Titel:
Verlegung einer Obdachlosen auch bei Demenz möglich
Normenketten:
BayLStVG Art. 6
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4
GG Art. 11 Abs. 1
Leitsatz:
Die Verlegung („Umsetzung“) eines Obdachlosen von einer bisher genutzten in eine andere Unterbringungseinrichtung besteht aus zwei rechtlich getrennten Vorgängen. Nur die Beendigung und Abwicklung des bestehenden Nutzungsverhältnisses erfolgt in Form eines belastenden Verwaltungsakts, während die gleichzeitige Zuweisung neuer Räumlichkeiten eine ausschließlich begünstigende Regelung darstellt. (Rn. 20)
Schlagworte:
„Umsetzung“ von Obdachlosen in eine neue Unterkunft, Verbindung von Räumungsanordnung und Neuzuweisung, Erledigung der Zuweisung durch Zeitablauf, Begriff der „freiwilligen Obdachlosigkeit“, Unzumutbarkeit einer Unterkunft aus Gesundheitsgründen, Störung des Hausfriedens als Umsetzungsgrund, obdachlos, Umsetzung, Versetzung, unzumutbar, Demenz, Orientierung, Gesundheit
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 04.09.2024 – Au 8 S 24.2125 , Au 8 S 24.2135
Fundstellen:
BayVBl 2025, 229
BeckRS 2024, 33477
LSK 2024, 33477
DÖV 2025, 317
Tenor
1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. September 2024 wird in den Punkten II. und III. abgeändert.
2. Die Anträge der Antragsteller auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen gegen die jeweilige Nr. 2 der Bescheide der Antragsgegnerin vom 22. August 2024 werden abgelehnt.
3. Im Übrigen wird die Beschwerde der Antragsgegnerin verworfen.
4. Die Antragspartei als Gesamtschuldner und die Antragsgegnerin tragen die Kosten der einzelnen Verfahren (vor Verbindung) bzw. des gemeinsamen Verfahrens (nach Verbindung) in beiden Instanzen je zur Hälfte.
5. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragsteller wenden sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Beendigung der Unterbringung in einer ihnen bisher zugewiesenen Obdachlosenunterkunft und gegen die damit verbundene Umsetzung in eine andere Unterkunft.
2
Der 1956 geborene Antragsteller zu 1 und die 1949 geborene Antragstellerin zu 2, seine frühere Ehefrau, wurden von der Antragsgegnerin mit Bescheiden vom 3. März 2023 in zwei Zimmern eines als Behelfsunterkunft genutzten Gebäudes jeweils befristet als Obdachlose untergebracht, zuletzt verlängert bis zum 3. September 2024.
3
Während dieser Unterbringung baten die Antragsteller die Antragsgegnerin um Zuweisung einer anderen Unterkunft. Sie verwiesen dabei auf gesundheitliche Beeinträchtigungen der Antragstellerin zu 2, bei der laut Arztbrief vom 29. Februar 2024 eine mittelschwere bis schwere Alzheimer-Demenz und zusätzlich eine Apraxie besteht.
4
Nachdem es in der bisherigen Unterkunft zu Konflikten zwischen dem Antragsteller zu 1 und weiteren Bewohnern gekommen war, gab die Antragsgegnerin den Antragstellern Gelegenheit, sich zur geplanten Umsetzung in eine andere gemeindliche Notunterkunft zu äußern. Die Antragsteller gaben in einem persönlichen Gespräch zu erkennen, dass sie damit nicht einverstanden seien. In einem der Antragsgegnerin vorgelegten Attest vom 2. August 2024 äußerte der behandelnde Arzt die „Überzeugung, dass ein Umzug [in] die geplante Obdachlosenunterkunft für den langfristigen Aufenthalt nicht zumutbar und menschenwürdig“ sei.
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Mit Bescheiden vom 22. August 2024 verpflichtete die Antragsgegnerin die Antragsteller, die bisherige Unterkunft spätestens am 3. September 2024 um 10.00 Uhr zu räumen (Nr. 2 der Bescheide), und setzte sie ab dem 3. September 2024 befristet bis zum 30. September 2024 in die Unterkunft „Nebengebäude B.“ um (Nr. 3 der Bescheide); hinsichtlich beider Verfügungen wurde die sofortige Vollziehung angeordnet (Nr. 11 der Bescheide). Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, die Antragsteller seien ihrer Pflicht zur Selbsthilfe nur unzureichend nachgekommen; insbesondere hätten sie das Angebot einer Sozialwohnung in einem anderen Ort des Landkreises nicht wahrgenommen. In der bisherigen Unterkunft sei es zu verschiedenen Problemfällen oder Konfliktsituationen gekommen, so dass der Hausfrieden für alle Seiten gestört sei. Die Verantwortlichkeit hierfür müsse nicht abschließend aufgeklärt werden. Zur Beseitigung der Störung würden die Antragsteller nunmehr ab dem 3. September 2024 in die nach einer Sanierung neu hergestellte Unterkunft umgesetzt. Diese bestehe aus einem Wohnraum; die zugehörige Wasch- und Sanitärmöglichkeit liege unmittelbar daneben. Gesundheitliche Beeinträchtigungen, die die Umsetzung unzumutbar erscheinen ließen, seien für die Zuweisungsdauer aus der Sicht der Antragsgegnerin nicht bekannt. Die Antragstellerin zu 2 werde fast täglich allein bei Spaziergängen oder der Erledigung von Besorgungen im Ortsgebiet zu Fuß angetroffen.
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Gegen die Bescheide vom 22. August 2024 ließen die Antragsteller jeweils Klage erheben. Zugleich beantragten sie, die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen die Nrn. 2 und 3 der Bescheide wiederherzustellen. Die nunmehr zugewiesene Unterkunft entspreche nicht den Mindestanforderungen an die Unterbringung obdachloser Menschen. Das Gebäude besitze nur Fenster, die nicht in normaler Höhe angebracht seien. Der als Heizung installierte kleine Heizstrahler reiche für die Winterzeit in dem nicht isolierten Gebäude sicher nicht aus. In der Unterkunft sei auch keine innenräumlich zugängliche Toilette vorhanden. Die von der Antragsgegnerin genannten Gründe für die Umsetzung rechtfertigten diese nicht. Eine Störung des Hausfriedens durch die Antragsteller sei nicht konkret benannt worden. Der Bescheid setze sich mit dem Gesundheitszustand der Antragstellerin zu 2 nicht hinreichend auseinander.
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Die Antragsgegnerin beantragte, den Antrag abzulehnen. Die Unterkunft genüge den Mindestanforderungen an die Unterbringung obdachloser Personen. Das Gebäude sei neu saniert worden. Über das im Eingangsbereich vorhandene große Fenster sei eine ausreichende Belichtung vorhanden; die installierte Elektroheizung sei ausreichend. Der Toilettenbereich müsse nicht innerhalb der Wohnung liegen, dies sei auch bei der bisherigen Unterbringung der Antragsteller nicht der Fall. Der Zugang zu den Sanitäranlagen befinde sich unmittelbar neben dem Zugang zum Wohnbereich. Im Einzelnen werde auf vorgelegte Lichtbilder verwiesen. Die Umsetzung diene der Beseitigung der durch die Störung des Hausfriedens eingetretenen Gefahren. Ohne Schuldzuweisungen sei die Umsetzung der Antragsteller die bestmögliche Lösung; die Antragsteller seien nunmehr alleine untergebracht.
8
Mit Beschluss vom 4. September 2024 stellte das Verwaltungsgericht in den zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfahren die aufschiebende Wirkung der Klagen der Antragsteller wieder her, da der Ausgang der Anfechtungsklagen gegen die Nrn. 2 und 3 der Bescheide vom 22. August 2024 offen sei und bei der Interessenabwägung ihrem privaten Interesse der Vorrang einzuräumen sei. Die Räumungsanordnung in Nr. 2 des Bescheids finde ihre Rechtsgrundlage in § 19 der Satzung der Antragsgegnerin über die Benutzung der Obdachlosenunterkunft vom 9. Dezember 2019 (Obdachlosenunterkunftsbenutzungssatzung). Zwingende Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der Räumungsverpflichtung sei, dass die mit Nr. 3 der Bescheide verfügte Zuweisung einer anderen Obdachlosenunterkunft an die weiterhin obdachlosen Antragsteller zu Recht verfügt worden sei. Nur mit einer wirksamen Neuzuweisung komme die Antragsgegnerin ihrer Störungsbeseitigungspflicht nach Art. 57 Abs. 1 GO nach. Eine Umquartierung könne die Antragsgegnerin vornehmen, wenn der Hausfrieden nachhaltig gestört werde, wobei es keiner abschließenden Klärung bedürfe, wem die Störung anzulasten sei; die insoweit vorgenommenen Ermessenserwägungen seien nicht zu beanstanden. Es sei aber als offen anzusehen, ob die mit der Räumung der bisherigen Unterkunft und der Zuweisung der neuen Unterkunft verbundenen Folgen für die Antragsteller mit dem notwendigen Gewicht in die Entscheidung eingestellt worden seien. Die Antragstellerin zu 2 sei nach der vorliegenden ärztlichen Diagnose an einer Demenz bei Alzheimer-Krankheit, mittlerweile in mittelschwerer bis schwerer Form, erkrankt. Im Hinblick darauf habe die Antragsgegnerin möglicherweise zu Unrecht angenommen, dass mit der Räumung und der Zuweisung der neuen Unterkunft für die Antragsteller „keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen“ verbunden seien. Die Unterbringung in der neuen Unterkunft sei insbesondere für die Antragstellerin zu 2 aufgrund ihrer Erkrankung mit besonderen Risiken verbunden. Da ein Obdachloser grundsätzlich keinen Anspruch auf Zuweisung einer bestimmten oder von ihm gewünschten Unterkunft habe, sei die Ausstattung der Unterkunft „Nebengebäude B.“ zwar voraussichtlich generell für die Unterbringung von obdachlosen Personen ausreichend. Aufgrund des Krankheitsbildes der Antragstellerin zu 2 sei aber im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend zu klären, ob mit der Unterbringung möglicherweise besondere Gesundheitsgefahren verbunden seien, die sie unverhältnismäßig werden ließen. In der Unterkunft sei der Sanitär- und Toilettenbereich nicht innerhalb des Gebäudes erreichbar; die Antragsteller müssten hierzu – auch nachts – das Gebäude verlassen und durch die nächstgelegene Tür in den dahinter befindlichen Sanitärbereich gelangen. Beim Krankheitsbild der Antragstellerin zu 2 bestehe damit die nicht auszuschließende Gefahr, dass diese vor allem zu Nachtzeiten die Orientierung verliere und nach dem Verlassen des Gebäudes unzureichend geschützt sei. Ob diese Situation, die ggf. durch eine sachverständige Bewertung im Hauptsacheverfahren geklärt werden müsse, in der angegriffenen Entscheidung ausreichend berücksichtigt werde, sei offen. Hiernach gehe die Interessenabwägung zu Lasten der Antragsgegnerin aus. Im Hinblick auf die mit der Zuweisung in die neue Unterkunft verbundenen Gefahren erscheine es nicht vertretbar (Art. 1 Abs. 1 Satz 2, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), die sofortige Vollziehung der Verfügung aufrechtzuerhalten. Dass damit die mit der Störung des Hausfriedens in der bisherigen Unterkunft verbundenen Folgen nicht beseitigt würden, sei in Abwägung mit den für Leib und Leben der Antragstellerin zu 2 verbundenen möglichen Gefahren hinzunehmen.
9
Gegen die ihr am 11. September 2024 zugegangene Entscheidung des Verwaltungsgerichts legte die Antragsgegnerin am 19. September 2024 Beschwerde ein, zu der am 7. Oktober 2024 eine Begründung vorgelegt wurde. Sie beantragt,
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unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. September 2024 die Anträge der Antragsteller auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen gegen die Nrn. 2 und 3 der Bescheide vom 22. August 2024 abzulehnen.
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Die Antragsteller haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
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1. Die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. September 2024 gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin, die am 7. Oktober 2024 begründet wurde, ist wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig (geworden), soweit sie sich gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klagen gegen Nr. 3 der Bescheide vom 22. August 2024 richtet. Die darin geregelte „Umsetzung“ der Antragsteller in die gemeindliche Unterkunft „Nebengebäude Bahnhof sowie Toilettenbereich“ war bis zum 30. September 2024 befristet; sie entfaltet seit dem 1. Oktober 2024 keine Rechtswirkung mehr. Damit ist das Interesse der Antragsgegnerin an einer Überprüfung der vom Verwaltungsgericht getroffenen Eilentscheidung nachträglich weggefallen. Da die Beschwerde insoweit nicht für erledigt erklärt wurde, kommt hier auch eine (den bisherigen Sach- und Streitstand berücksichtigende) Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO nicht in Betracht.
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2. Soweit das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen die Verpflichtung der Antragsteller zur Räumung der bisherigen Unterkunft (Nr. 2 der Bescheide vom 22.8.2024) wiederhergestellt hat, ist die Beschwerde hingegen weiterhin zulässig; sie hat auch in der Sache Erfolg.
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a) Die Antragsgegnerin trägt dazu vor, es liege bereits keine unfreiwillige Obdachlosigkeit vor. Laut einer E-Mail des Landratsamts vom 13. August 2024 hätten die Antragsteller eine seniorengerechte Wohnung in S. bekommen können, die sie abgelehnt hätten, weil sie nicht dorthin hätten ziehen wollen, sondern eine Wohnung im nördlichen Landkreis suchten. Das Verwaltungsgericht habe bei der Interessenabwägung einzig auf das Krankheitsbild der Antragstellerin zu 2 abgestellt; es sei davon ausgegangen, dass sie die Orientierung verlieren und nach Verlassen des Gebäudes unzureichend geschützt sein könnte. Diese Annahmen seien durch keinerlei Unterlagen im Verfahren belegt und folglich nicht glaubhaft gemacht. Das Gericht habe eigene medizinische Bewertungen vorgenommen, ohne dass dies durch die ärztlichen Atteste belegt wäre. Das Attest vom 2. August 2024 bescheinige nur, dass der unterzeichnende Arzt die Meinung des Ehemannes teile, ein Umzug in die geplante Obdachlosenunterkunft sei für den langfristigen Aufenthalt nicht zumutbar und menschenwürdig. Dies sei schon deshalb in Frage zu stellen, weil eine Obdachlosenunterbringung nicht für den langfristigen Aufenthalt angelegt sei. Die in der ärztlichen Bescheinigung vom 29. Februar 2024 enthaltene Aussage, dass eine mittelschwere bis schwere Demenz vorliege, begründe noch nicht die Annahme, die Antragstellerin zu 2 könne die Orientierung verlieren und sei nach dem Verlassen des Gebäudes unzureichend geschützt. Zumindest könne die Interessenabwägung ohne verlässliche Gutachten zum Krankheitszustand nicht zugunsten der Antragsteller ausfallen. Wenn die Annahme des Gerichts hinsichtlich der Antragstellerin zu 2 zutreffend wäre, würde dies für jede Wohnung gelten, da es unerheblich sei, ob die Wohnung zum Toilettengang oder zu anderen Zwecken verlassen werde. Die sicherheitsrechtliche Notunterbringung stelle nur einen Notbehelf dar; die Bewältigung spezieller Unterbringung- und Betreuungsleistungen sei nicht Aufgabe der Sicherheitsbehörde. Träfe die Annahme hinsichtlich der Gefährdung der Antragstellerin zu 2 zu, sei daher eine sachverständige Bewertung im Hauptsacheverfahren nicht notwendig; vielmehr sei dann eine Unterbringung nach Art. 5 BayPsychKHG zu prüfen, um eine Selbst- oder Fremdgefährdung zu verhindern, die in jeder Wohnung bestünde. Die Antragsgegnerin habe daher die Kreisverwaltungsbehörde mit E-Mail vom 2. Oktober 2024 entsprechend informiert. Dass das Verwaltungsgericht die zwei Eilverfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden habe, bedeute nicht, dass die Erfolgsaussichten und die Interessenabwägung ausschließlich auf die Antragstellerin zu 2 bezogen werden dürften. Der Antragsteller zu 1 werde in der gesamten Entscheidung außer Acht gelassen und nicht erwähnt. Die Antragsteller seien nicht miteinander verheiratet, so dass keinerlei Verpflichtungen aus der ehelichen Lebensgemeinschaft bestünden. Es seien keine Gründe ersichtlich, warum der Antragsteller zu 1 nicht in die neu zugewiesene Wohnung einziehen könne.
16
b) Ausgehend von diesem Beschwerdevorbringen, auf das sich die Prüfung im vorliegenden Verfahren beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), kann die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in Bezug auf die Nr. 2 der Bescheide vom 22. August 2024 keinen Bestand haben. Gegen die darin enthaltenen Räumungsverfügungen bestehen bei summarischer Prüfung keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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aa) Die Antragsgegnerin kann sich allerdings nicht darauf berufen, dass bei den Antragstellern keine unfreiwillige Obdachlosigkeit und damit keine zum behördlichen Einschreiten verpflichtende Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des Art. 6 LStVG vorliege. Nach der Rechtsprechung des Senats kann bei obdachlosen Personen nur dann (ausnahmsweise) von einer bestehenden Freiwilligkeit ausgegangen werden, wenn sie sich entweder aufgrund einer eigenverantwortlichen Willensentscheidung mit dem Fehlen einer ihren Grundbedürfnissen genügenden Unterkunft abgefunden, sich also für ein „Leben auf der Straße“ entschieden haben (BayVGH, B.v. 15.2.2024 – 4 CE 24.60 – BayVBl 2024, 527 Rn. 9), oder wenn es ihnen ohne weiteres möglich wäre, sich aus eigener Kraft eine ausreichende Unterkunft zu verschaffen, ihr Unterbringungsersuchen also als rechtsmissbräuchlich erscheint (BayVGH, B.v. 13.2.2014 – 4 CS 14.126 – juris Rn. 6). Letzteres setzt voraus, dass von einer tatsächlich bestehenden Option der Unterbringung bzw. der Beschaffung einer Unterkunft ohne sachlich nachvollziehbaren Grund kein Gebrauch gemacht wurde (BayVGH, B.v. 27.10.2017 – 4 CE 17.1661 – juris Rn. 8). Ein solcher Fall liegt hier ersichtlich nicht vor. Zwar haben die Antragsteller offenbar ein vom Landratsamt vermitteltes konkretes Angebot zum Bezug einer in einer anderen Gemeinde des Landkreises gelegenen seniorengerechten Wohnung abgelehnt. Da diese Entscheidung damit begründet wurde, dass sie nicht in diese Gemeinde umziehen wollten, kann aber keine Rede davon sein, dass es an einem sachlich nachvollziehbaren Grund gefehlt habe. Die aktuelle Wohnortgemeinde kann obdachlose Personen, die weiterhin dort wohnen wollen, wegen des auch ihnen zustehenden Grundrechts auf Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) nicht auf einen möglichen Umzug in einen anderen Ort mit einem günstigeren Wohnungsangebot verweisen und sich damit ihrer Aufgabe der Gefahrenabwehr entledigen (BayVGH, B.v. 27.10.2017, a.a.O., Rn. 10; B.v. 4.4.2017 – 4 CE 17.615 – NVwZ-RR 2017, 575 Rn. 6).
18
bb) Im vorliegenden Fall sind aber, wie die Antragsgegnerin zu Recht geltend macht, keine konkreten Umstände erkennbar, die der „Umsetzung“ der Antragsteller in das zur Obdachlosenunterkunft umgebaute „Nebengebäude B.“ entgegenstehen könnten.
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(1.) Die Rechtmäßigkeit der Verpflichtung zur Räumung der bisherigen Unterkunft (Nr. 2 der Bescheide) hängt mittelbar auch von der Eignung der den Antragstellern ab dem 3. September 2024 zugewiesenen Ersatzunterkunft (Nr. 3) ab.
20
Formal betrachtet besteht zwar die Verlegung („Umsetzung“) eines Obdachlosen von einer bisher genutzten in eine andere Unterbringungseinrichtung aus zwei rechtlich getrennten Vorgängen, wobei nur die Beendigung und Abwicklung des bestehenden Nutzungsverhältnisses in Form eines belastenden Verwaltungsakts erfolgt, während die gleichzeitige Zuweisung neuer Räumlichkeiten eine ausschließlich begünstigende Regelung darstellt (vgl. Seidel in Bengl/Berner/Emmerig, LStVG, Stand 4/2024, Art. 7 Rn. 189 m.w.N.). Die Antragsgegnerin konnte daher nur für die unter Nr. 2 ergangene Räumungsanordnung die sofortige Vollziehbarkeit nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO anordnen; die unter Nr. 3 verfügte „Umsetzung“ in die neue Unterkunft bedurfte keiner solchen Anordnung, da sie keine Verpflichtung zur Wohnsitznahme begründete (vgl. Huttner, Die Unterbringung von Obdachlosen durch Polizei- und Ordnungsbehörden, 2014, 76 f.; a.A. wohl noch BVerwG, U.v. 29.10.1963 – 1 C 8.63 – BVerwGE 17, 83/86).
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Ungeachtet dieser Unterscheidung beruhte aber die auf § 13 Abs. 1 i.V.m. § 10 Abs. 1 der Obdachlosenunterkunftsbenutzungssatzung gestützte Anordnung zur sofortigen Räumung der bisherigen Unterkunft nach Beendigung des Benutzungsverhältnisses auf der Annahme, dass hierdurch die Antragsteller nicht – auch nur vorübergehend – obdachlos werden konnten, da ihnen sogleich eine sofort verfügbare Ersatzunterkunft zugewiesen wurde. Wären diese Räumlichkeiten zur Unterbringung von Obdachlosen allgemein ungeeignet oder den Antragstellern aufgrund ihrer persönlichen Situation nicht zumutbar, so hätte die Antragsgegnerin ihr Entschließungsermessen (Art. 40 BayVwVfG) beim Erlass der Räumungsanordnung fehlerhaft ausgeübt.
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(2.) Dies kann hier aber nach den Gesamtumständen nicht angenommen werden. Es bestehen keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Gesundheitszustand der Antragstellerin zu 2 einer Nutzung des eigens für Wohnzwecke umgebauten ehemaligen „Nebengebäudes B.“ entgegenstehen könnte. Für eine diesbezügliche Sachaufklärung im noch anhängigen Hauptsacheverfahren besteht somit nach gegenwärtigem Stand kein Anlass.
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Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts lassen sich aus der bloßen Tatsache, dass der zur Wohnung gehörende und ebenfalls neu gestaltete Sanitär- und Toilettenbereich nicht direkt von den Wohnräumen aus erreichbar ist, sondern nur nach kurzzeitigem Verlassen des Gebäudes über eine direkt neben der Eingangstür befindliche zweite Außentür betreten werden kann, für die Antragstellerin zu 2 noch keine spezifischen Gefahrenmomente im Hinblick auf einen möglichen räumlichen Orientierungsverlust ableiten. Das ihr im Arztbrief vom 29. Februar 2024 attestierte Krankheitsbild einer mittelschweren bis schweren Alzheimer-Demenz und Apraxie hat nicht zwangsläufig oder typischerweise zur Folge, dass sie sich auch im häuslichen Nahbereich alltägliche Wege nicht merken und daher etwa bei einem nächtlichen Toilettengang nicht mehr in die Wohnräume zurückfinden könnte. Gegen eine derart massive Einschränkung des Orientierungsvermögens der Antragstellerin zu 2 spricht der von der Antragsgegnerin in den angegriffenen Bescheiden erwähnte Umstand, dass sie fast täglich allein bei Spaziergängen oder der Erledigung von Besorgungen im Ortsgebiet zu Fuß angetroffen wird. Die Antragsteller haben auch selbst nicht vorgetragen bzw. vortragen lassen, dass die Antragstellerin zu 2 aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen selbst in ihrem unmittelbaren Wohnumfeld nicht mehr in der Lage wäre, sich räumlich zurechtzufinden. Anhaltspunkte dafür ergeben sich auch nicht aus dem Attest vom 2. August 2024, wonach der Umzug in die neue Obdachlosenunterkunft „für den langfristigen Aufenthalt nicht zumutbar und menschenwürdig“ sei. Diese medizinisch nicht weiter erläuterte Feststellung des Hausarztes stellt lediglich eine subjektive rechtliche Bewertung dar, die über den Gesundheitszustand der Antragstellerin zu 2 keinen weiteren Aufschluss bietet.
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(3.) Die zu Unrecht auf eine weitere Aufklärungsbedürftigkeit der möglichen Gesundheitsgefahren gestützte Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend. Insbesondere greifen die von den Antragstellern im bisherigen Verfahren vorgebrachten Einwände gegen die Rechtmäßigkeit der Umsetzung in das „Nebengebäude B.“ nicht durch.
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Ob der dort als Heizung installierte Heizstrahler bei winterlichen Temperaturen ausreicht, kann im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb offenbleiben, weil die Zuweisung der Antragsteller zunächst nur bis zum 30. September 2024 befristet war; im Übrigen könnte im Bedarfsfall auch kurzfristig eine weitere elektrische Heizquelle bereitgestellt werden, so dass dieser Aspekt einer dauerhaften Nutzung als Obdachlosenunterkunft nicht entgegenstehen dürfte. Die aufgrund der früheren Funktion vorhandene Ausstattung des Hauptwohnraums mit einer Reihe hochliegender Fenster ist zwar ungewöhnlich, reicht aber für die gebotene Belichtung mit Tageslicht ersichtlich aus (vgl. Art. 45 Abs. 2 BayBO). Die Antragsgegnerin musste ihre Entscheidung, den Antragstellern wegen der eingetretenen Störung des Hausfriedens eine neue Unterkunft zuzuweisen, über die nur allgemein erwähnten „verschiedenen Problemfälle oder Konfliktsituationen“ hinaus, die in der bisherigen Unterkunft aufgetreten seien, auch nicht genauer begründen. Sie war insbesondere, wie in der erstinstanzlichen Entscheidung zutreffend dargelegt wird, nicht verpflichtet zu klären, wer innerhalb der früheren Unterkunft für die entstandenen Konflikte zwischen den Bewohnern verantwortlich war (vgl. BayVGH, B.v. 10.11.2014 – 4 CS 14.2196 – juris Rn. 10).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Streitwertentscheidung aus § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG i. V. m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).