eigen-)Verwaltung des gepoolten Vermögens der Anleger durch die Anleger selbst.
4. Eine schädliche Eigenverwaltung des gepoolten Vermögens liegt vor, wenn sämtliche Anteilseigner eine unmittelbare und dauerhafte Einflussmöglichkeit auf operative Fragen in Bezug auf die tägliche Verwaltung der Vermögenswerte des Organismus besitzen, die über die nach dem gesetzlichen Leitbild des Gesellschafters in Bezug auf die jeweilige Rechtsform der Gesellschaft vorgesehenen Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse wesentlich hinausgeht.
Schlagworte:
Investmentsteuergesetz, Investmentsteuer
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstellen:
EFG 2025, 503
ErbStB 2025, 118
LSK 2024, 34670
BeckRS 2024, 34670
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
1
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung der Klägerin als Investmentfonds nach § 1 Abs. 2 Satz 1 des Investmentsteuergesetzes (InvStG) i.V.m. § 1 Abs. 1 des Kapitalanlagegesetzbuchs (KAGB) in der Ausgestaltung einer internen Kapitalverwaltungsgesellschaft nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 KAGB im Jahr 2018.
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Die Klägerin ist eine im Jahr … gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die ursprünglich unter A GmbH firmierte. Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt 909.733 €. Einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer sind B und C. Gegenstand des Unternehmens ist die Verwaltung von Spezial-AIF (§ 2 Abs. 4 KAGB) in Form des Vermögens der Gesellschaft (§ 17 Abs. 2 Nr. 2 KAGB) als kollektive Vermögensverwaltung nach § 1 Abs. 19 Nr. 24 KAGB nach einer festgelegten Anlagestrategie, wobei es der Gesellschaft als Kapitalverwaltungsgesellschaft unbenommen ist, im Rahmen des KAGB weitere zur Ausübung der Geschäftstätigkeit notwendige Geschäfte zu tätigen, und die Gesellschaft keine der in § 20 Abs. 2 oder 3 KAGB aufgeführten Dienstleistungen oder Nebenleistungen erbringt. Mittlerweile firmiert die Klägerin unter D GmbH. Sitz der Gesellschaft ist … im Landkreis ….
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Der Gesellschaftsvertrag der Klägerin vom 1. Dezember 2016 enthält in streitgegenständlicher Hinsicht folgende relevante Bestimmungen:
Bis zu der zulässigen Grenze des § 2 Absatz 4 Satz 2 Nr. 2 lit. a) und b) KAGB der von der Gesellschaft zu verwaltenden Vermögensgegenstände kann die Gesellschaft Genussrechtskapital bilden und unbefristete Genussrechte an Berechtigte ausgeben. Berechtigt sind natürliche und juristische Personen, die professionelle Anleger im Sinne des § 1 Absatz 19 Nr. 32 KAGB oder semiprofessionelle Anleger im Sinne des § 1 Absatz 19 Nr. 33 KAGB sind. Die Gesellschafter haben kein Bezugsrecht. […]
§ 7 Vertretung und Geschäftsführung
Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer. […]
Der oder die Geschäftsführer bedürfen der vorherigen Zustimmung durch Gesellschafterbeschluss für die nachgenannten Geschäfte; der Beschluss ist hierbei mit einer qualifizierten Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu fassen:
a) die Veräußerung im Ganzen oder in Teilen oder Verlegung des Standortes des Unternehmens;
b) Erwerb von Grundstücken, Errichtung, Veräußerung oder Belastung von Gebäuden bzw. Grundstücken;
c) die Beteiligung an anderen Unternehmen mit mehr als 25% des Kapitals des jeweiligen anderen Unternehmens sowie die Errichtung oder Aufgabe von Zweigniederlassungen;
d) die Übernahme von Bürgschaften und Garantien jeder Art;
e) die Eingehung von Wechselverbindlichkeiten;
f) die Aufnahme von Darlehen und Krediten, soweit sie ein Gesamtvolumen in Höhe von Euro 100.000,- im Einzelfall übersteigen. Die Ausgabe von Genussrechten ist davon ausgenommen und ist abschließend in § 6 geregelt;
g) Erteilung oder Widerruf von Prokura und Handlungsvollmacht;
h) Verfügungen jeder Art über liquide oder liquiditätsnahe Mittel der Gesellschaft, falls diese Mittel 10% oder mehr des bilanzierten Aktivvermögens der Gesellschaft entsprechen, es sei denn, es handelt sich um Verfügungen zum Erwerb oder zur Veräußerung von Anlage- oder Umlaufvermögen der Gesellschaft;
i) Änderungen der Basisrendite für die Berechnung des Gewinnvorabs nach § 15;
j) alle Geschäfte, welche die Gesellschafter durch Gesellschafterbeschluss für zustimmungsbedürftig erklären.
Dieser Katalog kann durch mit qualifizierter Mehrheit zu fassendem Beschluss der Gesellschafterversammlung jederzeit erweitert oder eingeschränkt werden.
§ 16 Gesellschafterversammlung
1. Der oder die Geschäftsführer haben eine ordentliche Gesellschafterversammlung einzuberufen, sobald der Jahresabschluss erstellt ist und, sofern dies gesetzlich vorgeschrieben ist, der Bericht des Abschlussprüfers vorliegt. In der Gesellschafterversammlung ist der Beschluss zu fassen über
a) Feststellung des Jahresabschlusses,
b) Entlastung der Geschäftsführer,
c) Bestellung des Abschlussprüfers für das folgende Geschäftsjahr, soweit gesetzlich erforderlich.
2. Eine außerordentliche Gesellschafterversammlung kann von jedem Gesellschafter oder Geschäftsführer einberufen werden, wenn es das Interesse der Gesellschaft erfordert oder ein wichtiger Grund vorliegt. […]
§ 17 Gesellschafterbeschlüsse
1. Die Gesellschafterbeschlüsse werden mit der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, soweit nicht dieser Vertrag oder andere gesetzliche Vorschriften etwas anderes bestimmen. Bei Stimmengleichheit gilt der Antrag als abgelehnt.
2. Jeder Gesellschaftsanteil gewährt eine (1) Stimme. Jeder Gesellschaftsanteil des Gesellschafters B gewährt fünf (5) Stimmen. Jeder Gesellschaftsanteil des Gesellschafters C gewährt fünf (5) Stimmen. […]
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Gesellschaftsvertrag der Klägerin vom 1. Dezember 2016 verwiesen.
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Die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer B und C waren im Streitjahr 2018 jeweils mit Gesellschaftsanteilen in Höhe eines Nennbetrags von 100.000 € an der Klägerin beteiligt.
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Auf Antrag der Klägerin wurde diese mit Schreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vom 1. Dezember 2016 als AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaft nach § 44 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 4 KAGB unter Nebenbestimmungen registriert.
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Am 24. Juli 2020 erließ der Beklagte (das Finanzamt – FA –) einen nach § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Körperschaftsteuerbescheid 2018 sowie Bescheid über den Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2018, mit dem die Körperschaftsteuer i.H.v. … € und der Solidaritätszuschlag i.H.v. … € festgesetzt wurden. Dieser Steuerfestsetzung legte das FA einen steuerlichen Jahresüberschuss laut eingereichter E-Bilanz bzw. ein zu versteuerndes Einkommen i.H.v. … € zugrunde.
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Am 24. Juli 2020 erließ das FA zudem einen nach § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) zum 31. Dezember 2018, mit dem das steuerliche Einlagekonto zum 31. Dezember 2018 i.H.v. … € und das durch Umwandlung von Rücklagen entstandene Nennkapital zum 31. Dezember 2018 i.H.v. … € festgestellt wurden.
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Mit Schreiben vom 30. Juli 2020 legte die Klägerin gegen den Körperschaftsteuerbescheid 2018 sowie gegen den Bescheid über den Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2018 Einspruch ein. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin ab dem 1. Januar 2018 der Fondsbesteuerung nach dem InvStG unterliege.
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Auf Bitte des FA mit Schreiben vom 12. August 2020 legte die Klägerin unter anderem den Fragebogen zur steuerlichen Erfassung eines Investmentfonds vom 20. August 2020 vor. Darin gab die Klägerin unter anderem an, dass der Investmentfonds am 1. Januar 2017 aufgelegt worden sei, es sich um einen AIF (Alternativer Investmentfonds) i.S.d. § 1 Abs. 3 KAGB handle, der Investmentfonds Einkünfte nach § 6 Abs. 2 InvStG erziele, die keinem Steuerabzug unterlägen, und es sich um einen Aktienfonds nach § 2 Abs. 6 InvStG handle.
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Mit Körperschaftsteuerbescheid 2018 sowie Bescheid über den Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2018 und Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 1 Satz 3 und § 38 Abs. 1 KStG zum 31. Dezember 2018 jeweils vom 9. Dezember 2020 wurden die Vorbehalte der Nachprüfung nach § 164 Abs. 3 AO aufgehoben.
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Da die Klägerin keine Gewerbesteuererklärung abgegeben hatte, erließ das FA am 9. Dezember 2020 einen Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2018, mit dem die Besteuerungsgrundlagen nach § 162 AO geschätzt wurden und der Gewerbesteuermessbetrag i.H.v. … € festgesetzt wurde. Dieser Festsetzung legte das FA einen Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. … € zugrunde.
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Mit Schreiben vom 13. Januar 2021 legte die Klägerin auch gegen den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2018 und den Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 27 Abs. 2, § 28 Abs. 1 Satz 3 und § 38 Abs. 1 KStG zum 31. Dezember 2018 jeweils vom 9. Dezember 2020 Einsprüche ein.
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Mit Einspruchsentscheidung vom 16. Juli 2021 wies das FA die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Eigenständiges Prüfungsrecht der Finanzbehörden
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Der Anwendungsbereich des InvStG knüpfe über § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG an die aufsichtsrechtliche Definition eines Investmentvermögens i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB an. Hinsichtlich der von der Finanzbehörde zu beurteilenden Rechtsfrage, ob ein Investmentfonds vorliege, bestehe jedoch keine Bindung an die aufsichtsrechtliche Entscheidung über das Vorliegen eines Investmentvermögens (Verweis auf Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen – BMF – vom 21. Mai 2019 IV C 1-S. 1980-1/16/10010:001, BStBl I 2019, 527 Rn. 1.2). Vielmehr besitze die Finanzverwaltung ein umfassendes und eigenständiges Prüfungsrecht. Eine Qualifizierung nach dem KAGB sei für das Steuerrecht auch nicht in den Fällen bindend, in denen keine Ausnahmetatbestände nach § 1 Abs. 3 InvStG vorlägen. Das eigenständige Prüfungsrecht der Finanzverwaltung sei auch nicht auf die Fälle beschränkt, in denen von der BaFin offensichtlich unzutreffend ein Investmentvermögen nach dem KAGB angenommen worden sei. In der Gesetzesbegründung zum Jahressteuergesetz 2020 vom 21. Dezember 2020 (JStG 2020; BGBl I 2020, 3096) sei klargestellt worden, dass selbst eine qualifizierte Entscheidung der BaFin nach § 5 Abs. 3 KAGB gegenüber der Finanzverwaltung – abweichend zu anderen Verwaltungsbehörden – keine Bindungswirkung entfalten könne (Verweis auf BT-Drs. 19/22850, 104 f.). Ein denkbarer Dissens sei vor dem Hintergrund gerechtfertigt, dass aus Gründen des Anlegerschutzes eine Einordnung als aufsichtsrechtliches Investmentvermögen durch die BaFin vertretbar sei, wohingegen steuerlich unter dem Gesichtspunkt der Sicherung des Steuersubstrats engere Grenzen in der Auslegung geboten seien. Ein weiterer Grund für ein eigenständiges Prüfungsrecht der Finanzverwaltung sei der Umstand, dass der Begriff des Investmentvermögens i.S.d. § 1 InvStG nicht mit der aufsichtsrechtlichen Definition des Investmentvermögens nach § 1 Abs. 1 KAGB deckungsgleich sei. Dem stehe auch Rn. 1.2 des BMF-Schreibens vom 21. Mai 2019 (IV C 1-S. 1980-1/16/10010:001, BStBl I 2019, 527) nicht entgegen, wonach für Fragen der Auslegung auf die aufsichtsrechtlichen Verwaltungsverlautbarungen zurückgegriffen werden könne, eine zwingende Beachtung der aufsichtsrechtlichen Auslegungsschreiben und eine gebundene Übernahme des aufsichtsrechtlichen Ergebnisses für steuerliche Zwecke jedoch nicht angeordnet seien und dem eigenständigen Prüfungsrecht der Finanzverwaltung diametral entgegenstünden.
Klägerin kein Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG
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Im Streitfall müsse die Klägerin die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 KAGB auch unter steuerrechtlichen Gesichtspunkten erfüllen. Streitig sei im Streitfall allein das Tatbestandsmerkmal des Organismus für „gemeinsame Anlagen“. Gemeinsame Anlagen lägen vor, sofern eine gemeinschaftliche, erfolgsabhängige Rendite für die Investoren aus dem gepoolten Vermögen unter Beteiligung am Verlustrisiko erzielt werden solle und der einzelne Anleger keine unmittelbare Entscheidungsbefugnis über die Art und den Zeitpunkt der einzelnen Investments habe. Zweifelhaft sei im Streitfall, ob die einzelnen Gesellschafter bzw. Anleger die Letztentscheidungsbefugnis über die einzelne Anlage aufgegeben hätten. Dies sei im Streitfall aus mehreren Gründen zu verneinen:
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Zum einen werde die Geschäftsführung der Klägerin durch B und C ausgeübt. Diese seien zugleich Gesellschafter der Klägerin mit erhöhten Stimmrechten. Jeder Gesellschaftsanteil der beiden vermittle fünf Stimmrechte, wohingegen im Übrigen nur ein Stimmrecht je Gesellschaftsanteil gewährt werde. B und C hielten von insgesamt 909.733 Anteilen jeweils 100.000 Anteile. Aufgrund der Stimmrechtserhöhung für diese Anteile könnten jedoch keine Entscheidungen gegen einen der beiden Gesellschafter-Geschäftsführer durchgesetzt werden. Damit sei im Streitfall eine Eigenverwaltung durch die Anleger anzunehmen. Auch bei einer Trennung der Gesamtheit der Anleger von der Tätigkeit von B und C als Geschäftsführer seien diese zugleich wesentliche Anleger.
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Die European Securities and Markets Authority (ESMA) führe in Ziffer VI. Nr. 12 Buchst. c der Leitlinien zu Schlüsselbegriffen der Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFMD) in der berichtigten Fassung vom 30. Januar 2014 der am 13. August 2013 veröffentlichten Leitlinien (ESMA/2013/611 – im Folgenden: Leitlinien der ESMA vom 30. Januar 2014) aus, dass den Anlegern als Gruppe keine laufende Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis eingeräumt werden dürfe und dass entsprechende Befugnisse einzelner Gesellschafter – so wörtlich – „nicht als Nachweis herangezogen werden sollte“. Damit könne nicht von einer vorbehaltlosen Unbedenklichkeit gesprochen werden, womit eine laufende Ermessens- und Kontrollbefugnis einzelner Gesellschafter unschädlich sein dürfte, was jedoch eine Einzelprüfung erfordere und in Ausnahmefällen auch zu einem abweichenden Ergebnis führen könne.
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Im Streitfall müsse zumindest steuerlich von einer abweichenden Beurteilung ausgegangen werden, da die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer B und C sowohl die Anlegerseite als auch das operative Geschäft dominierten. Die Aufgabe der Eigenverwaltung sei offensichtlich für diese beiden Gesellschafter nicht erfolgt. Dass die verbleibenden Anleger gegen den Willen eines der beiden Geschäftsführer keine wesentlichen Geschäfte i.S.d. § 7 des Gesellschaftsvertrags genehmigen könnten, zeige, dass die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer im Hinblick auf ihr eigenes Vermögen neben der laufenden operativen Tätigkeit sich auch umfangreiche Gesellschaftsrechte vorbehalten hätten, die den übrigen Gesellschaftern nicht zuerkannt worden seien (erhöhte Stimmrechte). Zudem zeige sich, dass eine stringente Trennung der Gesellschafterebene von der des Fondsmanagements im Rahmen der Geschäftsführertätigkeit durch die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer durchbrochen werde. Die Einflussnahme auf das Fondsmanagement erfolge somit nicht ausschließlich im Zuge der Tätigkeit als Geschäftsführer, sondern auch durch deren starke Gesellschafterstellung.
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Dass die BaFin die Entscheidungs- und Kontrollbefugnis der beiden Gesellschafter-Geschäftsführer nicht als hinderlich für die Eigenschaft als Investmentvermögen der Klägerin angesehen habe, stehe einer abweichenden steuerrechtlichen Beurteilung durch das FA auch durch weiter hinzutretende Umstände nicht entgegen. Aufsichtsrechtlich könnten die ESMA und die BaFin zu dem Ergebnis gelangen, dass im Zweifel von einem Investmentvermögen auszugehen sei, um einen erhöhten Schutz der Anleger – d.h. im Streitfall der schwächer gestellten Gesellschafter – zu gewährleisten. Bei einer steuerlichen Überprüfung stelle hingegen die Verquickung der Geschäftsführertätigkeit (operative Fondsverwaltung) mit der exponiert starken Anlegerstellung die Verselbständigung des Vermögens der Klägerin in Frage.
Rechte der Gesellschafter
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Zum anderen sprächen die Gesellschafterrechte der Anleger im Streitfall gegen die Aufgabe der Letztentscheidungsbefugnis der Anleger. Eine laufende Ermessens- und Kontrollbefugnis könne auch aus den gewährten Gesellschaftsrechten resultieren. Die ESMA bestimme in ihren Leitlinien, dass eine laufende Ermessens- und Kontrollbefugnis dann vorliege, wenn die Entscheidungsgewalt – so wörtlich – „wesentlich weiter reiche als die normale Ausübung von Entscheidungs- und Kontrollbefugnissen in Form der Abstimmung bei Aktionärsversammlungen über Fragen wie Fusionen oder Abwicklungen, die Wahl von Anteilseignervertretern, die Ernennung von Vorstandsmitgliedern oder Abschlussprüfern oder die Feststellung des Jahresabschlusses“. Die Regelungen des § 46 Nr. 5 und 6 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) räumten den Gesellschaftern einer GmbH indes ein weitreichendes Weisungsrecht gegenüber den Geschäftsführern ein. Dieses Weisungsrecht gehe signifikant über die Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse von Aktionären hinaus.
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Dass nach § 16 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags außerordentliche Gesellschafterversammlungen nur aus wichtigem Grund einberufen werden könnten, schränke allenfalls die Zeitpunkte der Ausübung der Rechte ein, ändere jedoch nichts am Vorliegen der weitergehenden Rechte. Auch die Bemerkung, dass der Gesellschaftsvertrag auslegungsbedürftig sei, wenn die betreffenden Angelegenheiten der Gesellschaft nicht unmissverständlich geregelt worden seien, helfe dem nicht ab. Vorrangig sei auf die tatsächlichen Formulierungen nach dem Wortlaut abzustellen. Die von der Klägerin angebotene Klarstellung des Gesellschaftsvertrags könne keine indizielle Wirkung für die Vergangenheit entfalten. Dass bislang in der Praxis niemals Einfluss auf das Fondsmanagement ausgeübt worden sei, könne unabhängig von der Belastbarkeit dieser Aussage dahinstehen, da die ESMA in ihren Leitlinien vom 30. Januar 2014 nicht auf die tatsächliche Ausübung der Entscheidungsgewalt, sondern auf die bloße Möglichkeit abstelle. Auch der Umstand, dass die ESMA auf die Gruppe der Anleger abstelle, rechtfertige kein abweichendes Ergebnis. B und C dominierten die Anlegergruppe und übten zudem die laufende Geschäftsführung aus. Dies verstärke gerade nicht die Trennung zwischen Fondsmanagement und der Gruppe der Anleger, sondern durchbreche die Trennung in der Person der Gesellschafter-Geschäftsführer. Dass die übrigen Gesellschafter gegen diese beiden beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer faktisch keine wesentlichen Entscheidungen treffen könnten, obwohl ihnen diese Rechte dem Grunde nach zuerkannt worden seien, wirke nicht für die Gruppe der Anleger im Ganzen, da die Möglichkeit der Ausübung von Entscheidungsgewalt als Gruppe weiterhin bestehe.
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Schließlich stützten auch die gesellschaftsvertraglichen Beschränkungen das Ergebnis, dass im Zweifel eine Letztentscheidungsbefugnis den Anlegern vorbehalten werden sollte. So sei für wesentliche Geschäfte nach § 7 des Gesellschaftsvertrags ein qualifizierter Gesellschafterbeschluss von 75% der abgegebenen Stimmen erforderlich. Ob diese Genehmigungsvorbehalte nicht das laufende Fondsmanagement beträfen und somit für die Beurteilung der Frage, ob eine laufende Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis vorliege, irrelevant seien, sei fraglich. Eine einschränkende Auslegung beispielsweis dahingehend, dass der Genehmigungsvorbehalt der Gesellschafter für Beteiligungen an anderen Unternehmen zu mehr als 25% nur für eigene strategische Unternehmensbeteiligungen der Gesellschaft, die der Weiterentwicklung der Infrastruktur, der Organisation oder des Fondsprodukts der Klägerin dienten und nicht für Erwerbe des Fondsmanagements gelten solle, sei in Anbetracht der klaren Formulierung bedenklich. Die Auslegungsfrage könne jedoch dahinstehen, da es sich im Streitfall um ein intern verwaltetes Investmentvermögen handle und der Erwerb von Beteiligungen somit zwangsläufig für das Investmentvermögen erfolge, für welches das Fondsmanagement verantwortlich zeichne. Darüber hinaus könnten die Gesellschafter durch Gesellschafterbeschluss weitere Geschäfte ohne weitere Voraussetzungen für zustimmungsbedürftig erklären, wodurch sich die Anzahl der Zustimmungsvorbehalte der Gesellschafter nahezu beliebig erweitern ließe. Eine entsprechend angebotene Klarstellung durch die Klägerin könne somit auch diesbezüglich nicht (indiziell) auf die vorangegangenen Zeiträume zurückwirken.
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Den Gesellschaftern als Anlegern verbleibe somit eine signifikante Entscheidungsbefugnis hinsichtlich des Einzelinvestments. In der Folge könne steuerrechtlich nicht von einem Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG i.V.m. § 1 Abs. 1 KAGB ausgegangen werden. Die Besteuerung der Klägerin richte sich in der Konsequenz nicht nach dem InvStG, sondern ausschließlich nach dem KStG und dem Gewerbesteuergesetz (GewStG). Als Kapitalgesellschaft sei die Klägerin unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG und gewerbesteuerpflichtig nach § 2 Abs. 2 GewStG. Nach § 7 Satz 1 GewStG sei Gewerbeertrag der nach den Vorschiften des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder des KStG zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen sei, vermehrt oder vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge.
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Mit Schriftsatz vom 13. August 2021 – bei Gericht eingegangen am selben Tag – erhob die Klägerin hiergegen Klage, die sie im Wesentlichen wie folgt begründet:
Kein eigenständiges Prüfungsrecht der Finanzverwaltung
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§ 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG bestimme, dass ein Investmentvermögen nach § 1 Abs. 1 KAGB als Investmentfonds zu qualifizieren sei. Nach der für das Streitjahr 2018 maßgeblichen Rechtslage gebe es keinen autonomen steuerlichen Begriff, sondern es bestimme sich - abgesehen von den Erweiterungen und Kürzungen in § 1 Abs. 2 Satz 3 und Abs. 3 InvStG – die Einordnung als Investmentfonds aufgrund des Legalverweises ausschließlich nach der investmentrechtlichen Einordnung als Investmentvermögen. Der Gesetzgeber hätte eigene Tatbestandsmerkmale definieren können. Stattdessen habe er mit dem Verweis auf das KAGB gerade den „Gleichlauf zwischen Steuer- und Aufsichtsrecht“ herstellen und Abgrenzungsprobleme in der Praxis vermeiden wollen (Verweis auf BT-Drs. 18/8045, 54).
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Der Legalverweis auf das KAGB besitze eine umfassende Gültigkeit, solange im InvStG weder ausdrücklich noch konkludent eigenständige Begriffsbestimmungen vorgenommen würden. Dies sei jedoch bis heute nicht erfolgt. Maßgeblich müsse daher das Rechtsinstitut Investmentvermögen in seiner investmentrechtlichen Auslegung sein. Auch das BMF-Schreiben vom 21. Mai 2019 (IV C 1-S. 1980-1/16/10010:001, BStBl I 2019, 527) verweise in Rn. 1.2 auf die Auslegungsschreiben der BaFin, insbesondere das Auslegungsschreiben zum Anwendungsbereich des KAGB und zum Begriff des „Investmentvermögens“ vom 14. Juni 2013, geändert am 9. März 2015 (Q 31-Wp 2137-2013/006 – im Folgenden: Auslegungsschreiben der BaFin vom 9. März 2015). Weiteres wichtiges Hilfsmittel zur Auslegung seien die Leitlinien der ESMA vom 30. Januar 2014, woran sich auch die BaFin innerhalb ihrer Darstellung grundsätzlich orientiert habe. Die Berücksichtigung dieser Auslegungsschreiben sei auch dringend geboten, da aufgrund der ausgeprägt unbestimmten Rechtsbegriffe in § 1 Abs. 1 KAGB andernfalls in einer Vielzahl von Fällen abweichende Ergebnisse erzielt würden. Vielmehr sei die hohe Spezialisierung und Sachkunde der BaFin bei der Beurteilung von Investmentvehikeln zu beachten und die von ihr verwendeten Auslegungshilfen seien anzuwenden.
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Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KAGB entscheide die BaFin in Zweifelsfällen, ob ein Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB vorliege. Ein Zweifelsfall liege vor, wenn die BaFin das Vorliegen eines Investmentvermögens bejahe, eine andere Behörde dies hingegen verneine. Die Entscheidung der BaFin sei nach § 5 Abs. 3 Satz 2 KAGB für andere Verwaltungsbehörden bindend. Diese Bindungswirkung sei für die Finanzverwaltung erst im Nachgang zum Investmentsteuerreformgesetz durch Art. 10 Nr. 1 des JStG 2020 vom 21. Dezember 2020 (BGBl I 2020, 3096) in § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG (im Folgenden: § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG n.F.) abbedungen worden, wobei die Ergänzung erst ab dem 1. Januar 2021 anzuwenden sei (§ 57 Abs. 2 Nr. 1 InvStG). Da der Begriff des Investmentfonds zum Teil enger (§ 1 Abs. 3 Satz 1 InvStG) und zum Teil weiter (§ 1 Abs. 2 Satz 3 InvStG) sei als der aufsichtsrechtliche Begriff des Investmentvermögens, bedürfe es laut Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG n.F. gerade wegen dieser notwendigen Abgrenzung einer autonomen Entscheidungsbefugnis der Finanzbehörden (Verweis auf BT-Drs. 19/22850, 105). Diese Abgrenzungsproblematik sei im vorliegenden Fall zweifellos nicht relevant. Ein eigenständiges Prüfungsrecht der Finanzverwaltung sei insofern nicht erforderlich. Vor Inkrafttreten des § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG n.F. – d.h. für die Veranlagungszeiträume 2018 bis 2020 – bestehe nach eindeutigem Gesetzeswortlaut eine Bindung der Verwaltungs- und damit auch der Finanzbehörden an die Entscheidungen der BaFin. Jenseits der engen Grenzen des § 42 AO dürfe es im Bereich der Eingriffsverwaltung kein Abweichen vom Gesetzeswortlaut zu Lasten des Steuerpflichtigen geben. Im Übrigen widerspreche die Annahme, die Einführung des § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG n.F. mit Wirkung vom 1. Januar 2021 sei lediglich deklaratorischer Natur gewesen, der ausdrücklichen Aufgabenverteilung der Verfassung. Während für die Anordnung der Bindungswirkung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 KAGB der Gesetzgeber nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11, Art. 72 Abs. 1, 2 des Grundgesetzes (GG) lediglich der Bundestag sei, bedürften Steuergesetze nach Art. 105 Abs. 2, Art. 72, 105 Abs. 3 GG ausdrücklich der Zustimmung des Bundesrats. Insofern handle es sich nicht um denselben Gesetzgeber.
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Die Finanzverwaltung habe im Streitfall die nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KAGB gebotene Einholung einer Zweifelsentscheidung der BaFin unterlassen. Dies stelle einen Formfehler nach § 126 Abs. 1 Nr. 5 AO dar. Die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits, ob die Klägerin ein Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG sei, hänge von dem Rechtsverhältnis ab, ob die Klägerin als Investmentvermögen nach § 1 Abs. 1 KAGB einzuordnen sei. Es lägen im Streitfall die Voraussetzungen des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor, womit das vorliegende Klageverfahren bis zur Entscheidung der BaFin auszusetzen sei. Für das Streitjahr 2018 führe die Registrierung bei der BaFin als Investmentvermögen daher zwingend zu einer steuerlichen Einordnung als Investmentfonds.
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Aber selbst wenn man – entgegen dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut – für den streitigen Veranlagungszeitraum eine formale Bindungswirkung im vorstehend bezeichneten Sinn ablehnte, müsse die Entscheidung der BaFin im Ergebnis dennoch maßgeblich sein. Zum einen bestehe mit § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG n.F. ein Wertungswiderspruch zu § 2 Abs. 1 InvStG, wonach die Begriffsbestimmungen des KAGB entsprechend gelten sollten. Nach dieser Logik müsste jedoch zwangsläufig die aufsichtsrechtliche Entscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 KAGB auch steuerrechtlich zutreffend und damit bindend sein. Zum anderen sei auch ohne formale Bindungswirkung der Entscheidung der BaFin davon auszugehen, dass eine solche Auslegungsentscheidung eine korrekte Rechtsanwendung darstelle. Es bestehe nämlich zumindest in materiell-rechtlicher Hinsicht eine Bindungswirkung. Aufgrund der identischen Rechtsgrundlagen und Auslegungskriterien müsse die Finanzverwaltung vom Grundsatz her zum selben Ergebnis kommen wie die BaFin als Ausgangsbehörde.
Klägerin sei Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG
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Im Streitfall liege ein Investmentvermögen vor, womit es sich bei der Klägerin um einen Investmentfonds handle. Bezogen auf den Begriff des Investmentvermögens i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB sei zwischen den Beteiligten lediglich das Tatbestandsmerkmal der „gemeinsamen Anlage“ streitig. Der Begriff des Organismus für gemeinsame Anlagen sei grundsätzlich weit auszulegen. In diesem Zusammenhang sei voranzustellen, dass die Klägerin sowohl als interne Kapitalverwaltungsgesellschaft als auch als Investmentvermögen fungiere. Insofern sei zwischen der Geschäftsführerstellung von B und C sowie ihrer Gesellschafterstellung zu unterscheiden. Die interne Kapitalverwaltungsgesellschaft übernehme die Verwaltung des Investmentvermögens und damit zumindest die Portfolioverwaltung oder das Risikomanagement (vgl. § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 KAGB). Die Verwaltungsfunktion werde von den beiden Geschäftsführern wahrgenommen. Im Rahmen dieser Tätigkeit würden sie jedoch explizit nicht als Gesellschafter tätig, da insofern schon keine entsprechende Ermächtigung bestehe.
Keine laufende Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis der Gesellschafter
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Die ESMA nehme in ihren Leitlinien vom 30. Januar 2014 wörtlich wie folgt Stellung: „Die Anteilseigner des Organismus besitzen – als Gruppe – keine laufende Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis. Die Tatsache, dass einem oder mehreren, jedoch nicht allen vorstehend genannten Anteilseignern eine laufende Ermessens- und Kontrollbefugnis gewährt wurde, sollte nicht als Nachwies dafür herangezogen werden, dass es sich bei dem Organismus nicht um einen Organismus für gemeinsame Anlagen handelt.“ Der Begriff der laufenden Ermessens- und Kontrollbefugnis werde von der ESMA wörtlich wie folgt definiert: „eine Form einer unmittelbaren und kontinuierlichen Entscheidungsgewalt – unabhängig davon, ob sie ausgeübt wird oder nicht – über operative Fragen in Bezug auf die tägliche Verwaltung der Vermögenswerte des Organismus, die wesentlich weiter reicht als die normale Ausübung von Entscheidungs- oder Kontrollbefugnissen in Form der Abstimmung bei Aktionärsversammlungen über Fragen wie Fusionen oder Abwicklung, die Wahl von Anteilseignervertretern, die Ernennung von Vorstandsmitgliedern oder Abschlussprüfern oder die Feststellung des Jahresabschlusses.“
33
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien sei die Klägerin als Investmentvermögen einzustufen: Die Gesellschafter der Klägerin besäßen keine laufende Ermessens- und Kontrollbefugnis über operative Fragen, da nur Gesellschafterbeschlüsse aus wichtigem Grund möglich seien. Dies resultiere aus § 16 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags, wonach eine außerordentliche Gesellschafterversammlung von einem Gesellschafter oder Geschäftsführer einberufen werden könne, wenn es das Interesse der Gesellschaft erfordere oder ein wichtiger Grund vorliege. Eine Einflussnahme der Gesellschafter auf die tägliche Verwaltung der Vermögenswerte scheide durch das Erfordernis eines wichtigen Grundes im Gesellschaftsvertrag aus.
34
Entgegen der Ansicht des FA hätten die Gesellschafter auch keine Einflussnahmemöglichkeit auf die tägliche Verwaltung der Vermögenswerte aufgrund der Regelung in § 7 des Gesellschaftsvertrags. Diese Bestimmung regle eine Auswahl von Geschäften, für die die Geschäftsführung einen Gesellschafterbeschluss mit ¾-Mehrheit benötige. Keine der in § 7 des Gesellschaftsvertrags ausgeführten Geschäfte stehe jedoch im Zusammenhang mit der täglichen Verwaltung der Vermögenswerte. Die einzigen Geschäfte, bei denen theoretisch eine Verbindung zur täglichen Verwaltung der Vermögenswerte hergestellt werden könne, beträfen § 7 Buchst. c und h des Gesellschaftsvertrags.
35
Unter Buchst. c seien keine Beteiligungen zu verstehen, die von der Geschäftsführung zu Anlagezwecken erworben würden. Gemeint seien vielmehr strategische Unternehmensbeteiligungen der Klägerin. Dieses Verständnis komme dadurch zum Ausdruck, dass die Zustimmung der Gesellschafter nur für solche Beteiligungen gelte, bei denen mehr als 25% des Kapitals erworben werde. Die bisherigen Erwerbungen fielen damit nicht unter die Zustimmungspflicht, da sie 3% nicht überschritten hätten. Ein Beteiligungserwerb von mehr als 25% passe nicht zu Größe und Anlagerichtlinien der Klägerin als Aktienfonds. Es könne sich deshalb nur um einen theoretischen Ausnahmefall handeln. Ausnahmeinvestitionen hätten jedoch ohnehin keinen Bezug zu der täglichen Verwaltung des Vermögens, so dass ein Einfluss der Gesellschafter in Bezug auf einen solchen Erwerb die Eigenschaft als Investmentvermögen nicht ausschließe. Dass die Zustimmungspflicht nur für strategische Beteiligungen gelte, sei auch durch Auslegung mit Rücksicht auf das weitere in derselben Ziffer genannte Beispielgeschäft in Form der Errichtung und Aufgabe einer Zweigniederlassung zu ermitteln. Somit gelte die Zustimmungspflicht ausschließlich bei ungewöhnlichen (nicht täglichen) Geschäften. Dasselbe ergebe sich aus einer Gesamtschau mit der Regelung nach Buchst. h. Ausweislich dieser Bestimmung würden Verfügungen zum Erwerb oder zur Veräußerung von Anlage- oder Umlaufvermögen von der Zustimmungspflicht ausgenommen. Beteiligungserwerbungen im Rahmen des Fondsmanagements würden in das Anlagevermögen gebucht.
36
Zudem sei zu beachten, dass nach dem 1. Januar 2017 kein Anleger mehr Gesellschafter der Klägerin geworden sei, sondern lediglich über Genussrechte beteiligt sei. Für Genussrechtsinhaber sei grundsätzlich keine Einflussnahme im Sinne von Gesellschaftsrechten nach den vorstehend genannten gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen möglich. Aktuell entfielen 38% des bisher investierten Kapitals auf Genussrechte.
37
Mit der ESMA sei die Möglichkeit der Einflussnahme einzelner Anleger unbeachtlich. Nur Einflussnahmemöglichkeiten der Anleger als Gruppe ließen ein Investmentvermögen entfallen. Dass es auf die entsprechenden Befugnisse einzelner Anleger nicht ankomme, sei einhellige Meinung im Schrifttum. Die Fremdverwaltung sei von der Eigenverwaltung abzugrenzen. Im Streitfall seien die Anleger jedoch von der täglichen Verwaltung des Vermögens ausgeschlossen. Nach einer Meinung im Schrifttum müsse für die Eigenverwaltung ein sachlich unbegrenztes Weisungsrecht der Anleger in Bezug auf die Anlagegegenstände bestehen und es müsse dieses Recht im Tagesgeschäft auch tatsächlich ausgeübt werden (Verweis auf Zetzsche/Preiner, WM 2013, 2101). Bisher sei im Streitfall von keinem Gesellschafter auf das Tagesgeschäft Einfluss genommen bzw. eine solche Einflussnahmemöglichkeit versucht worden, wie dies die vorgelegten Protokolle der Gesellschafterversammlungen belegten. Soweit nicht alle Gesellschafter, sondern nur einer oder einige mit einer laufenden Ermessens- oder Kontrollbefugnis ausgestattet seien, liege keine Eigenverwaltung vor. Für die Ablehnung eines Investmentvermögens bedürfe es jedoch eines stetigen und aktiven Einwirkens der Gesellschafter auf die Investitionsentscheidung, was im Streitfall jedoch weder praktisch umgesetzt worden noch theoretisch möglich sei.
Kriterium des Verbots der Eigenverwaltung kritisch
38
Ein Prinzip des Verbots der Eigenverwaltung sei kritisch zu beurteilen, da § 1 Abs. 1 KAGB eine solche Einschränkung seinem Wortlaut nach nicht enthalte. Es werde im Gesetz weder geregelt, von wem das eingesammelte Kapital zu verwalten sei, noch, dass Anleger nicht auf das Fondsmanagement einwirken dürften. Das Gebot der Fremdverwaltung werde auch nicht in anderen Gesetzesmaterialien zur AIFM-Richtlinie und dem deutschen Umsetzungsgesetz postuliert. Lediglich in der Begründung zum Gesetz zur Anpassung des Investmentsteuergesetzes und anderer Gesetze an das AIFM-Umsetzungsgesetz vom 18. Oktober 2013 (AFIM-StAnpG; BGBl I 2013, 4318) werde es wörtlich wie folgt genannt (Verweis auf BT-Drs. 18/68, 33): „Damit ergeben sich zusammengefasst folgende Wesensmerkmale [eines Investmentfonds]: Fremdverwaltung durch ein sachkundiges Management (im Gegensatz zur Eigenverwaltung durch die Anleger)“. Eine Fremdverwaltung liege auch dann vor, wenn es sich „anteilig“ um eine Eigenverwaltung handle. Im Streitfall finde durch die Gesellschafter-Geschäftsführer zum Teil eine Eigenverwaltung statt. Dies sei jedoch nur der Fall, wenn nicht, wie geboten, zwischen Geschäftsführerstellung und Gesellschafterstellung unterschieden werde. Abgesehen davon würden von der Klägerin aber auch erhebliche Fremdmittel verwaltet. Diese seien zum einen von anderen Gesellschaftern aufgenommen worden, deren Mitgliedschaftsrechte im Vergleich zu den Gesellschafter-Geschäftsführern, insbesondere in Bezug auf die Stimmrechte, abgestuft seien (§ 17 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrags). Zum anderen seien weitere Anleger über Genussrechte (§ 6 des Gesellschaftsvertrags) akquiriert worden. Das – aus Sicht der Gesellschafter-Geschäftsführer – fremde Kapital stelle damit einen ganz erheblichen Teil des zu verwaltenden Gesamtkapitals dar.
Rechtsform der GmbH unschädlich
39
§ 44 Abs. 1 Nr. 6 und 7 KAGB lasse als Kapitalverwaltungsgesellschaft und AIF jede juristische Person als Rechtsform und damit auch eine GmbH mit ihren gesetzlich verankerten Gesellschaftsrechten zu. Wenn der Gesetzgeber eine Gesellschaftsform hätte ausschließen wollen, weil das Gebot der Fremdverwaltung dadurch bedroht werde, hätte er dies getan oder jedenfalls eine Einschränkung der Gesellschafterrechte in das Gesetz formulieren müssen, was jedoch beides nicht geschehen sei. Aus diesem Grund überzeuge die Argumentation des FA nicht, wenn sie moniere, dass den Gesellschaftern der Klägerin unter anderem die Kontrollbefugnis aus § 46 Nr. 5 und 6 GmbHG (Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern sowie die Entlastung derselben und Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung) zustünden. Die Vorschriften der §§ 46 bis 52 GmbHG seien zwar dispositiv (§ 45 Abs. 2 GmbHG). Wenn es jedoch neben den Gesellschaftern und den Geschäftsführern kein anderes Organ gebe, könne den Gesellschaftern die Kompetenz nach § 46 Nr. 5 und 6 GmbHG nicht genommen werden. Es sei deshalb verfehlt, wenn einer GmbH, die in ihrer Ausgestaltung dem gesetzlichen Normalfall entspreche, aufgrund seiner Typik die Einhaltung des Gebots der Fremdverwaltung abgesprochen werde. Nach der Gesetzesbegründung setze der Begriff „Organismus für gemeinsame Anlagen“ voraus, dass ein Investmentvehikel vorliege, in dem das von den Investoren eingesammelte Kapital gepoolt werde. Dies wiederum erfordere ein rechtlich oder wirtschaftlich von den Anlegern verselbständigtes Vermögen. Im Streitfall seien durch das Halten der Anlagegegenstände durch die Klägerin als GmbH die Vermögenssphären ganz klar getrennt, da die einzelnen Anlagegegenstände den Anlegern weder rechtlich noch wirtschaftlich zuzurechnen seien.
Keine Steuerumgehungsgestaltung oder Gefahr für inländisches Steuersubstrat
40
Laut Gesetzesbegründung zum Gesetz zur Reform der Investmentbesteuerung vom 19. Juli 2016 (InvStRefG; BGBl I 2016, 1730) solle das Besteuerungssystem für die Spezial-Investmentfonds grundsätzlich fortgeführt werden, jedoch sollten die neuen Regelungen dafür Sorge tragen, „Steuerumgehungsgestaltungen zu verhindern und zugleich inländisches Besteuerungssubstrat zu schützen“ (Verweis auf BT-Drs. 18/8045, 53). Die Entscheidungen der BaFin orientierten sich an deren Aufgabe des Anlegerschutzes. Dagegen gehe es bei der Finanzverwaltung um die Sicherung des Steuersubstrats und die Verhinderung von Steuersparmodellen. Aufgrund der unterschiedlichen Aufgabenstellung könnten sich in Einzelfällen unterschiedliche Auslegungsergebnisse ergeben. Eine Sicherung des Besteuerungssubstrats sei jedoch nur in grenzüberschreitenden Sachverhalten angezeigt, die im Streitfall nicht vorlägen. Daneben werde im Schrifttum im Fall missbräuchlicher Gestaltungen ein Fall für eine vom Aufsichtsrecht abweichende steuerliche Einordnung gesehen. Missbräuchlich seien unangemessene rechtliche Gestaltungen, welche zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen steuerlichen Vorteil führten, es sei denn, der Steuerpflichtige weise beachtliche außersteuerliche Gründe nach (Wertung nach § 42 Abs. 2 Satz 1 AO). Dieses Kriterium sei im Streitfall ebenfalls nicht erfüllt.
41
Die Klägerin beantragt,
den Körperschaftsteuerbescheid 2018 sowie den Bescheid über den Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer 2018 vom 24. Juli 2020 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 9. Dezember 2020 sowie der Einspruchsentscheidung vom 16. Juli 2021 aufzuheben und die Körperschaftsteuer auf 0 € und den Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer auf 0 € festzusetzen,
den Bescheid über die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags 2018 vom 9. Dezember 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 16. Juli 2021 aufzuheben und den Gewerbesteuermessbetrag auf 0 € festzusetzen,
den Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 27 Abs. 2 KStG, § 28a Abs. 1 Satz 3 und § 38 Abs. 1 KStG zum 31. Dezember 2020 vom 24. Juli 2020 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 9. Dezember 2020 sowie der Einspruchsentscheidung vom 16. Juli 2021 aufzuheben
sowie hilfsweise die Revision zuzulassen.
43
Zur Begründung wird in Ergänzung zur Einspruchsentscheidung ausgeführt, dass die steuerliche Beurteilung, ob ein Investmentfonds nach § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG vorliege, der Finanzverwaltung und nicht der BaFin obliege. Zur Auslegung des Begriffs des Investmentvermögens könne zwar auf die aufsichtsrechtlichen Verwaltungsverlautbarungen zurückgegriffen werden, hinsichtlich der zu beurteilenden Rechtsfrage, ob ein Investmentfonds vorliege, bestehe jedoch keine Bindung an die aufsichtsrechtliche Entscheidung (Verweis auf BMF-Schreiben vom 21. Mai 2019 IV C 1-S. 1980-1/16/10010:001, BStBl I 2019, 527 Rn. 1.2). Der Gesetzgeber habe in der Gesetzesbegründung betont, dass der Einschub des § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG n.F., wonach keine Bindungswirkung an die aufsichtsrechtliche Entscheidung nach § 5 Abs. 3 KAGB bestehe, lediglich der gesetzlichen Klarstellung diene, um Rechtssicherheit zu schaffen. Die Klarstellung gelte zwar erst ab dem 1. Januar 2021, der Gesetzgeber sei jedoch bereits seit dem 1. Januar 2018 der Ansicht gewesen, dass es durch die unterschiedlichen Aufgabenstellungen der beiden Verwaltungsbehörden BaFin und Finanzverwaltung zu unterschiedlichen Auslegungen des Begriffs Investmentvermögen kommen könne (Verweis auf BT-Drs. 18/8045, 54).
44
Eine von der Klägerin beantragte Einholung einer Zweifelsentscheidung der BaFin nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KAGB sei nicht geboten. Das Versagen der Anerkennung als Investmentvermögen aus steuerrechtlicher Sicht stelle nicht automatisch eine fehlerbehaftete Entscheidung der BaFin dar, sondern resultiere aus dem eigenständigen Prüfungsrecht der Finanzverwaltung und den unterschiedlichen Aufgabenstellungen der beiden Behörden. Zudem entfalte die Entscheidung der BaFin nach § 5 Abs. 3 KAGB keine Bindungswirkung für die Finanzverwaltung. Die Mitwirkung der BaFin sei für die steuerrechtliche Beurteilung der Klägerin als Investmentvermögen nicht erforderlich und nicht maßgeblich. Im Streitfall liege damit kein Formfehler nach § 126 Abs. 1 Nr. 5 AO vor.
45
Zwischen den Beteiligten sei lediglich das Tatbestandsmerkmal der „gemeinsamen Anlage“ streitig. Die Verselbständigung des hingegebenen Vermögens sei nach Ansicht des FA nicht gewährleistet, da den Anlegern in Person der Gesellschafter-Geschäftsführer B und C eine signifikante Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der Einzelinvestments eingeräumt werde. Diese beiden Gesellschafter-Geschäftsführer hätten als Gesellschafter mit erhöhten Stimmrechten eine laufende Ermessens- und Kontrollbefugnis. Wie von der Klägerin selbst ausgeführt, seien Einflussnahmemöglichkeiten einzelner Anleger unbeachtlich, jedoch könnten im vorliegenden Fall keine Entscheidungen gegen die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer getroffen werden. Deren Stellung zeige, dass im Hinblick auf ihr eigenes Vermögen keine Fremdverwaltung vorliege. Zudem wiesen nicht viele Investmentvermögen die Problematik der doppelten Stellung eines Gesellschafter-Geschäftsführers auf und den betroffenen Gesellschaftern erhöhte Stimmrechte zu. Es handle sich daher im Streitfall um einen Einzelfall, der eine vom Aufsichtsrecht abweichende Beurteilung durch die Finanzverwaltung erfordere und rechtfertige.
46
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen, die vorgelegten Akten des FA sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
47
Die zulässige Klage ist unbegründet.
48
1. Das FA hat zu Recht die Klägerin nicht als Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG anerkannt und damit zu Recht auf die angefochtenen Steuerbescheide nicht die speziellen Regelungen des InvStG angewendet.
49
a) Im Streitfall hat das FA ein eigenständiges Prüfungsrecht für die Frage, ob die Klägerin als Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB und damit als Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG anzusehen ist, womit keine Bindungswirkung an die Entscheidung der BaFin im Zusammenhang mit der Registrierung der Klägerin als AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaft nach § 44 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 4 KAGB besteht.
50
aa) (1) Nach § 1 Abs. 1 InvStG gilt das InvStG für Investmentfonds und deren Anleger. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG sind Investmentfonds Investmentvermögen nach § 1 Abs. 1 KAGB. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB ist Investmentvermögen jeder Organismus für gemeinsame Anlagen, der von einer Anzahl von Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren und der kein operativ tätiges Unternehmen außerhalb des Finanzsektors ist. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 KAGB ist eine Anzahl von Anlegern i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB gegeben, wenn die Anlagebedingungen, die Satzung oder der Gesellschaftsvertrag des Organismus für gemeinsame Anlagen die Anzahl möglicher Anleger nicht auf einen Anleger begrenzen. Nach § 1 Abs. 2 KAGB sind Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) Investmentvermögen, die die Anforderungen der RL 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren OGAW (ABl. L 302 vom 17. November 2009, 1) erfüllen, die zuletzt durch die RL 2014/91/EU (ABl. L 257 vom 28. August 2014, 186) geändert worden ist.
51
(2) Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KAGB sind Kapitalverwaltungsgesellschaften Unternehmen mit satzungsmäßigem Sitz und Hauptverwaltung im Inland, deren Geschäftsbetrieb darauf gerichtet ist, inländische Investmentvermögen, EU-Investmentvermögen oder ausländische AIF zu verwalten. Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 KAGB liegt die Verwaltung eines Investmentvermögens vor, wenn mindestens die Portfolioverwaltung oder das Risikomanagement für ein oder mehrere Investmentvermögen erbracht wird. Nach § 17 Abs. 2 KAGB ist die Kapitalverwaltungsgesellschaft entweder (Nr. 1) eine externe Kapitalverwaltungsgesellschaft, die vom Investmentvermögen oder im Namen des Investmentvermögens bestellt ist und auf Grund dieser Bestellung für die Verwaltung des Investmentvermögens verantwortlich ist, oder (Nr. 2) das Investmentvermögen selbst, wenn die Rechtsform des Investmentvermögens eine interne Verwaltung zulässt und der Vorstand oder die Geschäftsführung des Investmentvermögens entscheidet, keine externe Kapitalverwaltungsgesellschaft zu bestellen (interne Kapitalverwaltungsgesellschaft). Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Satz 2 KAGB wird in diesem Fall das Investmentvermögen als Kapitalverwaltungsgesellschaft zugelassen.
52
(3) Nach § 5 Abs. 1 KAGB übt die BaFin die Aufsicht nach den Vorschriften des KAGB aus. Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KAGB entscheidet die BaFin in Zweifelsfällen, dass ein inländisches Unternehmen den Vorschriften des KAGB unterliegt oder ob ein Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB vorliegt. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 KAGB bindet ihre Entscheidung die Verwaltungsbehörden.
53
bb) Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG sind Investmentfonds Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB. Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG in der Fassung des InvStRefG vom 19. Juli 2016 (BGBl I 2016, 1730 – im Folgenden § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG a.F.) – gelten als Investmentfonds im Sinne dieses Gesetzes auch (Nr. 1) Organismen für gemeinsame Anlagen, bei denen die Zahl der möglichen Anleger auf einen Anleger begrenzt ist, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 KAGB erfüllt sind, (Nr. 2) Kapitalgesellschaften, denen nach dem Recht des Staates, in dem sie ihren Sitz oder ihre Geschäftsleitung haben, eine operative unternehmerische Tätigkeit untersagt ist und die keiner Ertragsbesteuerung unterliegen oder die von der Ertragsbesteuerung befreit sind, und (Nr. 3) von AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaften verwaltete Investmentvermögen nach § 2 Abs. 3 KAGB. Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 InvStG sind keine Investmentfonds im Sinne dieses Gesetzes (Nr. 1) Gesellschaften, Einrichtungen und Organisationen nach § 2 Abs. 1 und 2 KAGB, (Nr. 2) Investmentvermögen in der Rechtsform einer Personengesellschaft oder einer vergleichbaren ausländischen Rechtsform, es sei denn, es handelt sich um Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren nach § 1 Abs. 2 KAGB oder um Altersvorsorgevermögenfonds nach § 53 InvStG, (Nr. 3) Unternehmensbeteiligungsgesellschaften nach § 1a Abs. 1 des Gesetzes über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften, (Nr. 4) Kapitalbeteiligungsgesellschaften, die im öffentlichen Interesse mit Eigenmitteln oder mit staatlicher Hilfe Beteiligungen erwerben, und (Nr. 5) REIT-Aktiengesellschaften nach § 1 Abs. 1 des REIT-Gesetzes und andere REIT-Körperschaften, -Personenvereinigungen oder -Vermögensmassen nach § 19 Abs. 5 des REIT-Gesetzes.
54
cc) (1) Nach seinem Wortlaut knüpft § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG an den aufsichtsrechtlichen Begriff des Investmentvermögens nach § 1 Abs. 1 KAGB an und enthält sich einer eigenständigen Definition des Begriffs des Investmentfonds. Trotz der Anknüpfung des Begriffs des Investmentfonds in § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG an den aufsichtsrechtlichen Begriff des Investmentvermögens in § 1 Abs. 1 KAGB ist der Begriff des Investmentfonds i.S.d. § 1 InvStG jedoch nicht deckungsgleich mit dem Begriff des Investmentvermögens nach § 1 Abs. 1 KAGB, sondern zum Teil weiter (§ 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG a.F.) und zum Teil enger (§ 1 Abs. 3 InvStG) als der aufsichtsrechtliche Begriff (Bödecker in Bödecker/Ernst/Hartmann, BeckOK InvStG, 21. Edition Stand: 15. Juli 2024, § 1 Rn. 24). Damit stellt sich die Frage nach einem Gleichlauf des steuerrechtlichen Begriffs des Investmentfonds und des aufsichtsrechtlichen Begriffs des Investmentvermögens bzw. seiner Reichweite und damit einhergehend die Frage eines eigenständigen Prüfungsrechts der Finanzbehörden hinsichtlich des Vorliegens eines Investmentvermögens nach § 1 Abs. 1 KAGB mit einer gegebenenfalls von der BaFin abweichenden Schlussfolgerung (hierzu z.B. Link in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, 326. Lieferung 6/2024, § 1 InvStG Rn. 6).
55
(2) Zur Auslegung des aufsichtsrechtlichen Begriffs des Investmentvermögens und der in § 1 Abs. 1 KAGB genannten einzelnen Tatbestandsmerkmale – in streitgegenständlicher Hinsicht der Begriff des Organismus für gemeinsame Anlagen – haben die Aufsichtsbehörden BaFin und ESMA normkonkretisierend Stellung genommen (Auslegungsschreiben der BaFin vom 9. März 2015; Leitlinien der ESMA vom 30. Januar 2014). Diese Auslegungsschreiben haben keinen Normcharakter, sondern geben lediglich die Verwaltungsansicht wider, die allein die betroffenen Aufsichtsbehörden bindet, nicht jedoch andere Behörden, Steuerpflichtige und Marktteilnehmer sowie Gerichte. Als normkonkretisierende Auslegungshilfen können das Auslegungsschreiben der BaFin vom 9. März 2015 und die Leitlinien der ESMA vom 30. Januar 2014 jedoch nach dem BMF-Schreiben vom 21. Mai 2019 (IV C 1-S. 1980-1/16/10010:001, BStBl I 2019, 527 Rn. 1.2) zur Auslegung des Begriffs Investmentvermögen herangezogen werden. Auch das Schrifttum stützt sich in weiten Teilen zur Konkretisierung aufsichtsrechtlicher Begriffe des § 1 Abs. 1 KAGB auf die Normkonkretisierungen des BaFin und der ESMA (z.B. Bödecker in Bödecker/Ernst/Hartmann, BeckOK InvStG, 21. Edition Stand: 15. Juli 2024, § 1 Rn. 29 ff.; Wenzel in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 172. Lieferung 7/2024, § 1 Rn. 13; Behrens/Kammeter in Kretzschmann/Schwenke/Behrens/ Hensel/Klein, InvStG, 2023, § 1 Rn. 13).
56
Hinsichtlich der von den Finanzbehörden zu beurteilenden Rechtsfrage, ob ein Investmentfonds vorliegt, bestand nach Auffassung der Finanzverwaltung auch vor Einführung des § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG n.F. keine Bindung an die aufsichtsrechtliche Entscheidung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 KAGB zum Vorliegen eines Investmentvermögens (BMF-Schreiben vom 21. Mai 2019 IV C 1-S. 1980-1/16/10010:001, BStBl I 2019, 527 Rn. 1.2). Begründet wurde das eigenständige Prüfungsrecht der Finanzverwaltung mit den unterschiedlichen Aufgaben der Finanzverwaltung und der BaFin. Wogegen sich die Entscheidungen der BaFin an deren Aufgabenstellung des Anlegerschutzes orientiert, geht es der Finanzverwaltung um die Sicherung des Steuersubstrats und die Verhinderung von Steuersparmodellen. Auf Grund der unterschiedlichen Aufgabenstellung können sich in Einzelfällen unterschiedliche Auslegungsergebnisse ergeben (BT-Drs. 19/22850, 105).
57
(3) Ein Teil des Schrifttums wandte sich gegen ein eigenständiges Prüfungsrecht der Finanzverwaltung und plädierte angesichts des eindeutigen Verweises in § 1 Abs. 2 InvStG auf § 1 Abs. 1 KAGB sowie in § 2 Abs. 1 InvStG und eines „geboten erscheinenden Gleichlaufs zwischen Aufsichts- und Steuerrecht“ für eine Bindungswirkung der aufsichtsrechtlichen Beurteilung durch die BaFin für Zwecke des InvStG, sofern keine der in § 1 Abs. 2 bis 4 InvStG genannten Ausnahmen greift (z.B. Link in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 326. Lieferung 6/2024, § 1 InvStG Rn. 6; Bindl/Mager, BB 2016, 2711; Bußalb in Moritz/Klebeck/Jesch, KAGB, 2016, § 5 Rn. 52). Ein anderer Teil des Schrifttums sprach sich hingegen gegen eine Bindungswirkung der Entscheidung der BaFin und damit für ein eigenständiges Prüfungsrecht der Finanzverwaltung aus. Begründet wurde dies mit dem Argument, dass nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KAGB die BaFin in Zweifelsfällen entscheidet, ob ein inländisches Unternehmen den Vorschriften des KAGB unterliegt oder ob ein Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB vorliegt, und dass nach § 5 Abs. 3 Satz 2 KAGB ihre Entscheidung zwar die Verwaltungsbehörden bindet, es sich bei der Finanzverwaltung jedoch nicht um eine „Verwaltungsbehörde“ in diesem Sinne handelt (z.B. Hoffmann in Korn, EStG, 154. Lieferung 7/2024, § 1 InvStG Rn. 16). Des Weiteren wurde darauf abgestellt, dass die BaFin im Rahmen ihrer formellen Entscheidung die Erweiterung des Investmentbegriffs und die Ausnahmen im InvStG nicht berücksichtigt (Bödecker in Bödecker/Ernst/Hartmann, BeckOK InvStG, 21. Edition Stand: 15. Juli 2024, § 1 Rn. 28). Zudem wurde für ein eigenständiges Prüfungsrecht der Finanzverwaltung auch die unterschiedliche Aufgabenstellung von Finanzverwaltung und BaFin ins Feld geführt (Behrens/Kammeter in Kretzschmann/ Schwenke/Behrens/Hensel/Klein, InvStG, 2023, § 1 Rn. 54). Eine Bindung der Finanzverwaltung an aufsichtsrechtliche Entscheidungen soll schließlich auch an dem Umstand scheitern, dass eine vorgreifliche Wirkung der Entscheidung der BaFin als Grundlagenbescheid in einem gestuften Verwaltungsverfahren nicht ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist (Behrens/Kammeter in Kretzschmann/Schwenke/Behrens/Hensel/Klein, InvStG, 2023, § 1 Rn. 55 m.w.N.).
58
(4) Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG n.F. besteht mit Wirkung vom 1. Januar 2021 (§ 57 Abs. 2 Nr. 1 InvStG) für Zwecke des InvStG nunmehr ausdrücklich keine Bindungswirkung an die aufsichtsrechtliche Entscheidung nach § 5 Abs. 3 KAGB. Der Gesetzgeber sah sich zu dieser – seiner Ansicht nach – ausdrücklichen gesetzlichen Klarstellung veranlasst, da das von der Finanzverwaltung für sich in Anspruch genommene Prüfungsrecht von Teilen des Schrifttums – wie vorstehend dargestellt – abgelehnt wurde (BT-Drs. 19/22850, 105; Behrens/ Kammeter in Kretzschmann/Schwenke/Behrens/Hensel/Klein, InvStG, 2023, § 1 Rn. 55).
59
(5) Ein eigenständiges Prüfungsrecht der Finanzverwaltung hat zur Folge, dass auch die Finanzgerichte nicht an aufsichtsrechtliche Entscheidungen zu § 1 Abs. 1 KAGB gebunden sind (Behrens/Kammeter in Kretzschmann/Schwenke/Behrens/Hensel/Klein, InvStG, 2023, § 1 Rn. 54 unter Hinweis auf BFH-Urteile vom 8. Juli 1971 V R 1/68, BStBl II 1972, 70; vom 29. Januar 2003 I R 106/00, BFH/NV 2003, 868). Weichen die Finanzbehörden oder die Finanzgerichte im Einzelfall von aufsichtsrechtlichen Entscheidungen zu § 1 Abs. 1 KAGB ab, ist damit keine Konsultation der BaFin nach § 5 Abs. 3 KAGB erforderlich (Behrens/ Kammeter in Kretzschmann/Schwenke/Behrens/Hensel/Klein, InvStG, 2023, § 1 Rn. 54 m.w.N.).
60
dd) Bei Übertragung dieser Grundsätze auf den Streitfall hat das FA ein eigenständiges Prüfungsrecht für die Frage, ob die Klägerin als Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB und damit als Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG anzusehen ist; bei dieser Entscheidung ist es nicht an die Entscheidung der BaFin im Zusammenhang mit der Registrierung der Klägerin als AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaft nach § 44 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 4 KAGB und damit an die Anerkennung als Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB gebunden.
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(1) Im Streitfall folgt ein eigenständiges Prüfungsrecht des FA, ob die Klägerin die Voraussetzungen eines Investmentvermögens i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB erfüllt und damit als Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG anzuerkennen ist, nicht aus § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG n.F., wonach für Zwecke des InvStG keine Bindungswirkung an die aufsichtsrechtliche Entscheidung nach § 5 Abs. 3 KAGB besteht. Im Streitfall erstreckt sich der Streitzeitraum auf das Jahr 2018, die Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG n.F. wurde hingegen erst mit Wirkung vom 1. Januar 2021 eingeführt.
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(2) Ein eigenständiges Prüfungsrecht des FA für die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB und damit ein Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG vorliegt, ergibt sich für den erkennenden Senat für den Zeitraum vor dem 1. Januar 2021 – und damit für das Streitjahr 2018 – aus gesetzessystematischen und teleologischen Gründen:
63
§ 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG verweist für die Bestimmung des Begriffs des Investmentfonds auf den Begriff des Investmentvermögens i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB. Da der steuerrechtliche Begriff des Investmentfonds durch § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG a.F. bzw. § 1 Abs. 2 Satz 3 InvStG erweitert und durch § 1 Abs. 3 Satz 1 InvStG verengt wird, besteht zwischen dem steuerrechtlichen Begriff des Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 und 3 InvStG und dem aufsichtsrechtlichen Begriff des Investmentvermögens i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB keine Deckungsgleichheit, womit für eine jedes einzelne Kriterium des Begriffs des Investmentfonds abdeckende Rechtsanwendung der steuerrechtlichen Regelungen des § 1 Abs. 2 und 3 InvStG ein eigenständiges Prüfungsrecht der zuständigen Finanzbehörden erforderlich ist und sich eine Bindung der Finanzbehörden mit ihrem zum Teil erweiterten und zum Teil verengten Beurteilungsrahmen nach dem InvStG an aufsichtsrechtliche Entscheidungen der BaFin im Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB verbietet.
64
Das Erfordernis der Gewährleistung einer umfassenden zuständigkeits- bzw. aufgabengerechten und effektiven Rechtsanwendung der Finanzbehörden bei der Beurteilung der Frage des Vorliegens eines Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 und 3 InvStG steht nach Ansicht des Senats auch einem lediglich eingeschränkten eigenständigen Prüfungsrecht der Finanzbehörden hinsichtlich der Beurteilung der Erweiterungen des Begriffs des Investmentfonds nach § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG a.F. und der Verengung des Begriffs nach § 1 Abs. 3 InvStG entgegen. Eine Bindungswirkung der Finanzbehörden an Entscheidungen der BaFin bei der Beurteilung des Vorliegens eines Investmentfonds nach § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG und einem ansonsten eigenständigen Prüfungsrecht im Hinblick auf die Begriffserweiterungen nach § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG a.F. bzw. Begriffsverengungen nach § 1 Abs. 3 InvStG wäre im Hinblick auf hieraus resultierende Abgrenzungsprobleme nicht nur unpraktikabel, sondern darüber hinaus unter teleologischen Gesichtspunkten auch nicht in Einklang zu bringen mit den unterschiedlichen Aufgaben der Finanzverwaltung einerseits (Missbrauchsaufsicht und Sicherung des Steuersubstrats) und der BaFin andererseits (Anlegerschutz).
65
Die vorstehend genannten systematischen und teleologischen Gesichtspunkte für ein eigenständiges und umfassendes – d.h. nicht auf die Erweiterung (§ 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG a.F.) bzw. Verengung (§ 1 Abs. 3 InvStG) beschränktes – Prüfungsrecht der Finanzbehörden vor Einführung der Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 InvStG n.F. nehmen darüber hinaus nach Ansicht des Senats die Finanzbehörden auch aus der Kollisionsregel des § 5 Abs. 3 Satz 1 KAGB aus. Aus dem eigenständigen Prüfungsrecht der Finanzverwaltung im Rahmen ihres steuerrechtlichen Aufgabenkreises bezüglich der Frage des Vorliegens eines Investmentfonds folgen keine Kollisionen mit aufsichtsrechtlichen Entscheidungen der BaFin über das Vorliegen eines Investmentvermögens i.S.d. KAGB, da jeweils keine deckungsgleichen Aufgaben- und Regelungskreise vorliegen, über die eine Zweifelsfallentscheidung der BaFin nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KAGB mit Bindungswirkung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 KAGB herbeigeführt werden müsste. Damit liegt im Streitfall im Hinblick auf die Entscheidung des FA weder der von der Klägerin gerügte Formfehler i.S.d. § 126 Abs. 1 Nr. 5 AO vor (erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde), noch war das vorliegende Klageverfahren nach § 74 FGO – gemäß der entsprechenden Anregung der Klägerin (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, 182. Lieferung 8/2024, § 74 FGO Rn. 16) – bis zu einer Entscheidung der BaFin nach § 5 Abs. 3 KAGB auszusetzen.
66
b) Im Streitfall hat das FA zu Recht die Klägerin nicht als Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB und damit als Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG anerkannt.
67
aa) Nach § 1 Abs. 1 InvStG gilt dieses Gesetz für Investmentfonds und deren Anleger. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG sind Investmentfonds Investmentvermögen nach § 1 Abs. 1 KAGB. § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB ist Investmentvermögen jeder Organismus für gemeinsame Anlagen, der von einer Anzahl von Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren und der kein operativ tätiges Unternehmen außerhalb des Finanzsektors ist. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 KAGB ist eine Anzahl von Anlegern i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB gegeben, wenn die Anlagebedingungen, die Satzung oder der Gesellschaftsvertrag des Organismus für gemeinsame Anlagen die Anzahl möglicher Anleger nicht auf einen Anleger begrenzen. Nach § 1 Abs. 2 KAGB sind Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren Investmentvermögen, die die Anforderungen der RL 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (ABl. L 302 vom 17. November 2009, 1) erfüllen, die zuletzt durch die RL 2014/91/EU (ABl. L 257 vom 28. August 2014, 186) geändert worden ist.
68
bb) (1) Zu dem im Streitfall zwischen den Parteien allein streitigen Tatbestandsmerkmal des „Organismus für gemeinsame Anlagen“ äußern sich die Leitlinien der ESMA vom 30. Januar 2014 unter Ziffer VI. wie folgt: Wenn ein Organismus alle nachstehenden Merkmale aufweist, sollte daraus nachweislich hervorgehen, dass der Organismus ein Organismus für gemeinsame Anlagen im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der AIFMD (Alternative Investment Fund Managers Directive) ist. Dabei handelt es sich um folgende Merkmale: Der Organismus verfolgt keinen allgemein-kommerziellen oder allgemein-industriellen Zweck (Buchst. a); der Organismus bündelt das bei seinen Anlegern zum Zweck der Anlage beschaffte Kapital im Hinblick auf die Erzielung einer Gemeinschaftsrendite für die Anleger (Buchst b); und die Anteilseigner des Organismus besitzen – als Gruppe – keine laufende Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis. Die Tatsache, dass einem oder mehreren, jedoch nicht allen vorstehend genannten Anteilseignern eine laufende Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis gewährt wurde, sollte nicht als Nachweis dafür herangezogen werden, dass es sich bei dem Organismus nicht um einen Organismus für gemeinsame Anlagen handelt (Buchst. c).
69
Mit dem Kriterium der Schädlichkeit laufender Ermessens- und Kontrollbefugnisse der Anteilseigener des Organismus als Gruppe versagt die ESMA die Anerkennung als Organismus für gemeinsame Anlagen i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB letztlich in den Fällen der gemeinsamen (Eigen-)Verwaltung des Investmentvermögens (Verfürth/Emde in Emde/Dornseifer/ Dreibus, KAGB, 2. Auflage 2019, § 1 Rn. 55).
70
(2) Den Begriff der laufenden Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis bestimmen die Leitlinien der ESMA vom 30. Januar 2014 unter Ziffer II. als eine Form einer unmittelbaren und kontinuierlichen Entscheidungsgewalt – unabhängig davon, ob sie ausgeübt wird oder nicht – über operative Fragen in Bezug auf die tägliche Verwaltung der Vermögenswerte des Organismus, die wesentlich weiter reicht als die normale Ausübung von Entscheidungs- oder Kontrollbefugnissen in Form der Abstimmung bei Aktionärsversammlungen über Fragen wie Fusionen oder Abwicklung, die Wahl von Anteilseignervertretern, die Ernennung von Vorstandsmitgliedern oder Abschlussprüfern oder die Feststellung des Jahresabschlusses.
71
(3) Nach dem Auslegungsschreiben der BaFin vom 9. März 2015 erfordert das Tatbestandsmerkmal Organismus „für gemeinsame Anlagen“, dass die Anleger an den Chancen und Risiken des Organismus beteiligt sind (Ziffer 2). Zur Frage, ob und inwieweit eine laufende Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis eines oder mehrerer Anteilseigner, nicht jedoch der Anteilseigner als Gruppe, der Anerkennung als Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB entgegensteht, äußert sich das Auslegungsschreiben nicht.
72
(4) Im Schrifttum ist umstritten, ob über die von der ESMA als schädlich für die Anerkennung als Investmentvermögen bestimmte „laufende Ermessens- und Kotrollbefugnis der Anteilseigner des Organismus als Gruppe“ hinaus aus der in § 1 Abs. 1 KAGB angelegten Eigenständigkeit des gepoolten Vermögens der Anleger ein genereller Grundsatz der ausschließlichen Fremdverwaltung des Investmentvermögens folgt. Der von § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB bestimmte „Organismus für gemeinsame Anlagen“ setzt nach allgemeiner Meinung eine zivilrechtliche Vermögenstrennung zwischen den Anlegern und dem Investmentvermögen voraus, d.h. das Investmentvermögen muss vom (eigenen) Vermögen des Anlegers rechtlich und wirtschaftlich getrennt sein, wobei der einzelne Anleger ein Beteiligungsrecht am Investmentvermögen als Vermögensmasse besitzt und nicht Miteigentümer der Anlagegegenstände ist (z.B. Bödecker in Bödecker/Ernst/Hartmann, BeckOK InvStG, 21. Edition Stand: 15. Juli 2024, § 1 Rn. 29.2; hierzu auch Behrens/Kammeter in Kretzschmann/Schwenke/ Behrens/Hensel/Klein, InvStG, 2023, § 1 Rn. 20 ff.; Verfürth/Emde in Emde/Dornseifer/ Dreibus, KAGB, 2. Auflage 2019, § 1 Rn. 14 ff.; Eckhold/Balzer in Assmann/Schütze/Buck-Heeb, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 5. Auflage 2020, § 22 Rn. 8). Eine entsprechende Trennung des (eigenen) Vermögens des einzelnen Anlegers vom Investmentvermögen ist beispielsweise bei einer juristischen Person – und damit in streitgegenständlicher Hinsicht auch bei einer Kapitalgesellschaft in der Rechtsform einer GmbH – grundsätzlich gewährleistet (Verfürth/Emde in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Auflage 2019, § 1 Rn. 16; Bödecker/Hartmann in Bödecker/Ernst/Hartmann, BeckOK InvStG 2004, 21. Edition Stand: 1. Dezember 2023, § 1 InvStG 2004 Rn. 29; Volhard/Jang in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 3. Auflage 2021, § 1 Rn. 5).
73
Nach der (wohl) herrschenden Ansicht im Schrifttum kann aus dem Gebot der Eigenständigkeit des Anlagevermögens jedoch kein Gebot der ausschließlichen Fremdverwaltung des Investmentvermögens über die von der ESMA bestimmte Schädlichkeit von laufenden Ermessens- und Kontrollbefugnissen der Anteilseigner als Gruppe hinaus abgeleitet werden (z.B. Bödecker in Bödecker/Ernst/Hartmann, BeckOK InvStG, 21. Edition Stand: 15. Juli 2024, § 1 Rn. 29.2.; Behrens in Kretzschmann/Schwenke/Behrens/Hensel/Klein, InvStG, 2023, § 1 Rn. 44, 53; Stöber/Kleinert, BB 2016, 278, 282 f.). Dies folge aus dem Umstand, dass das Gebot der Eigenständigkeit des Investmentvermögens eine Frage der in § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB geregelten Vermögenszuordnung sei, wohingegen die Frage des Einflusses der Anleger auf die Anlageentscheidungen des Investmentfonds bzw. der Kapitalverwaltungsgesellschaft eine hiervon zu trennende Frage der Verbandsordnung sei (Bödecker in Bödecker/Ernst/Hartmann, BeckOK InvStG, 21. Edition Stand: 15. Juli 2024, § 1 Rn. 29.2). Unterhalb der von der ESMA mit der Schädlichkeit von laufenden Ermessens- und Kontrollbefugnis der Anteilseigner des Organismus als Gruppe gezogenen Grenze als Verbot der kollektiven (Eigen-)Verwaltung des Investmentvermögens steht nach der (wohl) herrschenden Ansicht im Schrifttum die Möglichkeit der Einflussnahme einzelner Anleger – d.h. nicht sämtlicher Anleger als Gruppe – auf Anlageentscheidungen und die Verwaltung des Investmentvermögens damit der Anerkennung das gemeinsamen Organismus als Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB und damit als Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG nicht entgegen (Bödecker in Bödecker/Ernst/Hartmann, BeckOK InvStG, 21. Edition Stand: 15. Juli 2024, § 1 Rn. 29.2; Behrens in Kretzschmann/Schwenke/Behrens/Hensel/Klein, InvStG, 2023, § 1 Rn. 44, 53; Wenzel in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 172. Lieferung 7/2024, § 1 InvStG 2018 Rn. 15; Verfürth/Emde in Emde/Dornseifer/Dreibus, KAGB, 2. Auflage 2019, § 1 Rn. 55).
74
cc) Bei Übertragung dieser Grundsätze auf den Streitfall erfüllt die Klägerin nicht die Voraussetzungen eines Organismus für gemeinsame Anlagen i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB und ist damit zu Recht vom FA nicht als Investmentvermögen und damit auch nicht als Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG anerkannt worden.
75
(1) Das FA durfte sich bei seiner Entscheidung auf die norminterpretierenden Verwaltungsvorschriften in Form des Auslegungsschreibens der BaFin vom 9. März 2015 und der Leitlinien der ESMA vom 30. Januar 2014 als Auslegungshilfen stützen. Auch wenn diese Verwaltungsvorschriften für Gerichte keine Bindungswirkung entfalten, zieht sie der Senat bei seiner Entscheidung als Auslegungshilfen zur Konkretisierung der Begrifflichkeiten eines Investmentvermögens i.S.d. KAGB heran, da sie jeweils keinen Verstoß gegen die gesetzlichen Vorgaben des KAGB erkennen lassen und über die Selbstbindung der Verwaltung und einen korrespondierenden Gleichbehandlungsanspruch des Steuerpflichtigen zumindest eine „mittelbare Außenwirkung“ entfalten (hierzu z.B. G. Kirchhof in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 326. Lieferung 6/2024, Einf. ESt Rn. 136 unter Hinweis auf BFH-Beschluss vom 28. November 2016 GrS 1/15, BStBl I 2017, 393). Im Übrigen beziehen sich die Beteiligten selbst ebenfalls bei ihren Einlassungen auf das Auslegungsschreiben der BaFin vom 9. März 2015 und die Leitlinien der ESMA vom 30. Januar 2014.
76
(2) Nach Ansicht des Senats lässt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB in Einklang mit der (wohl) herrschenden Meinung im Schrifttum kein Gebot der ausschließlichen Fremdverwaltung ableiten. Es gilt vielmehr lediglich ein Verbot der kollektiven Eigenverwaltung des gepoolten Vermögens der Anleger durch die Anteilseigner in den von der ESMA in den Leitlinien vom 30. Januar 2014 gezogenen Grenze der Schädlichkeit laufender Ermessens- bzw. Kontrollbefugnisse der Anteilseigner des Organismus für gemeinsame Anlagen als Gruppe.
77
Zum einen normiert § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB ausdrücklich kein entsprechendes Gebot der ausschließlichen Fremdverwaltung des gepoolten Vermögens der Anleger. Zum anderen betrifft das aus § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB abzuleitende Gebot der rechtlichen und wirtschaftlichen Eigenständigkeit des Vermögens der Anleger nach Ansicht des Senats lediglich die Frage der Vermögenszuordnung, die von der Frage der Verwaltung dieses Vermögens als Frage der Verbandsordnung zu trennen ist.
78
Nach Ansicht des Senats unterliegt das Tatbestandsmerkmal des Organismus für gemeinsame Anlagen lediglich einem Verbot der gemeinsamen (Eigen-)Verwaltung des gepoolten Vermögens der Anleger durch die Anleger selbst, wie es durch die ESMA in den Leitlinien vom 30. Januar 2014 konkretisiert ist. Danach ist die Grenze zur schädlichen Eigenverwaltung überschritten, wenn die Anteilseigner des Organismus als Gruppe – d.h. sämtliche Anteilseigner – laufende Ermessens- bzw. Kontrollbefugnisse besitzen, was auch durch die Einschränkung der ESMA verdeutlicht wird, wonach eine laufende Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis eines oder mehrerer Anteilseigner nicht per schädlich für die Anerkennung als Organismus für gemeinsame Anlagen ist.
79
Unter Zugrundelegung der Erläuterung des Begriffs der laufenden Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis der Anteilseigner durch die ESMA liegt nach Ansicht des Senats eine schädliche Eigenverwaltung des gepoolten Vermögens vor, wenn sämtliche Anteilseigner eine unmittelbare und dauerhafte Einflussmöglichkeit über operative Fragen in Bezug auf die tägliche Verwaltung der Vermögenswerte des Organismus besitzen, die über die nach dem gesetzlichen Leitbild des Gesellschafters in Bezug auf die jeweilige Rechtsform der Gesellschaft vorgesehenen Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse – im Streitfall die Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse eines Gesellschafters einer GmbH nach §§ 46 ff. GmbHG – wesentlich hinausgehen.
80
Dieses aufsichtsrechtliche Verständnis der Vorgaben für die Verwaltung eines Investmentvermögens i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB deckt sich im Übrigen mit der Vorstellung des Gesetzgebers zur Verwaltung eines Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG in steuerlicher Hinsicht, wonach diese unter anderem folgende Wesensmerkmale prägt (BT-Drs. 18/68 (neu), 33): kollektive Kapitalanlage (im Gegensatz zur individuellen Vermögensverwaltung) und Fremdverwaltung durch ein sachkundiges Management (im Gegensatz zur Eigenverwaltung durch die Anleger).
81
(3) Gemessen an diesen Vorgaben ist im Streitfall die Grenze von der gebotenen Fremdverwaltung zur schädlichen kollektiven Eigenverwaltung des gepoolten Vermögens der Klägerin durch die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit – d.h. als Gruppe – überschritten.
82
(a) Nach Ansicht des Senats begründet der Umstand, dass die Klägerin die Rechtsform einer GmbH aufweist und den Anteilseignern damit die Gesellschafterrechte nach dem GmbHG zustehen, soweit sie im Streitfall nicht durch den Gesellschaftsvertrag modifiziert worden sind, nicht per se eine schädliche kollektive Eigenverwaltung des gepoolten Vermögens der Klägerin. Nach § 45 Abs. 1 GmbHG bestimmen sich die Rechte, die den Gesellschaftern in den Angelegenheiten der Gesellschaft, insbesondere in Bezug auf die Führung der Gesellschaft zustehen, sowie die Ausübung derselben, soweit nicht gesetzliche Vorschriften entgegenstehen, nach dem Gesellschaftsvertrag. Nach § 45 Abs. 2 GmbHG finden in Ermangelung besonderer Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags die Vorschriften der §§ 46 bis 51 GmbHG Anwendung (§ 46 GmbHG zu Aufgabenkreis der Gesellschafter, § 47 GmbHG zur Abstimmung, § 48 GmbHG zur Gesellschafterversammlung, § 49 GmbHG zur Einberufung der Versammlung, § 50 GmbHG zu Minderheitsrechten und § 51 GmbHG zur Form der Einberufung). Weder § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB noch § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG lässt sich eine Beschränkung eines Investmentvermögens bzw. eines Investmentfonds auf eine bestimmte Rechtsform noch einen Ausschluss einer in der Rechtsform einer GmbH organisierten Gesellschaft entnehmen (zum Sonderfall der Investment GmbH als AIF-Kapitalverwaltungsgesellschaft i.S.d. § 2 Abs. 4 KAGB auch Link in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, 326. Lieferung 6/2024, § 1 InvStG Rn. 7).
83
Aber auch der Konkretisierung des Begriffs der laufenden Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis durch die Leitlinien der ESMA vom 30. Januar 2014 in Ziffer II. lässt sich kein Ausschluss einer bestimmten Rechtsform von der Anerkennung als Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB entnehmen, da die Bezugnahme auf „Aktionärsversammlungen“ lediglich als beispielhafte Aufzählung zu Erläuterungszwecken verstehen ist und keine Festlegung auf die Rechtsform einer Aktiengesellschaft enthält. Somit kann – insoweit ist der Klägerin Recht zu geben – einer Anerkennung als Investmentvermögen nicht per se ihre Rechtsform als GmbH mit dem Argument entgegengehalten werden, bereits die Gesellschaftsrechte nach dem gesetzlichen Katalog der §§ 46 bis 51 GmbHG begründeten eine schädliche kollektive (Eigen-)Verwaltung des gepoolten Vermögens durch die Anteilseigner als Gruppe.
84
Entscheidend für ein Überschreiten der Grenze von der gebotenen Fremdverwaltung zur kollektiven Eigenverwaltung ist nicht eine bestimmte Rechtsform des Investmentvermögens, sondern die konkrete gesellschaftsvertragliche Ausgestaltung der Ermessens- bzw. Kontrollbefugnisse der Gesellschafter in ihrer Gesamtheit, die als laufende Befugnis in Form einer unmittelbaren und kontinuierlichen Entscheidungsmacht – unabhängig, ob sie ausgeübt wird oder nicht – über operative Fragen in Bezug auf die tägliche Verwaltung der Vermögenswerte des Organismus zum Ausdruck kommt und über das gesetzliche Leitbild der Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse der Gesellschafter einer GmbH hinausgeht. Unschädlich ist damit im Streitfall insbesondere auch, dass der Bestimmung durch die Gesellschafter der Klägerin nach § 46 Nr. 5 GmbHG die Bestellung und die Abberufung von Geschäftsführen sowie die Entlastung derselben und nach § 46 Nr. 6 GmbHG die Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung unterliegt.
85
(b) Auch der Umstand, dass die beiden Geschäftsführer B und C zugleich Gesellschafter der Klägerin sind und ihre Gesellschaftsanteile nach § 17 Nr. 2 des Gesellschaftsvertrags gegenüber den Gesellschaftsanteilen der übrigen Gesellschafter jeweils ein Fünffaches an Stimmen gewährt, was ihnen beiden zusammen bei einer Beteiligung i.H.v. jeweils 100.000 € am 909.733 € betragenden Stammkapital der Gesellschaft die einfache Mehrheit bzw. jedem einzelnen eine Sperrminorität von über 25% in der Gesellschafterversammlung bzw. bei Gesellschafterbeschlüssen sichert, steht einer Anerkennung der Klägerin als Organismus für gemeinsame Anlagen nicht entgegen. Selbst wenn sich – unterstellt – aus dieser Sonderstellung der beiden Gesellschafter-Geschäftsführer im Vergleich zu den übrigen Gesellschaftern eine laufende Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis in Form einer unmittelbaren und kontinuierlichen Entscheidungsgewalt über operative Fragen in Bezug auf die täglich Verwaltung der Vermögenswerte der Klägerin ergäbe, so beträfe diese laufende Ermessens- und Kontrollbefugnis lediglich isoliert diese beiden Gesellschafter und nicht sämtliche Anteilseigner als Gruppe, was nach den Leitlinien der ESMA vom 30. Januar 2014 allein noch nicht schädlich wäre, da die Tatsache, das einem oder mehreren, jedoch nicht allen Anteilseignern eine laufende Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis zusteht, nicht als Nachweis dafür herangezogen werden soll, dass es sich bei dem Organismus nicht um einen Organismus für gemeinsame Anlagen handelt (Ziffer VI., Buchst. c).
86
(c) Auch die Regelung in § 16 Nr. 2 des Gesellschaftsvertrags, wonach eine außerordentliche Gesellschafterversammlung auch von jedem Gesellschafter einberufen werden kann, begründet keine laufende Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis der Gesellschafter in ihrer Gesamtheit – d.h. als Gruppe. Da die Regelung lediglich die Einberufung einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung betrifft und dies zudem das Interesse der Gesellschaft oder einen wichtigen Grund erfordert, räumt diese Bestimmung sämtlichen Gesellschaftern weder eine unmittelbare noch eine kontinuierliche Entscheidungsgewalt über operative Fragen in Bezug auf die tägliche Verwaltung der Vermögenswerte der Klägerin ein. Zudem regelt die Bestimmung in Abgrenzung zu § 16 Nr. 1 des Gesellschaftsvertrags, wonach die Geschäftsführer eine ordentliche Gesellschafterversammlung einzuberufen haben, sobald der Jahresabschluss erstellt ist und, sofern dies gesetzlich vorgeschrieben ist, der Bericht des Abschlussprüfers vorliegt, über die Außerordentlichkeit der einzuberufenden Gesellschafterversammlung lediglich den Zeitpunkt der Einberufung dieser Art von Gesellschafterversammlung.
87
(d) Schädlich im Sinne eines Überschreitens der Grenze von der gebotenen Fremdverwaltung zu einer kollektiven (Eigen-)Verwaltung des gepoolten Vermögens der Klägerin durch die Gesamtheit der Gesellschafter als Gruppe ist nach Ansicht des Senats jedoch die Regelung in § 7 des Gesellschaftsvertrags. Nach dieser Bestimmung bedarf die Geschäftsführung der vorherigen Zustimmung durch Gesellschafterbeschluss für die in Satz 5 Buchst. a bis j aufgezählten Geschäfte, wobei die Regelung in Buchst j eine Öffnungsklausel für „alle Geschäfte“ enthält, die die Gesellschafter durch Gesellschafterbeschluss für zustimmungsbedürftig erklären, und nach Satz 6 der Katalog der zustimmungsbedürftigen Geschäfte durch mit qualifizierter Mehrheit zu fassendem Beschluss der Gesellschafterversammlung „jederzeit erweitert oder eingeschränkt werden“ kann.
88
Unabhängig von der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob und wie sich die in § 7 Satz 5 Buchst. a bis i des Gesellschaftsvertrags genannten Geschäfte auf die laufende Verwaltung des gepoolten Vermögens beziehen, räumt nach Ansicht des Senats bereits § 7 Satz 5 Buchst. j zusammen mit der Regelung in Satz 6 den Gesellschaftern eine laufende Ermessens- und Kontrollbefugnis in Form einer unmittelbaren und kontinuierlichen Entscheidungsgewalt über operative Fragen in Bezug auf die tägliche Verwaltung der Vermögenswerte der Klägerin ein, die wesentlich weiter geht, als die von §§ 46 bis 51 GmbHG vorgesehen Entscheidungs- und Kontrollbefugnisse, wie dies die ESMA unter Ziffer II. der Leitlinien vom 30. Januar 2014 konkretisiert. Der Annahme einer laufenden Ermessens- und Kontrollbefugnis der Gesellschafter steht dabei nicht der Einwand der Klägerin entgegen, dass von diesen Klauseln in der Vergangenheit (noch) kein Gebrauch gemacht worden sei, da nach den Vorgaben der ESMA eine tatsächliche Ausübung der Befugnis nicht erforderlich ist, sondern die rein rechtliche bzw. vertragliche Möglichkeit hierzu ausreicht. Diese rechtliche bzw. vertragliche Möglichkeit zur Ausübung einer laufenden Ermessens- und Kontrollbefugnis über die tägliche Verwaltung der Vermögenswerte der Klägerin wird den Gesellschaftern nach Ansicht des Senats durch die Regelungen in § 7 Satz 5 Buchst. j i.V.m. Satz 6 des Gesellschaftsvertrags dadurch eingeräumt, dass nicht bereits in den Buchst. a bis i genannte Geschäfte ihrem Zustimmungsvorbehalt bei qualifizierter Mehrheit unterworfen werden können und dies ohne inhaltliche Einschränkung hinsichtlich der Art der Geschäfte und ohne zeitliche Einschränkung hinsichtlich des Zeitpunkts der Zustimmung oder der Vornahme der im Einzelnen zustimmungsbedürftigen Geschäfte, d.h. ohne Ausschluss von Geschäften, die die operative und tägliche Verwaltung der Vermögenswerte der Klägerin betreffen. Durch diese gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen wird den Gesellschaftern gemäß der Konkretisierung der ESMA über die Einflussnahme auf die Geschäftsführung der Klägerin die Möglichkeit zu einer „unmittelbaren und kontinuierlichen Entscheidungsgewalt der Anteilseigner über operative Fragen in Bezug auf die tägliche Verwaltung der Vermögenswerte der Klägerin“ eingeräumt, was letztlich das Kriterium der schädlichen kollektiven (Eigen-)Verwaltung erfüllt.
89
Da die Vorgaben der ESMA die laufende Ermessens- bzw. Kontrollbefugnis auf die tägliche Verwaltung der Vermögenswerte des Organismus für gemeinsame Anlagen bezieht, kommt im Streitfall dem Umstand keine Bedeutung zu, dass die Klägerin neben dem Anlagekapital der Gesellschafter nach § 6 des Gesellschaftsvertrag auch Genussrechtskapital verwaltet, da sich dem Begriff „Vermögenswerte des Organismus“ keine Differenzierung zwischen Anlagekapital der Gesellschafter und Anlagekapital der Genussrechtsinhaber entnehmen lässt. Damit kann im Streitfall die Frage dahingestellt bleiben, ob, wann und gegebenenfalls in welcher Höhe das von der Klägerin verwaltete Genussrechtskapital das Anlagekapital der Anteilseigner überstiegen hat bzw. übersteigt.
90
Schließlich kann auch eine von der Klägerin im Einspruchsverfahren angebotene klarstellende Änderung des Gesellschaftsvertrags betreffend einzelne Regelungen über die Rechte der Gesellschafter zu keiner abweichenden Beurteilung führen, da einer derartigen Klarstellung keine Rückwirkung auf das Streitjahr 2018 zukäme.
91
c) Da die Klägerin nicht die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 KAGB und damit auch nicht als Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG erfüllt, unterliegt sie nicht dem Anwendungsbereich des InvStG. Das FA hat damit zu Recht die streitgegenständlichen Steuerbescheide nicht den speziellen Regelungen des InvStG unterworfen. Außer dem Einwand, bei der Klägerin handle es sich um einen Investmentfonds i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG, der den Regelungen des InvStG unterliege, hat die Klägerin keine eigenständigen und substantiierten Einwendungen gegen die Höhe der vom FA in den angefochtenen Steuerbescheiden getroffenen Festsetzungen bzw. Feststellungen erhoben.
92
2. Gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags zur Körperschaftsteuer 2018 hat die Klägerin keine eigenständigen und substantiierten Einwendungen erhoben (§ 42 FGO i.V.m. § 351 Abs. 2 AO).
93
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
94
4. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr.1 und 2 FGO zugelassen.
95
5. Es erscheint als sachgerecht, durch Gerichtsbescheid zu entscheiden (§ 90a FGO).