Inhalt

VGH München, Beschluss v. 31.10.2024 – 3 ZB 23.477
Titel:

Zweitqualifizierung zum Erwerb der Lehramtsbefähigung

Normenketten:
GG Art. 3 Abs. 1
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1
BayLBG Art. 22 Abs. 2 S. 2
BayVwVfG Art. 46
Leitsätze:
1. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 S. 1 VwGO) grundsätzlich nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es besteht kein Anspruch darauf, dass Verwaltungsvorschriften nur ihrem Wortlaut entsprechend angewendet werden dürfen bzw. vor einer von ihrem Wortlaut abweichenden Handhabung entsprechend geändert werden müssen. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Schulleitung handelt es sich nicht um einen nicht austauschbaren "gesetzlichen Prüfer". (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zweitqualifizierung zum Erwerb der Lehramtsbefähigung, Durchführung der Bewährungsfeststellung, Zuständigkeit, Lehramtsbefähigung, Nachweis, Bewährungsfeststellung, Durchführung, Schulleitung, gesetzlicher Prüfer, Zweitqualifizierung, Verwaltungsvorschrift, Anwendung, Verwaltungspraxis, Gleichbehandlungsgebot
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 17.01.2023 – M 5 K 19.4604
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33474

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 17. Januar 2023 – M 5 K 19.4604 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

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1. Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht. Solche sind nur zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt wird (BVerfG, B.v. 21.12.2009 – 1 BvR 812/09 – juris Rn. 16; B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 19 m.w.N.) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19).
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1.1 Die Klägerin stellt die angegriffene Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die streitgegenständliche negative Bewährungsfeststellung rechtlich nicht zu beanstanden sei, nicht dadurch infrage, dass sie auf ihr als Anlage K 4 im Ausgangsverfahren vorgelegtes Gedächtnisprotokoll Bezug nimmt und vorträgt, dass das Verwaltungsgericht hätte überprüfen können, ob die Aussagen der Schulräte und der Schulleiterin den Tatsachen/der Wahrheit entsprächen. Dieser Vortrag enthält kein schlüssiges Argument gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, weshalb die im Zusammenhang mit ihrer Sachverhaltsschilderung vorgenommene klägerische (Selbst-)Bewertung der eigenen Leistung bzw. Bewährung nicht maßgeblich ist (UA Rn. 34 f.).
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Sofern man das klägerische Vorbringen als Aufklärungsrüge werten würde, wäre der damit geltend gemachte Verstoß gegen den in § 86 Abs. 1 VwGO enthaltenen Untersuchungsgrundsatz nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO entsprechend dargelegt. Ein Gericht verletzt seine Pflicht zur erschöpfenden Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) grundsätzlich nicht, wenn es von einer Beweiserhebung absieht, die ein anwaltlich vertretener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt hat. Die Aufklärungsrüge dient nicht dazu, Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat. Dass ein Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung – wie vorliegend – nicht gestellt wurde, ist nur dann unerheblich, wenn sich dem Gericht auch ohne ausdrücklichen Beweisantrag eine weitere Ermittlung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 16.3.2011 – 6 B 47.10 – juris Rn. 12). Dies war vorliegend nicht der Fall. Dem Zulassungsvorbringen lassen sich keine greifbaren Anhaltspunkte entnehmen, aus denen sich konkrete Hinweise auf eine unzureichende Sachverhaltsermittlung ergäben. Insbesondere fehlt es an der erforderlichen Darlegung, zu welcher konkreten Tatsachenbehauptung sich dem Verwaltungsgericht die Erhebung welcher konkreten Beweise hätte aufdrängen müssen. Dazu reicht der allgemeine Hinweis auf erstinstanzliches Vorbringen und früher angebotene Beweise nicht aus (vgl. BVerwG, U.v. 12.2.1987 – 3 C 22.86 – juris Rn. 27).
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1.2 Die Klägerin stellt die angegriffene Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die streitgegenständliche negative Bewährungsfeststellung rechtlich nicht zu beanstanden sei, auch nicht dadurch infrage, dass sie ihren Zulassungsantrag auf eine „fehlerhafte Besetzung“ der Kommission während der Unterrichtsvorführung vom 28. Juni 2019 stützt. Den diesbezüglichen Ausführungen zur Nichtübertragbarkeit des vom Verwaltungsgericht herangezogenen Rechtsgedankens des Art. 46 BayVwVfG fehlt es an der Entscheidungserheblichkeit. Denn es liegt schon der gerügte Verfahrensfehler nicht vor.
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Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Begutachtung der Bewährung der Klägerin auf der Basis der durchgeführten Unterrichtsvorführung sowie des durchgeführten Reflexionsgesprächs durch den Leitenden Schulamtsdirektor Z. und die Schulamtsdirektorin D. durchgeführt wurde. Art. 22 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1, Art. 4 Abs. 3 Bayerisches Lehrerbildungsgesetz (BayLBG) i.d.F. d. Bek. vom 12. Dezember 1995 (GVBl. 1996 S. 16, 40; BayRS 2238-1-K), im für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. März 2019 (GVBl. S. 98), enthält die gesetzliche Zuständigkeitsregelung für die Entscheidung über den Verzicht auf die Ableistung des Vorbereitungsdienstes und auf die Ablegung der Zweiten Staatsprüfung bei Bewerbern, die eine mindestens zweijährige Bewährung als Lehrer an öffentlichen Schulen oder Ersatzschulen des angestrebten Lehramts nachweisen. Diese Regelung weist die Zuständigkeit dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus zu und wurde durch den Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 24. Juli 2019 durch das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus gewahrt. Bei der Entscheidung über den Verzicht hat die zuständige Behörde darüber zu befinden, ob die vorausgesetzte Bewährung vorliegt. Da eine konkrete funktionelle Zuständigkeit gesetzlich nicht festgelegt ist, bleibt diese der behördeninternen Organisation überlassen, die durch Verwaltungsvorschrift geregelt werden kann. Die Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften ist der Exekutivgewalt inhärent, soweit ihre Organisations- und Geschäftsleitungsgewalt jeweils reicht (BVerwG, U.v. 7.5.1981 – 2 C 5.79 – juris Rn. 15).
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Die Vorbereitung der von dem Staatsministerium zu treffenden Entscheidung durfte nachgeordneten Stellen übertragen werden, wie es durch das Rundschreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom 29. November 2017 (III.3 – BP 7100 – 4b. 90728) geschehen ist. Hiernach erfolgen die Maßnahmen zur Bewährungsfeststellung durch die Schulaufsicht und die Schulleitung. Soweit dieser Verwaltungsanweisung über Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung (BVerwG, U.v. 28.5.1958 – 5 C 216.54 – juris Rn. 40) gegenüber der Klägerin Verbindlichkeit zukommt, liegt kein Verstoß vor, der eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung darstellen würde. Maßgeblich für die Bindungswirkung aufgrund Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht allein der Text der Verwaltungsvorschrift, sondern insbesondere die tatsächliche ständige behördliche Vollzugspraxis (vgl. BVerwG, U.v. 7.5.1981 – 2 C 5.79 – juris Rn. 18; U.v. 17.1.1996 – 11 C 5.95 – juris Rn. 21 m.w.N.; BayVGH, B.v. 31.1.2022 – 3 ZB 21.2172 – juris Rn. 7 m.w.N.). Es besteht kein Anspruch darauf, dass Verwaltungsvorschriften nur ihrem Wortlaut entsprechend angewendet werden dürfen bzw. vor einer von ihrem Wortlaut abweichenden Handhabung entsprechend geändert werden müssen (BVerwG, B.v. 1.6.1979 – 6 B 33.79 – juris Rn. 5).
7
Im vorliegenden Fall entsprach das Verfahren der praktischen Handhabung der Verwaltungsvorschrift und dem in dieser zum Ausdruck kommenden Willen der Verwaltung, ohne dass erkennbar wäre, dass hiervon im Einzelfall grundlos zum Nachteil der Klägerin abgewichen worden wäre. Für die Schulaufsicht konnte hinsichtlich der urlaubsbedingt abwesenden zuständigen Schulamtsdirektorin Frau E.-K. mangels entgegenstehender Vertretungsregelung in der Verwaltungsvorschrift auf die allgemeine Vertretungsregelung zurückgegriffen werden und ihre Vertreterin Schulamtsdirektorin D. tätig werden. Der Einsatz des Leitenden Schulamtsdirektors Z. anstelle der Schulleitung entspricht nach Aktenlage (Bl. 149 der Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts) ständiger Praxis in vergleichbaren Fällen, bei denen Vorwürfe im Hinblick auf die Unvoreingenommenheit der Schulleitung im Raum stehen, die Schulleitung erst kurz im Amt und deshalb wenig erfahren ist und keine weitere Person aus dem Schulleitungsbereich wegen der unbesetzten Konrektorenstelle zur Verfügung stand. Diese sachlichen Gründe lassen zugleich kein willkürliches Handeln auf Beklagtenseite erkennen. Diese Verwaltungspraxis erscheint zudem glaubhaft, weil das Rundschreiben vom 29. November 2017 nicht regelt, wie zu verfahren ist, wenn die Schulleitung nicht an der Bewährungsfeststellung teilnehmen kann. Trotz dieser Regelungslücke musste aber die Bewährungsfeststellung auch in solchen Fällen bislang durchgeführt werden. Überdies ergibt sich aus dem Rundschreiben vom 29. November 2017, dass die Vorbereitung der durch das Staatsministerium zu treffenden Feststellung der Bewährung im Wesentlichen in der Verantwortung der Schulaufsicht liegt. Denn die Regierungen legen dem Staatsministerium die Feststellung der Bewährung der Lehrkraft durch die zuständige Schulaufsicht vor und die Schulleitung hat ihren Bericht über die Bewährungsperspektive der Lehrkraft der Schulaufsicht zu übermitteln, die sich nach eigenem Ermessen eigene Erkenntnisse durch Unterrichtsbesuche einholt. Dass die Schulleiterin (Frau W.) die Klägerin über den ganzen Bewährungszeitraum begleitet und die in dieser Zeit gewonnenen Eindrücke in die Gesamtbewertung hätte einbringen können (UA Rn. 37), stellt keinen zwingenden Grund dar, weshalb Frau W. an der Unterrichtsvorführung und dem Reflexionsgespräch hätte teilnehmen müssen. Denn es ist generell nie gewährleistet, dass in allen Bewährungsfeststellungsverfahren die betreuenden Schulleiter zum Termin der Unterrichtsvorführung und des Reflexionsgesprächs zur Verfügung stehen. Bei der Schulleitung handelt es sich auch nicht um einen nicht austauschbaren „gesetzlichen Prüfer“ (vgl. BVerwG, U.v. 29.8.1968 – 2 C 67.65 – juris Rn. 39 ff.). Da die Lehrkraft, deren Bewährung zu begutachten ist, ihre Unterrichts- und Erziehungskompetenz sowie ihre fachdidaktische und methodische Kompetenz für das angestrebte Lehramt unabhängig von den sie begutachtenden Personen besitzen und im Rahmen der Unterrichtsvorführung und dem Reflexionsgespräch zeigen können muss, kommt es nicht darauf an, dass die die Begutachtung vornehmende Person bereits zuvor im Verfahren der Bewährungsfeststellung der jeweiligen Lehrkraft tätig war.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2 GKG.
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4. Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).