Titel:
			Gerichtsanordnung zur Abwehr einer Kindeswohlgefahr mangels vollstreckbaren Inhalts unwirksam
			Normenkette:
			BGB § 1666 Abs. 3
			Leitsätze:
			1. Wird ein gerichtliches Gebot, das auf § 1666 Abs. 3 BGB gestützt wurde, um eine zuvor festgestellte Gefahr zu beseitigen, nicht befolgt, ist regelmäßig davon auszugehen, dass das entsprechende Gebot offensichtlich nicht die geeignete Maßnahme der Gefahrenabwehr darstellte. Damit müsste diese Maßnahme aufgehoben bzw. durch eine andere Maßnahme ersetzt werden. (Rn. 13)
			2. Der Senat folgt insoweit der Auffassung, dass Gebote nach § 1666 Abs. 3 BGB typischerweise nicht primär den Zweck haben, vollstreckt zu werden. Vielmehr zielen sie auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, indem sie einen stärkeren Eingriff in das Sorgerecht erübrigen können. (Rn. 14)
			1. Wird in einem familiengerichtlichen Beschluss den Eltern unter Androhung von Zwangsgeld auferlegt, auf "Schreiben der Sachverständigen" zu "reagieren", dann ist dieses Gebot nicht hinreichend bestimmt und enthält damit keinen vollstreckbaren Inhalt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
			2. Wird ein gerichtliches Gebot, das auf § 1666 Abs. 3 BGB gestützt wurde, um eine zuvor festgestellte Gefahr zu beseitigen, nicht befolgt, ist regelmäßig davon auszugehen, dass das entsprechende Gebot offensichtlich nicht die geeignete Maßnahme der Gefahrenabwehr darstellte. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
			3. Gebote nach § 1666 Abs. 3 BGB haben typischerweise nicht primär den Zweck, vollstreckt zu werden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
			Schlagworte:
			familienpsychologische Begutachtung, vollstreckbarer Inhalt, Gefahrenabwehr, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, Nichtbefolgung von Geboten
			Vorinstanz:
			AG Gemünden, Beschluss vom 18.09.2024 – 003 F 391/24
			Fundstellen:
			MDR 2025, 196
			FamRZ 2025, 762
			NJW-RR 2025, 580
			BeckRS 2024, 34512
			LSK 2024, 34512
		 
		 
		Tenor
		
			
			1. Auf die Beschwerden der Kindeseltern wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Gemünden am Main vom 18.09.2024 aufgehoben.
		 
		
			
			2. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben. Seine außergerichtlichen Auslagen trägt jeder Beteiligte selbst.
		 
		Gründe
		
		
			1
			Im Weg der einstweiligen Anordnung erteilte das Familiengericht den Eltern des 8 Jahre alten Kindes A. mit Beschluss vom 19.06.2024 nach § 1666 Absatz 3 BGB unter anderem folgende Auflage:
		 
		
			
			Mitwirkung im Rahmen der mit Beschluss vom 19.06.2024 im Hauptsacheverfahren 3 F 219/23 in Auftrag gegebenen familienpsychologischen Begutachtung durch die Sachverständige Frau Dipl. Psych. X., insbesondere
		 
		
			
			- Reaktion auf Schreiben der Sachverständigen (z.B. Bestätigung von Terminabsprachen),
		 
		
			
			– Teilnahme an Begutachtungsterminen,
		 
		
		
			2
			Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wurde den Eltern die Festsetzung eines Ordnungsgeldes und ersatzweise Ordnungshaft angedroht.
		 
		
			3
			Mit Schreiben vom 26.08.2024 teilte die Sachverständige mit, sie habe die Eltern am 26.06.2024 und nochmals am 23.07.2024 angeschrieben. Eine Reaktion hierauf sei bislang nicht erfolgt.
		 
		
			4
			Das Familiengericht verhängte daraufhin nach vorheriger Anhörung mit Beschluss vom 18.09.2024 gegen beide Elternteile ein Zwangsgeld in Höhe von je 500 € und führte zur Begründung unter anderem aus:
		 
		
			5
			Die Kindeseltern haben gegen eine mit Beschluss vom 19.06.2024 erteilte Auflage verstoßen. Dort war den Eltern unter Ziffer 1.1 auferlegt worden, im Rahmen der mit Beschluss vom 19.06.2024 im Hauptsacheverfahren 3 F 219/23 in Auftrag gegebenen familienpsychologischen Begutachtung durch die Sachverständige Frau Dipl. Psych. X. mitzuwirken, insbesondere auch auf Schreiben der Sachverständigen zu reagieren. Laut Mitteilung der Sachverständigen wurden die Eltern von ihr am 26.06.2024 angeschrieben und es wurde ein Fragebogen verschickt. Da auf dieses Schreiben keine Reaktion erfolgt sei, hätte die Sachverständige die Eltern erneut am 23.07.2024, angeschrieben. Auch auf dieses Schreiben sei keine Reaktion der Eltern erfolgt.
		 
		
			6
			Nach Wertung des Gerichts haben die Kindeseltern – auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens – schuldhaft gegen die erteilte Auflage verstoßen, denn sie haben auf die Schreiben der Sachverständigen vom 26.06.2024 und 23.07.2024 gegenüber der Sachverständigen bis heute überhaupt nicht reagiert. Sie haben gegenüber der Sachverständigen weder ihre Kritikpunkte vorgebracht noch den Fragebogen zumindest teilweise ausgefüllt.
		 
		
			7
			Die Eltern legten gegen die ihnen am 20.09.2024 zugestellte Entscheidung mit am 04.10.2024 beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben Beschwerde ein und erklären, dass sie in den genannten Schreiben ausdrücklich darauf hingewiesen worden seien, dass die Begutachtung freiwillig sei. Daher könne es nicht die Pflicht geben, eine Antwort leisten zu müssen. Zudem sei die Festsetzung jedenfalls nicht verhältnismäßig.
		 
		
			8
			Das Familiengericht half den Beschwerden nicht ab und legte die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor. Mit Beschluss vom 12.11.2024 wurde die Sache dem Senat zur Entscheidung übertragen.
		 
		
		
			9
			Die nach §§ 87 Abs. 4 FamFG, 567 ff ZPO zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten Beschwerden sind begründet und führen zur Aufhebung der vom Familiengericht am 18.09.2024 getroffenen Entscheidung.
		 
		
			10
			1) Die Festsetzung eines Zwangsgeldes konnte vorliegend bereits deswegen nicht erfolgen, weil der dieser Vollstreckungsmaßnahme zu Grunde liegende Titel vom 19.06.2024 nicht hinreichend bestimmt ist. Die Auflage „Reaktion auf Schreiben der Sachverständigen (z.B. Bestätigung von Terminabsprachen)“ ist erkennbar keine hinreichend konkrete Anordnung und hat demnach keinen vollstreckbaren Inhalt.
		 
		
			11
			2) Offen bleiben kann daher vorliegend, ob die Befolgung eines Gebotes nach § 1666 Abs. 3 BGB tatsächlich gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 FamFG in Verbindung mit den Vorschriften der ZPO vollstreckt und damit „erzwungen“ werden kann (so zum Beispiel: OLG Brandenburg FamRZ 2018, 829; OLG Bamberg NZFam 2022, 981; KG MDR 2024, 1401).
		 
		
			12
			Denn unabhängig von der Beantwortung dieser Frage gilt jedenfalls:
		 
		
			13
			Wird ein gerichtliches Gebot, das auf § 1666 Abs. 3 BGB gestützt wurde, um eine zuvor festgestellte Gefahr zu beseitigen, nicht befolgt, ist regelmäßig davon auszugehen, dass das entsprechende Gebot offensichtlich nicht die geeignete Maßnahme der Gefahrenabwehr darstellte (Volke in MüKoBGB, 9. Auflage, 2024, BGB § 1666 Rn. 181). Damit müsste diese Maßnahme aufgehoben bzw. durch eine andere Maßnahme ersetzt werden.
		 
		
			14
			Der Senat folgt insoweit der Auffassung, dass Gebote nach § 1666 Abs. 3 BGB typischerweise nicht primär den Zweck haben, vollstreckt zu werden. Vielmehr zielen sie auf die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, indem sie einen stärkeren Eingriff in das Sorgerecht erübrigen können. Bei Nichtbefolgung der Gebote ist daher vorrangig nicht deren zwangsweise Durchsetzung in Betracht zu ziehen, sondern sind weitergehende Maßnahmen zu prüfen (KG Berlin MDR 2024, 1401 mit Hinweis auf OLG Düsseldorf FamRZ 2023, 1208 und OLG Koblenz FamRZ 2017, 53).
		 
		
		
			15
			Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 87 Abs. 5, 81 Abs. 1 FamFG. Die Beschwerden der Eltern waren erfolgreich.
		 
		
			16
			Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben (§ 574 ZPO). Die Frage, ob vorliegend eine Vollstreckung nach §§ 95 Abs. 1 Nr. 3 FamFG, 888 ZPO überhaupt möglich ist, war für die getroffene Entscheidung nicht von Bedeutung.