Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 11.10.2024 – W 5 K 23.966
Titel:

Erfolgreiche Anfechtungsklage gegen Versagung einer sanierungsrechtliche Genehmigung für PV-Anlage wegen Fiktionseintritts

Normenkette:
BauGB § 14 Abs. 1, § 22 Abs. 5, § 144 Abs. 1, Abs. 2, § 145
Leitsatz:
Der Ablauf der gesetzlichen Bearbeitungsfrist und damit der Eintritt der Genehmigungsfiktion kann nicht dadurch gehindert worden, dass die Behörde mitteilt, die Prüfung des Antrags könne innerhalb der Ein-Monats-Frist nicht abgeschlossen werden, vielmehr muss die Frist vor ihrem Ablauf in einem Zwischenbescheid (VA) um den Zeitraum - höchstens 3 Monate -verlängert werden, der notwendig ist, um die Prüfung abzuschließen. (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
sanierungsrechtliche Genehmigung, Anbringung einer wandparallelen Photovoltaikanlage, Genehmigungsfiktion, Zwischenbescheid, sachlicher Grund für die Verlängerung der Bearbeitungsfrist, Verlängerung „ins Blaue hinein“, Anfechtungsklage, Baurecht, PV-Anlage, vorsorgliche Fristverlängerung, Sanierungsgebiet, Erhaltungs- und Gestaltungssatzung, sachliche Gründe
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33681

Tenor

I. Ziffer 1 des Bescheids der Stadt R. vom 12. Juni 2023 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer sanierungsrechtlichen Genehmigung für die Anbringung einer wandparallelen PV-Anlage an das Wohnhaus auf dem Grundstück Fl.Nr. …6 der Gemarkung R., O. 2. in R. (Baugrundstück).
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1. Das Baugrundstück, das mit einem Wohnhaus bebaut ist, liegt im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet „Altstadt R.“ der Stadt R. (Beklagte). Es liegt des Weiteren im Geltungsbereich der Erhaltungs- und Gestaltungssatzung für die Altstadt R. vom 6. März 2023.
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Mit Formblattantrag vom 10. März 2023, eingegangen bei der Beklagten am 14. März 2023, stellte die Klägerin den Antrag auf sanierungsrechtliche Genehmigung nach § 144 Abs. 1 und 2 BauGB für die Erstellung einer wandparallelen PV-Fassadenanlage. Ausweislich der beigefügten Skizze sollen die 10 PV-Module mit einer Gesamtbreite von ca. 6 m und einer Höhe von ca. 3 m an der Giebelwand angebracht werden.
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Mit Schreiben vom 14. März 2023 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass es der „Stadt R. als Sanierungsträger wahrscheinlich nicht möglich (sei), eine fundierte Entscheidung binnen Monatsfrist zu treffen. Eine Erklärung in Bezug auf die sanierungsrechtlichen Genehmigungen können Sie bis spätestens 15.06.2023 erwarten (§ 145 i.V.m. § 22 Abs. 5 BauGB)“.
5
Das Planungsbüro H.-L. als Sanierungsberater der Beklagten äußerte sich im Rahmen der Beratung vom 3. Februar 2023 unter dem 27. Februar 2023: Das Anwesen der Klägerin liege außerhalb des Denkmalensembles „Altstadt R.“ und innerhalb des Bodendenkmals … sowie im förmlich festgesetzten Sanierungsgebiet „Altstadt R.“ und im räumlichen Geltungsbereich der Erhaltungs- und Gestaltungssatzung der Stadt R. Das Gebäude sei nicht historisch. Die geplante PV-Anlage sei nicht zulässig, da diese vom öffentlichen Raum aus einsehbar sei. Der PV-Anlage werde aus städtebaulicher Sicht nicht zugestimmt. Die bereits realisierte Photovoltaikanlage an der Gebäuderückfront sei weder genehmigt noch nach der Erhaltungs- und Gestaltungssatzung genehmigungsfähig und müsse daher rückgebaut werden.
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2. Der Stadtrat der Beklagten lehnte in seiner Sitzung vom 5. Juni 2023 den Antrag ab.
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Mit Bescheid vom 12. Juni 2023 entschied die Beklagte wie folgt:
„1. Die sanierungsrechtliche Genehmigung für das Errichten einer wandparallelen PV-Fassadenanlage für das Anwesen O. (Fl.-Nr. …6) der Gemarkung R. gemäß Antrag vom 10.03.2023 mit Verweis auf die Notiz der Sanierungsberaterin Frau H. vom …2023 wird nicht erteilt.“
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Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Klägerin habe mit Schreiben vom 10. März 2023 die sanierungsrechtliche Genehmigung für das Errichten einer wandparallelen PV-Fassadenanlage am Anwesen O. (Fl.Nr. …6) in der Gemarkung R. beantragt. Das Anwesen liege innerhalb des förmlich festgelegten Sanierungsgebietes und im Geltungsbereich der Gestaltungssatzung der Stadt R. Die Stadt R. sei für die Erteilung der sanierungsrechtlichen Genehmigung gem. § 144 Abs. 1 Nr. 1 BauGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 GO sachlich und örtlich zuständig. Rechtsgrundlage für die sanierungsrechtliche Genehmigung der Erstellung einer wandparallelen PV-Anlage sei § 145 Abs. 2 i.V.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 BauGB. Die sanierungsrechtliche Genehmigung für die Errichtung einer wandparallelen PV-Anlage habe verwehrt werden können, da durch die geplante Baumaßnahme der Grund zur Annahme bestehe, dass hierdurch die Durchführung der für das Sanierungsgebiet geltenden Gestaltungssatzung unmöglich werde, die Umsetzung der Satzung wesentlich erschwert werde oder die Baumaßnahme den Zielen und Zwecken der geltenden Satzung zuwiderlaufe. Die Stellungnahme der Sanierungsberaterin der Stadt R. sei bei der Beurteilung des Sachverhaltes berücksichtigt worden.
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Der am 14. März 2023 durch die Klägerin gestellte Antrag auf Erteilung einer „isolierten Abweichung/Ausnahme/Befreiung“ von örtlichen Bauvorschriften, von der Erhaltungs- und Gestaltungssatzung/Altstadt R. vom 23. Dezember 2022, Punkt 9.1, Unterpunkt 7, für die Erstellung einer wandparallelen PV-Fassadenanlage wurde mit Ziffer 2 des Bescheids vom 12. Juni 2023 abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Klage ist Gegenstand des Verfahrens W 5 K 23.967.
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3. Am 13. Juli 2023 ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben mit dem zuletzt gestellten Antrag,
Ziffer 1 des Bescheids vom 12. Juni 2023 aufzuheben.
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Zur Begründung der Klage wurde vorgetragen: Die zulässige Klage sei begründet. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Erteilung der begehrten sanierungsrechtlichen Genehmigung. Der Ablehnungsbescheid sei rechtswidrig. Die Sanierungsgenehmigung gelte bereits aufgrund der Fiktion der § 145 Abs. 1 BauGB i.V. mit § 22 Abs. 5 Satz 3 BauGB als erteilt. Die mit Bescheid vom 14. März 2023 angeordnete Verlängerung der Frist sei unwirksam. Gemäß § 22 Abs. 5 Satz 2 BauGB könne zwar die Frist verlängert werden, wenn die Prüfung des Antrags nicht innerhalb der Regelfrist möglich sei, es müssten hierzu aber im konkreten Fall sachliche Gründe für die Verlängerung vorliegen. Eine bloß „vorsorgliche“ Verlängerung der Frist sei hingegen unzulässig. Die Beklagte sei verpflichtet, unter Einsatz ihrer gesamten Verwaltungskraft den Antrag nach Möglichkeit in der Regelfrist zu entscheiden. Nur wenn ihr das aus nachvollziehbaren Gründen nicht möglich sei, stehe ihr die Möglichkeit der Fristverlängerung zu. Die Beklagte habe jedoch vorliegend lediglich eine pauschal vorsorgliche Verlängerung erlassen. Dies ergebe sich aus einer Gesamtwürdigung der Verlängerungsumstände. Im Übrigen fehle jedweder Vortrag zu Sachgründen, welche die Verlängerungsentscheidung nachvollziehbar machen könnten. Der Stadtrat habe auch am 17. April 2023 und am 8. Mai 2023 getagt. Es sei nicht ersichtlich, warum eine Befassung des Stadtrats in diesen Sitzungen nicht möglich gewesen sein solle.
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Soweit das Gericht gleichwohl von einer wirksamen Verlängerung der Entscheidungsfrist über die sanierungsrechtliche Genehmigung ausgehe, sei diese jedenfalls rechtswidrig versagt worden. Die Versagung der sanierungsrechtlichen Genehmigung sei materiell rechtswidrig, weil ausreichende Versagungsgründe nicht vorlägen. Der Anspruch ergebe sich aus einem Umkehrschluss zu § 145 Abs. 2 BauGB. Die Beklagte gehe in ihrer Ablehnungsentscheidung jedoch nicht explizit auf die Ziele und Zwecke der Sanierung ein. Sie begründe die Ablehnung vielmehr damit, dass das Vorhaben die Durchsetzbarkeit der Gestaltungssatzung gefährde. Diese Heranziehung der parallel geltenden Gestaltungssatzung sei jedoch an dieser Stelle nicht Prüfungsmaßstab und demnach eine sachfremde Erwägung. Es werde zudem bezweifelt, dass das Vorhaben den Zielen und Zwecken einer vollumfänglich gültigen Sanierungssatzung widerspreche. Die pauschalen Ausführungen der Beklagtenseite zeigten nicht einmal im Ansatz auf, welche konkreten Sanierungsziele hier verletzt sein sollten.
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4. Die Beklagte ließ durch ihren Bevollmächtigten den Antrag stellen,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde vorgetragen: Der Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 2023 sei rechtmäßig und verletze auch in Ziffer 1 die Klägerin nicht in ihren Rechten. Es bestehe kein Anspruch auf die Erteilung der begehrten Befreiung. Es sei keine Genehmigungsfiktion eingetreten. Mit Schreiben vom 14. März 2023 sei der Klägerin mitgeteilt worden, dass eine fundierte Entscheidung innerhalb der Monatsfrist nicht möglich sei. Denn das zuständige Gremium habe am 20. März 2023 getagt, hierzu sei die Ladungs- und Vorbereitungsfrist viel zu kurz gewesen. Allein deshalb habe die Entscheidung auf die darauffolgende Sitzung gelegt werden müssen, um eine zeitnahe Entscheidung zu treffen, die aber auch in der Sache alle Punkte beinhalte. Es bestünden ausreichende Versagungsgründe, die im Bescheid vom 12. Juni 2023 dargelegt worden seien. Die geplante PV-Fassadenanlage verletze die allgemeinen Gestaltungsgrundsätze (§ 6 der Erhaltungs- und Gestaltungssatzung) und mache deren Umsetzung bei Realisierung des Projekts unmöglich. Die Sach- und Rechtslage sei der Klägerin im Laufe des Verfahrens mehrfach erläutert worden. Eine Realisierung einer einsehbaren PV-Anlage würde die Ziele einer Gestaltungssatzung untergraben, wenn das Altstadtbild in seiner Eigenart geschützt werden solle. Deshalb seien gerade PV-Anlagen nicht völlig ausgeschlossen, sondern müssten eben in Abstimmung mit der Beklagten jedenfalls nicht einsehbar sein. Deshalb sei der Antrag auf Genehmigung vorliegend abzulehnen gewesen.
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5. In der mündlichen Verhandlung wurde die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 11. Oktober 2024, auf die Gerichts- und Behördenakten sowie auf die Gerichtsakte im Verfahren W 5 K 23.967 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet.
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1. Die Klage ist zulässig.
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Die Klage ist als Anfechtungsklage gegen Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheids statthaft. Weiterhin ist die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO gegeben, da die Klägerin durch den ablehnenden – belastenden – Verwaltungsakt als dessen Adressatin möglicherweise in ihren Rechten verletzt ist (Art. 2 Abs. 1 GG).
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2. Die Klage ist zudem begründet.
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Ziffer 1 des Bescheids der Beklagten vom 12. Juni 2023, wonach die sanierungsrechtliche Genehmigung für das Errichten einer wandparallelen PV-Fassadenanlage für das Anwesen O. versagt wird, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Denn vorliegend ist gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. § 22 Abs. 5 Sätze 3 und 4 BauGB die sanierungsrechtliche Genehmigungsfiktion eingetreten, so dass die mit Formblattantrag vom 10. März 2023, eingegangen bei der Beklagten am 14. März 2023, beantragte Sanierungsgenehmigung als erteilt gilt. Im Einzelnen:
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2.1. Gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 BauGB bedürfen die in § 14 Abs. 1 BauGB bezeichneten Vorhaben und sonstigen Maßnahmen im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet der schriftlichen Genehmigung. Die Genehmigung darf gemäß § 145 Abs. 2 BauGB nur versagt werden, wenn Grund zur Annahme besteht, dass u.a. das Vorhaben oder die damit erkennbar bezweckte Nutzung die Durchführung der Sanierung unmöglich machen oder wesentlich erschweren oder den Zielen und Zwecken der Sanierung zuwiderlaufen würde.
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2.2. Nach § 145 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 BauGB i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 4 BauGB gilt eine sanierungsrechtliche Genehmigung als erteilt, wenn sie nicht innerhalb der gesetzlichen Bearbeitungsfrist versagt wird. Die gesetzliche Bearbeitungsfrist beträgt in den Fällen, in denen – wie hier – zusätzlich zur sanierungsrechtlichen Genehmigung keine bauaufsichtliche Genehmigung erforderlich ist und die Zuständigkeit für die Erteilung der sanierungsrechtlichen Genehmigung gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BauGB bei der Gemeinde und nicht der Baugenehmigungsbehörde liegt, gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 2 BauGB einen Monat. Diese Frist wird durch den Eingang des Genehmigungsantrages bei der Gemeinde in Lauf gesetzt (vgl. Schmitz in BeckOK BauGB Spannowsky/Uechtritz, 63. Ed. 1.8.2024, § 145 Rn. 7). Die Monatsfrist begann vorliegend mit dem Eingang des Antrags auf Sanierungsgenehmigung bei der Beklagten zu laufen, da dieser Antrag bei Einreichung prüffähig war. Es ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Antrag die erforderlichen Unterlagen nicht beigefügt gewesen wären. Der vollständige Genehmigungsantrag vom 10. März 2023 ist der Beklagten am 14. März 2023 zugegangen, so dass die einmonatige Frist am 15. März 2023 zu laufen begann (vgl. Art. 31 Abs. 1 BayVwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1 Satz 1 BGB). Bis zum Ablauf dieser gesetzlichen Bearbeitungsfrist am 14. April 2023 hat die Beklagte einen Ablehnungsbescheid nicht erlassen; dieser datiert vielmehr erst vom 12. Juni 2023.
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2.3. Der Ablauf der gesetzlichen Bearbeitungsfrist und mit ihm der Eintritt der Genehmigungsfiktion ist nicht dadurch gehindert worden, dass die Beklagte mit Schreiben vom 14. März 2023 (noch sonst wie) die Frist zur Entscheidung wirksam verlängert hätte. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:
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Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 3 BauGB ist in dem Fall, dass die Prüfung des Antrags innerhalb der Ein-Monats-Frist nicht abgeschlossen werden kann, die Frist vor ihrem Ablauf in einem dem Antragsteller mitzuteilenden Zwischenbescheid (also einem Verwaltungsakt, vgl. Dürr in Brügelmann, BauGB, Stand 119. EL Juli 2021, § 22 Rn. 41 m.w.N.) um den Zeitraum zu verlängern, der notwendig ist, um die Prüfung abzuschließen; höchstens jedoch um drei Monate.
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2.3.1. Zwar erfolgte das Schreiben der Beklagten vom 14. März 2023 vor Ablauf der Ein-Monats-Frist. Ob diesem Schreiben jedoch Verwaltungsaktqualität zukommt, ist angesichts seines offenen Wortlauts, wonach es der Beklagten „als Sanierungsträger wahrscheinlich nicht möglich (sei), eine fundierte Entscheidung binnen Monatsfrist zu treffen (und) eine Erklärung in Bezug auf die sanierungsrechtlichen Genehmigungen (…) bis spätestens 15.06.2023“ zu erwarten sei, bereits fraglich.
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2.3.2. Dies kann hier offenbleiben, denn es liegen jedenfalls die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des § 145 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 3 BauGB für eine wirksame Verlängerung der Ein-Monats-Frist hier nicht vor. Dem liegen folgende Erwägungen zugrunde:
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Die Genehmigungsbehörde ist verpflichtet, unter Einsatz ihrer gesamten Verwaltungskraft den Antrag nach Möglichkeit innerhalb der Regelfrist zu bescheiden. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass innerhalb dieser kurzen Genehmigungsfrist die erforderlichen Prüfungen grundsätzlich abgeschlossen werden können. Voraussetzung für die Verlängerung der gesetzlichen Bearbeitungsfrist ist, dass die Prüfung des Antrags in der Ein-Monats-Frist nicht abgeschlossen werden kann. Es müssen daher im konkreten Fall sachliche Gründe für die Notwendigkeit einer Verlängerung vorliegen (vgl. Söfker/Meurers in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 154. EL April 2024, § 22 Rn. 54b). Das setzt voraus, dass die Prüfung des Antrags wegen außergewöhnlicher rechtlicher oder tatsächlicher Schwierigkeiten trotz des Einsatzes eines zumutbaren Verwaltungsaufwandes innerhalb der Ein-Monats-Frist nicht abgeschlossen werden kann. Es muss sich mithin um einen außergewöhnlichen Sonderfall handeln (vgl. Dürr in Brügelmann, BauGB, Stand 119. EL Juli 2021, § 22 Rn. 41 m.w.N.; Jarass/Kment, BauGB, 2. Aufl. 2017, § 22 Rn. 16; VG Berlin, U.v. 18.12.2020 – VG 19 K 33/20 – BeckRS 2020, 37641 Rn. 27). Die Prüfung ist – ausweislich des Wortlauts des § 22 Abs. 5 Satz 3 BauGB (nur) „um den Zeitraum zu verlängern, der notwendig ist, um die Prüfung abschließen“ zu können. Auch insofern sind im Hinblick auf die der Genehmigungsbehörde grundsätzlich zumutbare schnelle Prüfungstätigkeit alle Möglichkeiten einer entsprechend beschleunigten Prüfung in Rechnung zu stellen. Die Frist darf nach § 22 Abs. 5 Satz 3 Halbs. 2 BauGB um höchstens drei Monate verlängert werden. Die Gründe für eine Verlängerung der Ein-Monats-Frist bedeuten nicht automatisch eine Ausschöpfung der Verlängerung um drei Monate; es handelt sich um eine höchstzulässige Verlängerungsfrist, die nur bei entsprechend gewichtigen Gründen ausgeschöpft werden darf. Eine Verlängerung der Frist bereits wenige Tage nach Eingang des Genehmigungsantrags „vorsorglich“, „ins Blaue hinein“, ist nicht möglich (vgl. VG Frankfurt/Oder, U.v. 1.3.2011 – 7 K 1008/08 – BeckRS 2011, 48443; Söfker/Meurers in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand 154. EL April 2024, § 22 Rn. 54b).
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Unter Zugrundelegung dieses rechtlichen Ausgangspunktes besteht vorliegend kein sachlicher Grund, die Entscheidungsfrist bis zum 15. Juni 2023 zu verlängern.
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Zum einen hat die Beklagte diese Verlängerung noch am Tag des Eingangs des Genehmigungsantrages „vorsorglich“ – also ins Blaue hinein – ausgesprochen, ohne dass überhaupt absehbar war, ob die Beklagte zur sachgerechten Bearbeitung des Genehmigungsantrages überhaupt einer Verlängerung der Bearbeitungsfrist – und wenn ja, mit welcher Zeitdauer – bedurfte. Dies ergibt sich nicht nur aus dem zeitlichen Moment, sondern auch aus der Formulierung im Schreiben der Beklagten, dass es der Beklagten „wahrscheinlich“ nicht möglich sei, eine Entscheidung binnen Monatsfrist zu treffen. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Prüfung nicht abgeschlossen werden kann, reicht aber für eine Verlängerung nicht aus, erforderlich ist vielmehr, dass feststeht, dass die Entscheidung nicht in der Monatsfrist getroffen werden kann. Es erscheint im Übrigen wenig plausibel – wie der Klägerbevollmächtigte vorträgt –, dass schon am Tag des Eingangs des Antrags bereits eine Würdigung der gesetzlich zulässigen Gründe erfolgt ist, die begründen können, dass die vom Gesetzgeber geregelte Regelfrist nicht eingehalten werden kann. Im Übrigen wurde von Beklagtenseite weder im Verwaltungsverfahren noch im Klageverfahren das geringste dafür vorgetragen und ist auch sonst nicht ersichtlich, warum die Bearbeitungsfrist hier ausgerechnet bis zum 15. Juni 2023, also um zwei Monate und einen Tag verlängert wurde.
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Tatsächlich lässt sich dem Ablauf der Ereignisse entnehmen, dass eine solche Verlängerung der Monatsfrist allenfalls um wenige Tagen und allerhöchstens um wenige Wochen erforderlich war. Denn ausweislich des Vortrags der Beklagten im gerichtlichen Verfahren lag der Grund für die verzögerte Bescheidung des sanierungsrechtlichen Genehmigungsantrags allein darin, dass in der offenen Frist keine Sitzung des Stadtrats der Beklagten stattgefunden hat. Der Beklagten ist insoweit zuzubilligen, dass für die Sitzung des Stadtrats am 20. März 2023 die Vorbereitungszeit nicht als ausreichend angesehen werden durfte, zumal die Ladungsfrist schon nicht eingehalten werden konnte (Der 1. Bürgermeister der Beklagten hat die Ladungsfrist in der mündlichen Verhandlung mit neun Tagen angegeben). Warum allerdings eine Befassung des Stadtrats in seinen darauffolgenden Sitzungen nicht hat erfolgen können, erschließt sich der Kammer nicht. Die Klägerseite hat insoweit – ohne dass dem die Beklagtenseite widersprochen hätte – unter Bezugnahme auf das Bürgerinformationssystem der Stadt Rieneck vorgetragen, dass weitere Sitzungen des Stadtrats am 17. April 2023 und am 8. Mai 2023 stattgefunden haben. Warum der Stadtrat der Beklagten an diesen Sitzungen über den sanierungsrechtlichen Genehmigungsantrag der Klägerin nicht entschieden hat, lässt sich weder den Akten entnehmen noch hat sich die Beklagte hierzu in irgendeiner Weise geäußert. Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, warum eine Befassung des Stadtrats mit dem klägerischen Antrag in diesen Sitzungen nicht möglich gewesen sein sollte. Auch insofern sind im Hinblick auf die der Genehmigungsbehörde grundsätzlich zumutbare schnelle Prüfungstätigkeit alle Möglichkeiten einer entsprechend beschleunigten Prüfung in Rechnung zu stellen, so dass eine Befassung in den vg. Sitzungsterminen auf jeden Fall möglich und geboten war, gleich welche sonstigen Tagesordnungspunkte sonst noch abzuhandeln gewesen sind.
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Im Übrigen mangelt es dem Schreiben der Beklagten vom 14. März 2023 schon ansatzweise an einer Begründung, d.h. an einer Anführung von Sachgründen, welche den Verlängerungsentscheid nachvollziehbar machen könnten. Gleiches gilt für den Vortrag im Klageverfahren, wenn dort lediglich als Grund für die Verlängerung benannt wird, dass die „Ladungs- und Vorbereitungszeit viel zu kurz“ gewesen sei und „allein deshalb (…) die Entscheidung auf die darauffolgende Sitzung gelegt werden“ musste, was aber erkennbar nicht richtig ist, weil – wie soeben dargelegt – nicht erst am 5. Juni 2023, sondern schon am 17. April 2023 und am 8. Mai 2023 Stadtratssitzungen stattgefunden haben.
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2.3.3. Bestand vorliegend kein sachlicher Grund, die Entscheidungsfrist bis zum 15. Juni 2023 zu verlängern, weil der Antrag jedenfalls unmittelbar nach der Stadtratssitzung vom 17. April 2023 bescheidungsfähig war, erweist sich der Zwischenbescheid als rechtswidrig.
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Entgegen der teilweise vertretenen abweichenden Ansicht (vgl. Spieß in Jäde/Dirnberger, BauGB – BauNVO, 10. Aufl. 2022, § 22 BauGB Rn. 22; Dürr in Brügelmann, BauGB, Stand 119. EL Juli 2021, § 22 Rn. 41) muss die Rechtswidrigkeit eines Zwischenbescheides nach § 145 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 BauGB i.V.m. § 22 Abs. 5 Satz 3 BauGB zur Überzeugung der Kammer dazu führen, dass die Genehmigung als erteilt gilt (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2023 – 9 C 23.867 – BeckRS 2023, 20732 Rn. 5; VG Berlin, U.v. 18.12.2020 – VG 19 K 33/20 – BeckRS 2020, 37641 Rn. 28; VG Frankfurt/Oder, U.v. 1.3.2011 – 7 K 1008/08 – BeckRS 2011, 48443; VG Ansbach, U.v. 12.5.2020 – AN 17 K 19.720 – BeckRS 2020, 28332 Rn. 25, 48; Grziwotz in BeckOK BauGB, Spannowsky/Uechtritz, 63. Ed. 1.8.2024, § 22 Rn. 38). Andernfalls wäre ein Bauherr insoweit rechtsschutzlos gestellt.
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Zur Klarstellung war der der Genehmigungsfiktion zeitlich nachfolgende Versagungsbescheid vom 12. Juni 2023 in seiner Ziffer 1 aufzuheben. Denn für eine Versagung ist angesichts des Fiktionseintritts kein Raum. Der Klägerin ging es darum, durch die Anfechtung der abgelehnten sanierungsrechtlichen Genehmigung den Rechtsschein einer Versagung zu beseitigen, und damit inzident um die Bestätigung einer fingierten Erteilung der erforderlichen sanierungsrechtlichen Genehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2023 – 9 C 23.867 – BeckRS 2023, 20732 Rn. 5).
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Nachdem die Klage aus den vg. Gründen sich als erfolgreich darstellt, kam es auf die weitere Frage, ob ausreichende Versagungsgründe im Sinne des § 145 Abs. 2 BauGB vorliegen, nicht mehr an.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.