Inhalt

VGH München, Beschluss v. 22.11.2024 – 19 ZB 23.1416
Titel:

Rechtmäßige Ausweisung eines drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers

Normenketten:
AufenthG § 53 Abs. 1, Abs. 2
AEUV Art. 20
Leitsätze:
1. Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK steht der Berücksichtigung neuer, strafrechtlicher Sachverhalte nicht entgegen, weil die Ausweisung dem Ordnungsrecht und nicht dem Strafrecht zuzuordnen ist. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV besteht für einen drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers nur in ganz in ganz besonderen Sachverhalten, in denen zwischen ihm und dem Unionsbürger ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, das dazu führen würde, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, den betreffenden Drittstaatsangehörigen im Falle der Aufenthaltsbeendigung zu begleiten und das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausweisung, Gefahrenprognose, Neue Sachverhalte (u.a. Heirat mit einer deutschen Staatsangehörigen), Unionsbürger (hier: deutsches Kind des Klägers), Darlegungslast auch hinsichtlich neuer Tatsachen, Berücksichtigung neuer strafrechtlicher Vorfälle, Eigenschaft des faktischen Inländers (verneint), Serbien, Ehe mit deutscher Staatsangehörigen, faktischer Inländer, drittstaatsangehörigen Familienangehörigen, Unionsbürger
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 30.05.2023 – AN 11 K 22.1895
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33435

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 10.000 € festgesetzt.

Gründe

1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid vom 25. Juli 2022 weiter, mit dem der Beklagte seine Ausweisung verfügt, ein auf sieben Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot verfügt, die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und die Abschiebung aus der Haft nach Serbien angeordnet bzw. im Fall der Entlassung und nicht fristgerechten Ausreise angedroht hat, weiter.
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Die Berufung ist nicht wegen – hier allein geltend gemachter – ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestünden dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 3). Dies ist jedoch nicht der Fall.
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Das Zulassungsvorbringen des Klägers begründet – auch zum für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs (stRspr des BVerwG, vgl. z.B. U.v. 22.2.2017 – 1 C 3.16 – juris Rn. 18) – keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit dieser Entscheidung.
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1. Die Einwände gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Gefahrenprognose im Sinn des § 53 Abs. 1 AufenthG greifen nicht durch.
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Die Annahme einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG erfordert eine Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Insoweit gilt ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des zu erwartenden Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit (sog. gleitender oder differenzierter Wahrscheinlichkeitsmaßstab). Dabei ist nicht allein auf das Strafurteil und die ihm zugrundeliegende Straftat abzustellen, sondern die Gesamtpersönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in den Blick zu nehmen; zu den danach zu berücksichtigenden Gesichtspunkten gehört auch die Gefahr der Begehung von anderweitigen, nicht mit dem begangenen Delikt vergleichbaren Straftaten (BayVGH, B.v. 9.10.2024 – 19 ZB 23.1101 – juris Rn. 6 m.w.N.).
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Gemessen daran bestehen im Fall des Klägers auch zum Zeitpunkt der Senatsentscheidung keine Zweifel an der im erstinstanzlichen Urteil prognostizierten Wiederholungsgefahr.
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In seiner Gefahrenprognose hat das Verwaltungsgericht ausführlich und umfassend dargelegt (UA Bl. 18 bis 24), dass zu seiner Überzeugung zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vom Kläger eine erhebliche Wiederholungsgefahr hinsichtlich weiterer Straftaten ausgeht.
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Hiergegen wendet der Kläger lediglich ein, das Verwaltungsgericht habe die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Ebrach vom 14. September 2022 zu seiner Entwicklung in der Haft nicht ausreichend berücksichtigt. Dieser Einwand kann auf sich beruhen. Eine günstige Sozialprognose kann jedenfalls nicht (mehr) festgestellt werden. Der Kläger hat alle positiven Ansätze durch sein eigenes Verhalten zunichtegemacht. Gegen ihn wurde zwischenzeitlich wegen Geldfälschung in Tateinheit mit Betrug in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit versuchtem Betrug sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Cannabis in einem besonders schweren Fall Anklage erhoben (vgl. insoweit die von der Beklagten vorgelegten Anklageschriften vom 26.12.2023 und 11.9.2024). Auch wenn der Ausgang dieser Strafverfahrenen noch nicht feststeht, belegen die Vorfälle jedenfalls, dass eine Prognose, dass vom Kläger nunmehr keine konkrete Gefahr der Begehung weiterer Straftaten mehr ausgeht, derzeit nicht getroffen werden kann. Zu den Vorwürfen trägt der Kläger bagatellisierend vor, die Strafverfahren seien noch nicht abgeschlossen. Die Taten werden indes nicht bestritten. Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK steht der Berücksichtigung der neuen (strafrechtlichen) Sachverhalte nicht entgegen, weil die Ausweisung dem Ordnungsrecht und nicht dem Strafrecht zuzuordnen ist.
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Die Gefahrenprognose des Verwaltungsgerichts wird damit durch das eigene Verhalten des Klägers nach Erlass des angefochtenen Urteils eindrucksvoll bestätigt.
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2. Zu den vom Verwaltungsgericht selbständig tragend dargelegten generalpräventiven Gründen der Ausweisung (UA Bl. 25 bis 27) enthält die Begründung des Zulassungsantrags keine Ausführungen.
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3. Auch die Abwägung der Interessen an der Ausreise des Klägers mit den Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet (§ 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG) durch das Verwaltungsgericht wird vom Kläger nicht durchgreifend in Zweifel gezogen.
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3.1 Der Kläger rügt, das Verwaltungsgericht habe sich nicht ausreichend mit der Frage befasst, ob in seinem Fall das Konzept des „faktischen Inländers“ greife, welche Schutzwirkung es entwickle und wie der vorliegende Einzelfall in dieser Beziehung zu würdigen sei.
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Die „Eigenschaft eines sogenannten faktischen Inländers“ (BVerwG, U.v. 16.11.2023 – 1 C 32.22 – juris Rn. 16) haben solche Personen, die tiefgreifend in die Lebensverhältnisse des Aufenthaltsstaats integriert sind („Verwurzelung“) und gleichzeitig den Lebensverhältnissen des Herkunftsstaats entfremdet sind („Entwurzelung“) und die daher faktisch zum Inländer geworden sind und die nur noch das rechtliche Band der Staatsangehörigkeit mit dem Herkunftsstaat verbindet (Fleuß in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.7.2024, § 53 AufenthG Rn. 87 m.w.N.; BVerfG, B.v. 18.4.2024 – 2 BvR 29/24 – juris Rn. 21). Beide Elemente müssen kumulativ vorliegen. Fehlt es also an einer tiefgreifenden Integration im Aufenthaltsstaat, kommt es auf eine Entwurzelung nicht mehr an.
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Für den Grad der Verwurzelung des Ausländers sind insbesondere die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet, sein rechtlicher Aufenthaltsstatus, das Ausmaß der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Integration und die Rechtsstreue seines Verhaltens in der Vergangenheit von Relevanz (Fleuß a.a.O. Rn. 90).
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Gemessen daran ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Grad der Verwurzelung des Klägers im Bundesgebiet sehr gering ist. Von einer „tiefgreifenden“ Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland kann nicht die Rede sein.
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Für eine Verwurzelung des 25-jährigen Klägers spricht, dass er im Bundesgebiet geboren und aufgewachsen ist. Er hat einen (einfachen) Hauptschulabschluss erworben und die deutsche Sprache erlernt. Darüber hinaus gehende Umstände, die für eine gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Integration sprechen könnten, konnte das Verwaltungsgericht nicht feststellen und sind auch aufgrund des Vortrags im Zulassungsverfahren nicht ersichtlich. Gegen eine berufliche Integration spricht, dass der Kläger zwar von August 2018 bis Anfang 2019 (also nur wenige Monate) eine Ausbildung zum Verkäufer in einer Tankstelle in Nürnberg begonnen hat und anschließend zur Fima Hornbach in Erlangen und zur Firma N. wechselte, aber keinen Berufsabschluss absolviert hat. Am 2. Oktober 2019 wurde der Kläger festgenommen. Seit seiner Entlassung aus der Strafhaft am 5. Dezember 2022 geht er nach eigenen Angaben einer (nicht näher bezeichneten) Beschäftigung als Leiharbeitnehmer nach, mit der aber offensichtlich nicht der Lebensunterhalt für sich, seine Ehefrau und seine Tochter bestritten werden kann (Schriftsatz vom 27.3.2024, S. 1: „mindestens teilweise den Lebensunterhalt zu bestreiten“). Es gibt somit gegenwärtig keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in der Lage sein könnte, sich finanziell selbst zu unterhalten und damit auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu erfüllen. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass der Kläger (außerhalb seiner Familie) in die sozialen und gesellschaftlichen Lebensverhältnisse in Deutschland eingebunden wäre. Dagegen spricht insbesondere, dass er in erheblichem Umfang strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, wenngleich stets Jugendstrafen verhängt worden sind und Reifeverzögerungen zum Tatzeitpunkt nicht ausgeschlossen werden konnten. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass der Kläger sogar nach Erhalt des ablehnenden Bescheids und einer für ihn negativen erstinstanzlichen Entscheidung straffällig geworden ist. Vor diesem Hintergrund kann von einer gesellschaftlichen und sozialen Integration des Klägers nicht ansatzweise die Rede sein. Letztlich spricht allein der Aufenthalt im Bundesgebiet für den Kläger; von nennenswerten Integrationsleistungen kann jedoch nicht die Rede sein.
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3.2 Auch, wenn der Kläger nicht als „faktischer Inländer“ anzusehen ist, ist gleichwohl zu berücksichtigen, dass der Vollzug der Ausweisung für ihn einen Grundrechtseingriff von erheblichem Gewicht darstellt, was im Rahmen der Abwägung der Bleibe- und Ausweisungsinteressen angemessen und in einem auf die Erfassung seiner individuellen Lebensverhältnisse angelegten Prüfprogramm zu würdigen ist (BVerfG, B.v. 18.4.2024 – 2 BvR 29/24 – juris Rn. 30).
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Zu Gunsten des Klägers ist nunmehr – anders noch als bei der erstinstanzlichen Entscheidung – in Rechnung zu stellen, dass er seit dem 10. November 2023 mit der deutschen Staatsangehörigen M. B. verheiratet und Vater einer am … Dezember 2023 geborenen Tochter (ebenfalls deutsche Staatsangehörige) ist. Die Eheschließung erfolgte jedoch erst nach Bekanntgabe der streitgegenständlichen Ausweisungsverfügung vom 25. Juli 2022 und während des Antragsverfahrens. Anzumerken ist auch, dass im Klageschriftsatz vom 25. August 2022 noch von einer Verlobung mit M. I. die Rede war. Erstmals im Schreiben vom 2. Mai 2023 ist dann von der späteren Ehefrau als Verlobte die Rede. Vor diesem Hintergrund ist von einer verringerten Schutzwürdigkeit der Ehe auszugehen ist (BayVGH, B.v. 7.3.2014 – 19 ZB 22.2263 – juris Rn. 41).
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Darüber hinaus vermag der Senat eine aufenthaltsrechtlich schutzwürdige Lebens- und Erziehungsgemeinschaft im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht zu erkennen. Der Kläger, der darlegungspflichtig hinsichtlich des neuen Sachverhalts ist (Seibert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 91), legt zwar die Eheschließung und Geburt der gemeinsamen Tochter dar; defizitär ist allerdings der Vortrag hinsichtlich einer Lebens- und Erziehungsgemeinschaft des Klägers mit Ehefrau bzw. Tochter. Hier beschränkt sich der Bevollmächtigte des Klägers auf die anwaltliche Versicherung, der Kläger und sein Vater hätten ihm mitgeteilt, dass der Kläger zusammen mit seiner zukünftigen Ehefrau bei seinen Eltern wohnhaft sei (Schriftsatz vom 30.10.2023, S. 3). Weiter wird schlicht behauptet, sie lebten zusammen (Schriftsatz vom 12.2.2024) und er übe zusammen mit seiner Frau das Sorgerecht für die Tochter aus (Schriftsatz vom 27.3.2024, S. 1). Der Senat ist nicht gehalten, auf Zuruf des Klägers für ihn günstige Umstände schlicht zu unterstellen. Der Kläger ist vielmehr darlegungspflichtig (zu denken wäre beispielsweise an eine Meldebestätigung, eidesstattliche Versicherungen, Stellungnahmen des Jugendamtes oder ähnliches). Seiner Darlegungslast ist er nicht ansatzweise nachgekommen.
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Insoweit bleibt zusammenfassend festzustellen, dass vom Kläger ein schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht dargelegt worden ist. Damit begegnet die Verhältnismäßigkeitsprüfung durch das Verwaltungsgericht keinen durchgreifenden Bedenken. Der Senat folgt der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, wonach es dem Kläger zumutbar ist, im Land seiner Staatsangehörigkeit Fuß zu fassen und die familiären Kontakte von dort aus aufrecht zu erhalten.
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Der Kläger wendet sich insoweit in erster Linie gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass es aufgrund seines Aufwachsens in einer serbischen Familie überwiegend wahrscheinlich erscheine, dass er mit der dortigen Kultur hinreichend vertraut sei. Er rügt, es bestehe keine Regel, wonach sich jeder Mensch ausländischer Abstammung grundsätzlich im Heimatland seiner Eltern zurechtfinden werde. Ungeachtet dessen, dass die Feststellung des Verwaltungsgerichts der ständigen Grundannahme des Senats basierend auf der Lebenserfahrung entspricht (vgl. nur B.v. 4.5.2023 – 19 ZB 22.1890 – juris Rn. 43 und B.v. 17.4.2023 – 19 CS 23.123 – juris Rn. 33), ist es nicht damit getan, sich darauf zu beschränken, es gebe keine derartige Regel. Es hätte nahegelegen, auch hier zu tatsächlichen Umständen (letztlich) der Entwurzelung aus dem Land seiner Staatsangehörigkeit auszuführen. Auch hier bleibt wieder der rechtsprechenden Gewalt überlassen, die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung ohne jeden belastbaren bzw. substantiierten Vortrag zu prüfen.
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Der Kläger weist im Übrigen zwar zutreffend darauf hin, dass sich erhöhte Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung auch daraus ergeben können, dass ein Drittstaatsangehöriger ausnahmsweise direkt aus Art. 20 AEUV (Unionsbürgerschaft) ein Aufenthaltsrecht ableiten kann (vgl. hierzu beispielsweise: BayVGH, B.v. 12.10.2023 – 10 ZB 23.866 – juris Rn. 10). Auf diese Bestimmung kann er sich indes mangels substantiierter Darlegung nicht berufen. Im Einzelnen dazu:
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Ein Aufenthaltsrecht aus Art. 20 AEUV hat zur Folge, dass eine Ausweisung nur rechtmäßig ist, wenn von dem Drittstaatsangehörigen eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht und die Aufenthaltsbeendigung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls, des Kindeswohls und der Grundrechte verhältnismäßig ist. Ein Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV besteht für einen drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers jedoch nur in ganz in ganz besonderen Sachverhalten, in denen zwischen ihm und dem Unionsbürger ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, das dazu führen würde, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, den betreffenden Drittstaatsangehörigen im Falle der Aufenthaltsbeendigung zu begleiten und das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Die bloße Tatsache, dass es aus Sicht des Kindes aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Unionsgebiet wünschenswert erscheint, dass sich der Drittstaatsangehörige zusammen mit ihm im Unionsgebiet aufhält, rechtfertigt für sich genommen noch nicht die Annahme einer derartigen Abhängigkeit. Ein relevanter Gesichtspunkt ist ein Zusammenleben des drittstaatsangehörigen Elternteils mit einem Kind, das die Unionsbürgerschaft besitzt. Lebt der minderjährige Unionsbürger mit beiden Elternteilen dauerhaft zusammen und teilen diese sich täglich das Sorgerecht sowie die rechtliche, finanzielle und effektive Sorge, besteht eine widerlegliche Vermutung für ein Abhängigkeitsverhältnis (vgl. Hailbronner in ders., Ausländerrecht, Stand Nov. 2023, § 53 AufenthG Rn. 58 m.w.N.; BayVGH. B.v. 25.1.2024 – 19 ZB 23.1946 – juris Rn. 30 ff.)
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Der Kläger hat nicht dargelegt, dass zwischen ihm und dem Unionsbürger (hier: das Kind des Klägers, das die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt) ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, das dazu führen würde, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, den betreffenden Drittstaatsangehörigen im Falle der Aufenthaltsbeendigung zu begleiten und das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen (stRspr des EuGHs, U.v. 8.5.2018 – C-82/16, K.A. u.a. – juris Rn. 51 f.; U.v. 5.5.2022 – C-451/19 u. C-532/19, Subdelegación del Gobierno en Toledo – juris Rn. 45 f.). Dass zwischen dem Kläger und seinem minderjährigen Kind ein entsprechendes Abhängigkeitsverhältnis besteht, wird von Klägerseite noch nicht einmal behauptet. Es wird lediglich behauptet, er übe zusammen mit seiner Ehefrau das Sorgerecht aus. Es soll also offensichtlich der Fantasie des Senats überlassen bleiben, diese Aussage mit Leben zu erfüllen. Damit verkennt der Kläger seine Darlegungslast und Mitwirkungspflicht. Mit dem Zitieren einschlägiger Rechtsprechung zur Unionsbürgerschaft ist es nicht getan, wenn eine Subsumtion auf den konkreten Einzelfall nicht vorgenommen wird.
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Auch mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung des 11. Senats des Verwaltungsgerichtshofs (B.v. 5.6.2023 – 11 ZB 23.30200 – juris) sind ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht dargelegt. Der 11. Senat hat entschieden, dass beim Erlass der Abschiebungsandrohung, die die Rückkehrentscheidung i.S.v. Art. 5 lit. a und b der RL 2008/115/EG (Rückführungs-RL) darstellt, familiäre Bindungen und das Kindeswohl zu berücksichtigen sind (vgl. insoweit auch EuGH, U.v. 15.2.2023 – C-484/22 – juris; OVG LSA, B.v. 22.6.2023 – 4 LB 6/22 – juris Rn. 97). Unabhängig von der Frage, inwieweit Art. 5 Rückführungs-RL noch als Prüfungsmaßstab für eine Abschiebungsandrohung als Folge einer Ausweisung wegen strafrechtlicher Verurteilung nach der Neufassung des § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG durch das Rückführungsverbesserungsgesetz vom 21. Februar 2024 (BGBl. I Nr. 54) und dem damit vom Bundesgesetzgeber bezweckten Optout gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. b Rückführungs-RL (vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 20/9463, S. 22, 34, 45) noch herangezogen werden kann, sind solche inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse aus familiären Gründen für den Kläger jedoch nicht ersichtlich (s.o.).
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO).
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Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).