Titel:
Folgen der Erledigung der Rechtsbeschwerde nach dem StVollzG
Normenketten:
StVollzG § 109, § 115, § 116, § 121
BaySvVollzG Art. 55, Art. 103
Leitsätze:
1. Hat sich das Verfahren nach der Einlegung der Rechtsbeschwerde in der Hauptsache erledigt, weil das mit der Rechtsbeschwerde ursprünglich verfolgte Ziel wegen prozessualer Überholung nicht mehr erreichbar ist, hat das Rechtsbeschwerdegericht die Erledigung auszusprechen. (Rn. 2)
2. Das Rechtsbeschwerdegericht prüft die Erledigung von Amts wegen. (Rn. 3)
3. In der Rechtsbeschwerdeinstanz kommt eine Fortsetzungsfeststellung nach § 115 Abs. 3 StVollzG grundsätzlich nicht in Betracht. (Rn. 3)
4. Nur im Ausnahmefall eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs kann es gerechtfertigt sein, das Verfahren an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen oder in der Sache selbst zu entscheiden. (Rn. 4)
5. Der Erledigungsbeschluss des Rechtsbeschwerdegerichts ist mit einer Kostenentscheidung zu versehen. (Rn. 6 – 9)
6. Die Einstellung von organisatorischen Belangen der Anstalt in ihre Ermessensentscheidung über einen Antrag auf Lockerung nach Art. 55 Abs. 1 S. 1 BaySvVollzG macht diese nicht grundsätzlich fehlerhaft. (Rn. 9)
7. Die Beiordnung des Rechtsanwalts nach § 109 Abs. 3 StVollzG besteht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens fort. (Rn. 10)
Schlagworte:
Strafvollstreckung, Rechtsbeschwerde, Erledigung, Fortsetzungsfeststellung, Kostenentscheidung, Lockerung, Ermessen, organisatorische Belange, Beiordnung des Rechtsanwalts
Vorinstanz:
LG Regensburg, Beschluss vom 09.10.2024 – SR StVK 1565/24
Fundstellen:
FDStrafR 2024, 033569
BeckRS 2024, 33569
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing vom 9. Oktober 2024 ist infolge der Erledigung gegenstandslos.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und seine notwendigen Auslagen zu tragen. Die Beiordnung von Rechtsanwalt B. besteht im Rechtsbeschwerdeverfahren fort.
3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 300,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der in der Sicherungsverwahrung untergebrachte Antragsteller wendet sich mit seiner Rechtsbeschwerde vom 16. Oktober 2024 gegen einen Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg beim Amtsgericht Straubing vom 9. Oktober 2024. In der angefochtenen Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag des Untergebrachten, die Dauer einer für den 23. Oktober 2024 von der Einrichtung für Sicherungsverwahrung genehmigten Ausführung anlässlich des Geburtstages seiner Mutter zu verlängern, abgelehnt. Mit Schreiben vom 8. November 2024 hat der in der ersten Instanz nach § 109 Abs. 3 StVollzG beigeordnete Rechtsanwalt dem Senat mitgeteilt, dass die Ausführung am 23. Oktober 2024 stattgefunden hätte und Erledigung eingetreten sei. Er beantrage nunmehr, festzustellen, dass die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Ausführung rechtswidrig gewesen sei.
2
1. Das Verfahren hat sich nach der Einlegung der Rechtsbeschwerde in der Hauptsache erledigt. Die verfahrensgegenständliche Ausführung wurde am 23. Oktober 2024 durchgeführt. Sein mit der Rechtsbeschwerde ursprünglich verfolgtes Ziel, die von Seiten der Anstalt verfügte zeitliche Beschränkung zu ändern und ihm am 23. Oktober 2024 die Ausführung nicht nur bis um 17.00 Uhr, sondern bis um 20.00 Uhr zu gestatten, ist nicht mehr erreichbar. In diesem Fall ist nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur die Rechtsbeschwerde gegenstandslos geworden (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2017 – 1 Vollz (Ws) 64/17 –, juris Rn. 7; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. Januar 2015 – 1 Ws (RB) 6/15 –, juris Rn. 5; Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 116 Rn. 2 m.w.N.; Laubenthal in: Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal, Strafvollzugsgesetz, 7. Aufl. 2020, 12. Kapitel J § 116 Rn. 11; Euler in BeckOk Strafvollzug Bund, 26. Ed. 1.8.2024, StVollzG § 116 Rn. 8). Das Rechtsbeschwerdegericht hat nur die Erledigung auszusprechen (Laubenthal a.a.O. § 116 Rn. 11; Bachmann in Laubenthal/Nestler/Neubacher/Verrell/Baier, StVollzG, 13. Aufl., Kapitel P II § 115 Rn. 78).
3
2. Soweit der Beschwerdeführer mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 8. November 2024 nunmehr beantragt, festzustellen, dass die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Ausführung rechtswidrig gewesen sei, erweist sich dieses Begehren als nicht statthaft. Die Rechtsbeschwerdeinstanz ist wegen des in § 116 StVollzG revisionsähnlich ausgestalteten Verfahrens (Senat, Beschluss vom 30. November 2022 – 203 StObWs 430/22 –, juris Rn. 15; Laubenthal a.a.O. § 116 Rn. 1) keine Tatsacheninstanz (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 16. September 2020 – III-1 Vollz (Ws) 198/20 –, juris Rn. 9; Bachmann a.a.O. § 116 Rn. 97 m.w.N.). Im Rechtsbeschwerdeverfahren ist es sowohl dem Beschwerdeführer als auch dem Beschwerdegegner und der Aufsichtsbehörde verwehrt, neue Tatsachen vorzutragen (BayObLG, Beschluss vom 28. Mai 2024 – 204 StObWs 187/24 –, juris Rn. 14 m.w.N.). In der Rechtsbeschwerdeinstanz kommt daher, nachdem das Rechtsbeschwerdegericht ausschließlich die Erledigung von Amts wegen prüft (vgl. Senat, Beschluss vom 17. April 2023 – 203 StObWs 61/23 –, juris Rn. 9), eine Fortsetzungsfeststellung nach § 115 Abs. 3 StVollzG grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. KG, Beschluss vom 24. September 2020 – 5 Ws 164/20 Vollz, BeckRS 2020, 39465 Rn. 13; OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2017 – 1 Vollz (Ws) 64/17 –, juris Rn. 9; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22. März 2012 – 1 Ws 183/11 –, juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 12. Juli 2004 – 1 Ws 135/04 –, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Januar 2004 – 1 Ws 27/03 –, juris; Euler a.a.O. § 115 Rn. 14 und § 116 Rn. 8; Laubenthal a.a.O. § 116 Rn. 11; Spaniol in Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze 8. Aufl., Teil IV § 115 StVollzG Rn. 74; Bachmann a.a.O. Kapitel P II § 115 Rn. 78; zu den Nachweisen der älteren Rspr. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 29. Dezember 2009 – 2 BvR 244/08 –, juris Rn. 7 und 8).
4
3. Ein Ausnahmefall eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs, der es rechtfertigen könnte, das Verfahren an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen oder in der Sache selbst zu entscheiden (vgl. BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 19. Dezember 2012 – 2 BvR 166/11 –, BVerfGK 20, 177-187, juris Rn. 20 ff.; BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2001 – 2 BvR 527/99 –, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2017 – 1 Vollz (Ws) 64/17 –, juris Rn. 10; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 13. Januar 2004 – 1 Ws 27/03 –, juris; Laubenthal a.a.O. 12. Kapitel J § 116 Rn. 11; Spaniol a.a.O. Teil IV § 115 StVollzG Rn. 74; Euler a.a.O. § 116 Rn. 8; Arloth/Krä a.a.O. § 116 StVollzG Rn. 2), ist hier auch unter Berücksichtigung des Resozialisierungsgebots nicht zu besorgen. Die Einrichtung für Sicherungsverwahrung hat dem Antragsteller eine Teilnahme an der Geburtstagsfeier vormittags, mittags und nachmittags ermöglicht, indem sie die Ausführung von 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr genehmigt hat, die Versagung einer Rückkehr erst in den Abendstunden vermag somit einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff nicht zu begründen.
5
4. Die Kostenentscheidung beruht auf Art. 103 BaySvVollzG i.V.m. i.V.m. § 121 Abs. 2 S. 2 StVollzG.
6
a. In der veröffentlichten obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur ist noch nicht endgültig geklärt, ob der Erledigungsbeschluss des Rechtsbeschwerdegerichts mit einer Kostenentscheidung zu versehen ist (dafür KG Berlin, Beschluss vom 30. August 2021 – 2 Ws 60/21 Vollz –, juris Rn. 21; OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2017 – 1 Vollz (Ws) 64/17 –, juris Rn. 8; OLG Koblenz, Beschluss vom 6. März 2017 – 2 Ws 731/15 Vollz –, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22. März 2012 – 1 Ws 183/11 –, juris; OLG Celle, Beschluss vom 4. Juni 2007 – 1 Ws 163/07, BeckRS 2007, 10171; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 12. Juli 2004 – 1 Ws 135/04 –, juris; Spaniol a.a.O. Teil IV § 121 StVollzG Rn. 7; Bachmann a.a.O. Kapitel P II § 115 Rn. 78; Euler a.a.O. § 121 Rn. 3, 4 und § 116 Rn. 8; dagegen Arloth/Krä a.a.O. § 116 Rn. 2; Laubenthal a.a.O. 12. Kapitel J § 116 Rn. 11). Der Senat schließt sich der überwiegenden obergerichtlichen Auffassung an (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 11. Januar 2021 – 203 StObWs 402/20-, unveröffentlicht; BayObLG, Beschluss vom 13. Mai 2022 – 204 StObWs 75/22-, unveröffentlicht).
7
b. Nach vorläufiger Bewertung der Sach- und Rechtslage kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass die Rechtsbeschwerde voraussichtlich aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 9. Oktober 2024 erfolglos geblieben wäre. Die Ausführungen der Strafvollstreckungskammer zur Überprüfung der Ermessensentscheidung der Anstalt halten auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Rechtsbeschwerde der rechtlichen Überprüfung stand.
8
aa. Nach Art. 55 Abs. 1 S. 1 BaySvVollzG können vollzugsöffnende Maßnahmen auch aus wichtigem Anlass gewährt werden. § 115 Abs. 5 StVollzG regelt den gerichtlichen Prüfungsmaßstab für Ermessensentscheidungen. Insoweit prüft das Gericht nach, ob die Maßnahme oder ihre Ablehnung oder Unterlassung deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde. Erfasst werden auch der Ermessensnichtgebrauch und die Ermessensunterschreitung (Arloth/Krä a.a.O. § 115 Rn. 13; Laubenthal a.a.O. 12. Kap. § 115 Rn. 20; Euler a.a.O. § 115 Rn. 18; Bachmann a.a.O. § 115 Rn. 84; Spaniol a.a.O. § 115 Rn. 41 ff.). Fehlerhaft sind Ermessenserwägungen, wenn sie auf unrichtigen oder unvollständigen tatsächlichen Grundlagen beruhen, wenn das Ermessen überhaupt nicht ausgeübt wird oder wenn nicht alle für die Abwägung relevanten Aspekte einbezogen werden (Laubenthal a.a.O. § 115 Rn. 21).
9
bb. Ausweislich der Gründe des angefochtenen Beschlusses ist weder zu besorgen, dass die Strafvollstreckungskammer von rechtlich unzutreffenden oder unzureichenden Grundlagen bezüglich der vom Beschwerdeführer beantragten und von der Einrichtung für Sicherungsverwahrung abgelehnten Verlängerung der Ausführung ausgegangen ist, noch, dass sie den für die Beurteilung zugrunde zu legenden Maßstab verkannt hat. Entgegen der Rechtsauffassung der Rechtsbeschwerde macht die Einstellung von organisatorischen Belangen der Anstalt in ihre Ermessensentscheidung über einen Antrag auf Lockerung diese nicht grundsätzlich fehlerhaft (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Januar 2023 – 203 StObWs 502/22 –, juris Rn. 32).
10
c. Es entspricht daher billigem Ermessen, dem Beschwerdeführer die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und seine notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Die Beiordnung des Rechtsanwalts nach § 109 Abs. 3 StVollzG besteht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens fort (vgl. Euler a.a.O. § 109 Rn. 15; Bachmann a.a.O. P II § 109 Rn. 38).
11
5. Die Entscheidung zum Beschwerdewert beruht auf § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 8, §§ 65, 60, 52 Abs. 1 GKG.