Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 27.11.2024 – 7 WF 246/24 e
Titel:

Kindsanhörung im Verfahren beim Rechtspfleger; Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Rechtspfleger und Richter

Normenketten:
BGB § 1671, § 1674 Abs. 2
FamFG § 69, § 151, § 159,
RPflG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 6
Leitsätze:
1. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung gem. §§ 159 ff. FamFG besteht nicht nur bei Zuständigkeit des Richters, sondern auch bei Zuständigkeit des Rechtspflegers, soweit er in Verfahren betreffend die Person des Kindes entscheidet. (Rn. 21)
2. Wird in Verfahren gem. § 1674 Abs. 2 BGB ein Antrag eines Elternteils auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge gem. § 1671 BGB gestellt, wird eine Vorlage an den Richter gem. §§ 5 Abs. 1 Nr. 2, 6 RpflG zu prüfen sein. Denn aufgrund des zu bejahenden engen Zusammenhangs zwischen dem Verfahren nach § 1674 Abs. 2 BGB und einem Verfahren nach § 1671 BGB dürfte die einheitliche Bearbeitung durch den Richter geboten sein. (Rn. 22)
Schlagworte:
Kindsanhörung im Verfahren beim Rechtspfleger, Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Rechtspfleger und Richter, Kindesanhörung, Kindschaftssache, Richter, Rechtspfleger, Zuständigkeitsabgrenzung, Zusammenhang, einheitliche Bearbeitung
Vorinstanz:
AG Hof, Beschluss vom 20.09.2024 – 050 F 524/24
Fundstellen:
RPfleger 2025, 221
BeckRS 2024, 34504
LSK 2024, 34504

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Hof vom 20.09.2024 einschließlich des zugrundeliegenden Verfahrens aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht Hof zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens – zurückverwiesen.
2. Der Beschwerdewert wird auf 4.000 Euro festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
1
Das vorliegende Verfahren auf Feststellung des Wiederauflebens der elterlichen Sorge gem. § 1674 Abs. 2 BGB wurde auf Antrag des Kindesvaters eingeleitet.
2
Mit Beschluss des Amtsgerichts Schwandorf vom 08.11.2016, Az.: 1 F 1002/16, war das Ruhen der elterlichen Sorge hinsichtlich des Kindesvaters festgestellt worden.
3
Der Kindesvater trug vor, der damals festgestellte Anordnungsgrund sei weggefallen, so dass er wieder die elterliche Sorge ausüben könne.
4
Der Rechtspfleger des Amtsgerichts hat den Beschluss des Amtsgerichts Ingolstadt vom 14.07.2015, Az.: 1 F 1469/14, mit welchem der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden Kinder übertragen wurde, den Beschluss des Amtsgerichts Schwandorf vom 08.11.2016 hinsichtlich des Ruhens der elterlichen Sorge und den Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 05.06.2024, Az.: 2 F 175/24 betreffend den Umgang beigezogen und jeweils der Kindesmutter, dem Jugendamt Y sowie dem Kreisjugendamt X zur Kenntnis gegeben.
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Die Kindesmutter beantragte mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 23.08.2024, den Antrag auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge abzuweisen. Sie trug vor, dass dies nicht dem Kindeswohl entspräche. Das Kreisjugendamt Y wies in der Stellungnahme vom 07.08.2024 darauf hin, dass die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge derzeit nicht kindeswohldienlich erscheine. Der Kindesvater wies mit Schriftsatz vom 23.08.2024 darauf hin, dass es sich bei der Feststellung, dass der Grund des Ruhens der elterlichen Sorge nicht mehr bestünde, um einen rein formalen Akt handle. Mit Schriftsatz vom 17.09.2024 beantragte die Kindesmutter hilfsweise, die elterliche Sorge für die beiden Kinder auf sie allein zu übertragen.
6
Ohne vorherige persönliche Anhörung der Eltern und der Kinder wurde mit Beschluss vom 20.09.2024 durch den Rechtspfleger des Amtsgerichts wie folgt entschieden:
1. Es wird festgestellt, dass die elterliche Sorge des Kindsvaters bezüglich der Kinder D., geboren am ... 2014 und S., geboren am ... 2014, wieder aufgelebt ist, weil der Grund des Ruhens nicht mehr besteht, und der Kindsvater die elterliche Sorge – bis auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht – wieder selbst mit ausüben kann (§ 1674 II BGB).
2. Der Gegenstandswert wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.
3. Von der Erhebung von Kosten wird abgesehen.
7
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sich aus dem vor dem Amtsgericht Hof geführten Umgangsverfahren ergebe, dass sich der Kindsvater wieder in Deutschland befinde und somit nicht mehr unbekannten Aufenthalts sei. Die tatsächliche Verhinderung der Ausübung der elterlichen Sorge sei daher weggefallen, weshalb diese gem. § 1674 Abs. 2 BGB wieder auflebe. Unter dem gleichen Datum verfügte der Rechtspfleger die Hinausgabe des Beschlusses und die Weiterleitung des Schriftsatzes der Kindsmutter vom 17.09.2024 zu weiteren Veranlassung wegen des Antrags auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge.
8
Der Beschluss wurde der Kindsmutter am 07.10.2024 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 29.10.2024 hat die Kindesmutter den Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge unbedingt gestellt. Mit einem am 06.11.2024 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 05.11.2024 legt die Kindsmutter Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 01.10.2024 ein.
9
Sie beantragt,
1.
Der Beschluss des Amtsgerichts Hof mit dem Aktenzeichen 050 F 524/24 vom 01.10.2014 wird aufgehoben.
2.
Der Beschluss des Amtsgericht Schwandorf mit dem Az. 1 F 1002/16 vom 8.12.2017 bleibt bestehen.
3.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
10
Die Mutter bringt vor, dass es zwar den Tatsachen entspreche, dass sich der Vater wieder in Deutschland befinde. Es sei aber nicht angezeigt, das Ruhen der elterlichen Sorge zu beenden, dies entspreche nicht dem Kindeswohl. Ihr Antrag auf Übertagung der elterlichen Sorge auf sie allein sei nun auch unbedingt gestellt worden. Ein Verfahren, das die elterliche Sorge betreffe und in dem die Übertragung der elterlichen Sorge beantragt worden sei, sei von Amts wegen weiterzuführen. Die Nichtbeachtung des Antrags stelle eine fehlerhafte Behandlung des Antrags dar. Spätestens nach Eingang der Stellungnahme des Jugendamts habe Veranlassung bestanden, das Verfahren an den Richter weiterzuleiten. Der Rechtspfleger könne derartigen Vortrag nicht einfach ignorieren. Gegen die Grundsätze, wonach ein Familiengericht in einem Verfahren nach § 1674 Abs. 2 BGB von Amts wegen ein Verfahren nach § 1666 BGB einzuleiten habe, wenn konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung bei Wiederaufleben der elterlichen Sorge bestünden, habe das Familiengericht verstoßen.
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Der Kindsvater beantragt mit Schriftsatz vom 21.11.2024,
die Beschwerde zurückzuweisen.
12
Er trägt vor, dass die Kindsmutter selbst vortrage, dass ein Wegfall der Verhinderung den Tatsachen entspreche. Eine Kindeswohlprüfung finde in einem Verfahren nach § 1674 abs. 2 BGB nicht statt. Der Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge habe wirksam in einem Verfahren vor dem Rechtspfleger nicht angebracht werden können. Die Stellungnahme des Jungendamtes sei unbeachtlich, da diese sich nicht den formalen Voraussetzungen es Verfahrens vor dem Rechtspfleger beschäftigt habe. Hinweise auf eine Kindeswohlgefährdung gebe es nicht. Im Umgangsverfahren sei die Eignung des Kindsvaters ausdrücklich und intensiv geprüft worden. Die Beschwerdeführerin sei nicht beschwerdeberechtigt. Sie werde in ihren Rechten nicht beeinträchtigt, da durch den Beschluss lediglich der Zustand wiederhergestellt werde, der vor Anordnen des Ruhens bestanden habe.
13
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der genannten Beschlüsse und Schreiben Bezug genommen.
14
Auf Anfrage des Oberlandesgerichts, ob zwischenzeitlich seitens der Kindesmutter ein Verfahren zur Regelung der elterlichen Sorge eingeleitet wurde, hat mit Schreiben vom 22.11.2024 das Amtsgericht Hof mitgeteilt, dass Stand 22.11.2024 kein neues Verfahren eingetragen worden sei.
II.
15
1. Die Beschwerde ist zulässig gem. §§ 11 RpflG, 58 ff FamFG. Insbesondere ist die Mutter gem. § 59 Abs. 1 FamFG zur Beschwerde berechtigt, denn sie ist durch den Beschluss in ihren Rechten beeinträchtigt, da ein bestehendes Recht in Bezug auf die Ausübung des Sorgerechts hierdurch gemindert wird (vgl. Thomas/Putzo – Seiler, ZPO; 44. Aufl., § 59 FamFG, Rn. 2).
16
2. Die Beschwerde ist auch (vorläufig) begründet und führt zur Aufhebung der getroffenen Entscheidung gem. § 69 Abs. 1 S. 2 FamFG.
17
Das Beschwerdegericht hat grundsätzlich nach § 69 Abs. 1 Satz 1 FamFG in der Sache selbst zu entscheiden. Allerdings darf die Sache nach § 69 Abs. 1 Satz 2 FamFG auch ohne Antrag unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens dann an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückverwiesen werden, wenn dieses Gericht in der Sache noch nicht entschieden hat.
18
An einer Sachentscheidung fehlt es immer dann, wenn eine Entscheidung über das dem Verfahren zugrundeliegende Rechtsverhältnis – gleich aus welchen Gründen – nicht getroffen worden ist. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn eine Sachentscheidung ohne die Hinzuziehung von notwendig zu beteiligenden Personen getroffen wurde (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 9. September 2019 – 13 UF 452/19 –, juris, OLG Köln, FamRZ 2011, 753, Thomas/Putzo, a. a. O., § 69 FamFG, Rn. 7 m.w.N.).
19
Vorliegend wurden die beiden Kinder am Verfahren in keiner Weise beteiligt. Sie wurden nicht – wie erforderlich – nach § 159 FamFG persönlich angehört. Die jeweiligen Stellungnahmen wurden ihnen auch nicht zur Kenntnis gebracht. Der Beschluss enthält auch keinerlei Ausführung dazu, ob und inwieweit Gründe für ein Absehen der Anhörung gem. § 159 Abs. 2 FamFG vorgelegen haben. Damit wurde gegenüber den Kindern keine Entscheidung in der Sache getroffen, weshalb die erstinstanzliche Entscheidung auch ohne Antrag aufgehoben und zurückverwiesen werden kann (vgl. OLG Rostock FamRZ 2014, 2020).
20
Der Senat übt das ihm zustehende Ermessen dahingehend aus, das Verfahren an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuverweisen, um den Beteiligten nicht eine Tatsacheninstanz zu nehmen.
21
3. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es sich bei einem Verfahren nach § 1674 BGB um eine Kindschaftssache nach § 151 Nr. 1 FamFG handelt, bei der die Anhörungsvorschriften nach §§ 159 ff. FamFG zwingend zu beachten sind. Demnach sind in einem derartigen Verfahren nicht nur die Kinder, sondern gemäß § 160 Abs. 1 S. 1 FamFG auch die Eltern persönlich anzuhören. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung besteht nicht nur bei Zuständigkeit des Richters, sondern auch bei Zuständigkeit des Rechtspflegers, soweit er in Verfahren betreffend die Person des Kindes entscheidet (vgl. Hammer in: Prütting/Helms, FamFG, 6. Auflage 2023, § 160 FamFG, Rn. 4). Der Begriff „soll“ ist nicht dahin auszulegen, dass das FamFG nach freiem Ermessen von einer Anhörung absehen darf. Von der Anhörung darf vielmehr nach Abs. 3 nur aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden.
22
Für das weitere Verfahren weist der Senat zudem darauf hin, dass aufgrund des Antrags der Kindesmutter auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge im Schriftsatz vom 29.10.2024 eine Vorlage an den Richter gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 RpflG, 6 RpflG zu prüfen sein wird. Denn aufgrund des zu bejahenden engen Zusammenhangs zwischen dem Verfahren nach § 1674 Abs. 2 BGB und einem Verfahren nach § 1671 BGB dürfte die einheitliche Bearbeitung durch den Richter geboten sein. Dies gilt unabhängig davon, ob vorliegend konkrete Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung gegeben sind. Ein Verfahren wegen Regelung des Sorgerechts ist nach Auskunft des Amtsgerichts vom 22.11.2024 bislang nicht eingetragen.
III.
23
Der Senat hat von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht abgesehen, weil dadurch für die im Beschwerdeverfahren zu treffende Entscheidung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten waren (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG).
IV.
24
Eine Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens ist nicht veranlasst (vgl. Zöller/Feskorn, ZPO, 35. Aufl., Rn. 12 zu § 69 FamFG)
25
Die Beschwerdewertfestsetzung ergibt sich aus §§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
26
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde, § 70 Abs. 2 FamFG, liegen nicht vor.