Titel:
Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts für Hinzuziehung des Bevollmächtigten nach Verfahrensbeendigung
Normenkette:
VWGO § 162 Abs. 2 S. 2
Leitsatz:
Über einen während eines Rechtsmittelverfahrens gestellten Antrag nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären, hat das Rechtsmittelgericht zu entscheiden, solange das Verfahren in der Rechtsmittelinstanz noch nicht formell beendet ist, und zwar auch bei Einstellung des Rechtsmittelverfahrens durch den Berichterstatter (im Anschluss an BVerwG, U.v. 18.2.1981 – 4 C 75.80 – BayVBl 1981, 411; BayVGH, B.v. 22.2.1999 – 14 B 95.1255 – juris Rn. 2 m.w.N.; HessVGH, B.v. 30.8.1988 – 4 UE 2766/86 – juris Rn. 12 m.w.N.; VGH BW, U.v. 4.3.2002 – 7 S 1651/01 – juris Rn. 57 m.w.N.; OVG NW, B.v. 10.10.2001 – 12 A 4148/99 – NVwZ-RR 2002, 785 m.w.N.). (Rn. 6)
Schlagworte:
Hinzuziehung, Rechtsmittel, Anhängigkeit, Verfahrenseinstellung, Beendigung, Rücknahme, Bevollmächtigter, Vorverfahren, Kostengrundentscheidung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 25.06.2024 – RN 12 K 20.1467
Fundstellen:
BayVBl 2025, 164
DÖV 2025, 320
NVwZ-RR 2025, 133
LSK 2024, 34349
BeckRS 2024, 34349
Tenor
I. Nach Rücknahme des Berufungszulassungsantrags der Beklagten mit Schriftsatz vom 4. November 2024 wird das Verfahren eingestellt.
II. Die Rechtsmittelführerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 11.156 Euro festgesetzt.
IV. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Gründe
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1. Nachdem die rechtsmittelführende Beklagte den Berufungszulassungsantrag am 4. November 2024 zurückgenommen hat, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen, sind die Kosten entsprechend § 126 Abs. 3 VwGO der gemäß § 155 Abs. 2 VwGO kostentragungspflichtigen Beklagten aufzuerlegen und ist der Streitwert für den nach der erstinstanzlichen Teilklagerücknahme noch verbliebenen und im Berufungszulassungsverfahren streitgegenständlichen Betrag auf 11.156 Euro – mangels anderweitiger Anhaltspunkte wie die Vorinstanz (vgl. UA S. 17) – festzusetzen (§ 52 Abs. 1, § 47 Abs. 3, § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG).
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Zuständig für diese Entscheidungen ist jeweils der unterzeichnende Berichterstatter (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 87a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2, 4, 5 VwGO).
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2. Der klägerische Antrag vom 27. September 2024, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO), wurde beim Verwaltungsgericht gestellt und von diesem zu Recht mit Schreiben vom 10. Oktober 2024 zuständigkeitshalber an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet, bei dem das Berufungszulassungsverfahren anhängig ist infolge des Berufungszulassungsantrags der Beklagten vom 26. Juli 2024 (siehe 2.1.). Er hat in der Sache Erfolg (siehe 2.2.).
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2.1. Die Entscheidung gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist ein dem Gericht übertragener Teil der Kostenfestsetzung (BVerwG, B.v. 18.11.2002 – 4 C 5.01 – NVwZ-RR 2003, 246; B.v. 19.3.2018 – 5 C 15.16 – juris Rn. 2; OVG Berlin-Bbg, B.v. 8.8.2018 – OVG 4 L 30.17 – juris Rn. 4 m.w.N.), nicht dagegen ein Teil der von Amts wegen zu treffenden (§ 161 VwGO) Kostengrundentscheidung. Deshalb erfolgt eine Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht von Amts wegen, sondern – dem Wortlaut der Vorschrift entsprechend – nur auf Antrag (vgl. BVerwG, B.v. 18.11.2002 a.a.O.; OVG Berlin-Bbg, B.v. 8.8.2018 a.a.O. m.w.N.; BayVGH, B.v. 23.1.2019 – 14 BV 16.2488 – juris Rn. 3 m.w.N.), der auch konkludent gestellt werden kann (OVG NW, B.v. 31.7.1997 – 10 E 431/97 – juris ab Rn. 18; B.v. 10.10.2001 -12 A 4148/99 – NVwZ-RR 2002, 785).
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Angesichts dessen liegt die Zuständigkeit für Entscheidungen gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO im Ausgangspunkt bei dem zur Kostenfestsetzung berufenen Verwaltungsgericht (§ 164 VwGO), zumal sich dort normalerweise nach Abschluss des Verfahrens die Sachakten befinden (vgl. BVerwG, B.v. 18.11.2002 – 4 C 5.01 – NVwZ-RR 2003, 246).
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Anderes gilt indes, wenn im Zeitpunkt der Stellung eines Antrags nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ein Rechtsmittel anhängig ist. Denn dann ist das mit dem jeweiligen Fall befasste Rechtsmittelgericht das sachnächste und befinden sich dort regelmäßig die zugehörigen Akten bis das Rechtsmittelverfahren formell beendet ist, sodass in solchen Fällen dieses Rechtsmittelgericht das „Gericht“ i.S.v. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.1981 – 4 C 75.80 – BayVBl 1981, 411 [juris Rn. 11], wo das Berufungsgericht [und nicht das erstinstanzliche Gericht] zur Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO aufgefordert wurde; ebenso HessVGH, B.v. 30.8.1988 – 4 UE 2766/86 – juris Rn. 12; OVG NW, B.v. 10.10.2001 – 12 A 4148/99 – NVwZ-RR 2002, 785; VGH BW, B.v. 4.3.2002 – 7 S 1651/01 – juris Rn. 57 [insoweit nicht abgedruckt in NZA-RR 2002, 417]; a.A. OVG NW, B.v. 21.12.2006 – 7 A 4561/05 – juris Rn. 1 f. m.w.N.). In solchen Fällen ist das Rechtsmittelgericht bis zur formellen Beendigung des Rechtsmittelverfahrens und entsprechender Aktenrücksendung zur Entscheidung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO berufen und gewinnt das Gericht des ersten Rechtszugs die größere Sachnähe und Zuständigkeit nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO erst mit formeller Beendigung und der dann veranlassten Aktenrücksendung zurück (OVG NW, B.v. 10.10.2001 a.a.O.). Diese Grundsätze gelten auch für das Berufungszulassungsverfahren (OVG NW, B.v. 10.10.2001 a.a.O.), und zwar auch im Fall einer nicht-streitigen Beendigung wie hier (Rücknahme des Berufungszulassungsantrags), weil sich die Akten auch in solchen Fällen noch beim Rechtsmittelgericht befinden.
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In solchen Fällen der Antragsrücknahme liegt die Zuständigkeit für eine Entscheidung gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO beim Berichterstatter (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 87a Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2 VwGO).
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2.2. Der Antrag ist begründet.
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Die Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten im Vorverfahren ist – anders als im gerichtlichen Verfahren (§ 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO) – „nicht automatisch“ anzuerkennen, sondern nur – je nach Lage des Einzelfalls – unter der Voraussetzung einer „konkreten Notwendigkeit“ (BVerwG, B.v. 15.9.2005 – 6 B 39.05 – juris Rn. 4). Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte (BVerwG, U.v. 17.12.2001 – 6 C 19.01 – NVwZ-RR 2002, 446 unter 2.a) m.w.N.). Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts dabei nur dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeiten der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen (stRspr vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2001 a.a.O. m.w.N.; B.v. 1.2.2007 – 6 B 85.06 – juris Rn. 4 m.w.N.). Dabei kann hinsichtlich der Zumutbarkeit auch eine besondere wirtschaftliche Bedeutung für den jeweiligen Beteiligten relevant sein (vgl. VGH BW, B.v. 4.3.2002 – 7 S 1651/01 – juris Rn. 57).
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Vorliegend hatte die streitgegenständliche Frage der Anerkennung einer weiteren Folge eines anerkannten Dienstunfallereignisses sowie die hieraus resultierende Frage eines Unfallausgleichs aufgrund einer Minderung der Erwerbsfähigkeit für die Klägerin erhebliche wirtschaftliche Bedeutung. Außerdem waren die damit zusammenhängenden materiell-rechtlichen und verwaltungsverfahrens- und vorverfahrensbezogenen Fragestellungen von einem solchen Schwierigkeitsgrad, dass der juristisch nicht fachkundigen Klägerin nicht zuzumuten gewesen wäre, das Widerspruchverfahren ohne eine anwaltliche Vertretung selbst zu führen. Angesichts dessen war die Zuziehung einer anwaltlichen Vertretung im Widerspruchverfahren notwendig i.S.v. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).