Titel:
Erfolgloser Nachbareilantrag gegen Baugenehmigung für Einfamilienwohnhauses mit Einliegerwohnung und Doppelgarage
Normenketten:
VwGO § 146 Abs. 4
BauGB § 34
BauNVO § 15
Leitsätze:
1. Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, sind ebenso wenig wie die Beeinträchtigung des Ortsbildes nachbarschützend.( (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine erdrückende Wirkung kommt nur bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarter Wohnbebauung in Betracht kommt, wobei Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung, neben der bloßen Distanz, insbesondere die besonderen Belastungswirkungen aufgrund der Höhe und der Länge des Bauvorhabens auf das benachbarte Wohngebäude sind. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarbeschwerde, „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“, Abstandsflächen, Gebot der Rücksichtnahme (erdrückende Wirkung verneint), Nachbareilantrag, Beschwerdeverfahren, Bauplanungsrecht, Gebietserhaltungsanspruch, Gebietsprägungserhaltungsanspruch, Nachbarfeindlichkeit, erdrückende Wirkung, Maß der baulichen Nutzung, Abstandsfläche, Gebot des Einfügens, Rücksichtnahmegebot
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 25.09.2024 – RN 6 S 24.2060
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33423
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 9.000 Euro festgesetzt.
Gründe
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Die Antragsteller wenden sich gegen die den Beigeladenen vom Landratsamt Dingolfing-Landau mit Bescheid vom 12. Juni 2024 erteilte Baugenehmigung zum Neubau eines Einfamilienwohnhauses mit Einliegerwohnung und Pkw-Doppelgarage.
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Das geplante Gebäude der Beigeladenen befindet sich südwestlich des Wohngebäudes der Antragsteller, deren Grundstück im westlichen Teilbereich nach Süden und im östlichen, sich weiter nach Süden erstreckenden Teilbereich nach Westen an das Baugrundstück der Beigeladenen angrenzt. Über die gegen die Baugenehmigung vom 12. Juni 2024 von den Antragstellern erhobene Klage zum Verwaltungsgericht (RN 6 K 24.1522) ist noch nicht entschieden.
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Mit Schriftsatz vom 28. August 2024 beantragten die Antragsteller zudem die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, welchen das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 25. September 2024 ablehnte. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass den Antragstellern weder ein Gebietserhaltungsanspruch noch ein „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ zustehe. Die Kubatur weiche nicht derart von der vorhandenen Bebauung ab, dass ein Umschlagen der Quantität in Qualität angenommen werden könne. Die beanstandete Dreistöckigkeit betreffe kein nachbarschützendes Kriterium, eine erdrückende Wirkung liege nicht vor und auch eine Verletzung der Abstandsflächenvorschriften zu Lasten der Antragsteller sei nicht ersichtlich.
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Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrer Beschwerde. Sie sind der Ansicht, das Verwaltungsgericht habe bei der Prüfung des „Gebietsprägungserhaltungsanspruchs“ verkannt, dass eine Gesamtschau und nicht nur die Zahl der Wohnungen für die Prägung maßgeblich sein müsse. In der Umgebung gebe es zudem kein einziges dreistöckiges Haus. Da die beseitigte, ehemalige Bebauung nur zwei statt drei Vollgeschosse aufgewiesen habe, grenze sich das geplante Bauvorhaben deutlich von der bestehenden Bebauung ab. Das Verwaltungsgericht habe übersehen, dass kein anderes Gebäude ähnlich exponiert sei wie das Bauvorhaben. Angesichts der üblichen Distanzen in der Ortschaft sei ein Heranrücken des Gebäudes an das Grundstück der Antragsteller untypisch und es gehe die bisherige Prägung verloren. Auch halte das Bauvorhaben die Abstandsflächen nach Süden und Osten nicht ein. Bei nur 3,8 m Grenzabstand und einer Höhe von 6,6 m komme dem Bauvorhaben außerdem eine erdrückende Wirkung zu.
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Die Antragsteller haben auf ihre vor dem Verwaltungsgericht gestellten Anträge Bezug genommen und zielen sinngemäß darauf ab,
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unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 25. September 2024 die aufschiebende Wirkung ihrer Klage anzuordnen.
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Der Antragsgegner hat beantragt,
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die Beschwerde zu verwerfen.
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Die Beschwerde genüge nicht den Darlegungsanforderungen, weil sich die Antragsteller nicht ausreichend mit der Begründung des Verwaltungsgerichts auseinandersetzten. Ein Umschlagen von Quantität in Qualität sei weder ersichtlich noch dargelegt, zumal weder die Zahl der Wohnungen noch das Maß der baulichen Nutzung hierfür ausschlaggebend seien. Die behauptete „Nachbarfeindlichkeit“ des Bauvorhabens sei nicht nachvollziehbar. Abstandsflächenverstöße zu Lasten der Antragsteller seien nicht ersichtlich; auf der Südseite des Baugrundstücks verlaufe vielmehr eine öffentliche Verkehrsfläche. Das Verwaltungsgericht stelle bei der Beurteilung einer erdrückenden Wirkung zutreffend auf die Indizwirkung der Abstandsflächen sowie darauf ab, dass kein Ausnahmefall vorliege.
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Die Beigeladenen haben beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie sind der Ansicht, der „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ betreffe nur die Abwehr gebietsunverträglicher Nutzungen, welche der allgemeinen Zweckbestimmung des Baugebiets zuwiderliefen. Dies sei hier nicht der Fall; eine störende Wirkung des Bauvorhabens sei nicht ersichtlich. Mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Einhaltung der Abstandsflächen setzten sich die Antragsteller nicht auseinander und ein Ausnahmefall, der die Annahme einer erdrückenden Wirkung rechtfertigen könne, liege nicht vor.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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Die Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, zu Recht abgelehnt, weil deren Klage auf Aufhebung der Baugenehmigung vom 12. Juni 2024 im Hauptsacheverfahren voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Es kann offenbleiben, ob die Beschwerde im Hinblick auf die Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO bereits unzulässig ist, da jedenfalls die allein zu prüfenden Beschwerdegründe (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) keine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses rechtfertigen. Die angefochtene Baugenehmigung dürfte, worauf es allein ankommt, nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen, die zumindest auch dem Schutz der Antragsteller zu dienen bestimmt sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die vorzunehmende Abwägung der Interessen der Antragsteller einerseits sowie den öffentlichen Interessen und den Interessen der Beigeladenen andererseits geht hier demnach zu Lasten der Antragsteller aus.
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1. Die Antragsteller können sich nicht auf eine Verletzung eines „Gebietsprägungserhaltungsanspruchs“ berufen.
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Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass im vorliegenden Fall – unabhängig von der Frage, ob es überhaupt solch einen eigenständigen Anspruch gibt, – eine Beeinträchtigung des „Gebietsprägungserhaltungsanspruchs“ nicht zu besorgen ist. Unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Lagepläne und Luftbilder weiche das Bauvorhaben bei der genehmigten Kubatur nicht derart von der vorhandenen Bebauung ab, dass es zu einem Umschlagen von Quantität in Qualität mit der Konsequenz führe, dass das Bauvorhaben als völlig aus dem Rahmen fallend, mithin gebietsunverträglich angesehen werden könne. Dies gelte selbst dann, wenn – was allerdings nicht der Fall sei – die Anzahl der Wohneinheiten maßgeblich wäre (BA S. 9 f.). Hiergegen ist nichts zu erinnern (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2022 – 15 CS 22.1033 – juris Rn. 14; B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 8 ff.).
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Auf das – nicht drittschützende – Maß der baulichen Nutzung in Bezug auf die von den Antragstellern angeführte „Dreistöckigkeit“ des Bauvorhabens kommt es hierbei nicht an (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2022 – 15 CS 22.1750 – juris Rn. 22). Das Verwaltungsgericht musste insoweit auch keiner weiteren Sachaufklärung nachkommen.
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Die von den Antragstellern angeführte „Gesamtschau“ ändert an diesem Ergebnis nichts, zumal sie sich nicht mit den für einen „Gebietsprägungserhaltungsanspruch“ notwendigen strengen Voraussetzungen für die Annahme eines solchen Ausnahmefalles auseinandersetzen (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 15 ZB 23.151 – juris Rn. 9). Es ist nichts dazu dargelegt oder ersichtlich, sondern im Gegenteil fernliegend, dass das genehmigte Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfasst oder berührt, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 10).
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2. Die Beschwerde zeigt keinen Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften auf.
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Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass eine Verletzung der Antragsteller in eigenen Rechten durch die Abstandsflächen des Bauvorhabens ausgeschlossen werden kann und hierbei für die Südseite auf Art. 6 Abs. 2 Satz 2 BayBO und die angrenzende öffentliche Verkehrsfläche verwiesen (BA S. 13). Mit der bloßen Behauptung, die Abstandsflächen würden nach Süden und Osten nicht eingehalten, genügt die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 3.2.2023 – 15 CS 22.2644 – juris Rn. 13; B.v. 29.2.2024 – 15 CS 24.168 – juris Rn. 15).
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Hierbei ist ferner zu berücksichtigen, dass die Abstandsflächen nur eine relative Schutzwirkung haben (vgl. BayVGH, U.v. 30.9.2020 – 15 B 19.1562 – juris Rn. 16). Insofern scheidet eine Verletzung eigener Rechte der Antragsteller hinsichtlich der Einhaltung der Abstandsflächen durch das Bauvorhaben nach Süden bereits deswegen aus, weil sich das Grundstück der Antragsteller im Norden und Osten des Baugrundstücks befindet. Nach Osten ist dagegen eine Abstandsflächenverletzung angesichts der Platzierung des Bauvorhabens auf dem Baugrundstück, der Grenzabstände und der angegebenen Wandhöhen nicht nachvollziehbar.
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3. Die Antragsteller können sich auch nicht darauf berufen, das Bauvorhaben füge sich, insbesondere im Hinblick auf die Geschossigkeit, nicht gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die nähere Umgebung ein.
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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf abgestellt (BA S. 10), dass die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, ebenso wenig wie die Beeinträchtigung des Ortsbildes nachbarschützend sind (vgl. BayVGH, B.v. 4.7.2023 – 1 CS 23.940 – juris Rn. 11; B.v. 5.11.2019 – 9 CS 19.1767 – juris Rn. 18). Die Behauptung der Antragsteller, das Bauvorhaben sei das einzig dreigeschossige Gebäude in der Umgebung und füge sich deshalb nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, ist nachbarschutzrechtlich irrelevant. Denn ein (behaupteter) Verstoß hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung im Rahmen des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB vermittelt grundsätzlich keinen Drittschutz; vielmehr kommt es für die Verletzung von nachbarlichen Rechten dann grundsätzlich allein darauf an, ob das Vorhaben die mit dem Gebot des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) geforderte Rücksichtnahme wahrt (vgl. BayVGH, B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 7).
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4. Die angefochtene Baugenehmigung verstößt auch nicht zu Lasten der Antragsteller gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
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Die Antragsteller machen eine erdrückende oder einmauernde Wirkung des Bauvorhabens ihnen gegenüber geltend, weil das Bauvorhaben mit „nur 3,80 m Abstand bei 6,60 m Höhe“ errichtet werde. Hierzu hat das Verwaltungsgericht – neben der mit der Beschwerde nicht angegriffenen Indizwirkung der Einhaltung der Abstandsflächen (vgl. BayVGH, B.v. 22.4.2022 – 15 CS 22.874 – juris Rn. 54 f.) – zutreffend darauf abgestellt, dass eine erdrückende Wirkung nur bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarter Wohnbebauung in Betracht kommt (BA S. 11). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind dabei – neben der bloßen Distanz – insbesondere die besonderen Belastungswirkungen aufgrund der Höhe und der Länge des Bauvorhabens auf das benachbarte Wohngebäude (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 18). Weder aus dem Beschwerdevortrag noch aus den vorliegenden Plänen und Luftbildern ist jedoch ersichtlich, dass das Bauvorhaben der Beigeladenen dem Wohnhaus der Antragsteller förmlich „die Luft nehme“, weil es derart übermächtig wäre, dass das Gebäude der Antragsteller nur noch oder überwiegend wie von einem „herrschenden“ Gebäude dominiert und ohne eigene Charakteristik wahrgenommen würde (vgl. BayVGH, B.v. 13.9.2022 – 15 CS 22.1851 – juris Rn. 17 m.w.N.). Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass sich das genehmigte Bauvorhaben schräg versetzt zum Wohngebäude der Antragsteller befindet und wesentliche Teile der Südseite des Gebäudes der Antragsteller aufgrund des Zuschnitts ihres eigenen Grundstücks nicht vom Bauvorhaben der Beigeladenen beeinträchtigt werden. Denn der östliche Teil des Grundstücks der Antragsteller grenzt zwar im Westen an das Baugrundstück an, im Süden aber seinerseits mit erheblichem Abstand zum Wohngebäude an die dort verlaufende öffentliche Verkehrsfläche. Die ausweislich der Luftbilder vorhandene Bebauung auf der Südseite des Wohngebäudes der Antragsteller auf ihrem eigenen Grundstück kann nicht den Beigeladenen angelastet werden, denn ein Bauherr, der sich seine Bauwünsche erfüllt hat, hat es nicht in der Hand, durch die Art und Weise seiner Bauausführung unmittelbaren Einfluss auf die Bebaubarkeit anderer Grundstücke zu nehmen (vgl. BayVGH, B.v. 2.11.2022 – 15 CS 22.2024 – juris Rn. 17; BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215.96 – juris Rn. 11).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Da die Beigeladenen im Beschwerdeverfahren einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt haben (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhalten (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
28
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).