Titel:
Störerauswahl bei Maßnahmen zur Abwehr von durch ein einsturzgefährdetes Gebäude hervorgerufenen Gefahren
Normenketten:
BayBO Art. 54 Abs. 4
BayLStVG Art. 9
Leitsatz:
Es ist ermessensgemäß, bei Maßnahmen zur Sicherung eines einsturzgefährdeten Gebäudes den Eigentümer heranzuziehen, wenn dieser nicht nur Zustandsstörer, sondern im Hinblick auf das Unterlassen von Sicherungs- und Instandsetzungsmaßnahmen auch Handlungsstörer ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Teileinsturz eines Gebäudes, Anordnung zur Vorlage eines statischen Gutachtens mit Maßnahmevorschlägen, Störerauswahl, Zustandsstörer, Handlungsstörer, Einsturz
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 16.09.2024 – RO 7 S 24.2118
Fundstellen:
BayVBl 2025, 53
LSK 2024, 33425
BeckRS 2024, 33425
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Anordnung des Landratsamts, ein statisches Gutachten mit Maßnahmevorschlägen inkl. Umsetzungsfristen für genau gekennzeichnete Gebäude auf seinem Grundstück vorzulegen.
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Im Zuge von Baumaßnahmen an der westlich an das Grundstück des Antragstellers unmittelbar angrenzenden Straße wurde seitens der Baufirma am 24. Juli 2024 ein Teileinsturz des grenzständigen Wohngebäudes auf dem Grundstück des Antragstellers festgestellt. Bei einer Ortseinsicht am 25. Juli 2024 wurde der Gefährdungsbereich abgesperrt und beschildert.
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Mit Bescheid vom 19. August 2024 verpflichtete das Landratsamt den Antragsteller, ein statisches Gutachten mit Maßnahmevorschlägen inkl. Umsetzungsfristen für die im beigefügen Lageplan gekennzeichneten Gebäude auf seinem Grundstück FlNr. 3... Gemarkung E. bis spätestens 30. August 2024 vorzulegen (Nr. 1). Zudem wurde die sofortige Vollziehung der Nr. 1 des Bescheids vom 19. August 2024 angeordnet (Nr. 2) und ein Zwangsgeld angedroht (Nr. 3). Hiergegen hat der Antragsteller Klage (RO 7 K 24.2069) erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
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Auf den Antrag des Antragstellers zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ordnete das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. September 2024 die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids vom 19. August 2024 an; im Übrigen lehnte es den Antrag ab. Zur Begründung der Ablehnung wurde u.a. ausgeführt, dass eine hinreichend konkrete, erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit als Rechtsgüter von überragendem Wert bestehe, die die Anordnung von Untersuchungsmaßnahmen gegenüber dem Pflichtigen rechtfertige. Die Inanspruchnahme des Antragstellers als Zustandsstörer sei nicht zu beanstanden. Irrelevant sei, weshalb der Teileinsturz erfolgt sei. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde.
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Er ist der Ansicht, das Verwaltungsgericht verkenne, dass der Einsturz des Gebäudes maßgeblich durch die Baumaßnahmen verursacht worden sei und Untersuchungs- und Sicherungsmaßnahmen daher vorrangig von der Bauherrschaft und dem Unternehmen bzw. Planungsbüro zu treffen wären. Die Entscheidung der Inanspruchnahme des Antragstellers sei ermessensfehlerhaft, weil der Handlungsstörer aufgrund der Baumaßnahmen sachnäher als der Zustandsstörer sei. Dem Antragsteller sei auch nicht zuzumuten, in eine fremde Baustelle einzugreifen, da nicht auszuschließen sei, dass ein Zusammenhang mit den Aufgrabungen vorliege. Außerdem könne eine Gefahr vom Gebäude nicht ausgehen, solange das Umfeld baustellenbedingt gesperrt sei.
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Der Antragsteller beantragt,
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den Beschluss „des Verwaltungsgerichts vom 16. September 2024 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Klage (nicht nur gegen die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheids des Antragsgegners vom 19.8.2024) des Antragstellers gegen den Bescheid vom 19. August 2024 anzuordnen.“
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Der Antragsgegner beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Es liege keine fehlerhafte Störerauswahl vor. Es sei ausführlich abgewogen und begründet worden, weshalb der Antragsteller als Eigentümer in Anspruch genommen worden sei, zumal nicht klar sei, ob es sich bei der auf der Baustelle handelnden Personen überhaupt um Handlungsstörer handle. Weshalb das Gebäude teilweise eingestürzt sei, sei für die Störerauswahl nicht relevant.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
12
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern und die sinngemäß beantragte aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers vollständig wiederherzustellen wäre.
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1. Nach Art. 54 Abs. 4 BayBO können bei bestandsgeschützten baulichen Anlagen durch die Bauaufsichtsbehörde Anforderungen gestellt werden, wenn das zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit notwendig ist. Von einer erheblichen Gefahr ist dann auszugehen, wenn die Gefahr oder der Nachteil nach objektiven Gegebenheiten schwerwiegend und nachhaltig ist. Hierbei muss es sich um eine konkrete Gefahr handeln, d.h. um eine Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens im Einzelfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden führt. Maßstab für die Eingriffsschwelle ist der allgemeine sicherheitsrechtliche Grundsatz, wonach an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Da es sich bei den Rechtsgütern Leben und Gesundheit um hochwertige Rechtsgüter handelt, zu deren Schutz der Staat gemäß Art. 2 Abs. 2 GG auch verfassungsrechtlich verpflichtet ist, sind an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts keine allzu hohen Anforderungen zu stellen (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2016 – 9 CS 16.191 – juris Rn. 13).
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Das Landratsamt hat im Bescheid vom 19. August 2024 darauf abgestellt, dass sich das unmittelbar grenzständig zur Straße errichtete Gebäude in einem sanierungsbedürftigen Zustand befindet und die hinreichende Standsicherheit nicht nachgewiesen ist. Aufgrund des Teileinsturzes und des Drucks des aufliegenden Dachstuhls bestehe die Befürchtung eines völligen Auseinanderbrechens bzw. Zusammenstürzens, so dass sich auf der unmittelbar angrenzenden öffentlichen Verkehrsfläche aufhaltende Personen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erhebliche bis tödliche Verletzungen durch um- oder herabstürzende Gebäudeteile erleiden würden. Hiergegen ist nichts zu erinnern.
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Soweit der Antragsteller der Ansicht ist, es bestehe keine konkrete Gefahr, solange die Straße sowieso baustellenbedingt gesperrt sei, verfängt dies nicht. Sein Vortrag lässt einerseits den notwendigen Fortgang der Bauarbeiten und die nur auf Zeit begrenzte Straßensperrung außer Betracht. Andererseits übersieht der Antragsteller, dass auch das Baustellenpersonal erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit ausgesetzt ist. Das Landratsamt stellt zudem auch auf eine Gefährdung von Personen auf dem Nachbargrundstück ab. Hierzu verhält sich die Beschwerde nicht.
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2. Der Antragsteller ist auch zu Recht als verantwortlicher Störer in Anspruch genommen worden.
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Für die Störerauswahl im Rahmen des Art. 54 Abs. 4 BayBO sind die Grundsätze des allgemeinen Sicherheitsrechts maßgebend. Soweit mehrere Störer in Betracht kommen, besteht grundsätzlich ein Auswahlermessen, dessen Ausübung die Behörde auch tatsächlich zum Ausdruck bringen muss (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2015 – 9 ZB 14.1291 – juris Rn. 10). Der Antragsteller wendet insoweit ein, dass der Teileinsturz auf die Straßenbaumaßnahmen zurückzuführen sei und die bauausführende Firma als Handlungsstörer sachnäher in Anspruch zu nehmen gewesen wäre. Dies trifft hier jedoch nicht zu, da die Verursachung der Schäden nicht geklärt ist. Eine Klärung eventueller Ansprüche ist vielmehr auf dem Zivilrechtsweg herbeizuführen; zeitraubende Untersuchungen zur Störerauswahl sind in diesem Fall nicht angezeigt. Raum für eine Auswahlentscheidung bleibt vielmehr nur, wenn bekannt oder ohne weiteres feststellbar ist, dass mehrere Personen und gegebenenfalls welche Personen als Störer in Betracht kommen (vgl. BayVGH, B.v. 16.3.2016 – 9 CS 16.191 – juris Rn. 18). Das Landratsamt führt zudem aus, dass, selbst wenn der vorgefallene Einsturz auf die Straßenbaumaßnahmen zurückzuführen wäre, eine Heranziehung der bauausführenden Firma nicht ermessensgerecht wäre, weil diese keine Verfügungsgewalt über die betreffenden Gebäude habe. Hiergegen ist nichts zu erinnern; die nachträgliche Erklärung des Antragstellers, seine Zustimmung zu statischen Untersuchungen zu erteilen, genügt nicht, um einen Ermessensfehler darzulegen. Im Bescheid vom 19. August 2024 wird im Hinblick auf die Gefahrenlage zutreffend auch auf die Notwendigkeit effizienten Verwaltungshandelns abgestellt, weshalb vorliegend der Eigentümer als umfassend Verfügungsberechtigter über die Gebäude herangezogen worden ist. Der Antragsteller ist hier als Eigentümer nicht nur Zustandsstörer i.S.d. Art. 9 Abs. 2 LStVG, sondern im Hinblick auf das Unterlassen von Sicherungs- und Instandsetzungsmaßnahmen auch Handlungsstörer i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG. Schließlich verkennt der Antragsteller, dass die angefochtene Anordnung nicht der Aufklärung der Einsturzursache dient, sondern der Verhinderung einer vom Gebäude möglicherweise ausgehenden Gefahr für Leben und Gesundheit von Personen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
19
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).