Inhalt

VG München, Beschluss v. 08.10.2024 – M 8 S 24.1892
Titel:

Anordnung und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Nutzungsuntersagung, Nutzungsänderung, Faktisches Mischgebiet, Faktisches allgemeines Wohngebiet, Gemengelage, Zwangsgeldandrohung

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 i.V.m. VwZVG Art. 21a S. 1
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1
VwGO § 80 Abs. 5
BayBO Art. 76 S. 2
BayBO Art. 55 Abs. 1
BayBO § 57 Abs. 4
§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO
§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO
BauGB § 34 Abs. 1
VwZVG Art. 31 Abs. 2 S. 1
VwZVG Art. 31 Abs. 2 S. 3
Schlagworte:
Anordnung und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Nutzungsuntersagung, Nutzungsänderung, Faktisches Mischgebiet, Faktisches allgemeines Wohngebiet, Gemengelage, Zwangsgeldandrohung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34368

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500,- festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen den von der Antragsgegnerin am 20. März 2024 erlassenen Bescheid, der eine sofort vollziehbare Nutzungsuntersagung für das Grundstück FlNr. ... Gemarkung … …, A...straße 12a (im Folgenden: streitgegenständliches Grundstück) sowie eine Zwangsgeldandrohung und Kostenerhebung beinhaltet.
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Das streitgegenständliche Grundstück liegt im Geviert A...straße, …-Straße, W...straße, T...straße. Die Antragstellerin betreibt im Erdgeschoss des streitgegenständlichen Grundstücks einen Lebensmitteleinzelhandel mit Lagerung und Auslieferung von Lebensmitteln und Artikeln für den täglichen Bedarf. Die Auslieferung erfolgt dabei durch Fahrradkuriere. Eine Baugenehmigung für diese Nutzung existiert nicht. In der letzten für die Räumlichkeiten erteilten Baugenehmigung vom 19. März 1987 wurden als Nutzungen eine Lagerfläche von ca. 65 m2, Büronutzung, sowie ein Abstellraum mit Teeküche von ca. 54,54 m2 genehmigt. Die von der Antragstellerin mit Bauantrag vom 15. September 2022 beantragte Nutzungsänderung zu einem Lebensmitteleinzelhandel mit Lagerung und Auslieferung von Lebensmitteln und Artikeln für den täglichen Bedarf wurde von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 15. Februar 2023, Az. 1.2-2022-15827-33 abgelehnt. Gegen diesen Bescheid hat die Antragstellerin keine Rechtsbehelfe ergriffen. Mit dem damaligen Bauantrag vom 15. September 2022 beantragte die Antragstellerin eine Nutzung der Räumlichkeiten als Lager in einer Größe von ca. 223 m2. Daneben waren in den Plänen noch ein Kühlraum von ca. 7,5 m2, eine Fläche zur Auslieferung von etwa 35 m², sowie eine Fläche von 22 m2, die der Erholung der Fahrer dienen sollte, eingezeichnet.
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Mit Bescheid vom 20. März 2024, Az. 603-3.13-2024-2803-33 untersagte die Antragsgegnerin unter Ziff. 1 die Nutzung des streitgegenständlichen Grundstücks als Lebensmitteleinzelhandel mit Lagerung und Auslieferung per Fahrradkurier und gab der Antragstellerin auf, die besagte Nutzung spätestens ab dem 15. April 2024 zu unterlassen. In Ziff. 2 des Bescheids ordnete die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Nutzungsuntersagung an und in Ziff. 3 des Bescheids drohte sie für den Fall der nicht fristgerechten Umsetzung der Anordnung aus Ziffer 1 ein Zwangsgeld in Höhe von EUR 50.000,- an. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 15. April 2024 Klage. Die Klage wird bei dem erkennenden Gericht unter dem Aktenzeichen M 8 K 24.1890 geführt. Über diese wurde bisher nicht entschieden.
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Mit der Klageerhebung beantragt die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren:
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Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wird angeordnet.
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Zur Begründung führte die Antragstellerin aus, dass schon die Anordnung des Sofortvollzugs formell rechtswidrig sei. Die von der Antragsgegnerin im Bescheid angeführte Begründung sei mangelhaft. Sie entspreche den Anforderungen von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht, da sie nur pauschal darauf verweise, dass eine mögliche Verzögerung nicht hinnehmbar sei. Weiterhin sei die Nutzungsuntersagung unverhältnismäßig, da eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit bestehe und aus diesem Grund auch bei formeller Rechtswidrigkeit der Nutzung keine Nutzungsuntersagung habe ergehen dürfen. Die offensichtliche Genehmigungsfähigkeit ergebe sich daraus, dass die Auslieferung der Lebensmittel und Artikel für den täglichen Bedarf allein durch Fahrradkuriere erfolge. Geräuschimmissionen, die üblicherweise mit dem Betrieb eines Supermarktes einhergingen, wie etwa Lärm durch das Beladen von KfZ mittels eines Rollwagens auf gepflasterten Parkplätzen, seien nicht vorhanden, da das Beladen der Fahrräder geräuschfrei erfolge. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass die Antragstellerin eine hohe Zahl junger Menschen in ihrem Betrieb beschäftige, die ohne diese Anstellung perspektivlos wären. Außerdem stelle die Antragstellerin die Versorgung insbesondere älterer und krankheitsbedingt eingeschränkter Personen mit Lebensmitteln durch ihren Lieferdienst sicher. Der Lieferdienst sei außerdem umweltfreundlich.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei formell rechtmäßig. Die Begründung genüge den Anforderungen von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, da mehrere Aspekte genannt worden seien, die im vorliegenden Fall ein erhebliches öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung begründen würden. Auch sei das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage nachrangig. Die Nutzungsuntersagung sei rechtmäßig ergangen. Insbesondere entspreche es pflichtgemäßer Ermessensausübung, eine formell illegale Nutzung zu untersagen. Eine Unverhältnismäßigkeit wegen offensichtlicher Genehmigungsfähigkeit liege nicht vor, da die Nutzung nicht offensichtlich genehmigungsfähig sei. Es bestünden mindestens immissionsschutzrechtliche Bedenken, die einer eingehenden Prüfung bedürften.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird im Übrigen auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakte in diesem und im Hauptsacheverfahren (M 8 K 24.1890) Bezug genommen.
II.
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Der Antrag auf Anordnung beziehungsweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 2 VwZVG ist zulässig aber unbegründet und hat daher keine Aussicht auf Erfolg.
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1. Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO hat eine Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt nur in den Fällen, die § 80 Abs. 2 VwGO nennt. Das ist zum einen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO dann der Fall, wenn Bundes- oder Landesrecht dies vorsieht, was im Hinblick auf Maßnahmen, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden, in Art. 21a Satz 1 VwZVG erfolgt ist. Ferner entfällt die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO, wenn eine Behörde die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Privaten angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO). Bei solch einer Anordnung des Sofortvollzugs ist das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich zu begründen.
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Das Entfallen der aufschiebenden Wirkung der Klage in der Hauptsache ergibt sich für Ziff. 1 des Bescheids vom 20. März 2024 aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wegen der in Ziff. 2 angeordneten sofortigen Vollziehung und hinsichtlich Ziff. 3 des Bescheids aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Satz 1 VwZVG.
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Im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21 a Satz 1 VwZVG kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1, Art. 21a Satz 2 VwZVG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO ganz oder teilweise anordnen bzw. sie im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Hinsichtlich der Anordnung des Sofortvollzugs prüft das Gericht zuerst, ob diese Anordnung formell rechtmäßig war. Im Übrigen trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung. Dabei nimmt das Gericht eine umfassende Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers am Eintritt des Suspensiveffekts und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Maßnahmen vor.
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Im Rahmen dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht einziges Indiz zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18; Hoppe, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Auflage 2022 Rn. 85 ff). Ergibt die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache offensichtlich ohne Erfolg bleiben wird, überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit. Ergibt sich nach summarischer Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolgreich sein wird, so überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Anordnung beziehungsweise Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Sind die Erfolgsaussichten hingegen offen, so verbleibt es bei einer reinen Interessenabwägung (BayVGH, B.v. 26.7.2011 a.a.O.).
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2. Dies zugrunde gelegt bleibt der Antrag auf Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO erfolglos: Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig und die Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragstellerin aus, da die Klage in der Hauptsache bei summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglos bleiben wird.
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2.1 Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziff. 2 des Bescheids vom 20. März 2024 ist formell rechtmäßig Die Antragsgegnerin hat das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO schriftlich begründet. Diese Begründung entspricht auch den von § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gestellten Anforderungen.
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Diesen Anforderungen entspricht eine Begründung, wenn sie die besonderen, auf den konkreten Einzelfall bezogenen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen angibt, die die Behörde dazu bewogen haben, den Suspensiveffekt auszuschließen (BayVGH B.v. 16.2.2000 – 10 CS 99.3290 – juris Rn. 16). Floskelhafte, allgemein gehaltene Wendungen genügen dem Begründungserfordernis nicht, da sie nicht darlegen, weshalb im konkreten Einzelfall mit der Vollstreckung nicht bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens gewartet werden kann (BayVGH, B.v. 6.10.2000 – 2 CS 98.2373 – juris Rn. 17).
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Eine Nutzungsuntersagung nach Art. 76 Satz 2 BayBO ist darauf gerichtet die Verfestigung eines unter Verstoß gegen formelles Baurecht geschaffenen Zustands zu unterbinden und die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern. Liegen die Voraussetzungen für eine Nutzungsuntersagung voraussichtlich vor, so ist auch die Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO gerechtfertigt. Es besteht ein öffentliches Interesse daran, dass die Genehmigungspflicht beachtet wird. Dieses öffentliche Interesse überwiegt im Allgemeinen das private Interesse des Antragstellers daran, die rechtswidrige Nutzung vorläufig fortsetzen zu dürfen (BayVGH, B.v. 7.7.2005 – 25 CS 05.1192 – juris Rn. 4).
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Vor diesem Hintergrund hat die Antragsgegnerin das öffentliche Interesse am Ausschluss des Suspensiveffekts hinreichend ausgeführt. In der Begründung zur Anordnung des Sofortvollzugs wird nämlich dargelegt, dass ein öffentliches Interesse sich daraus ergibt, dass die Verfestigung eines formell rechtswidrigen Zustands unterbunden werden soll und dass keine Anreize entstehen sollen, widerrechtliche Nutzungen aufzunehmen und sich durch das Einlegen von Rechtsmitteln eine Rechtsposition anzumaßen. Im Fall der baurechtlichen Nutzungsuntersagung sind mit Blick auf die negative Vorbildwirkung formell rechtswidriger Nutzungen sowie auf die Kontrollfunktion des Bauordnungsrechts nur geringe Anforderungen an die Begründung der Vollziehungsanordnung zu stellen. Ob die ausgeführten Aspekte das besondere Vollzugsinteresse nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO tragen, spielt für die Frage der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung des Sofortvollzugs keine Rolle (BayVGH, B.v. 9.11.2020 – 9 CS 20.2005 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 26.2.2019 – 9 CS 18.2659 – juris Rn. 13 m.w.N.).
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2.2 Die Interessenabwägung geht hinsichtlich des Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zulasten der Antragstellerin aus. Die Klage in der Hauptsache ist nach summarischer Prüfung hinsichtlich der Ziff. 1 des Bescheids vom 20.März 2024 voraussichtlich erfolglos.
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Die im Bescheid vom 20. März 2024 ausgesprochene Nutzungsuntersagung kann sich in nicht zu beanstandender Weise auf Art. 76 Satz 2 BayBO stützen. Die Bauaufsichtsbehörde kann die Nutzung von Anlagen untersagen, wenn sie öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Die Nutzungsuntersagung ist damit tatbestandlich bereits dann möglich, wenn die Nutzung formell illegal ist, also ohne die erforderliche Baugenehmigung ausgeübt wird (BayVGH, B.v. 14.8.2006 – 2 ZB 06.1681 –, juris Rn. 2). Von diesem Grundsatz ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit jedoch dann eine Ausnahme zu machen und eine formell rechtswidrige Nutzung nicht zu untersagen, wenn die Nutzung offensichtlich genehmigungsfähig ist (BayVGH, U.v. 5.12.2005 – 1 B 03.2608 –, juris Rn. 23).
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2.2.1 Die von der Antragstellerin im Erdgeschoss des streitgegenständlichen Grundstücks ausgeübte Nutzung als Lebensmitteleinzelhandel mit Lagerung und Auslieferung von Lebensmitteln und Artikeln für den täglichen Bedarf ist formell illegal.
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Die Antragstellerin besitzt nicht die erforderliche Baugenehmigung für die derzeit ausgeübte Nutzung. Vielmehr wurde der auf die beschriebene Nutzung gerichtete Bauantrag der Antragstellerin mit Bescheid vom 15. Februar 2023 abgelehnt.
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Die Änderung der Nutzung stellt vorliegend eine grundsätzlich nach Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar. Genehmigungspflichtig nach Art. 55 Abs. 1 BayBO ist eine Nutzungsänderung einer baulichen Anlage i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Satz 3 BayBO grundsätzlich dann, wenn die Variationsbreite der bislang genehmigten Nutzung überschritten wird (BayVGH B.v. 28.2.2014 – 15 CS 13.1863 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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Die Variationsbreite der ursprünglich genehmigten Nutzung wird durch die Nutzung als Lebensmitteleinzelhandel mit Lagerung und Auslieferung von Lebensmitteln und Artikeln für den täglichen Bedarf überschritten. Da die Antragstellerin bereits versucht hatte, eine Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung hin zu einer Nutzung als Lebensmitteleinzelhandel mit Auslieferung von Lebensmitteln und Artikeln für den täglichen Bedarf zu erhalten, spricht einiges dafür, dass die derzeitige Nutzung in etwa an den damals zum Bauantrag eingereichten Unterlagen orientiert. Legt man die Betriebsbeschreibung und Pläne aus dem Bauantrag vom 15. September 2022 daher zugrunde, so ist erkennbar, dass die Räume im Erdgeschoss des streitgegenständlichen Grundstücks nahezu ausschließlich als Lager genutzt werden. Lediglich zwei kleine Flächen des Erdgeschosses werden zu anderen Zwecken genutzt, nämlich die 35 m2 große Fläche zur Auslieferung und die 22 m2 große Fläche zur Erholung der Fahrer. Die Lagernutzung nimmt hingegen etwa 223 m2 ein und damit den weit überwiegenden Teil. Nimmt man den Kühlraum noch hinzu, so ergibt sich sogar eine Fläche von 230,5 m2, die der Lagernutzung dient.
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Diese Nutzung entspricht nicht der durch Baugenehmigung vom 19. März 1987 genehmigten Nutzung und überschreitet deren Variationsbreite. Von der Genehmigung vom 19. März 1987 war keine reine Lagernutzung erfasst. Die damals genehmigte Lagernutzung nahm nur etwa 65 m2 ein. Vielmehr war in der damaligen Genehmigung eine gemischte Nutzung als Lager, Büro und Abstellraum vorgesehen.
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Heute wird die Fläche zu einem weit überwiegenden Teil als Lager genutzt, während die Büronutzung komplett aufgegeben wurde. Die heutige Nutzung als Lager mit einer Fläche von ca. 223 m2 sowie einem Kühlraum von ca. 7,5 m2 nimmt damit mehr als dreimal so viel Fläche ein, als ursprünglich an Lagerfläche genehmigt war, während die Büronutzung überhaupt nicht mehr vorhanden ist.
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Die Nutzungsänderung ist auch nicht nach § 57 Abs. 4 BayBO verfahrensfrei. Eine Nutzungsänderung ist nach Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO dann nicht verfahrensfrei, wenn für die neue Nutzung andere öffentlich-rechtliche Anforderungen in Betracht kommen. Zu den anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften i.S.d. Art. 57 Abs. 4 Nr. 1 BayBO zählen unter anderem Satzungen, die aufgrund von Art. 81 BayBO erlassen wurden, wie etwa die Stellplatzsatzung.
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Vorliegend kommen andere öffentlich-rechtliche Anforderungen in Betracht, da aufgrund der deutlichen Vergrößerung der Lagerfläche und des Wegfalls von Bürofläche eine neue Berechnung des Stellplatzbedarfs nach der Stellplatzsatzung der Landeshauptstadt München notwendig wird. Es kann daher dahinstehen, ob mit der Nutzung auch andere bauplanungsrechtliche Anforderungen einhergehen.
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2.2.2 Die Nutzungsänderung ist auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig.
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Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit könnte nur angenommen werden, wenn ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung beurteilt werden kann, ob die geänderte Nutzung zulässig ist (BayVGH, B.v. 4.1.2023 – 1 CS 22.1971 – juris Rn. 9; U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.353 – juris Rn. 45). Dies ist hier nicht der Fall.
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Zum einen fehlt es an der offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit schon deswegen, weil durch das Vorhaben, wie bereits ausgeführt, potenziell ein anderer Stellplatzbedarf nach der Stellplatzsatzung der … … ausgelöst wird. Dieser lässt sich nicht ohne weitere Prüfung bestimmen. Zwar dürfte sich die derzeit ausgeübte Nutzung in etwa an dem orientieren was im Bauantrag vom 15.September 2022 beantragt wurde, sicher steht dies jedoch nicht fest. Bereits geringfügige Abweichungen können zu einer anderen Bewertung nach der Stellplatzsatzung führen, sodass es auf die tatsächlich ausgeübte Nutzung maßgeblich ankommt. Insofern fehlen prüfbare Angaben, wie sie in einem Bauantrag vorzulegen wären.
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Überdies ist aber auch nicht offensichtlich, ob das Vorhaben bauplanungsrechtlich in Bezug auf das Rücksichtnahmegebot zulässig ist.
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Es kann offenbleiben, welche Gebietsart vorliegt, da unabhängig davon, ob sich das Vorhaben nach § 34 Abs. 1 BauGB oder § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. BauNVO beurteilt, stets eine Prüfung erforderlich ist, ob das Vorhaben mit dem Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme vereinbar ist. Mit der untersagten Nutzung sind Lärmemissionen verbunden, die Anlass zu einer Überprüfung der zu erwartenden Lärmimmissionen in der Nachbarschaft geben. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit setzt daher das Vorliegen eines konkreten Betriebskonzepts sowie einer Lärmprognose voraus, um der Behörde die Beurteilung des Rücksichtnahmegebotes und gegebenenfalls die Bestimmung der Grenzen der Nutzung durch Nebenbestimmungen zu ermöglichen (vgl. etwa: VG München, U.v. 14.11.2022 – M 8 K 21.3141 – juris Rn. 22).
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Der derzeitigen Nutzung als Lebensmitteleinzelhandel mit Auslieferung wohnt es inne, dass neben dem An- und Abfahrtsverkehr von LKWs zur Anlieferung der Artikel auch im Rahmen des Beladens der Fahrräder für die nächste Auslieferung typischerweise Lärm entsteht. Es ist daher mindestens zweifelhaft, insbesondere angesichts der im abgeschlossenen Bauantragsverfahren genannten Anzahl an täglichen Auslieferungen (ca. 300 Auslieferungen pro Tag) und der Betriebszeiten (6:00 bzw. 7:00 Uhr bis 23:00 bzw. 24:00 Uhr, ob in der maßgeblichen Umgebung unzumutbare Lärmimmissionen verursacht werden. Eine Beurteilung dieser Immissionen ist hier mangels eines Bauantrags mit einer konkreten Betriebsbeschreibung nicht möglich. Auch aus diesem Grund kann von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit keine Rede sein.
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2.3 Hinsichtlich des Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 i.V.m. Art. 21a Satz. 2 VwZVG fällt die Interessenabwägung ebenfalls zulasten der Antragstellerin aus, da auch hinsichtlich der Ziff. 3 des Bescheids vom 20. März 2024 die Klage in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
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Die Zwangsgeldandrohung in Ziff. 3 des Bescheids ist rechtmäßig.
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Die für die Erfüllung der Verpflichtung gesetzte Frist von etwas mehr als drei Wochen ist angemessen, da von der Antragstellerin lediglich ein Unterlassen gefordert wird.
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Auch hinsichtlich der Höhe des Zwangsgeldes ist der Bescheid fehlerfrei ergangen. Die Festsetzung der Höhe des Zwangsgeldes steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde (Zeiser in Wernsmann, Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz, 1. Auflage 2020, S. 148). Hinsichtlich der Ermessensausübung ist das Gericht darauf beschränkt, die Entscheidung auf Ermessensfehler hin zu überprüfen. Eine volle Prüfung des Ermessens oder gar eine Prüfung der Zweckmäßigkeit der Entscheidung darf das Gericht nicht vornehmen.
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Ermessensfehler bestehen vorliegend nicht. Ein Ermessensausfall liegt nicht vor, da die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 20. März 2024 die Höhe des angedrohten Zwangsgeldes mit der wirtschaftlichen Bedeutung der Nutzung begründet. Auch dass die Höhe des Zwangsgeldes mit EUR 50.000,- die oberste Grenze erreicht, ist nicht automatisch ermessensfehlerhaft. Zum einen bildet schon die in Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG genannte Höchstgrenze keinen starren Rahmen (Zeiser in Wernsmann, Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz, 1. Auflage 2020, S. 148). Denn selbst eine Überschreitung der Obergrenze von EUR 50.000,- ist nach Art. 31 Abs. 2 Satz 3 VwZVG im Einzelfall möglich. Zum anderen spricht im vorliegenden Fall einiges dafür, dass es angesichts der Fortsetzung der nicht genehmigten Nutzung trotz Ablehnung des Bauantrags eines schärferen Zwangsmittels bedurfte. Die Antragstellerin hat offenbar ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der Fortsetzung der Nutzung, nachdem sie im Bewusstsein des abgelehnten Bauantrags die mit einer bauordnungswidrigen Nutzung einhergehenden monetären Risiken in Form von Bußgeldern eingeht. Angesichts dieses Verhaltens war nicht zu erwarten, dass Zwangsgelder in geringerer Höhe zur Befolgung der Anordnung führen würden. Andere Ermessensfehler sind auch nicht ersichtlich.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 1 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.