Titel:
Erfolgloser Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung in einem ausländerrechtlichen Verfahren (Ausweisung eines serbischen Staatsangehörigen)
Normenketten:
GG Art. 3 Abs. 1
StAG § 4 Abs. 3
AufenthG § 11, § 53
Leitsätze:
1. Ob eine Person bei Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat bestimmt sich nach der für jenen Zeitpunkt anwendbaren Fassung der gesetzlichen Vorschriften (Anschluss an OVG Hamburg BeckRS 2010, 45050). (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bestimmt ein Gesetz einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt für das Inkrafttreten muss sich ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben, dass einzelne Vorschriften bereits vor diesem Zeitpunkt anwendbar sein sollen. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es liegt keine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung vor, wenn eine gesetzliche Neuregelung auf Sachverhalte, die vor ihrem Inkrafttreten liegen, nicht anwendbar ist. (Rn. 11 und 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltsrecht, Ausweisung, Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt, Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, maßgebliche Rechtslage, Rückwirkung
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 29.02.2024 – M 27 K 23.4151
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33407
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger, ein serbischer Staatsangehöriger, seine in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 26. Juli 2023 weiter. Mit diesem Bescheid wurde er aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen, das unter der Bedingung der nachgewiesenen Straffreiheit auf fünf Jahre, andernfalls auf sieben Jahre befristet wurde; weiter wurden seine Anträge auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis abgelehnt sowie seine Abschiebung nach Serbien angeordnet bzw. bei nicht fristgerechter Ausreise nach Haftentlassung angedroht.
2
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (2.) oder besondere rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (3.).
3
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts sind nicht dargelegt. Solche bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 17; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist hier nicht der Fall.
4
a) Der Kläger bringt zunächst vor, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei er (auch) deutscher Staatsangehöriger, weshalb das Aufenthaltsgesetz schon deshalb auf ihn keine Anwendung finde.
5
Auf entsprechenden erstinstanzlichen Vortrag hat das Verwaltungsgericht hierzu ausgeführt:
Der Kläger habe nicht durch Geburt am 24. September 2004 im Bundesgebiet die deutsche Staatsangehörigkeit erworben und sei deshalb Ausländer im Sinn des § 53 Abs. 1 AufenthG. Zum Zeitpunkt der Geburt des Klägers habe ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch ein Kind ausländischer Eltern gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG in der Fassung vom 15. Juli 1999 (BGBl. I S. 1618, gültig vom 1.1.2000 bis zum 31.12.2004) vorausgesetzt, dass ein Elternteil nicht nur seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland gehabt habe, sondern gemäß Nr. 2 dieser Regelung seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besessen habe. Das sei beim Vater des Klägers nicht der Fall gewesen, da dieser seine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erst am 19. Januar 2002 erhalten hatte.
Dass mit Inkrafttreten des sog. Zuwanderungsgesetzes (vom 30.7.2004, BGBl. I S. 1950) am 1. Januar 2005 ein dreijähriger Besitz des unbefristeten Aufenthaltstitels nicht mehr erforderlich gewesen sei, um einem Kind ausländischer Eltern gleichwohl die deutsche Staatsangehörigkeit zu vermitteln, sei im vorliegenden Fall ohne Belang. Insbesondere könne der Kläger mit dem Vortrag, auch auf ihn sei diese neue Regelung anzuwenden, da der entsprechende Gesetzesbeschluss noch vor seiner Geburt gefasst worden sei, nicht gehört werden. Die Rückwirkung eines Gesetzes sei eine Ausnahme von der Regel, wonach Gesetze für die Zeit nach ihrer Verkündung gelten und so für gegenwärtige und künftige Rechtsverhältnisse zur Anwendung kämen. Demgemäß müsse der Wille des Gesetzgebers, dass der Geltungsbereich des Gesetzes auch auf in der Vergangenheit liegende Vorgänge erstreckt werden solle, im Gesetz zum Ausdruck kommen. Dies gelte auch im Staatsangehörigkeitsrecht. Das Zuwanderungsgesetz weise nichts aus, das darauf hindeuten könnte, dass sein Geltungsbereich auch auf in der Vergangenheit liegende Vorgänge erstreckt werden sollte. Es stelle deshalb auch keine Grundrechtsverletzung, insbesondere keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes auf Grund einer sachlich ungerechtfertigten Ungleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG dar, zum Zeitpunkt der Geburt des Klägers noch diesen dreijährigen Besitz bei dessen Vater zu fordern, obwohl der Gesetzgeber bereits Ende Juli 2004 beschlossen gehabt habe, durch den Erlass des Zuwanderungsgesetzes mit Wirkung zum 1. Januar 2005 einen solchen dreijährigen Besitz eines unbefristeten Aufenthaltstitels bei einem ausländischen Elternteil nicht mehr zu verlangen.
6
Der Kläger ist demgegenüber der Meinung, gerade diese fehlende Rückwirkungsregelung im Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 führe zu einer faktischen Ungleichbehandlung in Bezug auf den Personenkreis, der – wie der Kläger – zwar nach dem Gesetzesbeschluss am 30. Juli 2004, jedoch noch vor dem Inkrafttreten am 1. Januar 2005 auf die Welt gekommen sei, und bei dem die Voraussetzungen im Übrigen vorliegen würden, wie sie in dem Gesetz als Neuregelung vorgesehen gewesen seien. Der Gesetzgeber hätte daher bei Abfassung des Zuwanderungsgesetzes eine Rückwirkungsregelung dahingehend treffen müssen, dass jedenfalls diese Änderung des Art. 4 Abs. 3 StAG bereits mit Beschlussfassung vom 30. Juli 2004 in Kraft trete bzw. rückwirkend ab dem 30. Juli 2004 zur Anwendung komme. Das Unterlassen einer solchen Rückwirkungsregelung verstoße gegen eine sachlich gebotene Gleichbehandlung der Personen, die zwischen dem 30. Juli 2004 und dem 1. Januar 2005 auf die Welt gekommen seien, bei denen aber die Voraussetzungen nach der neuen (späteren) Gesetzeslage vorlägen, gegenüber denjenigen Personen, die ab dem 1. Januar 2005 geboren seien. Um eine Verletzung des Klägers in Art. 3 Abs. 1 GG zu vermeiden, sei daher die Neuregelung auch auf ihn anzuwenden.
7
Jedoch kann der Kläger mit diesem Vortrag die Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Kläger sei nicht deutscher Staatsangehöriger, nicht in Frage stellen.
8
Ob der Kläger bei seiner Geburt am 24. September 2004 gemäß § 4 Abs. 3 StAG die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat, bestimmt sich nach der für den Zeitpunkt seiner Geburt anwendbaren Fassung der gesetzlichen Vorschriften (OVG Hamburg, B.v. 5.10.2009 – 3 Bf 48/08.Z – juris Rn. 8; OVG NW, B.v. 14.10.2014 – 19 E 980/14 – juris Rn. 4; Kau/Hailbronner in Hailbronner/Kau/Gnatzy/Weber, Staatsangehörigkeitsrecht, 7. Aufl. 2022, StAG § 4 Rn. 75a). Nach der damaligen (vom 1.1.2000 bis zum 31.12.2004 geltenden) Fassung des § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG vom 15. Juli 1999 (BGBl. I S. 1618) erwarb ein Kind ausländischer Eltern durch die Geburt im Inland die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn ein Elternteil (Nr. 1) seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte und (Nr. 2) eine Aufenthaltsberechtigung oder seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besaß. Letztere Voraussetzung trifft – unstreitig – im Fall des Klägers nicht zu, da sein Vater die unbefristete Aufenthaltserlaubnis noch nicht seit drei Jahren besaß.
9
Mit der Änderung des § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG durch das Zuwanderungsgesetz vom 30. Juli 2004 (BGBl. I 1618) entfiel das Erfordernis eines dreijährigen Besitzes eines Aufenthaltstitels. Diese Änderung ist am 1. Januar 2005 in Kraft getreten (Art. 15 Abs. 3 Halbsatz 1 Zuwanderungsgesetz, BGBl. I S. 2010). Dass der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren durchaus Anlass für die Regelung von Rückwirkungen bzw. für Übergangsvorschriften für bereits anhängige Verfahren gesehen hat, belegt der gleichzeitig neu eingeführte § 40c StAG (BGBl. I S. 1999); dieser betrifft jedoch nur Einbürgerungsanträge, nicht jedoch den Erwerb der Staatsangehörigkeit kraft Gesetzes nach § 4 Abs. 3 StAG (OVG Hamburg, B.v. 5.10.2009 – 3 Bf 48/08.Z – juris Rn. 13).
10
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Rückwirkung eines Gesetzes eine Ausnahme von der Regel, wonach Gesetze nur für die Zeit nach ihrer Verkündung gelten und so für gegenwärtige und künftige Rechtsverhältnisse zur Anwendung kommen. Demgemäß muss der Wille des Gesetzgebers, dass der Geltungsbereich des Gesetzes auch auf in der Vergangenheit liegende Vorgänge erstreckt werden soll, im Gesetz zum Ausdruck kommen (BVerwG, U.v. 29.10.1992 – 2 C 24.90 – BVerwGE 91, 1130 = juris Rn. 12; für das Staatsangehörigkeitsrecht: BVerwG, B.v. 31.1.1997 – 1 B 2.97 – juris Rn. 4). Nichts Anderes kann für den Fall gelten, dass das Gesetz einen in der („ferneren“) Zukunft liegenden Zeitpunkt für das Inkrafttreten bestimmt; sollen einzelne Vorschriften bereits vor diesem Zeitpunkt anwendbar sein, muss sich dies ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben.
11
Wenn der Kläger meint, die durch das Zuwanderungsgesetz erfolgte Neufassung des § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG müsste auf ihn angewendet werden, obwohl in dem Gesetz jeder Hinweis auf eine Anwendbarkeit zum Zeitpunkt seiner Geburt fehlt, würde dies gegen den Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes verstoßen (vgl. Grzeszick in Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand April 2024, GG Art. 20 Rn. 73). Daran ändert auch nichts sein Vortrag, dass der Gesetzgeber die Neuregelung bereits ab dem 30. Juli 2004 hätte in Kraft setzen oder für anwendbar erklären müssen, um eine Ungleichbehandlung im Sinn des Art. 3 GG der nach dem Gesetzesbeschluss (bzw. -erlass), aber vor dem Inkrafttreten geborenen Kinder zu vermeiden. Es obliegt dem Gesetzgeber, beim Erlass von Gesetzen deren Inkrafttreten zu bestimmen. Es liegt in der Natur der Sache, dass zwischen dem Erlass eines Gesetzes und dessen Inkrafttreten ein gewisser Zeitraum liegen kann und deshalb vor dem Inkrafttreten eintretende Sachverhalte gegebenenfalls noch nicht von der Gesetzesänderung erfasst werden. Allein hieraus ergibt sich keine willkürliche Ungleichbehandlung.
12
b) Der Kläger ist außerdem der Meinung, der Gesetzesbeschluss zum Zuwanderungsgesetz hätte, wenn schon nicht von seiner deutschen Staatsangehörigkeit auszugehen sei, jedenfalls im Rahmen der Abwägung nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG dahingehend berücksichtigt werden müssen, dass von einem derart verfestigten Bleibeinteresse auszugehen sei, dass die Ausweisung des Klägers rechtsfehlerhaft sei. Gerade weil es bei dem Beschluss des Zuwanderungsgesetzes Ende Juli 2004 der Wille des Gesetzgebers gewesen sei, Personen wie dem Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit mit der Geburt zuzuerkennen, wenn ein Elternteil einen unbefristeten Aufenthaltstitel besitze, hätte das Verwaltungsgericht jedenfalls die insoweit fehlende Abwägung als fehlerhaft bewerten müssen.
13
Es ist jedoch nicht nachvollziehbar, inwiefern aus einem Gesetzesbeschluss aus dem Jahr 2004 gegenwärtig ein besonders „verfestigtes“ Bleibeinteresse abzuleiten sein sollte. Die vom Kläger hierfür angeführten Gesichtspunkte, die sich aus der Geburt und dem Aufwachsen im Bundesgebiet und aus den geringen Bezügen zum Herkunftsland Serbien ergeben, sind – soweit sie nicht ohnehin in § 55 Abs. 1 oder Abs. 2 AufenthG „vertypt“ sind – jedenfalls in die Abwägung nach § 53 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG einzustellen und mit dem ihnen zukommenden Gewicht mit dem Ausweisungsinteresse abzuwägen. Dies ist im Urteil des Verwaltungsgerichts und im streitgegenständlichen Bescheid erfolgt.
14
c) Ferner wendet sich der Kläger gegen die von der Beklagten angeordnete Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen sei, seine gesamte Familie in Deutschland lebe, sowie unter Berücksichtigung des Willens des Gesetzgebers bei der genannten Änderung des § 4 Abs. 3 StAG sei die verhängte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots bei weitem zu lang bemessen. Er sei mit Urteil vom 6. August 2021 zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden; das verhängte Einreise- und Aufenthaltsverbot von fünf Jahren (bei Straffreiheit) belaufe sich fast auf den doppelten Zeitraum. Für den Kläger würde es daher gerade auch im Hinblick auf sein Alter von 19 Jahren einen unverhältnismäßig tiefen Einschnitt bedeuten, so lange von seiner Heimat Deutschland und der Teilhabe am Familienleben ausgeschlossen zu werden.
15
Durchgreifende ernstliche Zweifel an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, das das Einreise- und Aufenthaltsverbot einschließlich seiner Befristung im streitgegenständlichen Bescheid für rechtmäßig gehalten hat, sind damit nicht dargelegt. Die Beklagte hat die Befristung von fünf Jahren (bei Straffreiheit) bzw. sieben Jahren ermessensfehlerfrei (§ 114 Satz 1 VwGO) festgesetzt.
16
Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG), das von Amts wegen zu befristen ist und zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit, versehen werden kann (§ 11 Abs. 1 Satz 3, Satz 5 AufenthG). Über die Länge der Frist ist gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, U.v. 10.7.2012 – 1 C 19.11 – juris Rn. 42; BayVGH, U.v. 20.6.2017 – 1 B 17.135 – juris Rn. 25). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern es bedarf nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange (siehe im einzelnen BayVGH, U.v. 21.5.2019 – 10 B 19.55 – juris Rn. 54 ff. mit weiteren Nachweisen).
17
Nach diesen Maßstäben zeigt die Begründung des Zulassungsantrags keine rechtsfehlerhafte Ermessensausübung durch die Beklagte auf. In dem streitgegenständlichen Bescheid wird maßgeblich auf das Gewicht der gefährdeten Rechtsgüter – der Kläger wurde unter anderem wegen einer größeren Anzahl von Gewaltdelikten verurteilt – und auf die hohe Wiederholungsgefahr abgestellt. Dem setzt die Begründung des Zulassungsantrags nichts entgegen; vielmehr bestätigt die zwischenzeitlich erfolgte weitere Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen Betäubungsmitteldelikten die Einschätzung der Beklagten, dass vom Kläger die Begehung weiterer Straftaten zu befürchten ist. Die persönlichen, insbesondere familiären Belange des Klägers wurden demgegenüber zu Recht geringer gewichtet. Er ist als nunmehr Volljähriger nicht mehr auf seine Eltern angewiesen; eine eigene Kernfamilie (Ehepartner/Kinder) hat der Kläger entgegen seinem Vortrag nicht. Warum der Kläger wegen einer früheren ADHS-Diagnose sein Leben in Serbien nicht meistern können sollte, wird nicht dargelegt.
18
2. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor.
19
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. z. B. BayVGH, B.v. 18.11.2022 – 10 ZB 21.2465 – juris Rn. 19; B.v. 23.1.2020 – 10 ZB 19.2235 – juris Rn. 4; B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris Rn. 10).
20
Der Kläger formuliert als Frage von grundsätzlicher Bedeutung: „Hat Artikel 5 Nr. 4 b) des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07.2004 in Bezug auf die dort vorgesehene Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Rückwirkung auf Personen, die im Zeitraum vom 30.07.2004 bis zum 31.12.2004 in Deutschland geboren wurden und bei denen ein Elternteil zum Zeitpunkt der Geburt einen unbefristeten Aufenthaltstitel besaß, weil ansonsten ein[e] sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gemäß Artikel 3 GG im Vergleich zu Personen bestünde, die im Zeitraum erst ab dem 01.01.2005 in Deutschland geboren wurden und bei denen ebenfalls ein Elternteil zum Zeitpunkt der Geburt einen unbefristeten Aufenthaltstitel besaß?“
21
Diese – in ihrer Formulierung ohnehin im Wesentlichen auf den konkreten Einzelfall des Klägers ausgerichtete – Fragestellung bedarf jedoch keiner grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren, weil sie nicht klärungsbedürftig ist. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, deren Beantwortung sich unter Heranziehung der anerkannten Auslegungsmethoden und unter Einbeziehung der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt (vgl. z.B. Roth in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2024, VwGO § 124 Rn. 55). Wie oben dargelegt, liegt keine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Ungleichbehandlung vor, wenn eine gesetzliche Neuregelung auf Sachverhalte, die vor ihrem Inkrafttreten liegen, nicht anwendbar ist. Der Umstand, dass es zu der aufgeworfenen Frage bisher nur eine obergerichtliche Entscheidung gibt (OVG Hamburg, B.v. 5.10.2009 – 3 Bf 48/08.Z – juris), belegt nicht – wie der Kläger meint – ihre Klärungsbedürftigkeit.
22
3. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Das wäre nur dann der Fall, wenn der konkret zu entscheidende Fall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von normalen verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten deutlich abgehoben wäre, d.h. wenn er sich im Schwierigkeitsgrad von den in anderen Verfahren zu entscheidenden Fragen signifikant unterscheiden würde. Die Schwierigkeit des Falles ist aus Sicht des Oberverwaltungsgerichts und im Zeitpunkt der Zulassungsentscheidung zu beurteilen (BayVGH, B.v. 4.3.2019 – 10 ZB 18.2195 – juris Rn. 17; B.v. 10.12.2018 – 10 ZB 16.1511 – juris Rn. 22; B.v. 27.9.2017 – 10 ZB 16.832 – juris Rn. 24; Roth in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2024, § 124 Rn. 43, 51, jew. m.w.N.; Happ in Eyermann, 16. Auflage 2022, § 124 Rn. 27 ff.). Die tatsächliche oder rechtliche Frage, die solche Schwierigkeiten aufwirft, muss dabei entscheidungserheblich sein (BayVGH, B.v. 13.1.2023 – 10 ZB 22.1408 – juris Rn. 17).
23
In der Begründung des Zulassungsantrags werden keine solchen Schwierigkeiten aufgezeigt. Die bereits mehrfach angeführte Problematik der Rückwirkung der Regelung des Staatsangehörigkeitserwerbs nach § 4 Abs. 3 Satz 1 StAG durch die Änderung im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes ist wie dargelegt ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens zu beantworten.
24
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und Abs. 3, § 39 Abs. 1 sowie § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG.
25
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).