Inhalt

VG Augsburg, Beschluss v. 28.10.2024 – Au 2 K 24.30934
Titel:

Einstellung des Asylverfahrens wegen Nichterscheinens zur Anhörung trotz Ladung über Rechtsanwalt

Normenketten:
VwGO §§ 114 ff., § 166
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
AsylG § 25, § 33 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7
Leitsätze:
1. Die Ladungen zur Anhörung – wie auch die darin enthaltenen Hinweise gem. § 33 Abs. 4 AsylG – können über die Klägerbevollmächtigten erfolgen; einer (zusätzlichen) Ladung des Klägers persönlich bedarf es nicht. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Verschulden der Bevollmächtigten, welches darin liegt, dass dem Kläger die Ladung, wie für ihn vorgetragen wurde, "versehentlich" durch die Klägerbevollmächtigten nicht weitergeleitet bzw. der Kläger von diesen auch nicht anderweitig informiert wurde, muss sich der Kläger zurechnen lassen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylrecht Somalia, Prozesskostenhilfe, Einstellung des Asylverfahrens wegen Nichterscheinens zur Anhörung, Ladung über Rechtsanwalt ausreichend, Zurechnung von Anwaltsverschulden, Einstellung des Asylverfahrens, Nichterscheinens zur Anhörung, Ladung über Rechtsanwalt
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33704

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für seine Klage, mit der er sich gegen die Einstellung seines Asylverfahrens wendet sowie (hilfsweise) die Anerkennung als Asylberechtigter begehrt.
2
Nach Aktenlage der Beklagten ist der Kläger somalischer Staatsangehöriger. Am 19. Juni 2023 stellte er (durch das zuständige Jugendamt, welches von einem Geburtsdatum ... 2006 ausging) in der Bundesrepublik einen Asylantrag.
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Mit Bescheid vom 18. Oktober 2023 lehnte die Beklagte durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an. Ein beim Verwaltungsgericht Augsburg gestellter Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO blieb ohne Erfolg (VG Augsburg, B.v. 30.10.2023 – Au 2 S 23.50397). Mit Schreiben vom 3. Mai 2024 hob das Bundesamt den Bescheid vom 18. Oktober 2023 wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf. Das zugehörige Klageverfahren (Au 2 K 23.50396) wurde nach übereinstimmender Erledigterklärung eingestellt; bereits in diesem Klageverfahren hatten die Klägerbevollmächtigten unter Vorlage einer Vollmacht die Vertretung des Klägers angezeigt (vgl. Bundesamtsakte Bl. 386 ff.).
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Mit an die Klägerbevollmächtigten gerichtetem Schreiben vom 21. Mai 2024 lud das Bundesamt den Kläger zur persönlichen Anhörung am 10. Juni 2024 in Augsburg. Zu diesem Termin erschien der Kläger nicht. Gemäß Aktenvermerk des Bundesamts vom 26. Juni 2024 bestätigten die Klägerbevollmächtigten an diesem Tag telefonisch die Mandatierung durch den Kläger. Mit Schreiben vom 4. Juli 2024 teilten die Klägerbevollmächtigtem dem Bundesamt mit, die Ladung für den 21. Mai 2024 sei bei ihnen untergegangen. Der Kläger werde umgehend informiert, sobald eine Ladung für einen neuen Termin eingehe.
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Mit Schreiben vom 7. August 2024 lud das Bundesamt den Kläger zu einer persönlichen Anhörung am 13. September 2024. Zu diesem Termin erschien der Kläger wiederum nicht. Gemäß Vermerk des Bundesamts vom gleichen Tag war die Ladung elektronisch am 7. August 2024 zugestellt worden.
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Mit Bescheid vom 18. September 2024 – eingegangen bei den Klägerbevollmächtigten am 23. September 2024 – stellte das Bundesamt das Asylverfahren gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylG ein (1.). Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes lägen nicht vor (2.). Dem Kläger wurde die Abschiebung nach Somalia angedroht (3.). 4. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (4.). Wegen der Einzelheiten wird auf die Begründung des Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG).
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Der Kläger ließ am 7. Oktober 2024 Klage zum Verwaltungsgericht erheben. Er beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 18. September 2024 zu verurteilen, das Asylverfahren fortzusetzen,
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hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen.
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Gleichzeitig stellte er einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
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Grund für das Nichterscheinen des Klägers sei ausschließlich gewesen, dass nur an die Kanzlei der Klägerbevollmächtigten zugestellt worden sei, nicht aber an den Kläger unter seinen Wohnanschrift. Durch ein Versehen in der Kanzlei sei die Weiterleitung der Ladung an den Kläger unterblieben. Das Nichterscheinen sei daher entschuldigt. Das Versehen seines Bevollmächtigten könne dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, selbst wenn dem Bundesamt eine Verfahrensvollmacht vorläge. Der Ladung komme auch selbst keine rechtliche Wirkung zu. Der Bevollmächtigte würde rein als Bote eingesetzt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen
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und bezieht sich auf den streitgegenständlichen Bescheid.
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Mit Beschluss vom 17. Oktober 2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtssowie die Bundesamtsakten Bezug genommen.
II.
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1. Über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war ungeachtet dessen zu entscheiden, dass der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2024 hat mitteilen lassen, dass er eine Wiederaufnahme des Asylverfahrens beantragen werde und das Bundesamt ihm eine Fortführung in Aussicht gestellt habe. Die vorliegende Klage ist nach wie vor anhängig; dem soeben geschilderten Vorbringen des Klägers ist nichts dafür zu entnehmen, dass der Prozesskostenhilfeantrag nicht weiterverfolgt werde. Im Übrigen könnte der Kläger seinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegend auch im Fall der Hauptsacheerledigung weiterverfolgen und rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung Prozesskostenhilfe erhalten, da sein entsprechender Antrag rechtzeitig und vollständig vor dem Abschluss des Verfahrens gestellt worden war (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2020 – 10 C 20.882 – juris Rn. 4 m.w.N.)
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2. Der Prozesskostenhilfeantrag war abzulehnen. Die Rechtsverfolgung bietet im Hauptwie im Hilfsantrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es spricht alles dafür, dass das Bundesamt mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 18. September 2024 zu Recht das Asylverfahren des Klägers eingestellt hat und dass dem Kläger auch kein – wie hilfsweise beantragt – Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter zusteht (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
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2.1 Aller Voraussicht nach zu Recht hat das Bundesamt das Asylverfahren des Klägers eingestellt, weil er zu seiner persönlichen Anhörung nicht erschienen ist.
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Gem. § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylG stellt das Bundesamt das Verfahren ein oder lehnt den Asylantrag nach angemessener inhaltlicher Prüfung ab, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Gem. § 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG wird u.a. dann vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist. Vorliegend ist der Kläger den Aufforderungen des Bundesamts zur persönlichen Anhörung vom 21. Mai 2024 (für den 10.6.2024) und vom 7. August 2024 (für den 13.9.2024) nicht nachgekommen. Zutreffend erfolgten die Ladungen – wie auch die darin enthaltenen Hinweise gem. § 33 Abs. 4 AsylG – über die Klägerbevollmächtigten; einer (zusätzlichen) Ladung des Klägers persönlich bedurfte es nicht (vgl. Blechinger in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 1.7.2024, § 33 AsylG Rn. 37; zutreffend auch VG Schwerin, 28.04.2021 – 15 B 402/21 SN – juris Rn. 13 ff.). An der Bevollmächtigung der Klägerbevollmächtigten bestehen keine Zweifel, nachdem die Klägerbevollmächtigten gemäß Aktenvermerk des Bundesamts vom 26. Juni 2024 telefonisch die bestehende Mandantschaft bestätigt und mit Schreiben vom 4. Juli 2024 dem Bundesamt mitgeteilt hatten, dass „unsere Mandantschaft“ – also der Kläger – von der Anhörung am 10. Juni 2024 nicht informiert wurde. Einer Ladung des Klägers persönlich bedurfte es im vorliegenden Fall auch deshalb nicht, weil seine Bevollmächtigten in dem Schreiben vom 4. Juli 2024 ausdrücklich um eine neue Ladung gebeten sowie mitgeteilt hatten, den Kläger als Mandantschaft zu informieren, sobald eine neue Ladung eingehe.
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Die Vermutung nach § 33 Abs. 2 Satz 1 AsylG ist nicht gem. § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG widerlegt. Das Versäumnis des Nichterscheinens zur Anhörung war nicht auf Umstände zurückzuführen, auf die der Kläger keinen Einfluss hatte. Das Verschulden seiner Bevollmächtigten, welches darin liegt, dass dem Kläger die Ladung, wie für ihn vorgetragen wurde, „versehentlich“ durch die Klägerbevollmächtigten nicht weitergeleitet bzw. der Kläger von diesen auch nicht anderweitig informiert wurde, muss sich der Kläger zurechnen lassen (vgl. VG Cottbus, B.v. 16.12.2021 – 1 L 374/21.A – juris Rn. 19; VG Schwerin, B.v. 20.02.2018 – 15 B 2/18 SN – juris Rn. 22 f.; VG Würzburg, B.v. 24.3.2017 – W 5 S 17.31216 – juris Rn. 27).
22
Die Abschiebungsandrohung (Nr. 3 des Bescheids vom 18.9.2024) beruht auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG; Bedenken sind insoweit weder vorgetragen noch ersichtlich.
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2.2 Die Klage wird aller Voraussicht nach auch hinsichtlich des hilfsweise geltend gemachten Anspruchs auf Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16a GG) ohne Erfolg bleiben. Wegen der strikten Trennung zwischen Zulässigkeits- und Sachprüfungsverfahren ist in der vorliegenden Konstellation eine Klage auf Zuerkennung einer Statusentscheidung schon nicht statthaft (vgl. Wittmann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, § 33 AsylG Rn. 69); bei Einstellung des Asylverfahrens nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AsylG nimmt das Bundesamt gerade keine inhaltliche Prüfung des Asylverfahrens vor.
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Soweit das Bundesamt im streitgegenständlichen Bescheid Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG verneint hat (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 2 AsylG), bezieht sich der als Verpflichtungsbegehren formulierte Hilfsantrag hierauf nicht; angesichts seines eindeutigen Wortlauts, der nur die Asylberechtigung umfasst, und seiner Formulierung durch einen Rechtsanwalt ist eine Auslegung dahin, dass die Zuerkennung von Abschiebungsverboten (mit-) umfasst sein könnte, nicht möglich. Vorsorglich folgt das Gericht den Feststellungen und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids (S. 2 f.) gem. § 77 Abs. 3 AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
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