Titel:
Asyl, Irak: Erfolglose Klage
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, 7
Leitsatz:
Die allgemeine humanitäre Situation im Irak begründet nicht die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AsylG. Es fehlt vorliegend bereits an dem erforderlichen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur, von dem insoweit eine zielgerichtete unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ausgehen müsste. Für die Zuerkennung subsidiären Schutzes infolge einer allgemein schlechten humanitären Lage bedarf es einer direkten oder indirekten Aktion eines staatlichen oder nichtstaatlichen Akteurs – die ein auf die bewirkten Effekte gerichtetes Handeln oder gar Absicht jenseits nicht intendierter Nebenfolgen erfordert –, auf deren Basis der (nicht-)staatliche Akteur die unmenschliche Lebenssituation im Sinne einer Zurechenbarkeit zu verantworten hat. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Irak, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (verneint), nahezu ausschließlicher Aufenthalt im Iran, keine Anknüpfung an asylrechtlich relevantes Merkmal geltend gemacht, subsidiärer Schutz (verneint), Abschiebungsverbote (verneint), Aufenthalt im Zielstaat, Irak für volljährigen und erwerbsfähigen Mann zumutbar
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33706
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung subsidiären Schutzes bzw. hilfsweise die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten in den Irak.
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Der am ... in ... (Iran) geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger mit arabischer Volkszugehörigkeit und muslimischem (schiitischem) Glauben.
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Seinen Angaben zufolge reiste der Kläger am 14. September 2022 erstmalig in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er unter dem 19. Oktober 2022 Asylerstantrag stellte. Eine Beschränkung des Asylantrags gem. § 13 Abs. 2 Asylgesetz (AsylG) auf die Zuerkennung internationalen Schutzes (Flüchtlingseigenschaft und subsidiärer Schutz) erfolgte im Verfahren nicht.
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Die persönliche Anhörung des Klägers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) erfolgte am 21. Juli 2023. Der Kläger trug im Wesentlichen vor, er sei im Iran geboren und habe dort bis zu seiner Ausreise gelebt. Im Irak habe er sich lediglich für kurzzeitige Aufenthalte befunden. Zwischenzeitlich habe er sich etwa drei Jahre lang illegal in der Türkei aufgehalten. Neben der irakischen Staatsangehörigkeit habe er keine weiteren. Im Irak könne und wolle er nicht leben, da die Kultur, die Traditionen sowie die Gewohnheiten dort anders seien, als jene die er im Iran gewohnt sei. Er könne sich im Iran besser zurechtfinden, da er dort geboren und aufgewachsen sei. Sein Schwiegervater habe ihm seit der Scheidung im Jahr 2019 von seiner Ehefrau große Probleme gemacht. Im Iran habe er nicht länger bleiben können. Sein Schwiegervater habe mit seiner Firma illegale Geschäfte mit Devisen gemacht. Der Kläger habe bei ihm in der Firma im Büro gearbeitet. Nach der Scheidung habe der Schwiegervater ihm nicht mehr vertraut und ihm viele Kompetenzen entzogen. Es sei ihm auch gedroht worden, sollte er Dritten von den illegalen Geschäften des Schwiegervaters erzählen. Im Iran sei er Ende des Jahres 2019 verhaftet worden. Mit Hilfe seines Bruders, welcher Journalist in einer regierungsnahen Zeitung sei, sei es ihm gelungen, ihn gegen ein Lösegeld nach einem Monat freizukaufen. Er sei dann in die Türkei geflohen. Nach der Freilassung aus dem Gefängnis habe er sich noch zwei Tage im Iran aufgehalten. Von seinem Schwiegervater sei er wegen Geldwäsche angezeigt worden. Bei einer Rückkehr in den Irak befürchte er, dass er auch dort von seinem Schwiegervater weiterhin verfolgt werde. Der Irak sei kein sicheres Land und würde praktisch vom Iran kontrolliert. Der Schwiegervater könne ihn aufgrund seiner guten Kontakte und Beziehungen ohne weiteres auch im Irak ausfindig machen. Zu seiner persönlichen Situation führte der Kläger aus, er habe vor seiner Ausreise immer im Iran gelebt. Vor seiner Heirat habe er bei seinen Eltern gelebt. Diese würden sich nach wie vor im Iran aufhalten. Im Irak habe er sich nur zweimal kurzzeitig aufgehalten, zuletzt im Jahr 2018. Für die Ausreise habe er insgesamt etwa 7.000,00 EUR bezahlt. Die Finanzierung sei ihm durch Erspartes sowie durch den Arbeitsverdienst innerhalb der Türkei möglich gewesen. Neben seinen Eltern würden auch ein Bruder, sowie drei Schwestern im Iran leben. Eine weitere Schwester lebe in den Niederlanden. Im Irak habe er keine Verwandten mehr. Wenn er dorthin gereist sei, habe er in einem Hotel übernachtet. Die Schule habe er bis zur 10. Klasse besucht. Danach habe er im Iran bei der Firma seines Schwiegervaters gearbeitet. Er habe dort Geschäfte mit Devisen getätigt. In der Türkei habe er als Koch, in der Baubranche, als Warenausträger sowie als Mitarbeiter einer Immobilienfirma Geld erwirtschaftet. Angehörige in der Bundesrepublik Deutschland habe er keine. Für das weitere Vorbringen des Klägers wird auf die vom Bundesamt über die persönliche Anhörung gefertigte Niederschrift verwiesen.
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Mit Bescheid des Bundesamts vom 31. Mai 2024 (Gz. ... ) wurden die Anträge des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. auf Asylanerkennung abgelehnt (Nrn. 1. u. 2. des Bescheids). Nr. 3. des Bescheids bestimmt, dass dem Kläger auch der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt wird. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 u. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) liegen nicht vor (Nr. 4.). In Nr. 5. des Bescheids wird der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Folgeleistung wurde dem Kläger die Abschiebung in den Irak bzw. einen anderen aufnahmebereiten Staat angedroht. Nr. 6. ordnet es das Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristet es auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.
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Zur Begründung ist ausgeführt, dass beim Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigter nicht vorlägen. Der Kläger sei kein Flüchtling i.S.d. § 3 AsylG. Das individuelle Vorbringen des Klägers rechtfertige nicht die Annahme, dass er den Irak aufgrund einer bereits erlittenen oder unmittelbar bevorstehenden Verfolgung verlassen habe. Der Sachvortrag des Klägers habe sich ausschließlich auf Geschehnisse im Iran bezogen. Auch die vom Kläger vorgelegten Dokumente würden sich ausschließlich auf Geschehnisse im Iran beziehen. Zu dem Zielstaat Irak seien sie unerheblich. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes lägen nicht vor. Gleiches gelte für das Vorliegen von Abschiebungsverboten. Die Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse könne nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschlich oder erniedrigende Behandlung zu bewerten seien und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) erfüllen. Die derzeitigen humanitären Bedingungen im Irak führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung des Klägers eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände des Klägers sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch eine Abschiebung nicht beachtlich. Aus dem Vorbringen des Klägers lasse sich schließen, dass dieser im Stande sei, sich mindestens ein Existenzminimum dauerhaft zu sichern. Die schulische Qualifikation und die vielfältigen beruflichen Erfahrungen des Klägers zeugen von dessen Flexibilität, Mobilität und Eigenständigkeit. Zudem handele es sich beim Kläger um einen jungen und gesunden Mann. Auch die Verletzung anderer Menschenrechte und Grundfreiheiten der EMRK komme nicht in Betracht. Es drohe dem Kläger auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG führe. Die Abschiebungsandrohung sei gem. § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG zu erlassen. Mögliche Kindeswohlbelange bzw. familiäre Bindungen in der Bundesrepublik Deutschland seien nicht bekannt geworden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot werde gem. § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und nach § 11 Abs. 2 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Diese Befristung sei im vorliegenden Fall angemessen. Anhaltspunkte für eine kürzere Fristfestsetzung aufgrund schutzwürdiger Belange, seien weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Auf den weiteren Inhalt des Bescheids des Bundesamts vom 31. Mai 2024 wird ergänzend verwiesen.
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Der Kläger hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 18. Juni 2024 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,
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Die Beklagte Bundesrepublik Deutschland wird unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, Az. ... vom 31. Mai 2024, zugestellt am 12. Juni 2024, verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (§ 3 Abs. 4 Halbs. 1 AsylG), hilfsweise, dem Kläger den subsidiären Schutz gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 u. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
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Eine Begründung der Klage ist nicht erfolgt.
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Das Bundesamt ist für die Beklagte dem Kläger mit Schriftsatz vom 19. Juni 2024 entgegengetreten und beantragt,
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Zur Begründung wurde auf die mit der Klage angegriffene Entscheidung Bezug genommen.
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Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 31. Juli 2024 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
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Am 21. Oktober 2024 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung, in der der Kläger informatorisch angehört wurde, wird auf das hierüber gefertigte Protokoll verwiesen.
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Wegen den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegte elektronische Verfahrensakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte über die Klage des Klägers verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beklagte an der mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2024 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte ist zur mündlichen Verhandlung vom 21. Oktober 2024 form- und fristgerecht geladen worden.
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Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Soweit der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 31. Mai 2024 (Gz.: ... ) mit der Klage angegriffen wird, ist er rechtmäßig und nicht geeignet, den Kläger in seinen Rechten zu verletzen. Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG), auf Gewährung subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG) bzw. auf Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zur Begründung wird auf die umfassenden und im Ergebnis zutreffenden Gründe des Bescheids des Bundesamts Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG) und ergänzend ausgeführt.
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1. Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach §§ 3 ff. AsylG.
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Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).
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Die Tatsache, dass der Ausländer bereits verfolgt oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, ist dabei ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, wenn nicht stichhaltige Gründe dagegensprechen, dass er neuerlich von derartiger Verfolgung bedroht ist. Hat der Asylbewerber seine Heimat jedoch unverfolgt verlassen, kann sein Asylantrag nur Erfolg haben, wenn ihm auf Grund von Nachfluchttatbeständen eine Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Dabei ist es Sache des Ausländers, die Gründe für eine Verfolgung in schlüssiger Form vorzutragen. Er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu verbleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei genügt für diesen Tatsachenvortrag auf Grund der typischerweise schwierigen Beweislage in der Regel eine Glaubhaftmachung. Voraussetzung für ein glaubhaftes Vorbringen ist allerdings ein detaillierter und in sich schlüssiger Vortrag ohne wesentliche Widersprüche und Steigerungen.
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Wer bereits Verfolgung erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei der Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus (vgl. BVerfG, B.v. 12.2.2008 – 2 BvR 2141/06 – juris Rn. 20; VG Köln, U.v. 26.2.2014 – 23 K 5187/11.A – juris Rn. 26).
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In Anwendung dieser rechtlichen Vorgaben ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuzuerkennen. Der Kläger ist kein Flüchtling i.S.v. § 3 AsylG. Hierbei ist ausgehend von der ausschließlichen irakischen Staatsangehörigkeit des Klägers auf den Zielstaat Irak abzustellen.
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Bei einem unterstellten dauerhaften Aufenthalt des Klägers im Irak ist bereits nicht erkennbar, inwieweit dem Kläger dort eine Verfolgung anknüpfend an die Merkmale in § 3 Abs. 1, § 3b AsylG drohen könnte. Selbst, wenn man den Vortrag des Klägers beim Bundesamt für glaubwürdig erachtet, hat der Kläger auch in Bezug auf die von seinem Schwiegervater ausgesprochenen Bedrohungen keine Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe geltend gemacht. Selbst, wenn der Einfluss des Schwiegervaters über den Iran hinaus in den Irak reichen sollte, was gerichtlicherseits bezweifelt wird, handelt es sich allenfalls um dem Kläger drohendes kriminelles Unrecht, welches asylrechtlich ohne Relevanz bleibt. Bezogen auf den Zielstaat Irak, dessen Staatsangehörigkeit der Kläger (ausschließlich) besitzt, scheidet die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage der §§ 3,3b AsylG von vornherein aus. Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft aus individuellen Gründen. Bei einem erstmaligen längeren Aufenthalt im Irak ist eine landesweite Verfolgung für den Kläger nicht ersichtlich. Dieser hat lediglich auf im Iran entstandene innerfamiliäre Konflikte mit der Familie seiner früheren Ehefrau verwiesen. Die im mit der Klage angegriffenen Bescheid erfolgte Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an den Kläger ist folglich rechtmäßig und nicht geeignet, den Kläger in seinen Rechten zu verletzen (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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2. Der Kläger besitzt aber auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung eines subsidiären Schutzstatus i.S.v. § 4 AsylG. Ein solcher kommt insbesondere auch nicht im Hinblick auf die schlechte humanitäre Lage des Klägers bei einer Rückkehr in den Zielstaat in Betracht. Insoweit fehlt es jedenfalls an einer Zurechnung der dem Kläger drohenden Gefahren zu einem Verfolgungsakteur i.S.v. § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3c AsylG.
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Für eine mögliche Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe im Zielstaat bestehen bereits keine hinreichenden Anhaltspunkte und hat der Kläger auch nichts dargetan (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG).
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Des Weiteren begründet die allgemeine humanitäre Situation im Irak nicht die Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Es fehlt vorliegend bereits an dem erforderlichen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur, von dem insoweit eine zielgerichtete unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ausgehen müsste. Für die Zuerkennung subsidiären Schutzes infolge einer allgemein schlechten humanitären Lage bedarf es einer direkten oder indirekten Aktion eines staatlichen oder nichtstaatlichen Akteurs i.S.d. § 3c i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG – die ein auf die bewirkten Effekte gerichtetes Handeln oder gar Absicht jenseits nicht intendierter Nebenfolgen erfordert –, auf deren Basis der (nicht-)staatliche Akteur die unmenschliche Lebenssituation im Sinne einer Zurechenbarkeit zu verantworten hat (vgl. BVerwG, U. v. 20.5.2020 – 1 C 11.19 – juris Rn. 13 m.w.N.). Die im Irak vorherrschende insgesamt schwierige humanitäre Lage wird durch die langanhaltenden kriegerischen Auseinandersetzungen, die Sicherheitslage, die fragliche Staatlichkeit, die innerstaatlichen Territorialkonflikte, die fortbestehenden konfessionellen bzw. ethnischen Auseinandersetzungen, die weiterhin unbefriedigende wirtschaftliche Entwicklung und die herrschenden Umweltbedingungen beeinflusst und bestimmt. Es ist aber nicht festzustellen, dass einem der in Betracht kommenden staatlichen oder nichtstaatlichen Akteure im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung ein solcher Beitrag hieran anzulasten wäre, der nach den dargestellten Maßstäben zur Zurechenbarkeit im Rahmen der Gewährung subsidiären Schutzes führte. Es liegt fern, dass die die humanitäre Situation bestimmenden Umstände von einem solchen Akteur gezielt herbeigeführt worden wären bzw. aufrechterhalten würden.
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Es ist ferner auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger eine ernsthafte individuelle Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts droht (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG). Dabei kann die Qualifizierung der fortbestehenden Auseinandersetzungen im Irak als ein solcher Konflikt dahinstehen, da jedenfalls keine beachtliche Schadenswahrscheinlichkeit für den Kläger besteht. Auch ist kein landesweit bestehender innerstaatlicher Konflikt erkennbar. Das quantifizierbare Risiko, durch die Anwesenheit im Irak Opfer eines Konflikts zu werden, ist damit so gering, dass nicht von einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgegangen werden kann. Auch eine wertende Gesamtbetrachtung der aktuellen Situation im Irak rechtfertigt keine abweichende Einschätzung im Vergleich zu dieser quantitativen Ermittlung des Tötungs- oder Verletzungsrisikos (vgl. zu diesen Kriterien EuGH, U.v. 10.6.2021 – C-901/19 – juris Rn. 43).
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3. Abschiebungsverbote zugunsten des Klägers bestehen ebenfalls nicht.
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Nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn sich dies aus der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt. Diese sog. zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse folgen aus Gefahren, die dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung (hier Irak) drohen.
31
Die humanitäre Lage bzw. die sozio-ökonomischen Verhältnisse können nur ganz ausnahmsweise eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK begründen (vgl. BVerwG, U. v. 31.1. 2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12-31, LS 3). Denn die EMRK schützt hauptsächlich bürgerliche und politische Rechte, nicht aber die sozialen Voraussetzungen zur Wahrnehmung dieser Rechte (BVerwG, U.v. 31.1. 2013 – 10 C 15.12 –, BVerwGE 146, 12-31 – juris Rn. 25). Die humanitäre Lage kommt deshalb nur unter einer einschränkenden Voraussetzung als relevant in Betracht, nämlich wenn die allgemeinen Lebensbedingungen derart schlecht sind, dass sie ein sehr hohes Gefährdungsniveau herbeiführen (BVerwG, B.v. 13.2. 2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 10). Dies ist im Wege einer Abwägung zu ermitteln, in die alle dafür relevanten Aspekte einzubeziehen sind, um festzustellen, ob das notwendige Mindestmaß an Schwere gegeben ist. Das Mindestmaß an Schwere ist dann erreicht, wenn der Rückkehrer sich seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann oder keinen Zugang zu medizinischer Behandlung hat. Dies gilt auch für die Sicherung des existenziellen Grundbedürfnisses Wohnen.
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Die Prüfung der Voraussetzungen erfolgt unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten, insbesondere der wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung, sowie der persönlichen Umstände des Klägers. Maßgebliche Faktoren sind dabei Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse, soziale oder andere Schwächen, ethnische, kulturelle oder religiöse Überlegungen, politische und soziale Verbindungen und Vereinbarkeiten, Sprachkenntnisse, Bildungs-, Berufs- und Arbeitshintergrund und -möglichkeiten sowie ggf. erlittene Verfolgung und deren psychische Auswirkungen (BVerwG, U. v.18.2. 2021 – 1 C 4.20 – Rn. 31 Buchholz 402.251, § 3e AsylG Nr. 1). Einzubeziehen sind auch Zuwendungen Dritter, etwa von Hilfswerken (BVerwG, B. v. 17.1. 2022 – 1 B 48.21 – juris Rn. 7) oder Rückkehrhilfen (BVerwG, U. v. 21.4. 2022 – 1 C 10.21 – BVerwGE 175, 227ff.). Die menschenrechtswidrige Beeinträchtigung muss in einem derart engen zeitlichen Zusammenhang eintreten, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zur Rückkehr – in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder Verhaltensweisen des Ausländers – gerechtfertigt ist (BVerwG, U. v. 21.4. 2022 – 1 C 10.21 – BVerwGE 175, 227 ff.).
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Gemessen an diesen Maßstäben steht dem Kläger bei einer Rückkehr in den Irak wegen der dortigen sozio-ökonomischen Bedingungen unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 EMRK kein Abschiebungsverbot zu.
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Ein Abschiebungsverbot wegen ernsthaften Risikos eines Verstoßes gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern erst, wenn die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist (BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris Rn. 18).
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Das dem Kläger im Zielstaat Irak abschiebungsbedingt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Existenz unterhalb des Mindestmaßstabes von Art. 3 EMRK droht, lässt sich nach Auffassung des Gerichts nicht feststellen. Ob der Kläger im Irak sein Existenzminimum auf Dauer sichern können wird, ist für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht entscheidend (BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10.21 – BVerwGE 175, 227 ff.).
36
Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger in extreme materielle Not geraten könnte. Die Versorgungslage im Irak ist grundsätzlich angespannt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, 28. Oktober 2022, S. 22). Die Erkenntnismittel beschreiben einen deutlichen Hilfsbedarf, aber keine flächendeckende Extremsituation in dem Sinne, dass die Menschen ihre elementarsten Bedürfnisse nicht mehr befriedigen könnten. Dies gilt bereits unabhängig von dem Lebensmittelsubventionsprogramm des irakischen Staates für Familien mit geringem Einkommen und den internationalen Unterstützungsleistungen an Rückkehrer (vgl. hierzu VG Berlin, U.v. 13.1.2022 – 29 K 120.17 A – S. 10 f.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, 25. Oktober 2021, S. 25). Obwohl die Sicherheitslage im Irak prekär ist, liegt keine allgemeine Situation einer solchen extremen allgemeinen Gewalt vor, die es rechtfertigt, Rückkehrern generell Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 5 AufenthG i.S.v. Art. 3 EMRK zu gewähren (vgl. NdsOVG, U.v. 24.9.2019 – 9 LB 136/19 – juris Rn. 128 ff).
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Dies zugrunde gelegt bestehen Abschiebungsverbote zugunsten des Klägers nicht. Dies gilt ungeachtet der fehlenden Voraufenthalte des Klägers im Zielstaat Irak. Dem Kläger dürfte es als volljährigem, erwerbsfähigem und gesundem Mann ohne aktuelle Unterhaltsverpflichtungen durchaus zumutbar sein, in den Zielstaat Irak zurückzukehren, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. So ist darauf zu verweisen, dass es dem Kläger sowohl im Iran (zunächst als Tagelöhner auf einem Basar und später als Geldkurier) als auch während seines 4-jährigen Aufenthalts in der Türkei möglich war, eine existenzsichernde Beschäftigung zu erlangen. So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass er während seines Aufenthalts in der Türkei u.a. als Elektriker, Warenträger, Immobilienvermittler und insbesondere auch als Reiseführer tätig war. Warum solche Tätigkeiten bei einem erstmaligen längeren Aufenthalt im Zielstaat Irak nicht möglich sein sollten, erschließt sich für das Gericht nicht. Der Kläger ist einer der Landessprachen (Arabisch) mächtig und verfügt auch über einen entsprechenden Schulbesuch im Iran bzw. berufliche Erfahrungen in diversen Sparten. Darüber hinaus ist der Kläger auch auf die Inanspruchnahme staatlicher Rückkehrhilfen zu verweisen, die bei der Gefahrenprognose zu einem nationalen Abschiebungsverbot zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – BVerwGE 175, 227 ff.).
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Damit liegt aber ein außergewöhnlicher Fall, in dem die humanitären Gründe gegen eine Abschiebung in den Zielstaat Irak „zwingend“ sind, beim Kläger nicht vor. Der Kläger dürfte aufgrund seiner persönlichen Situation durchaus in der Lage sein, seine elementaren Bedürfnisse trotz der im Allgemeinen schwierigen Bedingungen sicherstellen zu können.
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Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist ebenso nicht feststellbar.
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Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen vor, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Dieser Vorschrift setzt eine individuelle und konkrete zielstaatsbezogene Gefahr voraus (BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – juris Rn. 3 ff.). Die befürchtete Verschlechterung muss zu einer erheblichen Gesundheitsgefahr führen, also eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität erwarten lassen (vgl. BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 118.05 – juris Rn. 4). Solange diese Grenzen nicht überschritten sind, ist es wiederum unerheblich, sofern die medizinische Versorgung im Zielstaat nicht mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG).
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Anhand dieser Maßstäbe lässt sich aus dem klägerischen Vortrag nicht auf ein Abschiebungsverbot schließen. Der Kläger hat im Verfahren keinerlei gesundheitliche Einschränkungen geltend gemacht. Er hat sich selbst als gesund und erwerbsfähig bezeichnet.
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Damit liegen im Ergebnis keine Gründe vor, welche die hilfsweise beantragte Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Irak rechtfertigen.
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4. Die Ausreiseaufforderung und die gleichzeitig erfolgte Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG, § 38 Abs. 1 AsylG begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Gleiches gilt für die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf der Grundlage des § 11 Abs. 1, 2 AufenthG. Das Bundesamt hat insoweit das ihm zukommende Ermessen erkannt und dieses im Rahmen der eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung nach § 114 VwGO ordnungsgemäß ausgeübt.
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5. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83b AsylG.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO.