Inhalt

VGH München, Beschluss v. 20.11.2024 – 11 ZB 24.1252
Titel:

Prüfungsfreie Umschreibung einer kosovarischen Fahrerlaubnis - Berufungszulassung

Normenketten:
FeV § 16 Abs. 1, § 17 Abs. 1, § 29 Abs. 1 S. 4, § 31 Abs. 1 S. 1, Abs. 1a
FeV Anl. 11
Leitsätze:
1. Die Beurteilung, ob für die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis im Wege der sog. Umschreibung eine Fahrerlaubnisprüfung zwingend anzuordnen ist, weil gewichtige Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dem Bewerber die erforderliche Befähigung für das Führen von Kraftfahrzeugen fehlen könnte, ist aufgrund einer umfassenden Würdigung des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen, bei der sowohl die für als auch die gegen die Erfüllung der betreffenden Erteilungsvoraussetzung sprechenden tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen und abzuwägen sind. Dazu gehört auch und in erster Linie die Zeitdauer fehlender Fahrpraxis (zuletzt VGH München BeckRS 2024, 15385 Rn. 13, 15). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Annahme berechtigter Bedenken hinsichtlich der Befähigung eines Bewerbers, der nur kurze Zeit vor Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes in Deutschland Fahrpraxis sammeln konnte und dessen sechsmonatige Inlandsberechtigung vor mehr als 17 Jahren und im Zeitpunkt der Antragstellung vor rund 15 Jahren endete, bewegt sich in dem Rahmen, den der Senat in vergleichbaren Fallgestaltungen gezogen hat (vgl. VGH München BeckRS 2024, 15385 Rn. 13 f. mwN). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
prüfungsfreie Umschreibung einer kosovarischen Fahrerlaubnis, Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis (offen gelassen), Zweifel an der Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen, Anordnung einer Fahrerlaubnisprüfung, berechtigte Bedenken gegen die Befähigung für das Führen von Kraftfahrzeugen, umfassende Würdigung des Einzelfalls, Zeitdauer fehlender Fahrpraxis, kurze Zeit vor Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes in Deutschland, langer Zeitraum fehlender Inlandsfahrberechtigung (15 bzw. 17 Jahre)
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 25.03.2024 – M 6 K 23.1401
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33409

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin begehrt die prüfungsfreie Umschreibung ihrer kosovarischen in eine deutsche Fahrerlaubnis.
2
Die 1979 im Gebiet der heutigen Republik Kosovo geborene Klägerin ist seit dem 23. Dezember 2006 durchgehend mit ständigem Aufenthalt in M. gemeldet.
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Am 24. März 2022 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis der Klasse B im Wege der sog. Umschreibung. Dabei legte sie einen am 17. Juli 2013 im Kosovo ausgestellten Führerschein (Klassen B1, B, M, L und T) vor. Als Datum der Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B findet sich dort der 6. Oktober 2004. Ferner übersandte die Klägerin im Laufe des Verfahrens einen an jenem Tag von der UN Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK) ausgestellten Führerschein in Kopie. Als Datum der Erteilung der Klasse B ist dort der 6. Oktober 2004 genannt. In Spalte 11 (Ende der Gültigkeit der Fahrerlaubnis der jeweiligen Klasse) ist der 5. Oktober 2009 eingetragen; ebenso unter der Nummer 4b (Ende der Gültigkeit des Führerscheins). Eine Bescheinigung des Innenministeriums der Republik Kosovo über die Echtheit und Gültigkeit des am 17. Juli 2013 ausgestellten Führerscheins liegt vor.
4
Mit Bescheid vom 15. März 2023 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eine Umschreibung sei nur möglich, wenn der Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis zum Führen von Fahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt gewesen sei. Daran fehle es, wenn der Betroffene zum Zeitpunkt der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland gehabt habe. So verhalte es sich hier. Der vorgelegte kosovarische Führerschein sei am 17. Juli 2013 und damit zu einem Zeitpunkt ausgestellt worden, als die Klägerin ihren ordentlichen Wohnsitz bereits in Deutschland gehabt habe. Nach dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Juli 2021 (11 B 19.1473) sei es einer Erteilung gleichzustellen, wenn mit der Verlängerung der Gültigkeitsdauer eines Führerscheins zugleich die Gültigkeitsdauer der Fahrerlaubnis verlängert werde.
5
Die dagegen erhobene Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht München unter Verweis auf fehlende Fahrpraxis seit der Wohnsitznahme in Deutschland mit Urteil vom 25. März 2024 abgewiesen.
6
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Beklagte entgegentritt, macht die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, besondere rechtliche Schwierigkeiten sowie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
8
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg, da die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht hinreichend dargelegt sind bzw. nicht vorliegen (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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1. Aus dem Vorbringen der Klägerin, auf das sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofs beschränkt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO), ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
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a) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen dann, wenn ein tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne nähere Prüfung beantworten lässt (vgl. BayVGH, B.v. 21.1.2022 – 22 ZB 21.2116 – BayVBl 2022, 493 Rn. 11; OVG NW, B.v. 1.10.2020 – 1 A 2433/20 – juris Rn. 4; SächsOVG, B.v. 8.12.2019 – 6 A 740/19 – juris Rn. 3; BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 Rn. 16 f.; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 = juris Rn. 9). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
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b) Das Verwaltungsgericht hat angenommen, es könne dahinstehen, ob ein Wohnsitzverstoß in Zusammenhang mit der Ausstellung des kosovarischen Führerscheins im Jahr 2013 vorliege. Unabhängig davon bestehe kein Anspruch auf Umschreibung der kosovarischen in eine deutsche Fahrerlaubnis ohne erneute Befähigungsprüfung, weil die Klägerin seit ihrer Wohnsitznahme in Deutschland im Jahr 2006 keine ausreichende Fahrpraxis nachweisen könne. Die erstmalige Erteilung der Fahrerlaubnis im Jahr 2004 liege rund 20 Jahre zurück. Anschließend habe die Klägerin gut zwei Jahre Fahrpraxis im Kosovo sammeln können und sodann nach der Begründung ihres Wohnsitzes in Deutschland im Jahr 2006 sechs Monate Kraftfahrzeuge im Inland führen dürfen. Ob die geltend gemachte, allein im Ausland erworbene Fahrpraxis ausreichend wäre, die Zweifel an der Befähigung auszuräumen, könne offenbleiben. Nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Gesamteindruck sei das Gericht der Überzeugung, dass diese nicht vorliege. Die Angaben dazu seien nicht ansatzweise glaubhaft. Insbesondere habe die Klägerin, wie das Verwaltungsgericht näher ausführt, in der mündlichen Verhandlung mehrfach ihren Sachvortrag geändert und widersprüchliche Angaben zu Fahrstrecken und der groben zeitlichen Lage (Kalenderjahre) der Fahrten gemacht.
12
c) Diese das Urteil tragenden Annahmen stellt der Antrag auf Zulassung der Berufung nicht ernstlich in Frage.
13
Der rechtliche Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts steht dabei in Einklang mit § 31 Abs. 1a der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2024 (BGBl I Nr. 299), sowie der gefestigten Rechtsprechung dazu. Nach § 31 Abs. 1a FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde eine Fahrerlaubnisprüfung an, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass der Bewerber die nach § 16 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 FeV erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht mehr besitzt. Insoweit genügt nach ständiger Rechtsprechung, dass gewichtige Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dem Bewerber die erforderliche Befähigung fehlen könnte. Gemeint ist das Gesamtbild aller relevanten Tatsachen. Die Beurteilung ist folglich aufgrund einer umfassenden Würdigung des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen, bei der sowohl die für als auch die gegen die Erfüllung der betreffenden Erteilungsvoraussetzung sprechenden tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen und abzuwägen sind. Dazu gehört auch und in erster Linie die Zeitdauer fehlender Fahrpraxis (zuletzt BayVGH, B.v. 18.6.2024 – 11 ZB 24.501 – juris Rn. 13). Dies deckt sich mit der amtlichen Begründung der Vorschrift (BR-Drs. 600/18, S. 23 f.). Danach erlaubt § 31 Abs. 1a FeV den Fahrerlaubnisbehörden, eine Fahrerlaubnisprüfung z.B. in den Fällen anzuordnen, in denen viele Jahre oder gar Jahrzehnte nach Wohnsitznahme in Deutschland die Erteilung einer deutschen Fahrerlaubnis beantragt wird (vgl. Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Aufl. 2023, § 31 FeV Rn. 18). Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 1a FeV erfüllt, steht die Anordnung nicht im Ermessen der Behörde, sondern ist sie zwingend (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2024 – 11 ZB 24.501 – juris Rn. 15; so auch zu der Parallelvorschrift in § 20 Abs. 2 FeV B.v. 5.12. 2023 – 11 ZB 23.1417 – Blutalkohol 2024, 212 = juris Rn. 13).
14
Hiervon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Dauer der fehlenden Inlandsfahrberechtigung der Klägerin geeignet ist, ihre Befähigung in Zweifel zu ziehen. Der Klägerin wurde die Fahrerlaubnis der Klasse B im Gebiet der heutigen Republik Kosovo am 6. Oktober 2004 erstmals erteilt. Seit dem 23. Dezember 2006 wohnt sie ununterbrochen im Bundesgebiet und war hier gemäß § 29 Abs. 1 Satz 4 FeV noch sechs Monate (d.h. bis 23.6.2007) berechtigt, Kraftfahrzeuge zu führen. In diesem Zusammenhang ist – ohne dass es darauf noch entscheidend ankommt – zur Klarstellung darauf hinzuweisen, dass der im Jahr 2013 ausgestellte Führerschein, anders als es im angegriffenen Urteil erwogen wird, der Klägerin keine erneute Inlandsfahrberechtigung von sechs Monaten verleihen konnte. Dies gilt auch dann, wenn mit der Ausstellung des Führerscheins keine Erweiterung der Rechtsstellung der Klägerin verbunden gewesen sein sollte und damit kein Wohnsitzverstoß gegeben wäre. Denn die Inlandsfahrberechtigung von sechs Monaten nach § 29 Abs. 1 Satz 4 FeV knüpft an die Begründung des ordentlichen Wohnsitzes im Inland an, die hier bereits 2006 erfolgte. Die Berechtigung endete folglich vor mehr als 17 und im Zeitpunkt der Antragstellung vor rund 15 Jahren. Seither haben die Anforderungen an die Teilnahme am Straßenverkehr aufgrund der gestiegenen Verkehrsdichte und der fortentwickelten Fahrzeugtechnik zugenommen. In vielerlei Hinsicht geändert haben sich auch die für das Führen von Kraftfahrzeugen maßgebenden gesetzlichen Vorschriften sowie die Anforderungen an eine umweltbewusste und energiesparende Fahrweise, die ebenfalls Gegenstand der theoretischen und praktischen Fahrerlaubnisprüfung sind. Die Schlussfolgerung des Verwaltungsgerichts, das in Anbetracht der kurzen Zeit, in der die Klägerin vor Begründung ihres ordentlichen Wohnsitzes in Deutschland Fahrpraxis sammeln konnte, sowie des langen Zeitraums fehlender Inlandsfahrberechtigung berechtigte Bedenken hinsichtlich der Befähigung bejaht hat, ist demnach nicht zu beanstanden. Sie bewegt sich in dem Rahmen, den der Senat in vergleichbaren Fallgestaltungen gezogen hat (vgl. BayVGH, B.v. 15.9.2023 – 11 BV 23.937 – zfs 2023, 653 = juris Rn. 16 ff.; B.v. 18.6.2024 – 11 ZB 24.501 – juris Rn. 13 f.; B.v. 5.12.2023 – 11 ZB 23.1417 – Blutalkohol 2024, 212 = juris Rn. 13 f.; B.v. 23.8.2023 – 11 C 23.1065 – juris Rn. 17; B.v. 11.6.2024 – 11 ZB 24.634 – juris Rn. 22 ff.). Dass das Verwaltungsgericht – zu Gunsten der Klägerin – offen gelassen hat, ob die Neuausstellung des Führerscheins im Jahr 2013 eine erneute Inlandsfahrberechtigung von sechs Monaten verleihen konnte, wirkt sich dabei in Anbetracht der in Rede stehenden Zeiträume ohne Inlandsfahrberechtigung nicht aus.
15
Soweit der Antrag auf Zulassung der Berufung sich gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts wendet, die Zweifel entfielen auch nicht aufgrund der geltend gemachten Fahrten im Ausland, greift das nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat sich ersichtlich davon leiten lassen, dass glaubhafte Darlegungen zur Fahrpraxis insoweit auch ohne konkreten Beleg genügen können, die Angaben der Klägerin hier aber insgesamt unglaubhaft sind. Dagegen ist nichts zu erinnern. Der eingehenden Würdigung des Verwaltungsgerichts, das nachvollziehbar auf im Einzelnen benannte Änderungen im Sachvortrag und widersprüchliche Erklärungen der Klägerin abgestellt hat, stellt der Antrag auf Zulassung der Berufung allein den Einwand entgegen, dieser Schluss sei mit den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht vereinbar. Dies verhält sich bereits nicht zu der entscheidenden Frage der Glaubhaftigkeit und vermag die Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts daher nicht ernstlich in Zweifel zu ziehen.
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2. Wenn der Antrag auf Zulassung der Berufung besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und eine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) der Rechtssache in den Raum stellt, sind deren Voraussetzungen nicht dargelegt und nach dem Vorstehenden auch nicht gegeben.
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3. Als unterlegene Rechtsmittelführerin hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
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4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
19
5. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).