Titel:
Prozesskostenhilfeverfahren - hier: Nachweispflicht über Masernimpfung bei schulpflichtigen Kindern
Normenketten:
VwGO § 166
ZPO § 114
VwGO § 94
GG Art. 100
IfSg § 20 Abs. 9, Abs. 12 S. 1 Nr. 1, § 33 Nr. 1–3
Leitsätze:
1. Die Nachweispflicht für schulpflichtige Kinder in § 20 Abs. 8–14 IfSG ist formell und materiell verfassungsgemäß. (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Entscheidungen über die Durchführung von Schutzimpfungen gegen Infektionskrankheiten sind zwar Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind iSd § 1628 BGB und können daher nicht einseitig von einem sorgeberechtigten Elternteil gegen den Willen des anderen sorgeberechtigten Elternteils getroffen werden. Förmlich – gegebenenfalls unter Androhung von Zwangsmitteln – zur Einhaltung der Verpflichtungen zum Nachweis eines Masernschutzes aufgefordert werden muss bei gemeinsam Sorgeberechtigten nur der Elternteil, der nicht willens ist, den ihn treffenden Verpflichtungen nachzukommen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung einer Bevollmächtigten (abgelehnt), Antrag auf Aussetzung des Verfahrens (abgelehnt), Prozesskostenhilfe, Beiordnung, Verfahrensaussetzung, Masernimpfung, Gemeinschaftseinrichtung, Nachweis, personensorgeberechtigt, Eltern, Ermessen
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 25.11.2024 – 20 C 24.1799
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33452
Tenor
I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin … B. W. wird abgelehnt.
II. Die Anträge auf Aussetzung des Verfahrens werden abgelehnt.
Gründe
1
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten sowie die Aussetzung des Verfahrens. Streitgegenständlich sind die gegenüber der Klägerin ergangenen Bescheide des Beklagten, je vom 21. März 2023, einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern bzw. eine medizinische Kontraindikation gegen eine entsprechende Impfung für ihre am … geborene Tochter T. H. , ihren am … geborenen Sohn L. H. , sowie ihre am … geborene Tochter S. H. , die alle die … Schule N. besuchen, nachzuweisen.
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Die Klägerin übt die gemeinsame elterliche Sorge gemeinsam mit dem Kindsvater Herrn V. H. aus. Dieser hat sein Einverständnis bezüglich einer Masernschutzimpfung seiner Kinder mit Schreiben vom 28. November 2022 bereits erteilt.
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Dem vorgelegten Behördenakt zufolge meldete die Einrichtung mit Schreiben vom 2. August 2022 dem Landratsamt …, Gesundheitsamt, dass für die o.g. Kinder der Klägerin kein Nachweis über einen ausreichenden Masernschutz gem. § 20 Abs. 9 ff. Infektionsschutzgesetz (IfSG) erbracht worden sei.
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Mit Schreiben je vom 9. August 2022 wurden die Sorgeberechtigten zur Vorlage eines entsprechenden Nachweises nach § 20 Abs. 9 IfSG aufgefordert. Hierzu wurde je eine Frist bis zum 13. September 2022 gesetzt.
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Mit Schreiben je vom 21. September 2022 wurde die Klägerin erneut darauf hingewiesen, dass sie verpflichtet sei, einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG im Original oder in beglaubigter Kopie vorzulegen. Hierzu wurde je eine Frist bis zum 4. November 2022 gesetzt.
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Am 18. Oktober 2022 erfolgte eine telefonische Impfberatung der Klägerin durch die Amtsärztin des Gesundheitsamtes …
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Mit Schreiben je vom 7. November 2022 wurde die Klägerin erneut auf ihre Verpflichtung zur Vorlage einer Bescheinigung nach § 20 Abs. 9 IfSG hingewiesen. Hierfür wurde ihr je eine Frist bis zum 19. Dezember 2022 eingeräumt und andernfalls der Erlass einer kostenpflichtigen und zwangsgeldbewehrten Anordnung in Aussicht gestellt. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass diese Schreiben als Anhörungsschreiben nach Art. 28 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) anzusehen seien und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Auf die Möglichkeit eines Beratungsgespräches wurde erneut hingewiesen.
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Mit Bescheiden je vom 21. März 2023, laut Postzustellungsurkunden jeweils zugestellt am 23. März 2023, wurde die Klägerin aufgefordert, dem Landratsamt … – Staatliches Gesundheitsamt – innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe des jeweiligen Bescheids, einen der nachfolgenden Nachweise für ihre Kinder vorzulegen (Nr. 1):
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- Impfausweis bzw. Impfbescheinigung nach § 22 IfSG (oder Dokumentation nach § 26 Abs. 2 Satz 4 SGB V) mit Nachweis von insgesamt 2 Masern-Schutzimpfungen
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– ärztliches Zeugnis über eine (labordiagnostizierte) Immunität gegen Masern
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– ärztliches Zeugnis darüber, dass das Kind aus medizinischen Gründen nicht oder erst später geimpft werden kann (mit Art der Kontraindikation sowie Angabe der Dauer)
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– Bestätigung von einer zuvor besuchten, nach § 20 Abs. 8 IfSG betroffenen Einrichtung (z.B. Kindertagesstätte, Schule) darüber, dass ein entsprechender Nachweis dort bereits vorgelegt wurde.
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Die Bescheide wurden für sofort vollziehbar erklärt (Nr. 2). Der Klägerin wurden je die Kosten des Verfahrens auferlegt (Nr. 3) und für jeden Bescheid wurde eine Gebühr in Höhe von 100,00 EUR festgesetzt; die Auslagen betragen jeweils 4,11 EUR (Nr. 4).
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Mit Schreiben vom … April 2023, bei Gericht eingegangen am 24. April 2023, ließ die Klägerin durch ihre Prozessbevollmächtigte Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragte neben der Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide
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die Gewährung von Prozesskostenhilfe sowie die Beiordnung von Frau Rechtsanwältin … B. -W. als Prozessbevollmächtigte.
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Die Klägerin beantragt darüber hinaus die Aussetzung des Verfahrens nach Art. 100 Grundgesetz (GG) sowie die Vorlage der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage an das Bundesverfassungsgericht, hilfsweise die Aussetzung des Verfahrens nach § 94 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) (analog).
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Den Bescheiden fehle es an einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage. Die zitierte Ermächtigungsgrundlage sei verfassungswidrig, verletze die Klägerin in ihrem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG und die Kinder der Klägerin in ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Daran ändere auch der aktuelle Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2022 (Az. 1 BvR 469/20) nichts. Ausdrücklich von dieser Entscheidung nicht umfasst sei die Auf- und Nachweispflicht von Schülerinnen und Schülern. Zudem bestünden formelle wie auch materiellrechtliche Bedenken. Die Verfassungsbeschwerden von Eltern der der Nachweispflicht unterliegenden Schüler seien bislang durch das Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden worden. Der Ausgang dieses Verfahrens sei noch völlig offen. Die Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts würden bei schulpflichtigen Kindern nicht durchgreifen. Aufgrund der allgemeinen Schulpflicht könnten sorgeberechtigte Eltern bei Schülern nicht einfach entscheiden, dass ihr Kind zu Hause bleibt bzw. zu Hause unterrichtet wird. Die bestehende Schulpflicht mindere auch nicht die Schwere des Grundrechtseingriffs, sondern erhöhe diese. Anders als bei Kindergartenkindern stünde es den Eltern und Schülern hier nicht frei, die entsprechende Einrichtung nicht mehr aufzusuchen bzw. ihre Kinder dort nicht unterrichten zu lassen. Wenn also keine Kontraindikation oder eine bereits bestehende Immunität vorliege, seien Eltern und Schülern sehr wohl „gezwungen“, die Impfung durchführen zu lassen, wenn sie kein wiederholt festsetzbares und in seiner Höhe empfindliches Zwangsgeld oder Bußgeld hinnehmen wollen. Dies führe unmittelbar zu einer Impfpflicht. In Schulen fänden sich zudem keine schützenswerten Personengruppen. Die Untersuchungen des RKI würden auch zeigen, dass die Impfquote auch ohne eine irgendwie geartete Pflicht seit Jahren konstant hoch sei mit leicht steigender Tendenz. Es läge somit ein erheblich schwerer Eingriff in die Grundrechte der Eltern und Schüler vor bei gleichzeitig deutlich verringerter Schutzbedürftigkeit der mit diesen Schülern in Kontakt kommenden Personen und einer höheren freiwilligen Impfquote. Der Eingriff sei daher nicht mehr gerechtfertigt, sondern verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zudem sei die Verfügung auf etwas rechtlich Unmögliches gerichtet und rechtswidrig bzw. sogar nichtig, da die Kindseltern das gemeinsame Sorgerecht ausüben und die Einhaltung der Pflicht daher auch nur gemeinsam erfolgen könne.
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Der Beklagte beantragt,
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die Anträge abzulehnen.
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Allein aus dem Umstand, dass die zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sich ausschließlich zur Frage der Verfassungsgemäßheit der Nachweispflicht für Kinder in Kindertageseinrichtungen im Vorschulalter verhält, könne nicht geschlossen werden, dass die Nachweispflicht für schulpflichtige Kinder offensichtlich verfassungswidrig ist. Gegenüber Kindern, die der gesetzlichen Schulpflicht unterliegen, könne kein Betretungsverbot angeordnet werden, sodass auch ungeimpfte, aber grundsätzlich impffähige Kinder den Zugang zur schulischen Bildung behalten und dadurch ebenfalls keine mit Zwang durchsetzbare Impfpflicht angeordnet werde. Nach allgemeiner Lebenserfahrung seien auch in Schulen durchaus schwangere Lehrkräfte, mithin ein schützenswerter Personenkreis, in nennenswerter Anzahl zu finden.
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Hierauf erwiderte die Klägerseite, dass die Schulpflicht den Eingriff gerade nicht abmildere, sondern diesen noch erschwere. Zudem bleibe es bei dem Vortrag, dass sich in der Schule gerade nicht die besonders zu schützenden Personenkreise fänden. Die Anzahl schwangerer Lehrkräfte dürfe kaum ins Gewicht fallen. Dies gelte insbesondere mit Blick darauf, dass sich schwangere Personen auch in anderen Einrichtungen/Berufsgruppen in nennenswerter Zahl finden ließen, ohne dass hier eine Masernimpfpflicht bestehe. Es stelle sich zudem die Frage, wieso nicht die (deutlich größere) Impflücke bei den Erwachsenen geschlossen werde. So gebe es z.B. keine Nachweispflicht in Justizvollzugsanstalten, bei welchen auch eine „Anwesenheitspflicht“ und ein erhöhtes Infektionsrisiko durch Zusammenleben auf engstem Raum bestehe. Dies sei eine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem, die sich nicht rechtfertigen ließe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten bleibt ohne Erfolg.
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1.1. Nach § 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Anforderungen an das Vorliegen einer Erfolgsaussicht dürfen nicht überspannt werden und dadurch den Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zum Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlen. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (BVerfG, B.v. 22.8.2018 – 2 BvR 2647/17 – juris Rn. 14). Daher genügt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit, die bereits gegeben ist, wenn ein Obsiegen ebenso gewiss ist wie ein Unterliegen. Allerdings genügt eine nur entfernte, eine nur theoretische Wahrscheinlichkeit nicht (u.a. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 166 Rn. 26 m.w.N.).
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1.2. Diese Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe sind hier nicht gegeben, da die Klagen in dem für die Beurteilung der Erfolgsaussichten maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife keine hinreichenden Erfolgsaussichten im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO haben. Die streitgegenständlichen Anordnungen erweisen sich bei summarischer Prüfung im Prozesskostenhilfeverfahren als rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, so dass die in der Hauptsache zulässigen Anfechtungsklagen voraussichtlich keinen Erfolg haben werden.
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1.2.1. Rechtsgrundlage für die Anforderungen, Nachweise nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen, ist vorliegend jeweils § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG. Danach haben Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG betreut werden, dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung befindet, auf Anforderung einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen. Soweit – wie hier – die verpflichtete Person minderjährig ist, hat derjenige für die Einhaltung der diese Person nach den Absätzen 9 bis 12 treffenden Verpflichtungen zu sorgen, dem die Sorge für diese Person zusteht. Dabei hat der Gesetzgeber mit § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG nicht nur eine Vertretung des Kindes durch den Personensorgeberechtigten, sondern eine Übertragung der Verpflichtung auf den Sorgeberechtigten statuiert (BayVGH, B.v. 6.10.2021 – 25 CE 21.2383 – juris Rn. 8).
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1.2.2. An der Verfassungsmäßigkeit der streitgegenständlichen Regelungen bestehen keine durchgreifenden Bedenken.
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(a) Das Gericht sieht keine formelle Verfassungswidrigkeit der Regelungen in § 20 Abs. 8 bis 14 IfSG, die von Klägerseite lediglich pauschal behauptet wird. Die entsprechenden Vorschriften lagen dem Bundesverfassungsgericht bereits zur Prüfung vor und wurden von ihm explizit als formell verfassungsgemäß bewertet. Insbesondere sah das Bundesverfassungsgericht keine Zustimmungsbedürftigkeit des Bundesrates und auch keinen Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG (B.v. 21.07.2022 – 1 BvR 470/20 – juris Rn. 84-91).
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(b) Das Gericht geht auch nicht von einer materiellen Verfassungswidrigkeit der Regelungen in § 20 Abs. 8 bis 14 IfSG aus. Allein aus dem Umstand, dass Beschwerdeführer der oben zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 21.07.2022 – 1 BvR 470/20 – juris) ausschließlich Eltern von Kindern in Kindertageseinrichtungen im Vorschulalter bzw. Kinder in Kindertageseinrichtungen im Vorschulalter selbst gewesen sind, kann nicht geschlossen werden, dass die Nachweispflicht für schulpflichtige Kinder verfassungswidrig ist. Zutreffend ist, dass der Nachweispflicht bei schulpflichtigen Kindern nicht wie bei Kindern in Kindertageseinrichtungen dadurch begegnet werden kann, dass die Kinder die Gemeinschaftseinrichtung nicht besuchen. Dennoch ergibt sich daraus nicht, dass die Nachweispflicht verfassungswidrig ist, auch wenn dadurch das Grundrecht der Klägerin aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG betroffen ist (zur Betroffenheit des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 66 ff.). Nach dem Gesetzentwurf zielen die gegenständlichen Vorschriften des Masernschutzgesetzes darauf ab, durch die Schutzimpfungen eine Infektion mit hochansteckenden Masern sowie die mit schweren Komplikationen bis hin zu Todesfällen verlaufenden Masernerkrankungen zu verhindern (vgl. BT-Drs 19/13452, S. 16); der Gesetzgeber verfolgt daher durch die hier in Rede stehenden Regelungen einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck. Das Gericht erachtet die verfahrensgegenständlichen Regelungen zur Erreichung dieses Zweckes auch in Bezug auf Schulkinder für verhältnismäßig (so auch BayObLG, B.v. 28.03.2024 – 201 ObOWi 141/24 – juris Rn. 9 ff.; VG Bayreuth – U.v. 01.07.2024 – B 7 K 23.793 – juris Rn. 25 ff.). Zu berücksichtigen ist hierbei insbesondere, dass es sich bei Masern um eine der ansteckendsten Krankheiten des Menschen überhaupt handelt, dass das Masernvirus bei fast allen ungeschützten Infizierten eine klinische Symptomatik auslöst und dass vor Einführung der Masernimpfungen zu Beginn der 1960er Jahre jährlich weltweit geschätzt 2-3 Millionen masernbedingte Todesfälle auftraten (Masern, RKI Ratgeber, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Masern.html). Dass das Infektionsrisiko in Schulen, wo Kinder ebenfalls in engem Kontakt zueinanderstehen – insbesondere in Grundschulen –, geringer sei als in Kindertagesstätten und vergleichbaren Einrichtungen, vermag das Gericht nicht zu überzeugen. Zu berücksichtigen ist hierbei außerdem, dass ungeimpften schulpflichtigen Kindern der Schulbesuch gemäß § 20 Abs. 12 Satz 5 IfSG nicht untersagt werden kann, was das Gewicht des Eingriffs in das Grundrecht der Klägerin aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG entgegen der klägerischen Ansicht im Ergebnis deutlich abmildert. Zudem sind an die Durchsetzung einer solchen Regelung mittels Verwaltungszwang hohe Anforderungen zu stellen und darf nicht zu einer faktischen Impfpflicht führen (so BayVGH, B.v. 21.09.2023 – 20 CS 23.1432 – juris Rn. 5; B.v. 07.05.2024 – 20 CS 24.428 – juris Rn. 6 ff.). Damit verbleibt auch den Eltern schulpflichtiger Kinder im Ergebnis ein relevanter Freiheitsraum, der die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern als solche nicht aufhebt und diesen damit die Ausübung der Gesundheitssorge für ihre Kinder im Grundsatz belässt.
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1.2.3. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 9 und Abs. 13 Satz 1 IfSG liegen vor.
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(a) Die minderjährigen Kinder der Klägerin besuchen die …-Schule N. und werden daher in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 3 (Schulen und sonstige Ausbildungseinrichtungen) im Bezirk des Beklagten betreut. Hieraus ergibt sich die Verpflichtung zur Vorlage eines Nachweises im Sinne von § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG.
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(b) Als Personensorgeberechtigte ist die Klägerin auch die richtige Adressatin der Anordnungen, § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG. Dass auch der Vater der Kinder der Klägerin personensorgeberechtigt und ihm gegenüber keine entsprechenden Anordnungen ergangen sind, ist dies für die Frage der Rechtmäßigkeit der gegenüber der Klägerin ergangenen Anordnung ohne rechtliche Bedeutung. Entscheidungen über die Durchführung von Schutzimpfungen gegen Infektionskrankheiten sind zwar Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind im Sinne des § 1628 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und können daher nicht einseitig von einem sorgeberechtigten Elternteil gegen den Willen des anderen sorgeberechtigten Elternteils getroffen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2017 – XII ZB 157/16, juris). Daraus folgt aber nicht, dass stets beide sorgeberechtigten Elternteile von der zuständigen Behörde auf der Grundlage des § 20 Abs. 12 Satz 1, 13 Satz 1 IfSG zur Einhaltung der Pflicht zum Nachweis eines Masernschutzes oder medizinischer Kontraindikationen gegen eine Masernschutzimpfung aufgefordert werden müssen. Förmlich – ggf. unter Androhung von Zwangsmitteln – zur Einhaltung dieser Verpflichtungen aufgefordert werden muss bei gemeinsam Sorgeberechtigten nur der Elternteil, der nicht willens ist, den ihn treffenden Verpflichtungen nachzukommen. Für den Erlass einer – ggf. gebührenpflichtigen – Anordnung gegenüber dem Elternteil, der den ihn als Sorgeberechtigten treffenden Nachweispflichten des § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG nachzukommen beabsichtigt, so wie vorliegend der Vater der Kinder der Klägerin, der mit Schreiben vom … November 2022 sein Einverständnis mit der Impfung der Kinder erteilt hat, daran jedoch gehindert ist, so lange dem der Wille des anderen sorgeberechtigten Elternteils rechtlich entgegensteht, besteht kein Bedürfnis. Dementsprechend ist die Rechtmäßigkeit des gegenüber dem unwilligen sorgeberechtigten Elternteil erlassenen Bescheides mit der Aufforderung zur Einhaltung der sich aus § 20 Abs. 12 Satz 1, Abs. 13 Satz 1 IfSG ergebenden Pflichten unabhängig davon zu betrachten, ob auch der andere Elternteil Adressat eines solchen Bescheides geworden ist (vgl. OVG Magdeburg, B.v. 21.10.2021 – 3 M 134/21 – juris Rn. 10-12).
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(c) Nachweise im Sinne des § 20 Abs. 9 IfSG hat die Klägerin bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide dem Beklagten nicht vorgelegt.
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(d) Es liegt auch kein Ermessensfehler des Beklagten vor. Die rechtlichen Befugnisse des Gesundheitsamtes sind in § 20 Abs. 12 IfSG statuiert und räumen dem Beklagten zwar ein entsprechendes Entschließungs- und Auswahlermessen ein (im Ergebnis ebenso: VG Ansbach, B.v. 5.11.2021 – AN 18 S 21.1891 – Beckonline Rn. 43ff.; B.v. 28.5.2021 – AN 18 S 21.932 – Beckonline Rn. 23; VG Bayreuth, U.v. 1.7.2024 – B 7 K 23.793 – juris Rn. 58; VG München; B.v. 11.4.2024 – M 26a S 23.4202 – juris Rn. 56; VG Köln, B.v. 14.2.2024 – 7 L 1981/23 – juris Rn. 71; VG Minden, B.v. 6.11.2023 – 7 L 882/23 – juris Rn. 66; Kießling/Gebhard, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 20 Rn. 61; Gerhardt, IfSG, 6. Aufl. 2022, § 20 Rn. 119). Auch wenn sich den streitgegenständlichen Bescheiden nicht entnehmen lässt, dass der Beklagte insoweit ein Ermessen ausgeübt hat, führt dies jedoch vorliegend nicht zu einem Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensausfalls. Denn vor dem Hintergrund der mit § 20 Abs. 8 ff. IfSG verfolgten Zwecke des öffentlichen Gesundheitsschutzes, des Schutzes von Leben und körperlicher Unversehrtheit, zu dem der Staat auch kraft seiner grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz auch angehalten ist (BVerfG, B. v. 11.05.2020 – 1 BvR 469/20, 1 BvR 470/20 – juris), und des Schutzes vulnerabler Personengruppe vor einer Masernerkrankung handelt es sich bei § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG nach Ansicht des erkennenden Gerichts um ein sog. intendiertes Ermessen. Liegen demnach die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG vor, ist in der Regel nur die Entscheidung für die Aufforderung des Pflichtigen zur Vorlage eines Nachweises nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG ermessensfehlerfrei und muss dann auch nicht näher begründet werden, weshalb von der Anordnungsbefugnis Gebrauch gemacht wird (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris Rn. 37 m.w.N.). Eine Darlegung der Ermessenserwägungen bedarf es daher nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die ein Absehen von einer Aufforderung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG rechtfertigen könnten. Solche außergewöhnlichen Umstände wurden vorliegend jedoch nicht substantiiert geltend gemacht und sind für das Gericht auch nicht ersichtlich.
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Mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klagen im Sinne von § 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ZPO ist der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen. Damit war auch der Antrag auf Beiordnung der zur Vertretung bereiten Bevollmächtigten abzulehnen (§ 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO).
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Die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergeht kostenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.
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2. Den Anträgen auf Aussetzung des Verfahrens wird nicht entsprochen.
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Nach § 94 VwGO kann das Gericht das Verfahren aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Dabei steht die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens im Ermessen des Gerichts. Soweit eine im Rechtsstreit entscheidungserhebliche Norm gleichzeitig Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde ist, kommt eine Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung von § 94 VwGO in Betracht (vgl. hierzu Schoch/Schneider/Rudisile, 44. EL März 2023, VwGO, § 94 Rn. 51).
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Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, wenn ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt und wenn es sich um die Verletzung des Grundgesetzes handelt, für verfassungswidrig hält.
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Entgegen dem klägerischen Vorbringen hat das Gericht keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der vorstehenden Regelungen, sodass weder eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG an das Bundesverfassungsgericht noch eine Aussetzung des Verfahrens analog § 94 VwGO geboten sind. Auf die obigen Ausführungen unter 1.2.2. wird insoweit verwiesen.