Inhalt

VGH München, Beschluss v. 13.11.2024 – 12 CE 24.1562
Titel:

Zulassungsvoraussetzungen und Grenzen des Unverzüglichkeitsgebots nach § 10 BAföG

Normenketten:
BaföG § 10 Abs. 3
VwGO § 173
ZPO 572 Abs. 3
Leitsätze:
1. Das Unverzüglichkeitsgebot des § 10 Abs. 3 S. 3 BAföG ist nicht auf Fälle des § 10 Abs. 3 S. 2 Nr. 1a BAföG anwendbar. (Rn. 2 – 6 und 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ausnahme von der Altersgrenze setzt voraus, dass die Zulassung zum Studium auf einer beruflichen Qualifikation beruht. Wird die Hochschulzugangsberechtigung anderweitig erlangt, etwa durch eine ausländische Schulausbildung, erfüllt dies die Voraussetzungen der Regelung nicht. (Rn. 7 – 12) (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausbildungsförderung, Altersgrenze, Unverzüglichkeitsgebot, Allgemeiner Hochschulzugang für qualifizierte Beruftstätige, Hochschulzugangsberechtigung
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 14.08.2024 – M 15 E 24.3990
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33411

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 14. August 2024 – M 15 E 24.3990 – wird aufgehoben.
II. Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
III. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten.

Gründe

1
Die zulässige Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 14. August 2024 hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Verwaltungsgericht zur erneuten Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 173 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO). Von dieser Möglichkeit macht der Senat Gebrauch, weil bislang nicht geklärt worden ist, auf welcher Grundlage die Antragstellerin zum Studium an der C.-Universität ... zugelassen worden ist.
2
Der Antragstellerin kann zwar, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, das Überschreiten der Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG nicht unter Verweis auf das Unverzüglichkeitsgebot des § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG entgegengehalten werden (dazu 1.). Allerdings ist entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts nicht (mehr) unstreitig, dass die Antragstellerin auf Grundlage der Bescheinigung der LMU ... vom 19. Februar 2020 über den Allgemeinen Hochschulzugang für qualifizierte Berufstätige zum Studium an der C.-Universität zugelassen worden ist (2.).
3
1. Einem Anspruch der Klägerin auf Förderung ihres Medizinstudiums würde jedenfalls nicht entgegenstehen, dass sie ihr Studium erst drei Jahre nach dem Vorliegen der Bescheinigung der LMU ... vom 19. Februar 2020 aufgenommen hat. Denn das Unverzüglichkeitsgebot des § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG gilt nicht in den Fällen des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1a BAföG (so auch OVG MV, U. v. 20.4.2021 – 1 LB 360/19 OVG – juris Rn. 34).
4
Hierfür spricht zunächst der eindeutige Wortlaut, wonach sich § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG explizit nur auf „Satz 2 Nr. 1, 1b, 3 und 4“ bezieht (VG Sigmaringen, U. v. 24.2.2016 – 1 K 2584/15 – juris Rn. 18; VG Stuttgart, U. v. 1.2.2010 – 11 K 4088/09 – juris Rn. 17).
5
Eine analoge Anwendung des Unverzüglichkeitsgebots auf Fälle des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1a BAföG kommt nicht in Betracht. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Durch das 17. BAföGÄndG wurde das Unverzüglichkeitsgebot auf die Nr. 3 und 4 und durch das 23. BAföGÄndG auf die Nr. 1b erstreckt, nicht aber auf die Nr. 1a (Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 8. Aufl. 2024, § 10 Rn. 20). Mit der Regelung der Nr. 1a hat der Gesetzgeber also bewusst einen eigenständigen Ausnahmetatbestand geschaffen. Dies ist insbesondere damit zu begründen, dass z.B. neben dem beruflichen Abschluss noch eine Mindestzeit an beruflicher Tätigkeit Voraussetzung für die Qualifikation zum Studium ist. So lässt sich ein genauer Anknüpfungspunkt für das „Unverzüglichkeitsgebot“ nicht mehr bestimmen (Jansen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl. 2023, Stand: 15.4.2023, § 10 BAföG, Rn. 39).
6
Zudem ist eine Analogie zu Lasten der Betroffenen unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten unzulässig. Die Verweigerung einer Begünstigung (Ausnahme von der Altersgrenze und damit Bewilligung von BAföG) stellt einen hoheitlichen Eingriff dar, der nach dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Eine solche kann nicht im Wege der analogen Anwendung gewonnen werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 14.8.1996 – 2 BvR 2088/93 – juris Rn. 10).
7
2. Allerdings ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die Antragstellerin auf Grundlage der Bescheinigung der LMU ... vom 19. Februar 2020 zum Studium zugelassen worden ist und nicht aufgrund ihres brasilianischen Schulabschlusses. Ob dies jedoch tatsächlich der Fall ist, ist im Beschwerdeverfahren streitig geworden und bedarf deshalb der weiteren Aufklärung.
8
Die Ausnahme von der Altersgrenze setzt gem. § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1a BAföG voraus, dass der Auszubildende ohne Hochschulzugangsberechtigung allein aufgrund seiner beruflichen Qualifikation an einer Hochschule eingeschrieben worden ist. Auszubildende, die die Zugangsberechtigung u.a. durch eine Meisterprüfung erworben haben, werden vom Wortlaut des § 10 Abs. 3 Nr. 1a nicht unmittelbar erfasst. Diese Regelungslücke wurde jedoch durch Tz 10.3.1 der Verwaltungsvorschrift geschlossen und damit eine Analogie zu dem Personenkreis der Gruppe der beruflich Qualifizierten geschaffen (Jansen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl. 2023, Stand: 15.4.2023, § 10 BAföG, Rn. 40).
9
Die Anwendbarkeit des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1a BAföG und damit die Ausnahme von der Altersgrenze setzt deshalb voraus, dass die Zulassung zum Studium tatsächlich auf Grund der durch eine Meisterprüfung erworbenen Zugangsberechtigung erfolgt ist. Hier hat die Antragstellerin bislang weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, auf welcher Grundlage sie zum Studium an der C.-Universität zugelassen worden ist. Sie behauptet lediglich, auf mehrmalige Nachfrage nur eine standardisierte Immatrikulationsbescheinigung erhalten zu haben.
10
Es erscheint in Anbetracht der hochschulrechtlichen Regelungen in der Slowakei auch nicht allein denkbar, dass die Bescheinigung der LMU vom 19. Februar 2020 maßgeblich für die Zulassung der Antragstellerin war. Ebenso vorstellbar ist, dass die brasilianische Sekundarschulbildung für ausreichend erachtet worden ist, um die Antragstellerin zu dem entscheidenden Aufnahmetest zuzulassen. Denn die maßgebliche hochschulrechtliche Regelung (§ 56 Abs. 1 des Gesetzes über Universitäten vom 21. Februar 2002, Act no. 131/2002 on higher education) lässt für die Zulassung zum Studium neben dem Erwerb einer vollständigen Sekundarschulbildung auch eine fachliche Sekundarschulbildung genügen. Die Antragstellerin hat nach den dem Senat vorliegenden Unterlagen in Brasilien die „Ensino Médio“, also die Sekundarschule, abgeschlossen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese als hinreichende Qualifikation angesehen worden ist, zumal die Antragstellerin in Brasilien auf dieser Grundlage zu einem Studium der Tiermedizin an einer öffentlichen staatlichen Universität zugelassen worden ist.
11
Vor diesem Hintergrund bedarf es der weiteren Aufklärung, ob tatsächlich die Bescheinigung der LMU ... vom 19. Februar 2020 über den Erwerb des Allgemeinen Hochschulzugangs für qualifizierte Berufstätige zur Zulassungsentscheidung der C.-Universität geführt hat – und somit § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1a BAföG einschlägig ist – oder aber bereits die brasilianische Sekundarschulbildung hierfür als ausreichend erachtet worden ist, die bei isolierter Betrachtung die Voraussetzungen einer „beruflichen Qualifikation“ i. S. v. § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1a BAföG nicht erfüllen würde. Denn diese Regelung verfolgt das Ziel, ausnahmsweise auch denjenigen Auszubildenden einen Anspruch auf Leistungen nach dem BAföG zu ermöglichen, die wegen besonderer beruflicher Qualifikation und mehrjähriger Berufspraxis zu Studiengängen zugelassen werden und damit gewöhnlich bereits weitaus älter sind als diejenigen, die auf dem „Ersten Bildungsweg“ die Zugangsvoraussetzungen zur Hochschule oder Akademie erreicht haben (Jansen in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl. 2023, Stand: 15.4.2023, § 10 BAföG, Rn. 38). Sie setzt also eine berufliche Tätigkeit und Qualifizierung voraus. Eine Schulausbildung allein erfüllt diese Voraussetzungen nicht.
12
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist daher gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 572 Abs. 3 ZPO aufzuheben und das Verfahren an das Verwaltungsgericht zur erneuten Prüfung und Entscheidung über den Eilantrag zurückzuverweisen. Dies gibt der Antragstellerin Gelegenheit, die erforderliche Glaubhaftmachung nachzuholen. Hierzu ist der Antragstellerin eine angemessene Frist einzuräumen. Gegebenenfalls ist auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu entscheiden.
13
3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung des Verwaltungsgerichts vorbehalten.
14
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).