Inhalt

VG München, Urteil v. 18.11.2024 – M 26a K 24.528
Titel:

Zwangsgeldandrohung bzgl. der Nachweispflicht eines ausreichenden Masernschutzes bzw. einer Kontraindikation bei Schülern, Bestimmtheit der Zwangsgeldandrohung bei mehreren Handlungsverpflichteten, Gesamtschuldnerische Haftung

Normenketten:
VwZVG Art. 29 ff.
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
Schlagworte:
Zwangsgeldandrohung bzgl. der Nachweispflicht eines ausreichenden Masernschutzes bzw. einer Kontraindikation bei Schülern, Bestimmtheit der Zwangsgeldandrohung bei mehreren Handlungsverpflichteten, Gesamtschuldnerische Haftung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 34351

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2024 wird in Ziffer II. aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheits-leistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

1
Die Kläger wenden sich gegen die Androhung eines Zwangsgeldes, mit welcher eine ihnen gegenüber ergangene Anordnung der Beklagten, einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern für ihren am … … 2012 geborenen Sohn bzw. eine medizinische Kontraindikation gegen eine entsprechende Impfung nachzuweisen, im Wege des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden soll.
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Mit Bescheid vom 3. Mai 2023 wurden die Kläger unter Ziffer I. aufgefordert, bis zum 2. Juni 2023 einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) für ihr Kind vorzulegen. Für den Fall, dass die Kläger der Anordnung aus Ziffer I. nicht spätestens bis 2. Juni 2023 nachkommen, wurde unter Ziffer III. ein Zwangsgeld in Höhe von 400,00 EUR angedroht und sofort fällig gestellt.
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Gegen diesen Bescheid ließen die Kläger mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom … Mai 2023 Klage erheben und beantragten zugleich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, dies insbesondere insoweit, als diese sich gegen die Zwangsgeldandrohung richtet.
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Das Bayerische Verwaltungsgericht München lehnte den Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) mit Beschluss vom 1. August 2023 ab (Az. M 26a S 23.2699). Einer Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gab dieser mit Beschluss vom 21. September 2023 (Az. 20 CS 23.1432) insoweit statt, als dass die aufschiebende Wirkung der Klage der Kläger gegen Ziffer III. des Bescheides der Beklagte vom 3. Mai 2023 (Zwangsgeldandrohung) angeordnet wurde. Im Übrigen wurde die Beschwerde zurückgewiesen.
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Im Anschluss an diese Entscheidung nahm die Beklagte die Zwangsgeldandrohung in Ziffer III. des Bescheides vom 3. Mai 2023 mit Bescheid vom 26. Oktober 2023 zurück (Ziff. I.). Gleichzeitig erließ sie für den Fall, dass die Kläger der in Ziffer I. des Bescheides vom 3. Mai 2023 festgelegten Nachweispflicht nicht bis spätestens 28. November 2023 nachkommen, erneut eine Zwangsgeldandrohung in Höhe von 400,00 EUR (Ziff. II.).
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Mit Schreiben vom … Oktober 2023 ließen die Kläger durch ihre Bevollmächtigte Klage gegen Ziffer II. des Bescheids vom 26. Oktober 2023 erheben und beantragten zugleich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.
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Das Bayerische Verwaltungsgericht München lehnte den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO mit Beschluss vom 27. November 2023 ab (M 26a S 23.5234). Einer Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gab dieser mit Beschluss vom 22. Januar 2024 (20 CS 23.2238) statt und ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage der Kläger gegen Ziff. II. des Bescheids der Beklagte vom 26. Oktober 2023 an.
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Im Anschluss an diese Entscheidung nahm die Beklagte die Zwangsgeldandrohung in Ziff. II. des Bescheides vom 26. Oktober 2023 mit Bescheid vom 31. Januar 2024, laut Eingangsstempel zugegangen am 5. Februar 2024, zurück (Ziff. I.). Gleichzeitig erließ sie für den Fall, dass die Kläger der in Ziffer I. des Bescheides vom 3. Mai 2023 festgelegten Nachweispflicht nicht bis spätestens 5. April 2024 nachkommen, erneut eine Zwangsgeldandrohung in Höhe von 400,00 EUR (Ziff. II.). In der Begründung des Bescheids findet sich eine Klarstellung, dass das Zwangsgeld mehreren der Nachweispflicht Unterliegenden als Gesamtschuldner nur einmal angedroht werde.
9
Mit Schreiben vom … Februar 2024, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am gleichen Tag, ließen die Kläger durch ihre Bevollmächtigte Klage gegen die im Bescheid vom 31. Januar 2024 enthaltene Zwangsgeldandrohung erheben und beantragten,
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den Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2024 in Ziffer II. aufzuheben.
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Zugleich wurde beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (M 26a S 24.529). Zur Begründung beziehen sich die Kläger im Wesentlichen auf die Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Beschluss vom 15. Januar 2024 – 20 CS 23.1910, 20 CE 23.1935.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Ausführungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seinem Beschluss vom 15. Januar 2024 (a.a.O.) würden nicht vollumfänglich für den vorliegenden Fall gelten, da insoweit ein anderer Sachverhalt zu Grunde läge. Im Ergebnis müssten Fälle unterschieden werden, in denen die Betroffenen von Anfang an eine Impfung ablehnen würden und Fälle, in denen – wie vorliegend – eine medizinische Kontraindikation oder das Vorliegen einer Immunität wiederholt geltend gemacht werde und aufgrund der Angaben der Betroffenen als möglich erscheine. Die Verpflichtung zur Vorlage eines Nachweises, insbesondere über eine bestehende Kontraindikation, habe im vorliegenden Fall daher im Ergebnis keine impferzwingende Wirkung, weil sie von den Betroffenen – ausgehend von der wiederholten Geltendmachung einer medizinischen Kontraindikation – noch erbracht werden könne. Eine Impfung sei nicht Ziel und Grundlage der Nachweisvorlageanordnung und der Zwangsmittelandrohung. Vorliegend verblieben somit zwei der in § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG genannten Möglichkeiten zur Nachweisvorlage. Andernfalls stelle sich die Frage, in welchen Konstellationen noch Raum für eine selbstständige Durchsetzbarkeit der vom Gesetzgeber ausdrücklich als mit den Mitteln des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchsetzbar angesehenen Vorlagepflicht verbleibe. Die Behörde hätte dann selbst in Fällen, in denen die Betroffenen einen solchen Nachweis ankündigen, keine Möglichkeit, die Nachweisvorlage bei Nichtvorlage durchzusetzen.
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Mit Beschluss vom 22. Februar 2024 ordnete das Bayerische Verwaltungsgericht München die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer II. des Bescheides der Antragsgegnerin vom 31. Januar 2024 an. Auf eine Beschwerde der Beklagten zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof lehnte dieser den Antrag unter Änderung des Beschlusses mit Beschluss vom 7. Mai 2024 ab (20 CS 24.428).
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Am 18. November 2024 wurde der Rechtsstreit mündlich verhandelt. Der Unterbevollmächtigte der Kläger wies unter anderem darauf hin, dass ein Zwangsgeld nicht gesamtschuldnerisch verhängt werden könne. Die Vertreter der Beklagten bestätigten, dass das Zwangsgeld nur einmalig in Höhe von 400,00 EUR angedroht worden sei.
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Die Gerichts- und Behördenakten in den Verfahren M 26a K 23.2698, M 26a S 23.2699, M 26a K 23.5233 und M 26a S 23.5234 wurden zum Verfahren beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten des Klage- und des Eilverfahrens, das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 18. November 2024 und die vorgelegten bzw. beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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1. Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer II. des streitgegenständlichen Bescheids vom 31. Januar 2024 erweist sich als rechtswidrig, verletzt die Kläger in ihren Rechten und war daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1.1. Die Zwangsgeldandrohung ist rechtlich fehlerhaft, da der Adressat der Vollstreckungsmaßnahme (Vollstreckungsschuldner) nicht hinreichend konkret bestimmt ist, mithin ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot nach Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) vorliegt.
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1.1.1. Ziffer I. des Bescheides vom 3. Mai 2023 verpflichtet die Kläger, einen Masernschutznachweis bzw. einen Nachweis einer medizinischen Kontraindikation gegen eine entsprechende Impfung für ihren Sohn vorzulegen. Diese Anordnung lässt sich dahin verstehen, dass jeden Kläger unabhängig vom anderen die Pflicht zur Nachweisvorlage trifft, da die sich aus § 20 Abs. 12 Satz 1, Abs. 13 Satz 1 IfSG ergebenden Verpflichtungen zwar beide sorgeberechtigten Elternteile gleichermaßen, aber auch jeden Elternteil für sich gesehen treffen (OVG Magdeburg, B.v. 21.10.2021 – 3 M 134/21 – juris Rn. 11), die Leistung – sprich die Nachweisvorlage – jedoch insgesamt nur einmal zu erbringen ist.
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Richtet sich der zu vollziehende Verwaltungsakt – wie hier – gegen mehrere Personen, von denen nur eine die gebotene Handlung vornehmen muss, dann muss die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, gegen welchen der Adressaten sie Zwangsmittel anwenden will (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.1997 – 23 CS 96.2922 – juris Rn. 44; B.v. 9.1.2006 – 4 CS 05.2798 – juris Rn. 25; U.v. 31.7.1997 – 23 B 94.90 – BeckRS 1997, 24872; VG München, U.v. 18.8.2010 – M 10 K 09.5708 – juris Rn. 12; VG Augsburg, U.v. 20.9.2001 – Au 8 K 01.343 – juris Rn. 27; Mosbacher in: Engelhardt/App/Schlatmann, VwVG, VwZG, 12. Auflage 2021, Vorbemerkung zu § 6 Rn. 11). Demzufolge ist es im Gegensatz zur Anordnung der Handlungsverpflichtung bei der Androhung des Zwangsgeldes zwingend geboten, bei mehreren Handlungsverpflichteten diejenige Person anzugeben, gegen die sich die Vollstreckungsmaßnahme richten soll, wenn – wie hier – die geschuldete Leistung, d.h. die Verpflichtung zu einem bestimmten Handeln, aus dem bestehenden Gesamtschuldverhältnis nur einmal zu erbringen ist (BayVGH, B.v. 12.5.1997, a.a.O., Rn. 44; B.v. 9.1.2006, a.a.O. Rn. 25; U.v. 31.7.1997, a.a.O.; VG München, U.v. 18.8.2010, a.a.O. Rn. 12).
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1.1.2. Gemessen hieran ist die streitgegenständliche Zwangsgeldandrohung (Art. 31 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz – VwZVG) in Ziffer II. des streitgegenständlichen Bescheids vom 31. Januar 2024 wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG rechtswidrig. Diese gegen beide sorgeberechtigten Kläger gerichtete Zwangsgeldandrohung lässt nicht erkennen, wer bei Nichterfüllung der Handlungspflichten von der Beklagten als Vollstreckungsschuldner in Anspruch genommen werden soll (vgl. BayVGH, B.v. 9.1.2006, a.a.O., Rn. 25 mit Verweis auf BayVGH, U.v. 31.7.1997, a.a.O.).
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1.2. Darüber hinaus hält die Kammer auch den von der Beklagten auf S. 4 der Begründung des Bescheids aufgenommenen Zusatz, dass die Kläger das Zwangsgeld als Gesamtschuldner zu tragen hätten, mit dem Wesen eines Zwangsgeldes nicht für vereinbar (vgl. hierzu BayVGH, B.v.6.03.2024 – 2 ZB 24.162 – juris Rn. 6 f.). Dieses stellt ein Beugemittel dar, mithilfe dessen auf den Willen des Verpflichteten eingewirkt werden soll. Diesem höchstpersönlichen Charakter (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.2004 – 1 C 30.03 – juris Rn. 16) entspricht es, dass ein Zwangsgeld nach Art. 31, 36 VwZVG jedem Pflichtigen in der konkreten Höhe anzudrohen ist, in welcher es letztlich von ihm auch beigetrieben würde (BayVGH, U.v. 10.11.1981 – Nr. 233 I 76 – n.v., Urteilsumdruck S. 9; VG München, U.v. 18.8.2010, a.a.O., juris Rn. 13; vgl. auch Linhart, Schreiben, Bescheide und Vorschriften in der Verwaltung, 55. EL Januar 2023, § 18 Rn. 192b, § 19 Rn. 134). Die streitgegenständliche Zwangsgeldandrohung ist indes hinsichtlich ihrer Höhe gerade nicht bestimmt, da bei einem Gesamtschuldverhältnis jeder Gesamtschuldner auch nur zu einem Teil in Anspruch genommen werden kann, ohne dass die Person des in Anspruch genommenen oder die Höhe des Anteils im Voraus feststeht (§ 421 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB).
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Im Hinblick auf die vorstehend dargelegten Grundsätze, insbesondere die bei der Zwangsgeldandrohung vorzunehmende Auswahlentscheidung, besteht im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens auch keine Notwendigkeit einer gesamtschuldnerischen Androhung. Die Beklagte wird im Rahmen der Vollstreckung ohnehin einen der Pflichtigen heranziehen müssen und im Falle der Nichtbeachtung der Pflicht von diesem ein fällig gewordenes Zwangsgeld einfordern. Eine Festlegung auf einen der Verpflichteten ist daher schon auf der Ebene der Zwangsgeldandrohung ohne weiteres möglich.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).