Titel:
Aufenthaltstitel für Staatenlose oder Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine nach der Massenzustromrichtlinie
Normenketten:
EMRK Art. 3
GG Art. 103 Abs. 1
AufenthG § 24, § 60 Abs. 5, § 60 Abs. 7 S. 1
Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März Art. 2 Abs. 2
VwGO § 86 Abs. 1, § 104 Abs. 3 S. 2, § 108 Abs. 2, § 116 Abs. 2
Leitsätze:
1. Nach § 24 AufenthG aufgrund von Art. 2 Abs. 2 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 wenden die Mitgliedsstaaten entweder diesen Beschluss oder einen angemessenen Schutz nach ihrem nationalen Recht auf Staatenlose oder Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine an, die nachweisen können, dass sie sich vor dem 24.2.2022 auf der Grundlage eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, und die nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückzukehren. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Beurteilung, ob eine "sichere und dauerhafte" Rückkehr möglich ist, sollen sich die Mitgliedstaaten auf die allgemeine Lage im Herkunftsland oder der Herkunftsregion stützen. Dennoch soll die betreffende Person individuelle Anscheinsbeweise dafür erbringen, dass sie nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren kann. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis, Massenzustromrichtlinie, Sichere und dauerhafte Rückkehr, sichere und dauerhafte Rückkehr, Anscheinsbeweis, prima facie, Staatenlose oder Staatsangehörige anderer Drittländer, Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, irakischer Staatsangehöriger
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 20.11.2024 – 10 ZB 24.1606
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33448
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Klä- ger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung ode Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwen- den, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleiche Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger, ein 1990 in. , Irak, geborener irakischer Staatsangehöriger, begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG.
2
Der Kläger reiste am 10. April 2022 erstmalig ins Bundesgebiet ein.
3
Am 2. Juni 2022 beantragte er beim damals örtlich zuständigen Landratsamt ... . die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG. Hierbei legte er eine Kopie der Vorderseite einer unbefristeten ukrainischen Aufenthaltserlaubnis vor.
4
Am 22. Juni 2022 zog der Kläger in eine Unterkunft in W. .
5
Am 1. Juli 2022 sprach der Kläger beim nunmehr zuständigen Landratsamt ... vor und gab an, 17 Jahre in der Ukraine gelebt zu haben. Er habe dort Medizin studiert und als Herzchirurg gearbeitet. Seine Dokumente seien in der Ukraine verloren gegangen bzw. verbrannt. Sein Haus in I. . sei von Raketen zerstört worden und er habe nichts mehr mitnehmen können.
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Mit Schreiben des Beklagten vom 1. Juli 2022 wurde der Kläger zur Vorlage eines Reisepasses aufgefordert.
7
Nach einem Vermerk des Beklagten vom 1. Juli 2022 wurde der Kläger ferner aufgefordert, weitere Nachweise über seinen Aufenthalt in der Ukraine, u.a. die ukrainische Aufenthaltserlaubnis im Original, vorzulegen. Der Kläger habe nach seiner Aussage bereits telefonisch Kontakt mit den ukrainischen sowie irakischen Auslandsvertretungen aufgenommen; beide Konsulate würden ihm keine Dokumente ausstellen. Er sei aufgefordert worden, hierzu schriftliche Bestätigungen vorzulegen.
8
Bei einer Vorsprache am 5. Juli 2022 teilte der Kläger mit, dass er demnächst auf Dauer in die Ukraine zurückkehren werde, und nahm den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zurück.
9
Am ... Juli 2022 schloss der Kläger mit der Fa. „…“ einen befristeten Arbeitsvertrag als Servicemitarbeiter ab.
10
Nach einem Vermerk des Beklagten vom 28. Juli 2022 wurde der Kläger belehrt, dass er infolge der Rücknahme seines Antrags einen neuen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stellen müsse. Hierfür sei jedoch ein gültiger irakischer Reisepass erforderlich. Ohne Identifikationsnachweise (Reisepass) könne er derzeit keinen Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG erhalten. Aktuell dürfe er nicht arbeiten. Der Kläger habe erklärt, sein Reisepass sei verbrannt. Er habe in C. . Ukraine gelebt. Er habe bereits versucht, bei der irakischen Botschaft in B. einen Pass zu beantragen. Dort sei ihm mitgeteilt worden, dass er keinen Reisepass bekommen könne, da er keinen Aufenthalt (sic) in Deutschland habe. Er müsse einen Nachweis bringen, dass er in Deutschland lebe und dort einen Aufenthalt (sic) habe. Er sei davon ausgegangen, arbeiten zu dürfen, da er bereits eine Steuernummer erhalten habe. Er werde seinen Arbeitgeber sofort informieren. Der Kläger wurde aufgefordert, sich erneut an die Botschaft zu wenden und einen schriftlichen Nachweis über die Unmöglichkeit der Ausstellung eines Reisepasses vorzulegen.
11
Am 19. August 2022 beantragte der Kläger mittels Formblatt erneut die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG. Beigefügt waren u.a. Studienbescheinigungen der Universität C. . aus den Jahren 2014 und 2018, eine Übersetzung der Daten seines bis 2018 gültigen Reisepasses ins Ukrainische, eine Stellungnahme des rumänischen Innenministeriums zu einem am 15. März 2022 gestellten Asylantrag, eine Bescheinigung der ungarischen Grenzpolizei über die Berechtigung zum vorübergehenden Aufenthalt vom 9. April 2022 sowie Bescheinigungen des Generalkonsulats der Republik Irak in Fr..
12
Mit Schreiben vom 19. August 2022 wurde der Kläger zur beabsichtigten Antragsablehnung angehört.
13
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2022 wurde der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Nr. 1), der Kläger zur Ausreise bis zum 27. Oktober 2022 aufgefordert (Nr. 2) und für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung zuvorderst in den Irak angedroht (Nr. 3).
14
Der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 24 AufenthG nicht. Er sei nach eigenen Angaben im Besitz eines nach ukrainischem Recht erteilten unbefristeten Aufenthaltstitels, allerdings liege nur eine (schlechte) Kopie der Vorderseite vor. Er habe auch keinerlei Nachweise für seinen 17-jährigen Aufenthalt in der Ukraine erbracht. Die kopierten Bescheinigungen der Universität C. . seien aus den Jahren 2014 und 2018. Die Unterlagen belegten nicht sein Aufenthaltsrecht in der Ukraine. Es sei auch nicht klargestellt, inwieweit ein Asylverfahren in Rumänien betrieben werde. Er habe auch keinen gültigen Reisepass vorlegen können. Es liege zwar ein (nicht übersetztes) Schreiben der irakischen Botschaft vor, das seine Personaldaten bestätige. Dies stelle aber weder eine Passbeantragung noch ein Aufenthaltsrecht in der Ukraine dar. Es sei daher fraglich, ob ihm die Rückkehr in das Heimatland, in dem er einen überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, unzumutbar wäre. Zumindest stelle es ihn nicht vor größere Herausforderungen als die Integration in die Gesellschafts- und Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland. Bei der Antragstellung auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis habe er keine Gründe geltend gemacht, weshalb ihm eine sichere und dauerhafte Rückkehr in den Irak nicht möglich sei. Die Erteilungsvoraussetzungen einer anderweitigen Aufenthaltserlaubnis erfülle er nach Aktenlage nicht.
15
Am 17. Oktober 2022 legte der Kläger einen bis 2018 gültigen Reisepass beim Beklagten vor. In diesem befinden sich mehrere Ein-/Ausreisestempel bzgl. des Iraks aus den Jahren 2010, 2011 und 2013 sowie Stempel ukrainischer Behörden über die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis. Nach einem Aktenvermerk des Beklagten erklärte der Kläger, er habe den Pass von seinem Bruder erhalten, der am Wochenende kurzzeitig in der Ukraine gewesen sei. Er habe einen Termin bei der Botschaft in Fr. bzgl. der Beantragung eines Reisepasses, er benötige jedoch mehr Zeit. Er benötige nur noch den Pass, einen weiteren Aufenthalt in Deutschland beabsichtige er gar nicht mehr.
16
Am 20. Oktober 2022 reichte er eine Bestätigung des Generalkonsulats der Republik Irak in Fr. vom 18. Oktober 2022 über die Beantragung eines Reisepasses ein. Dem Antrag könne leider nicht entsprochen werden, da für die Ausstellung eines Reisepasses die irakische Staatsangehörigkeitsurkunde und der Personalausweis im Original erforderlich seien. Diese Dokumente könnten persönlich bzw. über einen Vertreter im Irak beantragt werden.
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Am. Oktober 2022 hat der Kläger zur Niederschrift der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt,
18
den Bescheid des Beklagten vom 13. Oktober 2022 aufzuheben und diesen zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
19
Er habe mittlerweile einen Antrag auf Ausstellung eines irakischen Reisepasses gestellt. Er habe alle Unterlagen verloren und benötige Zeit, um diese wiederzubeschaffen.
20
Mit Schriftsatz vom 15. November 2022 hat der Beklagte beantragt,
22
Am 25. Februar 2023 wurde der Kläger als Insasse eines Reisebusses an der Kontrollstelle BAB . W. . durch die Bundespolizeiinspektion F. . angehalten und kontrolliert. Es wurde eine Anzeige aufgrund des Verdachts der versuchten unerlaubten Einreise erstattet und eine Anlaufbescheinigung ausgestellt.
23
Am 1. März 2023 reichte der Kläger einen gültigen Reisepass beim Beklagten ein, welcher am 5. Februar 2023 in Bagdad ausgestellt wurde. In diesem ist ein Ausreisestempel für den 22. Februar 2023 aus Zahony, Ungarn, vermerkt. Nach einem Aktenvermerk des Beklagten erklärte der Kläger, er wolle zurück in die Ukraine, müsse aber noch 1-2 Monate in Deutschland abwarten, da er ein Einreisevisum für die Ukraine bräuchte, welches er Anfang April erhalten solle. Zudem habe er kein Geld, um auszureisen. Für den Botschaftstermin sei der Pass notwendig.
24
Mit Schriftsatz vom ... Juli 2023 führte der damalige Bevollmächtigte des Klägers aus, der Kläger sei erstmals 2007 in die Ukraine eingereist. Nach erfolgreichem Abschluss eines Medizinstudiums habe er dort als Herzchirurg gearbeitet. Seit 2013 sei der Kläger nach dem Erwerb von Wohnungseigentum in I. . in Besitz eines unbefristeten ukrainischen Aufenthaltstitels gewesen. Er sei auf der Flucht vor dem Krieg in der Ukraine über Rumänien und Österreich am 13. April 2022 ins Bundesgebiet eingereist. Der Grenzübertritt von Rumänien in die Ukraine (sic) sei am 15. März 2022 erfolgt. Nach seiner Ankunft im Bundesgebiet habe er von ukrainischen Behörden beglaubigte Kopien seines ukrainischen unbefristeten Aufenthaltstitels im Ankunftszentrum an der M. . -P. . -Straße abgegeben. Eine diesbezügliche Einbehaltungsbestätigung habe er nicht erhalten. Eine hervorragend lesbare Kopie der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sowie seinen abgelaufenen Reisepass habe er bei der zuständigen Ausländerbehörde abgegeben. Weitere Identitätsdokumente, insb. seinen gültigen irakischen Reisepass und die unbefristete Aufenthaltskarte im Original, habe er nicht vorlegen können, da diese bei einem russischen Angriff auf sein Wohnhaus zerstört worden seien. Der abgelaufene Originalreisepass habe sich im Haus eines Freundes befunden, der diesen bei seiner Ausreise aus der Ukraine mit nach Deutschland genommen habe. Der Beklagte habe den Kläger mehrmals (fälschlicherweise) darauf hingewiesen, dass für die Bearbeitung des Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG bzw. für dessen Erteilung die Vorlage eines (neu ausgestellten) irakischen Reisepasses erforderlich sei. Der Bescheid sei offensichtlich rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten. Dieser habe einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG. Der Kläger habe sich am 24. Februar 2022 auf Grundlage eines unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten. Er sei nachweislich nach dem 24. Februar 2024 aus der Ukraine ausgereist. Hierfür spreche insbesondere die rumänische Vorladung zur Vorsprache vom 25. März 2022. Der Beklagte sei fälschlicherweise der Auffassung, die vorgelegten Dokumente würden einen Aufenthalt in der Ukraine zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht beweisen. Dabei obliege es der Ausländerbehörde, im Zweifelsfalle ihrer Amtsermittlungspflicht nachzukommen und auf der Grundlage der ihr vom Kläger vermittelten Informationen, ggf. im Wege der Amtshilfe durch die Bundespolizei oder Interpol, entsprechende Informationen über den Zeitpunkt der Einreise in die Europäische Union einzuholen. Der Kläger habe sich bis zum Zeitpunkt seiner Ausreise auch rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten, da er nachweislich in Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis gewesen sei. Die diesseits vorgelegten Nachweise seien ausreichend, um vom Vorliegen eines unbefristeten Titels auszugehen. Zum einen liege dem Beklagten eine Kopie vor. Zum zweiten befinde sich im (abgelaufenen) Originalpass ein Stempel, der den unbefristeten Aufenthaltstitel konstatiere. Der Beklagte gehe hierauf mit keinem Wort ein. Zudem werde darauf hingewiesen, dass der Kläger kurz nach seiner Ankunft im Ankunftszentrum eine beglaubigte Kopie seiner unbefristeten Aufenthaltserlaubnis eingereicht habe. Der Beklagte habe auch hier entgegen seiner Amtsermittlungspflicht nicht die erforderlichen Schritte zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen und eine Anfrage im Ankunftszentrum unterlassen. Bei Personen, die sich mit einem nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitel rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, sei prima facie von einer maßgeblichen Verbindung in der Ukraine und damit davon auszugehen, dass sie nicht in der Lage seien, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückzukehren, da eine engere (Wortlaut der Kommission: sinnvollere) Bindung zur Ukraine bestehe als zum Herkunftsstaat. Beigefügt waren zwei nicht übersetzte Überweisungen für Stromkosten des Klägers für eine Wohnung in I. . für Dezember 2021 sowie Erdgas für Dezember 2021, bezahlt von einer Frau L. .
25
Mit Schriftsatz vom 20. September 2023 führte der Beklagte aus, der Aufenthaltstitel liege unverändert weiterhin lediglich in Kopie vor. Ob eine „hervorragend lesbare Kopie“ der ehemals zuständigen Ausländerbehörde oder dem Ankunftszentrum vorgelegt worden seien, sei nicht weiter von Belang. Denn amtliche Dokumente, die ein Recht im In- oder Ausland belegen, seien stets nur im Original verwertbar. Nachdem der Kläger zunächst geäußert habe, dass sein Reisepass in der Ukraine zerstört worden sei, habe er einen abgelaufenen Reisepass vorgelegt, der wiederum bei einem Freund in der Ukraine hinterlegt gewesen sei. Dieser sei nach dem streitgegenständlichen Bescheid vorgelegt worden. Warum der Kläger fälschlicherweise auf die Passpflicht hingewiesen worden sei, erschließe sich nicht. Der Kläger habe vielmehr den Antrag zurückgenommen, da er wiederholt behauptet habe, zurück in die Ukraine zu wollen. Es reiche eben nicht aus, dass der Kläger – vermutlich – irgendwann einen unbefristeten ukrainischen Aufenthaltstitel besessen habe. Es sei jedoch auch erforderlich, dass der gewöhnliche Aufenthalt zu Kriegsbeginn in der Ukraine gewesen ist. Die vorgelegten Unterlagen seien aus den Jahren 2014 und 2018, die Stempel im abgelaufenen Reisepass noch älter. In der Gesamtschau sei nicht erkennbar, woraus eine Anspruchsberechtigung resultieren sollte. Zudem bestehe eine Mitwirkungspflicht nach § 82 AufenthG. Etwaige Nachweise, Unterlagen, ggf. notwendige Übersetzungen von Stempeln und Unterlagen seien von Seiten des Ausländers zu beschaffen, der einen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet begehre. Bis heute sei nicht geklärt, wo und wie der Kläger seinen neuen Reisepass erhalten habe. Es sei nur bekannt, dass der Kläger am 25. Februar 2023 im Rahmen einer grenzpolizeilichen Einreisekontrolle kontrolliert worden sei und den neuen Reisepass mit sich geführt habe. Dieser sei am 5. Februar 2023 in Bagdad ausgestellt worden. Sollte er in seinem Heimatland gewesen sei, stelle sich die Frage, warum eine freiwillige Ausreise nicht möglich sei. Hinsichtlich einer etwaigen illegalen Einreise werde derzeit noch von der Staatsanwaltschaft ermittelt.
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Mit Schreiben vom. Oktober 2023 führte der damalige Bevollmächtigte aus, es sei nie behauptet worden, der Kläger sei fälschlicherweise auf die Passpflicht hingewiesen worden; es sei vielmehr moniert worden, dass die Bearbeitung des Antrags fälschlicherweise von der Vorlage eines gültigen Originalreisepasses abhängig gemacht worden sei. Zudem werde erwartet, dass der Beklagte seiner Amtsermittlungspflicht nachkomme und sich im Ankunftszentrum nach dem Verbleib der beglaubigten Kopie der unbefristeten ukrainischen Aufenthaltserlaubnis erkundigt.
27
Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2024 führte der Beklagte im Wesentlichen aus, die Regierung von Oberbayern/Ankunftszentrum sowie die ehemals zuständige Ausländerbehörde F. . seien um Auskunft gebeten worden, ob und welche Personaldokumente vorgelegt wurden. Bei der Regierung sei eine Kopie eines Aufenthaltstitels gefunden worden, jedoch habe keine Aussage getroffen werden können, ob es sich hierbei um eine „beglaubigte Kopie“ handele.
28
In der mündlichen Verhandlung vom 25. Juli 2024 erklärte der Kläger, er habe keine Kontakte mehr im Irak. Dort sei er zuletzt 2013 gewesen. Zu seinen Eltern, die vermutlich noch im Irak leben, habe er seit 8 Jahren keinen Kontakt mehr. Er lebe seit 2007 in der Ukraine und sei dort sozial verwurzelt. Er habe dort studiert und gearbeitet, eine Freundin und ein Haus, das zerstört worden sei.
29
Der Bevollmächtigte des Klägers stellte den Klageantrag aus der Niederschrift vom 20. Oktober 2022 mit der Maßgabe, dass dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG erteilt werden soll.
30
Mit Schriftsatz vom. Juli 2024 beantragte die Klägerbevollmächtigte, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Das Gericht habe im Rahmen der mündlichen Verhandlung überraschend zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der sicheren und dauerhaften Rückkehroption in das Herkunftsland auf eine nicht näher genannte Entscheidung des VGH BW hingewiesen. Im schriftlichen Vorverfahren habe sich der Streit zwischen den Beteiligten nahezu ausschließlich um den Gesichtspunkt der Erweislichkeit des Bestehens einer unbefristeten ukrainischen Aufenthaltserlaubnis des Klägers gedreht. Die Erörterungen des Gerichts hätten sich jedoch auf den nicht zuvor als streitig absehbaren Gesichtspunkt der Entwurzelung aus dem Heimatland konzentriert. Der Kläger habe im Rahmen der mündlichen Verhandlung herausgestellt, dass er zu seinem Herkunftsland bis auf seine Staatsangehörigkeit keine äußere oder innere Verbindung mehr habe und der Kontakt zu seiner Familie bereits seit über 10 Jahren abgebrochen sei. Die vom Gericht geäußerte Rechtsauffassung zur Möglichkeit der sicheren und dauerhaften Rückkehr stelle sich als überraschend dar. Diesbezüglich hätte ein gerichtlicher Hinweis erfolgen müssen. Zudem sei dem Gericht aufgrund des Umstands, dass zur Terminsvertretung lediglich ein Rechtsreferendar anwesend gewesen sei, eine besondere Fürsorgepflicht zugekommen. Von diesem könne nicht im selben Maße wie von einem Anwalt erwartet werden, auf spontane Wendungen und Verlagerungen der Erörterung der Prozessmaterie eingehen zu können.
31
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
33
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG (§ 113 Abs. 5 Satz 1 AufenthG). Der streitgegenständliche Bescheid vom 13. Oktober 2022 ist vielmehr rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
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1. Nach § 24 Abs. 1 AufenthG wird einem Ausländer, dem auf Grund eines Beschlusses des Rates der Europäischen Union gemäß der RL 2001/55/EG vorübergehender Schutz gewährt wird und der seine Bereitschaft erklärt hat, im Bundesgebiet aufgenommen zu werden, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt. Nach Art. 1 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates vom 4. März 2022 zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der RL 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes (im Folgenden: Durchführungsbeschluss) wurde das Bestehen eines Massenzustroms von Vertriebenen in die Union festgestellt, die infolge eines bewaffneten Konflikts die Ukraine verlassen mussten.
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Der Kläger gehört jedoch bereits nicht zu dem nach dieser Norm begünstigten Personenkreis.
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a) Der begünstigte Personenkreis wird in Art. 2 Abs. 1 des Durchführungsbeschlusses bestimmt. Danach gehören ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24. Februar 2022 ihren Aufenthalt in der Ukraine hatten und am oder nach dem 24. Februar 2022 infolge der militärischen Invasion aus der Ukraine vertrieben wurden (lit. a), Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben (lit. b), sowie Familienangehörige der unter den lit. a und b genannten Personen (lit. c) zum begünstigten Personenkreis.
37
Nachdem der Kläger weder ukrainischer Staatsangehöriger ist noch in der Ukraine über einen Schutzstatus verfügt hat oder Familienangehöriger einer der genannten Personengruppen ist, fällt er ersichtlich nicht unter den nach dem Durchführungsbeschluss direkt berechtigten Personenkreis.
38
b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch nach § 24 AufenthG aufgrund von Art. 2 Abs. 2 des Durchführungsbeschlusses. Danach wenden die Mitgliedsstaaten entweder diesen Beschluss oder einen angemessenen Schutz nach ihrem nationalen Recht auf Staatenlose oder Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine an, die nachweisen können, dass sie sich vor dem 24. Februar 2022 auf der Grundlage eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, und die nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückzukehren.
39
Zwar unterstellt es das Gericht vorliegend als wahr, dass sich der Kläger vor dem 24. Februar 2024 auf der Grundlage eines unbefristeten ukrainischen Aufenthaltstitels in der Ukraine aufgehalten hat. Dem Kläger ist jedoch eine sichere und dauerhafte Rückkehr in sein Heimatland möglich.
40
In den Hinweisen des Bundesministeriums des Innern und für Heimat zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses vom 14.4.2022/5.9.2022 (im Folgenden: BMI Hinweise) wird hierzu ausgeführt, dass bei Personen, die sich mit einem nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, prima facie von einer maßgeblichen Verbindung in der Ukraine und damit davon auszugehen ist, dass sie nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückzukehren, weil eine engere (Wortlaut der Kommission: „sinnvollere“) Bindung zur Ukraine besteht als zum Herkunftsstaat. Die entsprechende prima-facie-Schlussfolgerung ist widerleglich (BMI Hinweise, S. 5).
41
Die Bundesrepublik hat durch die BMI Hinweise zum Ausdruck gebracht, sich hinsichtlich der Beurteilung der Frage einer möglichen sicheren und dauerhaften Rückkehr den operativen Leitlinien der Kommission anzuschließen. Hiernach handelt es sich um eine sui generis-Prüfung, wobei hinsichtlich des inhaltlichen Prüfmaßstabs die Voraussetzungen der §§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG anzulegen sind (vgl. S. 4 der Mitteilung der Europäischen Kommission zu operativen Leitlinien für die Umsetzung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382, ABl. 2022/C 126 I/01 (im Folgenden: Leitlinie), sowie BMI Hinweise, S. 8). Bei der Beurteilung, ob eine „sichere und dauerhafte“ Rückkehr möglich ist, sollen sich die Mitgliedstaaten auf die allgemeine Lage im Herkunftsland oder der Herkunftsregion stützen. Dennoch soll die betreffende Person individuelle Anscheinsbeweise dafür erbringen, dass sie nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren kann (vgl. S. 4 Leitlinie, Ziff. 4.4 BMI Hinweise, S. 8). Trägt die betreffende Person der Ausländerbehörde im Rahmen der Prüfung hierbei Belange vor, welche die Anforderungen des § 13 AsylG erfüllen, ist diese auf eine Asylantragstellung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verweisen (Ziff. 4.4 BMI Hinweise, S. 9).
42
Weder aus dem Vorbringen des Klägers noch aus den eingeführten Erkenntnismitteln zur allgemeinen Lage in der Republik Irak ergibt sich, dass dem Kläger eine sichere und dauerhafte Rückkehr in sein Heimatland nach den insoweit inhaltlich heranzuziehenden Maßstäben der §§ 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht möglich ist.
43
Gesundheitliche Gründe, welche die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erfüllen könnten, sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich.
44
Auch sind die inhaltlichen Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegend nicht gegeben. Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. In ganz außergewöhnlichen Fällen bzw. bei ganz außergewöhnlichen Umständen können auch schlechte humanitäre Bedingungen im Zielstaat, die ganz oder in erster Linie auf Armut oder auf das Fehlen staatlicher Mittel zum Umgang mit auf natürlichen Umständen beruhenden Gegebenheiten zurückzuführen sind, im Zielstaat der Abschiebung ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen, wenn humanitäre Gründe zwingend gegen eine Abschiebung sprechen. Dies ist nicht bereits dann der Fall, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Fall einer Abschiebung die Befriedigung der elementarsten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern nur für den Fall, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass der Drittstaatsangehörige seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält und er dadurch Gefahr läuft, erheblich in seiner Gesundheit beeinträchtigt zu werden oder in einen menschenunwürdigen Zustand der Verelendung versetzt zu werden. Diese Schwelle der Erheblichkeit kann in Bezug auf vulnerable Personen schneller erreicht sein als etwa in Bezug auf gesunde und erwerbsfähige erwachsene Personen. Das wirtschaftliche Existenzminimum ist immer dann gesichert, wenn erwerbsfähige Personen durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist (auch im Bereich der sogenannten „Schatten- oder Nischenwirtschaft“), oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Maßstab für die im Rahmen der Prüfung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK anzustellende Gefahrenprognose ist dabei grundsätzlich, ob der vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer nach seiner Rückkehr, gegebenenfalls durch ihm gewährte Rückkehrhilfen, in der Lage ist, seine elementarsten Bedürfnisse über einen absehbaren Zeitraum zu befriedigen; nicht entscheidend ist hingegen, ob das Existenzminimum eines Ausländers in dessen Herkunftsland nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist. Dabei ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet. Maßgeblich ist, wie im Rahmen des unionsrechtlichen Abschiebungsschutzes, in erster Linie die Herkunftsregion des Ausländers (vgl. VGH BW, U.v. 12.7.2023 – A 10 S 373/23 – juris Rn. 56 m.w.N.).
45
Insoweit ergibt sich aus dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes sowie aus der Länderinformation der Staatendokumentation des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, dass eine Rückkehr irakischer Staatsangehöriger aus Deutschland in ihr Herkunftsland sowohl rechtlich als auch tatsächlich möglich ist und mittlerweile auch Rückführungen in den Irak wieder aufgenommen wurden.
46
Die Grundversorgung ist nicht durchgehend und in allen Landesteilen gewährleistet. Jenseits des Ölsektors verfügt Irak kaum über eigene Industrie. Der Hauptarbeitgeber ist die öffentliche Hand. Der Großteil der Bevölkerung wohnt in Städten, wobei die Mehrzahl der Stadtbewohner in prekären Verhältnissen lebt, ohne ausreichenden Zugang zu öffentlichen Basis-Dienstleistungen. Bedürftige erhalten Lebensmittelgutscheine, mit denen sie in speziellen staatlichen Geschäften einkaufen können, wobei es hierbei zu Engpässen kommen kann. Im gesamten Land ist die durch Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur stark sanierungsbedürftig. Die Versorgungslage ist für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Nach Angaben des irakischen Ministeriums für Arbeit und Soziales lebten 2023 etwa 23% der irakischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Aufgrund der wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie und des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wird mit einer seitdem gestiegenen Armutsrate gerechnet. Die Arbeitslosigkeit im Irak ist hoch und lag im Jahr 2023 bei 15,6%. Besonders Frauen und junge Menschen sind von Arbeitslosigkeit betroffen. Etwa 18% der Rückkehrer sind arbeitslos. Der Irak ist in hohem Maße von Nahrungsmittelimporten abhängig. Grundnahrungsmittel sind in allen Gouvernements verfügbar. Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt. Gerade in den Sommermonaten ist die öffentliche Stromversorgung häufig unterbrochen. Die Wasserversorgung leidet unter völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen. Sie führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr, hinzu kommt Verschmutzung durch (Industrie-)Abfälle. Weite Teile des Landes sind von einer Wasserknappheit betroffen. In der Provinz Diyala sprechen Regierungsvertreter von einem 90-prozentigen Rückgang der Getreideernte aufgrund Wassermangels. Die medizinische Versorgungsituation ist angespannt. In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber das Land verlassen (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, Stand: April 2024, S. 28 ff; Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Irak, S. 258 ff.). Rückkehrer aus Deutschland erhalten über unterschiedliche Rückkehr- und Reintegrationsprogramme Unterstützungsleistungen, u.a. sind umfasst: Reisekosten, Reisebeihilfe i.H.v. 200 EUR für Erwachsene, Starthilfe i.H.v. 1.000 EUR. Über das StarthilfePlus-Programm können Rückkehrer 6-8 Monate nach der Rückkehr eine weitere Unterstützung erhalten.
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Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse und der individuellen Situation des Klägers ist davon auszugehen, dass dem Kläger eine sichere und dauerhafte Rückkehr in den Irak möglich ist. Zwar kann angesichts des Umstands, dass der Kläger seit 2007 in der Ukraine gelebt, dort studiert, gearbeitet und seine maßgeblichen sozialen Kontakte aufgebaut hat, von einer tiefgreifenden Bindung zur Ukraine ausgegangen werden. Allerdings ist nicht ersichtlich, dass dem Kläger eine sichere und dauerhafte Rückkehr in sein Heimatland nicht möglich wäre. Der Kläger hat bis zu seinem 17. Lebensjahr im Irak gelebt und hat dort seine prägenden Jahre der Kindheit und Jugend vertraut. Er spricht die dortige Sprache und ist auch mit der dort herrschenden Kultur verbraucht. Der Kläger war während seines Aufenthalts in der Ukraine mehrmals besuchsweise im Irak. Er ist ein junger, gesunder und arbeitsfähiger Mann, der über eine hohe Schulbildung sowie ein abgeschlossenes Medizinstudium verfügt. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger mit seiner Ausbildung und langjährigen Erfahrung als Herzchirurg auch im Irak in kurzer Zeit eine Anstellung finden wird, zumal nach obigen Erkenntnissen ein großer Bedarf an medizinischem Personal besteht. Damit wird der Kläger in der Lage sein, seine elementaren Grundbedürfnisse zu sichern. Davon abgesehen ist ferner davon auszugehen, dass der Kläger trotz des seit längerem nicht mehr bestehenden Kontakts bei seinen noch im Irak lebenden Eltern einen ersten Anlaufpunkt haben wird, die ihn in der Anfangszeit unterstützen können.
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Sprechen die allgemeine Auskunftslage und die individuellen Umstände des Ausländers für die Möglichkeit einer sicheren und dauerhaften Rückkehr in das Herkunftsland und sind deshalb die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG i.V.m. dem Durchführungsbeschluss des Rates der Europäischen Union nicht erfüllt, so ändert sich hieran auch nichts durch die Ausführungen des Bundesministeriums des Innern und für Heimat in den Schreiben vom 14. April 2022 und vom 5. September 2022.
Denn auch soweit darin ausgeführt wird, es sei bei Personen mit unbefristetem Aufenthaltstitel für die Ukraine „prima facie von einer maßgeblichen Verbindung in der Ukraine und damit davon auszugehen, dass sie nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland zurückzukehren“, wird auch festgestellt, dass eine solche „prima facie-Schlussfolgerung“ jedenfalls „widerleglich“ sei (S. 5 des Länderschreibens vom 5. September 2022). Bezogen auf den aus dem Irak stammenden Kläger ist die „Schlussfolgerung“ widerlegt, da die Möglichkeit seiner sicheren und dauerhaften Rückkehr durch die allgemeine Auskunftslage bestätigt und auch nicht durch konkreten Vortrag im Einzelfall in Zweifel gezogen wird (vgl. auch VG Frankfurt (Oder), B.v. 16.1.2023 – 3 L 376/22 – juris; OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 23.3.2023 – OVG 11 S 8/23 – juris).
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2. Die Frist zur freiwilligen Ausreise sowie die Abschiebungsandrohung beruhen auf §§ 58 und 59 AufenthG und sind rechtlich nicht zu beanstanden.
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3. Dem Antrag des Klägers auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO war nicht stattzugeben. Einer gesonderten Entscheidung durch Beschluss bedarf es hierzu nicht, vielmehr kann die Entscheidung, die mündliche Verhandlung nicht wiederzueröffnen, im Urteil selbst begründet werden (vgl. BVerwG, B.v. 25.1.2016 – 2 B 34/14 – juris Rn. 29). Eine Wiedereröffnung ist nach Wirksamwerden einer die Instanz abschließenden Entscheidung nicht mehr möglich (BayVGH, U.v. 7.12.2017 – 13 A 17.329, 13 A 17.331 – juris Rn. 28), wobei ein Urteil bereits mit Niederlegung der Entscheidungsformel bei der Geschäftsstelle wirksam wird (VGH BW, B.v. 12.3.1999 – A 14 S 1361/97 – juris Rn. 7).
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Bei Eingang des Wiedereröffnungsantrags hatte das Gericht bereits die Entscheidung getroffen und nach § 116 Abs. 2 VwGO der Geschäftsstelle übergeben. Das pdf-Dokument mit dem Urteilstenor wurde von Geschäftsstelle am 26. Juli 2024 um 6:12 Uhr in die E-Akte hochgeladen. Damit ist eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht mehr möglich.
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Darüber hinaus sind vorliegend auch keine Gründe gegeben, die für eine Wiederaufnahme sprechen. Grundsätzlich besteht kein Anspruch auf Wiedereröffnung, das Gericht entscheidet hierüber vielmehr nach Ermessen. Eine Pflicht zur Wiedereröffnung besteht ausnahmsweise dann, wenn nur auf diese Weise das Recht auf rechtliches Gehör gewahrt werden kann oder nur so die Pflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO erfüllt werden kann, den Sachverhalt umfassend aufzuklären (vgl. BVerwG, B.v. 25.1.2016 – 2 B 34/14 – juris Rn. 28).
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Der Kläger hatte sowohl bis zur mündlichen Verhandlung als auch innerhalb der mündlichen Verhandlung ausreichend Zeit und Gelegenheit, seine Argumente vorzutragen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor. Soweit die Klägerbevollmächtigte vorträgt, dass das Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung überraschend zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals der sicheren und dauerhaften Rückkehr in das Herkunftsland auf eine nicht näher genannte Entscheidung des VGH BW hingewiesen und gegen seine Hinweispflicht verstoßen habe, trägt dies keinen Wiedereröffnungsgrund.
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Dem Gericht ist bereits unklar, um welche Rechtsprechung des VGH BW es sich hierbei handeln soll; die einzige im Rahmen der Hauptverhandlung erwähnte Entscheidung des VGH BW betraf nicht die Voraussetzung der sicheren und dauerhaften Rückkehr, sondern vielmehr die Frage, inwieweit den BMI-Hinweisen überhaupt eine rechtliche Bindungswirkung zukommt (VGH BW, B.v. 26.10.2022 – 11 S 1467/22 – juris).
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Im gerichtlichen Verfahren gewährleisten Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO den Beteiligten das Recht, sich vor der Entscheidung zu allen dafür erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen zu äußern. Rechtlich erhebliches Vorbringen der Beteiligten muss das Gericht zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen. Der Schutz vor einer Überraschungsentscheidung verlangt dabei, dass das Gericht nicht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2023 – 1 B 3/23 – juris Rn. 3).
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Vorliegend erschließt sich bereits nicht, inwiefern die Prüfung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals, vorliegend das der sicheren und dauerhaften Rückkehrmöglichkeit, durch das Gericht überraschend sein sollte. Zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist nämlich erforderlich, dass sämtliche Tatbestandsmerkmale vorliegen. Zudem ist der Vortrag unzutreffend, dass die Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmals im Vorfeld der mündlichen Verhandlung zwischen den Beteiligten unstreitig gewesen wäre und ein diesbezüglicher richterlicher Hinweis hätte ergehen müssen.
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Die Klagepartei hat selbst im Rahmen der Klage- bzw. Antragsbegründung mit Schriftsatz vom ... Juli 2023 auf eine Passage in den BMI-Hinweisen Bezug genommen, die sich ausdrücklich mit diesem Tatbestandsmerkmal beschäftigt. Hierin wird ausgeführt, dass bei Drittstaatsangehörigen, die über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht in der Ukraine verfügt haben, zwar prima facie davon ausgegangen werden kann, dass dieser nicht sicher und dauerhaft in sein Heimatland zurückkehren kann. Es wird aber ausdrücklich festgestellt, dass diese Schlussfolgerung widerleglich ist und in diesem Fall eine Anschlussprüfung stattfindet, die sich an den Voraussetzungen der § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG orientiert (BMI-Hinweise S. 5, 7f.). Damit hätte einem gewissenhaften und kundigen Prozessbeteiligten klar sein müssen, dass allein das Vorliegen eines unbefristeten Aufenthaltsrechts in der Ukraine nicht ausnahmslos und ohne jegliche weitere Prüfung zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG führt. Vielmehr müssen die Voraussetzung des unbefristeten Aufenthaltsrechts und der fehlenden Rückkehrmöglichkeit kumulativ vorliegen.
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Zudem wurde bereits im streitgegenständlichen Bescheid darauf hingewiesen, dass der Kläger keinerlei Gründe geltend gemacht hat, weshalb ihm eine sichere und dauerhafte Rückkehr in sein Herkunftsland nicht möglich sei (Nr. II, 2.2).
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Überdies wurden mit Schreiben vom 18. Juli 2024 durch das Gericht Erkenntnismittel zur Lage im Irak zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Auch hierdurch hätte sich der Klagepartei aufdrängen müssen, dass es auch entscheidend auf die Rückkehrmöglichkeit des Klägers in den Irak ankommen wird. Schließlich hat der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit erhalten, sich zur Situation im Heimatland zu äußern und hat dies auch getan.
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Soweit ferner gerügt wird, dem Gericht komme aufgrund der Tatsache, dass lediglich ein Rechtsreferendar zur Vertretung des Klägers anwesend gewesen sei, eine besondere Fürsorgepflicht zu, ist zunächst anzumerken, dass es auf einer Entscheidung der Klägerbevollmächtigten beruht, nicht selbst an der Verhandlung teilzunehmen. Zum anderen hat der teilnehmende Rechtsreferendar die Gelegenheit erhalten, nach Erörterung der Sach- und Rechtslage telefonisch Rücksprache mit der Bevollmächtigten zu halten, welche dieser auch wahrgenommen hat.
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Die Klage war somit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).