Titel:
Klage gegen Gewerbeuntersagung wegen Insolvenzverschleppung und Verletzung der Buchführungspflicht
Normenkette:
GewO § 35 Abs. 1, § 35 Abs. 7a
Leitsätze:
1. Die von § 35 Abs. 1 S. 1 GewO vorausgesetzte Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit liegt insbesondere dann vor, wenn das Vermögen der öffentlichen Hand – wie zB durch die unberechtigte Vorenthaltung von Steuern – oder Privatvermögen – etwa durch Nichtabgabe der Vermögensauskunft oder Insolvenzverschleppung – gefährdet ist. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung im Rahmen des § 35 Abs. 7a S.1 GewO reicht es aus, wenn der Verwaltungsentscheidung zumindest konkludent die maßgebliche Erwägung entnommen werden kann, das Ausweichen in die gewerbliche Betätigung sei so wahrscheinlich, dass deren Untersagung erfolgen soll. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 S. 1 iVm § 37 Abs. 7a S. 3 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung kann allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewerbeuntersagung, Zuverlässigkeit, Insolvenzverschleppung, Verletzung der Buchführungspflicht, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 09.07.2024 – M 16 K 23.5419
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33457
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 9. Juli 2024 – M 16 K 23.5419 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,00 € festgesetzt.
Gründe
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Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger, Geschäftsführer einer UG, seine in erster Instanz erfolglose Klage auf Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 25. Oktober 2023 weiter, mit dem ihm die künftige selbstständige Ausübung des Gewerbes „Vermittlung von Personal, Beratung von Personal, Tätigkeit im Marketingbereich, Durchführung von Konzepten, Organisation von Grafiken und/oder Illustrationen“ im stehenden Gewerbe sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter einer Gewerbetreibenden und als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragten Person sowie die Ausübung jeglicher selbständigen Tätigkeit im stehenden Gewerbe untersagt wurde.
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Zur Begründung der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers berief sich die Beklagte im Wesentlichen auf die der strafrechtlichen Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung und Verletzung der Buchführungspflicht zugrundeliegenden Tatsachen, die Rückstände bei der Stadtkasse (Stand 26.10.2023: 635 €), die sechs Eintragungen im Schuldnerverzeichnis sowie darauf, dass sich der Kläger als Geschäftsführer der UG als unzuverlässig erwiesen habe.
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Der Kläger erhob gegen den Bescheid vom 25. Oktober 2023 Klage zum Verwaltungsgericht München, die mit Urteil vom 9. Juli 2024, dem Klägerbevollmächtigten zugestellt am 29. Juli 2024, abgewiesen wurde.
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Mit am 29. August 2024 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom gleichen Tag beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung. Er begründete diesen Antrag mit Schriftsatz vom 30. September 2024, eingegangen beim Verwaltungsgerichtshof am gleichen Tag (Montag). Er macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend.
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Die Beklagte ist dem Antrag auf Zulassung der Berufung entgegengetreten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht vorliegen bzw. nicht hinreichend dargelegt im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind.
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Ernstliche Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426.17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
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1. Der Kläger trägt vor, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine Untersagung zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich gewesen sei.
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Dies trifft in dieser Form nicht zu. Die von § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO vorausgesetzte Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit liegt insbesondere dann vor, wenn das Vermögen der öffentlichen Hand – wie z.B. durch die unberechtigte Vorenthaltung von Steuern – oder Privatvermögen – etwa durch Nichtabgabe der Vermögensauskunft oder Insolvenzverschleppung – gefährdet ist (Marcks/Heß in Landmann/Rohmer, GewO, Stand Dez. 2023, § 35 Rn. 76). Die Beklagte hat im streitgegenständlichen Bescheid die durch das Verhalten des Klägers verursachte Gefährdung von Rechtsgütern der Allgemeinheit ausführlich begründet. Da der Kläger dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht nicht entgegengetreten ist, bedurfte es auch keiner weiteren diesbezüglichen Ausführungen durch das Verwaltungsgericht im Urteil. Die Erforderlichkeit der Gewerbeuntersagung ist ein Element des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Diesbezüglich hat das Verwaltungsgericht klargestellt, dass die Rechtmäßigkeit einer Untersagungsverfügung auch im Anwendungsbereich des § 35 Abs. 7a Satz 1 GewO ihre Erforderlichkeit voraussetze. Diese Voraussetzung sei im Einklang mit den zu der vergleichbaren Regelung des § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO entwickelten Grundsätzen erfüllt, wenn von dem Beschäftigten ein Ausweichen in eine entsprechende selbständige Tätigkeit zu erwarten sei. Die Erforderlichkeit einer Untersagung nach § 35 Abs. 7a Satz 1 GewO sei danach gegeben, wenn keine besonderen Umstände vorlägen, die es ausschlössen, dass der Vertreter das Gewerbe zukünftig selbständig ausübe. Anhaltspunkte dafür, dass besondere Umstände der Aufnahme einer selbständigen gewerblichen Tätigkeit durch den Kläger entgegenstehen könnten, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Dazu verhält sich das Zulassungsvorbringen nicht. Insbesondere trägt der Kläger nicht vor, dass in seinem Fall besondere Umstände der Aufnahme einer selbstständigen gewerblichen Tätigkeit entgegenstehen.
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2. Der Kläger beruft sich weiter darauf, dass die Beklagte die Belange des Klägers nicht in ihre Ermessensentscheidung einbezogen und keine Abwägungsentscheidung getroffen habe. Den Ermessensausfall habe das Verwaltungsgericht nicht erkannt.
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Zur Ermessensausübung bei Erlass der Untersagungsverfügung nach § 35 Abs. 7a Satz 1 GewO hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Beklagte das ihr zustehende Ermessen erkannt habe. Der Bescheidbegründung sei zudem zu entnehmen, dass die Beklagte davon ausgegangen sei, der Kläger werde auf eine selbständige gewerbliche Tätigkeit ausweichen.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich aus dem Vorbringen des Klägers nicht. Entgegen seiner Auffassung reicht es für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung im Rahmen des § 35 Abs. 7a Satz 1 GewO aus, wenn der Verwaltungsentscheidung zumindest konkludent die maßgebliche Erwägung entnommen werden kann, das Ausweichen in die gewerbliche Betätigung sei so wahrscheinlich, dass deren Untersagung erfolgen soll (BVerwG, U.v. 19.12.1995 – 1 C 3.93 – juris Rn. 33). Denn anders als bei ordnungsbehördlichen Maßnahmen zur Beseitigung rechtswidriger Zustände, bei denen das Einschreiten regelmäßig geboten ist, wenn keine besonderen Gegebenheiten vorliegen, muss bei der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 7a Satz 1 GewO nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit des Ausweichens auf die selbständige Gewerbeausübung entschieden werden. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid (S. 8 f.) diesen Anforderungen genügen. Insbesondere musste sich die Beklagte nicht mit den Belangen des Klägers auseinandersetzen bzw. diese in die Ermessensentscheidung miteinbeziehen.
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3. Das Vorbringen des Klägers zur Unverhältnismäßigkeit der Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 7a Satz 1 GewO führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.
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Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf verwiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine den gesetzlichen Anforderungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 37 Abs. 7a Satz 3 GewO entsprechende Gewerbeuntersagung allenfalls in extremen Ausnahmefällen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen könne (BVerwG, B.v. 19.1.1994 – 1 B 5.94 – juris Rn. 8) und Anhaltspunkte für das Vorliegen eines solchen extremen Ausnahmefalls im vorliegenden Fall nicht ersichtlich seien. Demgegenüber bringt der Kläger – auch im Zulassungsverfahren – nichts vor, das einen solchen extremen Ausnahmefall begründen könnte. Auch benennt er für seinen konkreten Fall keine milderen Mittel, mit denen bei den von ihm als Geschäftsführer verwirklichten Unzuverlässigkeitstatbeständen der Schutz der Allgemeinheit bewirkt werden könnte.
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4. Soweit der Kläger ausführt, dass seine Ausführungen entsprechend für die gleichzeitig ausgesprochene erweiterte Gewerbeuntersagung gälten, erfüllt er ebenfalls nicht die Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4VwGO.
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Bezüglich der erweiterten Gewerbeuntersagung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass nach § 35 Abs. 7a Satz 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 GewO die Gewerbeuntersagung auf die vorgenannten Tätigkeiten erstreckt werden könne, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig sei. Insoweit müssten Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in Bezug auf die „Ausweichtätigkeit“ dartun („gewerbeübergreifende Unzuverlässigkeit“). Diese seien bei steuerlichen Pflichtverletzungen und bei ungeordneten Vermögensverhältnissen – wie hier – aber regelmäßig gegeben. Das Vorliegen geordneter Vermögensverhältnisse sei eine Zuverlässigkeitsvoraussetzung, die für jeden Gewerbebetrieb gelte und sich nicht auf eine bestimmte gewerbliche Tätigkeit beschränke. Der Kläger sei überschuldet und habe Regeln verletzt, die für jeden Gewerbetreibenden gelten würden und nicht nur Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit hätten. Das rechtfertige die Annahme der Beklagten, dass der Kläger ein entsprechendes Verhalten auch bei Ausübung eines anderen Gewerbes oder anderer gewerblicher Tätigkeiten an den Tag legen werde. Darlegungen des Klägers, die diese Feststellungen des Verwaltungsgerichts ernsthaft in Zweifel ziehen könnten, finden sich in der Begründung des Zulassungsantrags nicht. Dies gilt im gleicher Weise für die Erforderlichkeit der erweiterten Gewerbeuntersagung. Hier hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass sich die Wahrscheinlichkeit der anderweitigen Gewerbeausübung schon daraus ergebe, dass der Kläger sowohl für sich selbst als auch für die UG trotz Unzuverlässigkeit an der gewerblichen Tätigkeit festgehalten habe, wodurch er seinen Willen bekundet habe, sich auf jeden Fall gewerblich zu betätigen. Damit setzt sich der Kläger in seinem Zulassungsvorbringen nicht auseinander.
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Soweit der Kläger auch bei der erweiterten Gewerbeuntersagung auf seine Ausführungen zur Ermessensfehlerhaftigkeit und zur Unverhältnismäßigkeit Bezug nehmen will, führt dies aus den unter 2. und 3. genannten Gründen nicht zur Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.2.1 und Nr. 54.2.2 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).