Inhalt

VGH München, Beschluss v. 26.11.2024 – 19 ZB 24.1630
Titel:

Bevollmächtigung einer Anwaltssozietät – Wiedereinsetzungsanforderungen bei Krankheit eines Sozietätsmitglieds

Normenketten:
VwGO § 60 Abs. 1, § 124a Abs. 4 S. 4
ZPO § 85 Abs. 2
Leitsätze:
1. Die Frist für die Begründung des Berufungszulassungsantrags nach § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO ist eine gesetzliche Frist, für die eine Verlängerungsmöglichkeit nicht vorgesehen ist. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird die Prozessvollmacht einer Anwaltssozietät erteilt, sind grundsätzlich sämtliche Anwälte, die der Anwaltssozietät angehören, im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO bevollmächtigt, sofern nicht besondere Umstände im Einzelfall etwas anderes ergeben. Dies hat zur Folge, dass sich der Beteiligte unabhängig von der internen Arbeitsverteilung das Verschulden eines jeden Sozietätsmitglieds zurechnen lassen muss. Dementsprechend ist die Erkrankung des die Sache bearbeitenden Sozietätsmitglieds nicht ohne weiteres ein Entschuldigungsgrund. In einer Anwaltssozietät müssen vielmehr Vorkehrungen getroffen werden, dass ein anderes Sozietätsmitglied zumindest die unaufschiebbaren, insbesondere fristgebundenen, Arbeiten eines erkrankten Sozietätsmitglieds in angemessener Weise und zeitgerecht erledigt. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Begründungsfrist für Antrag auf Zulassung der Berufung, Keine Verlängerung möglich, Wiedereinsetzung (verneint), Erkrankung, Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten, Berufungszulassung, Wiedereinsetzung
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 31.07.2024 – AN 5 K 24.871 u.a.
Fundstellen:
BayVBl 2025, 207
FDRVG 2024, 033433
BeckRS 2024, 33433
LSK 2024, 33433

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,00 € festgesetzt.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist unzulässig und deshalb abzulehnen.
2
1. Die Kläger haben die Frist zur Begründung des Zulassungsantrags gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO versäumt, weshalb das Rechtsmittel unzulässig ist (1.1). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO ist den Klägern nicht zu gewähren (1.2).
3
1.1 Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts wurde der Klägerseite am 21. August 2024 zugestellt. Die Frist für die Stellung eines Antrags auf Zulassung der Berufung haben die Kläger mit dem am 16. September 2024 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Antragsschriftsatz ihrer Bevollmächtigten eingehalten (§ 124a Abs. 4 Satz 1 und 2 VwGO, § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, §§ 187 ff. BGB).
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Dagegen wurde die Frist für die Darlegung der Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen sei, versäumt. Diese Frist von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO), auf die in der Rechtsmittelbelehrungdes angefochtenen Urteils zutreffend hingewiesen wurde, ist mit dem 21. Oktober 2024 (Montag) abgelaufen (§ 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 2 ZPO, §§ 187, 188 und 193 BGB).
5
Das Fristverlängerungsgesuch der Klägerbevollmächtigten vom 21. Oktober 2024 konnte nicht zur Verlängerung der Frist für die Begründung des Berufungszulassungsantrags nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO (noch im Antragsschriftsatz auf Wiedereinsetzung vom 31.10.2024 unzutreffend als „Berufungsbegründungsfrist“ bezeichnet) führen. Es handelt sich um eine gesetzliche Frist, für die – anders als für die Berufungsbegründungsfrist gemäß § 124a Abs. 3 Satz 3 beziehungsweise § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO – eine Möglichkeit der Verlängerung nicht vorgesehen ist (OVG NW, B.v. 19.3.2024 – 4 A 289/24 – juris Rn. 2; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a VwGO Rn. 50).
6
1.2 Den Klägern ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO zu gewähren.
7
Nach § 60 Abs. 1 VwGO setzt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraus, dass jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 60 Abs. 2 Satz 1 bis 3 VwGO). „Verschulden“ i.S.v. § 60 VwGO ist anzunehmen, wenn der Beteiligte die Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (stRspr; vgl. BVerwG, B.v. 26.6.2017 – 1 B 113.17 u.a. – juris Rn. 5 m.w.N.). Das Verschulden eines Bevollmächtigten, insbesondere eines Rechtsanwalts, steht dabei gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden der Partei gleich, gilt also als Verschulden des Vertretenen.
8
Die Kläger tragen zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs unter Vorlage entsprechender ärztlicher Atteste vor, die alleinige sachbearbeitende Rechtsanwältin L. sei bereits seit dem 17. Oktober 2024 erkrankt und bis 23. Oktober 2024 krankgeschrieben gewesen. Am 21. Oktober 2024 – dem letzten Tag der Begründungsfrist – habe sie sich zwar soweit arbeitsfähig gefühlt, dass sie am Nachmittag begonnen habe, den Begründungsschriftsatz zu fertigen. Darüber sei es ihr plötzlich so schlecht gegangen, dass sie nur noch das Fristverlängerungsgesuch habe absetzen können und sich sodann habe nach Hause fahren lassen müssen. Da ihre Sekretärin, die als einzige vom Kanzleipersonal auch Montagnachmittags arbeite, an diesem Tag ebenfalls erkrankt gewesen sei (eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum 21.10. bis 1.11.2024 wurde vorgelegt), habe die Klägerbevollmächtigte auch nicht von der Ablehnung des Fristverlängerungsgesuchs am selben Tag erfahren. Die anderen Rechtsanwälte der Sozietät seien an diesem Tag nicht in der Kanzlei gewesen.
9
Wird die Prozessvollmacht einer Anwaltssozietät erteilt, sind grundsätzlich sämtliche Anwälte, die der Anwaltssozietät angehören, im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO bevollmächtigt, sofern nicht besondere Umstände im Einzelfall etwas Anderes ergeben. Dies hat zur Folge, dass sich der Beteiligte unabhängig von der internen Arbeitsverteilung das Verschulden eines jeden Sozietätsmitglieds zurechnen lassen muss. Dementsprechend ist die Erkrankung des die Sache bearbeitenden Sozietätsmitglieds nicht ohne weiteres ein Entschuldigungsgrund. In einer Anwaltssozietät müssen vielmehr Vorkehrungen getroffen werden, dass ein anderes Sozietätsmitglied zumindest die unaufschiebbaren, insbesondere fristgebundenen, Arbeiten eines erkrankten Sozietätsmitglieds in angemessener Weise und zeitgerecht erledigt (vgl. BVerwG, B.v. 3.12.2001 – 4 BN 32.01 – juris Rn. 6).
10
Zwar sprechen die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen dafür, dass Rechtsanwältin L. am 21. Oktober 2024 krankheitsbedingt außer Stande war, selbst die Begründung des Zulassungsantrags fristgerecht zu fertigen. Nicht glaubhaft gemacht ist jedoch, dass kein Vertreter mit deren Erstellung beauftragt und in die Sache eingewiesen werden konnte. Denn die Antragsteller haben das Mandat einer Partnerschaftsgesellschaft übertragen, die aus einer Rechtsanwältin und zwei Rechtsanwälten besteht. Dies ergibt sich daraus, dass die von den Klägern unterzeichnete (undatierte) Prozessvollmacht (Bl. 24 der VG-Akte in den Verfahren Az. AN 5 K 24.871 und AN 5 K 24.875 bzw. Bl. 22 im Verfahren AN 5 K 24.873) ausdrücklich allen Rechtsanwälten der Partnerschaft erteilt wurde, die Klage vom 25. April 2024 und auch alle weiteren in dem Verfahren eingereichten Schriftsätze im Briefkopf alle Rechtsanwälte der Sozietät ausweisen sowie in der Antragsschrift auf Zulassung der Berufung oberhalb der Signatur der Rechtsanwältin L. alle Rechtsanwälte der Partnerschaft genannt sind. Damit waren von Anfang an alle Rechtsanwälte der Partnerschaft als Vertreter der Kläger anzusehen und verpflichtet, deren Interessen sorgfältig wahrzunehmen, weshalb offenbleiben kann, ob die zu Anwaltssozietäten (d.h. Gesellschaften des bürgerlichen Rechts) ergangene Rechtsprechung hinsichtlich der gegenseitigen Vertretung ansonsten ohne Einschränkungen auf Partnerschaftsgesellschaften von Rechtsanwälten übertragen werden kann (hierzu tragen die Kläger auch nichts vor).
11
Vor diesem Hintergrund hätten die Kläger innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vor allem darlegen müssen, dass und welche Vorkehrungen ihre Prozessbevollmächtigten für den Fall der Verhinderung der nach der internen Arbeitsverteilung mit der Bearbeitung ihrer Sache befassten Rechtsanwältin getroffen haben, um die Übernahme der fristwahrenden Maßnahmen durch ein anderes Partnerschaftsmitglied sicherzustellen. Insbesondere hätte angesichts der – ausweislich der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – bereits seit dem 17. Oktober 2024 bestehenden Arbeitsunfähigkeit der Rechtsanwältin L. sichergestellt werden müssen, dass die Begründung des Berufungszulassungsantrags rechtzeitig gefertigt und an das zuständige Gericht übermittelt würde. Ferner hätten die Kläger – was vorliegend nicht geschehen ist – Tatsachen vortragen müssen, aus denen sich ergibt, dass und weshalb auch die anderen Partnerschaftsmitglieder aus von ihnen nicht zu vertretenden Umständen verhindert gewesen sind, die Zulassungsbegründungsfrist einzuhalten. Dies haben sie nicht getan (vgl. BVerwG, B.v. 3.12.2001 – 4 BN 32.01 – juris Rn. 7). Unbehelflich ist insoweit der Verweis auf die krankheitsbedingte Abwesenheit der Sekretärin der sachbearbeitenden Rechtsanwältin. Es kann offenbleiben, ob glaubhaft gemacht wurde, dass nicht für eine Vertretung der Sekretärin hätte gesorgt werden können. Denn es geht aus den Ausführungen nicht hervor, dass trotz der dargelegten Erkrankung der sachbearbeitenden Rechtsanwältin und der vorgetragenen Abwesenheit der beiden anderen Rechtsanwälte der Partnerschaft bei rechtzeitiger Kenntnis von der Ablehnung des Fristverlängerungsgesuchs – die sich aus dem Gesetz ergibt und mit der daher ohnehin bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte gerechnet werden müssen – die Begründungsfrist noch hätte gewahrt werden können.
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2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
13
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 8.1 und 1.1.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
14
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Berufungszulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).