Inhalt

VG Würzburg, Beschluss v. 23.10.2024 – W 8 S 24.50407
Titel:

Selbsteintrittsrecht zur Wahrung der Familieneinheit bei unterschiedlichen Abschiebungsanordnungen (hier Schweden und Kroatien)

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 34a
Dublin III-VO Art. 17
GG Art. 6
EMRK Art. 8
Leitsatz:
Hat ein Antragsteller die familiäre Lebensgemeinschaft im Herkunftsstaat nicht freiwillig aufgegeben und ist es seinen Familienangehörigen nicht möglich und zumutbar, zur Vermeidung einer Trennung gemeinsam mit ihm in das Heimatland oder ein anderes Land zurückzukehren und kann keine zuverlässige Prognose darüber gestellt werden, welchen Trennungszeitraum die Familie zu erwarten hätte, wenn zwei unterschiedliche Abschiebungsanordnungen (hier nach Schweden bzw. Kroatien) oder auch nur eine davon vollzogen würden, überwiegt das Interesse am Verbleib bei der Familie in Deutschland das öffentliche Interesse mit den einwanderungspolitischen Zielsetzungen. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Dublin-Folgeverfahren, türkischer Staatsangehöriger, Abschiebungsanordnung nach Schweden, ernstliche Zweifel an Ablehnung des Selbsteintrittsrechts, parallele Abschiebungsanordnung für Frau und fünf bzw. sieben Jahre alte Töchter nach Kroatien, unzumutbare Aufhebung der familiären Lebensgemeinschaft auf unbestimmte Zeit, keine sichere Prognose über zu erwartenden Trennungszeitraum, Schweden, Selbsteintrittsrecht, Abschiebungsanordnung, Familienverband, Kroatien, Trennung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33684

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. August 2024 wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich in einem Dublin-Folgeverfahren gegen die Abschiebungsanordnung nach Schweden.
2
Der Antragsteller verließ nach eigenen Angaben sein Herkunftsland im Juni 2021 und reiste unter anderem über Rumänien und Deutschland nach Schweden und im Juli 2023 wieder nach Deutschland. Der Antragsteller stellte am 14. August 2023 einen förmlichen Asylantrag. Im Rahmen der Anhörung erklärte er: Er sei in der Türkei mehrfach verfolgt und gefoltert worden. In Deutschland habe man ihm gesagt, er werde nach Rumänien zurückgeschickt. Er sei im Herbst 2021 über Dänemark nach Schweden gereist und habe dort einen Asylantrag gestellt. Eine Entscheidung habe er nicht enthalten. Er glaube, er sei zwei Jahre und drei Monate in Schweden gewesen und von dort wieder nach Deutschland gereist. Er habe zu seiner Frau und beiden Töchtern gewollt, die ungefähr zur gleichen Zeit nach Deutschland gekommen seien.
3
Auf ein Übernahmeersuchen erklärten die schwedischen Behörden mit Schreiben vom 11. Oktober 2023 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO.
4
Mit Bescheid vom 9. November 2023 wurden die Asylanträge der Ehefrau und der zwei Kinder des Antragstellers als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung für diese nach Kroatien angeordnet.
5
Mit Bescheid vom 16. November 2023 lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als unzulässig ab und ordnete für den Antragsteller die Abschiebung nach Schweden an. Der Bescheid wurde nicht angefochten. Der Antragsteller wurde nach Schweden abgeschoben.
6
Mit Beschluss vom 17. Mai 2024 ordnete das Verwaltungsgericht Ansbach im Verfahren AN 14 S 23.50795 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge betreffend die Ehefrau und die Kinder des Antragstellers an. Zur Begründung führte das VG Ansbach aus: Kroatien sei nicht zuständig, sondern die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 8 bis 10 Dublin III-VO. Die Frist, in der die dortigen Antragstellerinnen nach Schweden überstellt werden könnten, sei abgelaufen.
7
Auf Anfrage des VG Ansbach lehnte die Antragsgegnerin die Ausübung des Selbsteintritts am 21. Mai 2024 ab. Sie erklärte dazu, Kroatien sei für den Asylantrag der Antragstellerinnen zuständig und habe auch zugestimmt. Art. 6 GG und Art. 8 EMRK geböten regelmäßig nicht, dem Wunsch nach Zusammenleben im Bundesgebiet zu entsprechen, wenn die Familienangehörigen in Deutschland keinen Lebensmittelpunkt gefunden hätten. Die Familienangehörigen hätten in Deutschland kein gesichertes Aufenthaltsrecht und keinen Anspruch auf Einräumung eines Daueraufenthaltsrechts. Überdies sei festzuhalten, dass die Trennung der Familienmitglieder nach eigenen Angaben freiwillig über die Jahre hinweg aufgegeben worden sei. Die Antragsteller seien somit darauf zu verweisen, dass die Familienzusammenführung vom jeweils zuständigen Mitgliedstaat Kroatien bzw. Schweden aus betrieben werde.
8
Der Antragsteller reiste am 13. Juni 2024 wieder in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 18. Juni 2024 erneut die Durchführung eines Asylverfahrens. Die schwedischen Behörden erklärten auf ein weiteres Übernahmeersuchen hin mit Schreiben vom 9. Juli 2024 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. c Dublin III-VO. Der Kläger erklärte bei einer Anhörung am 25. Juli 2024 im Wesentlichen: Seine Frau und seine Töchter seien hier. Weil es wegen des NATO-Beitritts politische Probleme in Schweden gebe, würden Personen von Schweden in die Türkei geschickt. Die Frau und die Töchter seien von Kroatien nach Bosnien geschickt worden.
9
Mit Bescheid vom 28. August 2024 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Durchführung eines Asylverfahrens als unzulässig ab (Nr. 1). Weiter stellte es fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Schweden wurde angeordnet (Nr. 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4). Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Der erneute Antrag auf Durchführung eines Asylverfahrens könne gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG abgelehnt werden, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht vorlägen. Daher werde der Asylantrag in Deutschland nicht materiell geprüft. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Dem schwedischen Zustimmungsschreiben vom 9. Juli 2024 sei zu entnehmen, dass der Antragsteller seinen Asylantrag in Schweden zurückgezogen habe. Es sei darauf hinzuweisen, dass es dem Antragsteller auch weiterhin freistehe, die Wiederaufnahme des Verfahrens in Schweden zu beantragen, soweit hierfür die erforderlichen Voraussetzungen gegeben seien. In Schweden bestünden keine systemischen Mängel. Die Stellung eines Folgeantrags sei nach schwedischen Recht möglich. Auch Dublin-Rückkehrende hätten in Schweden Zugang zum Asylverfahren und auf die übliche Versorgung. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintritt gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Die Ehefrau und die beiden Töchter des Antragstellers befänden sich ebenfalls in Deutschland im Asylverfahren. Die Ehe sei nicht durch Dokumente belegt worden. Eine zivilrechtliche Eheschließung wäre erforderlich gewesen. Die angegebene Lebensgefährtin sei daher keine Familienangehörige. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse seien nicht ersichtlich. Insbesondere folge ein Abschiebungshindernis nicht aus der Wahrung der Familieneinheit gemäß Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK. Ein Asylbewerber müsse in Kauf nehmen, dass ein Asylverfahren in einem anderen, für ihn zuständigen Mitgliedstaat durchgeführt werde. Es bestehe im Allgemeinen kein Anspruch von Partnern auf die Durchführung ihrer Asylverfahren im selben Mitgliedstaat.
10
Am 13. September 2024 ließ der Antragstelller Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid beim VG Ansbach erheben und im vorliegenden Sofortverfahren beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. August 2024 anzuordnen.
11
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 20. September 2024, den Sofortantrag abzulehnen.
12
Der Antragsteller ließ durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2024 zur Antragsbegründung vorbringen, dass eine Abschiebung bereits deshalb rechtswidrig wäre, da die Ehefrau des Antragstellers und seine Kinder in Deutschland befindlich seien und eine Trennung der Familieneinheit nicht in Frage komme. Die Begründung der Antragsgegnerin, die Ehe sei nicht nachgewiesen, sei nicht nachvollziehbar. Die Eheurkunde sei im Verwaltungsverfahren (auch damals bei der Ehefrau schon) mehrfach vorgelegt worden.
13
Die Antragsgegnerin erwiderte dazu mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2024: Unabhängig von der nunmehr ins Verfahren eingebrachten Heiratsurkunde, deren Echtheit nicht geprüft sei, sei festgestellt, dass das bisherige Fehlen nicht allein ausschlaggebend für die Entscheidung gewesen sei und sei, das Selbsteintrittsrecht nicht auszuüben.
14
Mit Beschluss vom 17. Oktober 2024 verwies das VG Ansbach im Verfahren AN 14 S 14.50654 den Rechtsstreit an das zuständige Verwaltungsgericht Würzburg (ebenso im Klageverfahren AN 14 K 24.50655 mit Beschluss vom 18.10.2024).
15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Klageverfahrens W 8 K 24.50408) sowie auf die beigezogenen Behördenakten (einschließlich der Akten betreffend die Ehefrau und die Töchter des Antragstellers).
II.
16
Der Eilantrag, der als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach Schweden unter Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids zu verstehen ist (§ 88 VwGO i.V.m. § 122 VwGO), ist zulässig und begründet.
17
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist gemäß § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG statthaft und auch sonst zulässig.
18
Der Antrag ist begründet.
19
Nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine Ermessensentscheidung, in deren Rahmen das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegen das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin abgewogen wird. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO erforderliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei provisorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
20
Die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides erweist sich bei summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig, weil in der vorliegenden Fallkonstellation mit Blick auf Art. 6 GG und 8 EMRK ernstliche Zweifel an einer Abschiebung des Antragstellers nach Schweden vorliegen.
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Zwar ist im Ausgangspunkt die Zuständigkeit Schwedens für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) Dublin III-VO grundsätzlich gegeben; insbesondere liegen keine systemischen Mängel in Schweden vor. Insofern kann auf die zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen werden (siehe auch schon den Bescheid vom 16.11.2023 im Erstverfahren).
22
Jedoch bestehen aufgrund des in Deutschland bestehenden Familienverbandes und der hier gelebten familiären Gemeinschaft des Antragstellers mit seiner Ehefrau und den beiden minderjährigen Töchtern ernstliche Zweifel daran, dass die Antragsgegnerin den Anspruch des Antragstellers auf Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO in rechtmäßiger Weise abgelehnt hat. Für einen Selbsteintritt kommen vornehmlich familiäre Gründe sowie weitere humanitäre Kriterien in Betracht. Die grundsätzliche Wahrung der Familieneinheit ist ein ganz maßgebliches Ziel der Dublin III-VO. So sollen nach den Erwägungsgründen 13 und 14 der Dublin III-VO bei der Anwendung der Regelungen der Dublin III-VO das Wohl des Kindes und auch die Achtung des Familienlebens vorrangige Erwägungen der Mitgliedstaaten sein. Erwägungsgrund 15 der Dublin III-VO betont, dass mit der gemeinsamen Bearbeitung der von den Mitgliedern einer Familie gestellten Anträge auf internationalen Schutz durch ein und denselben Mitgliedstaat insbesondere sichergestellt werden kann, dass die Mitglieder einer Familie nicht voneinander getrennt würden (vgl. VG München, U.v. 21.6.2024 – M 10 K 23.51003 – juris Rn. 21; U.v. 20.9.2023 – M 10 K 21.5360 – juris Rn. 21; m.w.N.).
23
Aus Art. 7 GRCH, Art. 8 Abs. 1 EMRK und aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG ergibt sich der Schutz des Familienlebens. Zwar resultiert daraus kein unmittelbarer Anspruch auf Aufenthalt. Gleichwohl ist die Antragsgegnerin in der vorliegenden Fallkonstellation verpflichtet, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen. Voraussetzung ist stets eine schutzwürdige echte familiäre Beziehung im Sinne einer Beistandsgemeinschaft. Die Pflicht des Staates, die Familie zu schützen, drängt regelmäßig einwanderungspolitische Belange zurück, wenn die Lebensgemeinschaft zwischen einem Ausländer und seinem Kind nur in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden kann (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 – 2 BvR 586/13 – NVwZ 2013, 1207, 1208; B.v. 30.1.2002 – 2 BvR 231/00 – juris Rn. 22). Teilen dagegen Ehegatte und ein etwaiges minderjähriges Kind die Staatsangehörigkeit des Ausländers, ohne zugleich deutscher Staatsangehöriger zu sein, so kann die Berücksichtigung des Schutzes von Ehe und Familie nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich nur geringeres Gewicht beanspruchen. So kann ein rechtliches Abschiebungshindernis nicht anerkannt werden, wenn es Familienangehörigen möglich und zumutbar ist, zur Vermeidung einer Trennung mit dem Ausländer zusammen in das gemeinsame Heimatland oder ein anderes Land zurückzukehren bzw. ihm dorthin zu folgen. Denn Art. 6 Abs. 1 GG gewährleistet nicht das Recht, die familiäre Lebensgemeinschaft in Deutschland zu führen, wenn diese auch in einem anderen Land zumutbar und möglich ist (vgl. BVerwG, U.v. 30.4.2009 – 1 C 3.08 – juris Rn. 18; VG München, U.v. 21.6.2024 – M 10 K 23.51003 – juris Rn. 22 f.; U.v. 20.9.2023 – M 10 K 21.5360 – juris Rn. 2.Rn. 22.; jeweils m.w.N.).
24
Ausgehend von diesen Grundsätzen hält die Entscheidung der Antragsgegnerin zur Abschiebungsanordnung nach Schweden im streitgegenständlichen Bescheid – verbunden mit einer (vorübergehenden) Trennung des Antragstellers von seiner Frau und den beiden minderjährigen Töchtern – einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
25
Zum einen ist schon festzuhalten, dass der Antragsteller eine Heiratsurkunde vorgelegt hat, von deren Echtheit einstweilen auszugehen ist, jedenfalls fehlen gegenteilige Anhaltspunkte. Eine nähere Prüfung bleibt gegebenenfalls dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Zum anderen und gravierend fällt ins Gewicht, dass der Antragsteller ebenso wie seine Ehefrau auf die beiden leiblichen Töchter in Deutschland verweist. Diese sind fünf bzw. sieben Jahre alt. Die Vaterschaft hat die Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogen. Des Weiteren ist festzuhalten, dass die Familie zurzeit in Deutschland in einer Lebens- und Beistandsgemeinschaft zusammenlebt. Dem ist nicht durchschlagend entgegenzuhalten, dass der Antragsteller schon im Jahr 2021 sein Herkunftsland verlassen habe und sie sich so „freiwillig“ von seiner Familie getrennt hätten. Denn der Antragsteller weist auf eine politische Verfolgung in der Türkei hin, ohne dass dies bislang näher zu prüfen war und geprüft wurde, sodass eine einstweilige gemeinsame Rückkehr der Familie in die Türkei derzeit auch keine rechtlich zulässige Option ist. Die Ehefrau des Antragstellers hat zudem in ihrem Verfahren angegeben, sie hätten viele Wege ausprobiert, um sich und ihre zwei Töchter nach Deutschland zu bringen. Letztlich seien sie gezwungen gewesen über Kroatien zu reisen und hätten da Fingerabdrücke abgeben müssen. Ziel sei aber Deutschland gewesen. Denn sowohl die Kinder als auch sie selbst bräuchten den Vater bzw. Ehemann.
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Des Weiteren ist festzuhalten, dass die Ehefrau und die zwei minderjährigen Töchter seitens der Antragsgegnerin eine Abschiebungsanordnung nach Kroatien erhalten haben, während die Abschiebungsanordnung betreffend den Antragsteller nach Schweden geht. Das VG Ansbach hat mit Beschluss vom 17. Mai 2024 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (AN 14 S 23.50795) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach Kroatien angeordnet, weil es die Antragsgegnerin für zuständig hält. Dem ist wiederum die Antragsgegnerin im Nachgang entgegengetreten und hat die Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts abgelehnt. Das Hauptsacheverfahren beim VG Ansbach ist noch offen. Wann und mit welchem Ausgang die Entscheidung in der Hauptsache dort erfolgt, ist derzeit nicht absehbar.
27
Eine Trennung der Familie mit den beiden kleinen Kindern ist in der der vorliegenden Konstellation rechtlich nicht zumutbar.
28
Selbst wenn man von einer möglichen Abschiebung der Ehefrau und der Kinder nach Kroatien und von der dortigen Durchführung eines Asylverfahrens ausgehen wollte, ist völlig unklar, wie lange dies dauern und wie dieses ausgehen würde. Völlig ungeklärt ist in dem Zusammenhang weiter, ob und wann die Möglichkeit bestünde, dass der Antragsteller noch nach Kroatien kommen könnte, um dort die Familie zusammen zu führen.
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Umgekehrt ist gleichermaßen das Asylverfahren des Antragstellers in Schweden offen. Die schwedischen Behörden haben der Antragsgegnerin unter anderem mitgeteilt, dass wohl zunächst vorgesehen gewesen sei, den Antragsteller im Jahr 2021 nach Rumänien abzuschieben. Das spätere Asylverfahren im Jahr 2022 sei eingestellt worden, nachdem der Schwäger Schweden abermals verlassen hatte. Auch der erneute Asylantrag im Jahr 2024 sei erneut infolge der Abwesenheit des Antragstellers eingestellt worden. Auch unter diesen Vorzeichen ist nicht ersichtlich, wie lange ein gegebenenfalls weiteres – wohl Folgeverfahren – des Antragstellers in Schweden dauern würde und welchen Ausgang dies nehmen könnte. Gleichermaßen ist offen, ob und wann der Antragsteller gegebenenfalls die Frau und seine Kinder nach Schweden nachkommen lassen könnte.
30
Zumindest im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens lässt sich damit weder für Kroatien noch für Schweden prognostizieren, ob und wann einerseits der Antragsteller nach Kroatien bzw. umgekehrt die Ehefrau und die Töchter nach Schweden kommen könnten und wie lange eine, wenn auch nur vermeintlich vorübergehende Trennung, dauern würde. Nach alledem würde eine Abschiebung des Antragstellers nach Schweden bei lebensnaher Betrachtung die Trennung auch von den beiden fünf und sieben Jahren alten Töchtern auf unbestimmte Zeit bedeuten.
31
Berücksichtigt man, dass der Antragsteller und seine familiäre Lebensgemeinschaft – wegen der vorgetragenen Verfolgung des Antragstellers in der Türkei – nicht freiwillig aufgegeben haben und dass eine zuverlässige Prognose darüber nicht gestellt werden kann, welchen Trennungszeitraum die Familie zu erwarten hätte, wenn die beiden Abschiebungsanordnungen der Antragsgegnerin (nach Schweden bzw. Kroatioen) oder auch nur eine davon vollzogen würden, so lässt sich auch nicht zuverlässig feststellen, ob eine nur vorübergehende Trennung dann für die vor allem auch betroffenen Kinder zumutbar wäre.
32
Unter diesen Vorzeichen überwiegt das einstweilige Aussetzungsinteresse des Antragstellers am Verbleib bei seiner Familie in Deutschland dem öffentlichen Interesse mit den einwanderungspolitischen Zielsetzungen an einer sofortigen Abschiebung nach Schweden.
33
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.