Inhalt

VGH München, Beschluss v. 06.11.2024 – 15 ZB 24.1582
Titel:

Behördliches Einschreiten wegen Lärmbeeinträchtigungen durch Friseursalon

Normenketten:
VwGO § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 S. 1, § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 5 S. 2
BayBO Art. 54, 76
Leitsätze:
1. Wird die Richtigkeit der richterlichen Überzeugungsbildung mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung angegriffen, muss darlegt werden, dass das Verwaltungsgericht mit Blick auf entscheidungserhebliche Tatsachen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder die Beweiserhebung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweist. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz erfordert die substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
3. Dass vielfach das Nachvollziehen von Berechnungen oder technischen Zusammenhängen einen mit der Materie nicht vertrauten Laien überfordert, entbindet einen Verfahrensbeteiligten im Rahmen der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht nicht davon, sich selbst sachkundig zu machen und entscheidungserhebliche Mängel in einem Gutachten aufzuzeigen. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bauaufsichtliches Einschreiten, Lärmbeeinträchtigungen durch Friseursalon, bauaufsichtliches Einschreiten, Lärmbelästigungen, Friseursalon, Antrag auf Zulassung der Berufung, ernstliche Zweifel, richterliche Überzeugungsbildung, Amtsermittlungsgrundsatz, substantiierte Darlegung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 22.07.2024 – RN 6 K 21.2480
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33430

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selber tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Kläger begehren vom Landratsamt Regen bauaufsichtliches und/oder immissionsschutzrechtliches Einschreiten gegen den Betrieb eines Friseursalons der Beigeladenen auf deren westlich gelegenem Nachbargrundstück.
2
Die Grundstücke der Kläger und der Beigeladenen liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „Hofmark-Erweiterung“ in der Fassung der 5. Änderung der Stadt Regen, der u.a. ein allgemeines Wohngebiet festsetzt. Die Beigeladenen betreiben auf ihrem Grundstück einen Friseursalon, der mit Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohnhausneubaus mit Friseursalon vom 8. Dezember 2015 vom Landratsamt Regen genehmigt wurde.
3
Seit Juli 2021 beschweren sich die Kläger über Lärmbeeinträchtigungen durch den Betrieb der Beigeladenen, insbesondere hinsichtlich der Nutzung einer Terrasse zu Betriebszwecken, offener Türen und Fenster sowie der Parkplätze. Mit Schreiben vom 26. November 2021 forderte der Kläger zu 1 vom Landratsamt bauaufsichtliches Einschreiten und erhob mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 20. Dezember 2021 Klage zum Verwaltungsgericht. Das Verwaltungsgericht Regensburg wies die Klage auf bauaufsichtliches und/oder immissionsschutzrechtliches Einschreiten mit Urteil vom 22. Juli 2024 ab, soweit das Verfahren nicht aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen eingestellt wurde. Zur Begründung führte es u.a. aus, dass die Kläger keinen Anspruch auf Erlass einer entsprechenden Anordnung haben. Nach der vom Landratsamt durchgeführten Lärmprognose sei eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme nicht ersichtlich und die Kläger keinen unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen ausgesetzt. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
6
Die Kläger machen allein ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Kläger als Rechtsmittelführer innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) haben darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Aus dem Zulassungsvorbringen der Kläger ergeben sich aber keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts.
7
a) Die Kläger erheben Einwendungen gegen die immissionschutzfachlichen Ausführungen, weil der Immissionswert nicht sauber ermittelt worden sei und der Umweltingenieur in die Beklagtenseite integriert sei. Sie wenden sich damit der Sache nach gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts gem. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
8
In diesem Fall kommt eine Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur in Betracht, wenn aufgezeigt wird, dass die Richtigkeit der richterlichen Überzeugungsbildung mangelhaft ist, weil das Verwaltungsgericht mit Blick auf entscheidungserhebliche Tatsachen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder die Beweiserhebung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweist, was insbesondere bei einer Verletzung von gesetzlichen Beweisregeln, Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, bei aktenwidrig angenommenem Sachverhalt oder offensichtlich sachwidriger und damit willkürlicher Beweiswürdigung anzunehmen ist. Allein die bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung der Beweisaufnahme rechtfertigt die Zulassung der Berufung jedoch nicht (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2024 – 15 ZB 23.1895 – juris Rn. 10).
9
Derartige Mängel in der verwaltungsgerichtlichen Überzeugungsbildung, die auf eine völlig unvertretbare Beweiswürdigung hinauslaufen, zeigt die Zulassungsbegründung indes nicht auf. Dem Verwaltungsgericht musste sich die Einholung eines weiteren Gutachtens wegen unzureichender fachtechnischer Ausführungen des Umweltingenieurs beim Landratsamt hier nicht aufdrängen. Gutachten und fachtechnische Stellungnahmen sind dann ungeeignet, wenn sie grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, wenn sie von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen, wenn Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters besteht, ein anderer Sachverständiger über neue oder überlegenere Forschungsmittel oder größere Erfahrung verfügt oder wenn das Beweisergebnis durch substantiierten Vortrag eines der Beteiligten oder durch eigene Überlegungen des Gerichts ernsthaft erschüttert wird (vgl. BVerwG, B.v. 3.2.2010 – 7 B 35.09 – juris Rn. 12). Dies ist hier – unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens – nicht der Fall.
10
Das Verwaltungsgericht ist unter ausführlicher Würdigung und Bewertung der Ausführungen des Umweltingenieurs beim Landratsamt zu dem Ergebnis gekommen, dass der Immissionsrichtwert von 55 dB(A) tags bei der angestellten Worst-Case-Betrachtung für ein allgemeines Wohngebiet (vgl. Nr. 6.1 Buchst. e) eingehalten wird (UA S. 19 ff.). Hiermit setzen sich die Kläger nicht substantiiert auseinander. Die Feststellungen des in der mündlichen Verhandlung vernommenen Umweltingenieurs sowie dessen Ausführungen werden von den Klägern nicht qualifiziert in Frage gestellt; Zweifel an der Sachkunde des Umweltingenieurs legen die Kläger nicht dar. Bei den Stellungnahmen des Technischen Immissionsschutzes und den Ausführungen des Umweltingenieurs beim Landratsamt handelt es sich um fachliche Stellungnahmen einer Fachbehörde des staatlichen Landratsamts. Der pauschale Hinweis darauf, der Umweltingenieur „sei in die Beklagtenseite integriert und werde vom Freistaat Bayern bezahlt“, genügt nicht, um Zweifel an dessen Neutralität und fachlicher Kompetenz zu begründen (vgl. BayVGH, B.v. 4.4.2022 – 8 CS 21.2389 – juris Rn. 22). Die bloße – nicht weiter begründete – Behauptung, der Immissionswert von 54 dB(A) sei „nicht sauber ermittelt“, geht in keiner Weise auf die umfangreiche Begründung des Verwaltungsgerichts und die zugrunde gelegten fachlichen Ausführungen des Umweltingenieurs ein.
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b) Mit dem Vortrag, es seien keine Messungen, sondern nur eine überschlägige Schallprognoseberechnung durchgeführt worden und dem Verwaltungsgericht hätte sich eine weitere Beweiserhebung aufdrängen müssen, machen die Kläger einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz gem. § 86 Abs. 1 VwGO geltend. In diesen Fällen wird ein Zulassungsgrund nur dann ausreichend dargelegt, wenn dem Darlegungserfordernis der Verfahrensrüge genügt wird (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 15 ZB 23.151 – juris Rn. 12).
12
Der Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz erfordert die substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (vgl. BVerwG, B.v. 3.6.2014 – 2 B 105.12 – juris Rn. 26). Für die ordnungsgemäße Darlegung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs ist erforderlich, dass der Betroffene die Tatsachen, auf die das Gericht seine Entscheidung gestützt hat und zu denen er sich nicht äußern konnte, benennt und zugleich aufzeigt, an welchen tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen er aufgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs gehindert war bzw. was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und weshalb dies unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich gewesen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 37 m.w.N).
13
Dem wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Die Kläger legen schon nicht dar, inwieweit die fachlichen Ausführungen des Umweltingenieurs beim Landratsamt überhaupt fachliche Mängel aufweisen würden (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2014 – 15 ZB 13.568 – juris Rn. 12). Dass vielfach das Nachvollziehen von Berechnungen oder technischen Zusammenhängen einen mit der Materie nicht vertrauten Laien überfordert, entbindet die Kläger im Rahmen der ihnen obliegenden Mitwirkungspflicht nicht davon, sich selbst sachkundig zu machen. Insoweit hätte es der Mitwirkungspflicht der Kläger oblegen, ggf. mit Hilfe selbst eingeholter Sachverständigengutachten entscheidungserhebliche Mängel aufzuzeigen (vgl. BVerwG, B.v. 13.3.1992 – 4 B 39.92 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 2.5.2016 – 9 ZB 13.2048 – juris Rn. 20).
14
Die Kläger legen zudem nicht dar, inwiefern sich dem Verwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung eine weitere Aufklärung des Sachverhalts aufdrängen musste, obwohl die in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertretenen Kläger in dieser keinen förmlichen Beweisantrag gestellt haben. Die Aufklärungsrüge und die Gehörsrüge dienen nicht dazu, Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Beteiligten zu kompensieren (vgl. BVerwG, B.v. 15.7.2022 – 4 B 32.21 – juris Rn. 33; BVerwG, B.v. 4.8.2008 – 1 B 3.08 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 5.8.2024 – 15 ZB 24.453 – juris Rn. 13).
15
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Da die Beigeladenen im Zulassungsverfahren keinen die Sache förderlichen Beitrag geleistet haben, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen (§ 162 Abs. 3 VwGO).
16
Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
17
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Entscheidung wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).