Titel:
Grundsätzliche Verwerflichkeit von Nötigungshandlungen gegenüber Amtsträgern
Normenkette:
StGB § 240 Abs. 2
Leitsatz:
Nötigungshandlungen gegenüber Amtsträgern sind auch grundsätzlich als verwerflich anzusehen, dies gilt insbesondere, wenn der Amtsträger zu einer rechtswidrigen Diensthandlung genötigt werden soll. Dies ist somit anzunehmen, wenn das Ziel der Nötigungshandlung der Verzicht auf die Fortsetzung eines Bußgeldverfahrens war. (Rn. 25) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
Nötigungshandlung gegenüber Amtsträgern, Amtsträger, Nötigung, Verwerflichkeit
Vorinstanz:
AG Deggendorf, Urteil vom 27.12.2023 – 6 Cs 10 Js 6469/23
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Beschluss vom 29.11.2024 – 206 StRR 400/24
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33346
Tenor
I. Das Urteil des Amtsgerichts – Strafrichter – Deggendorf vom 27.12.2023, Az.: 6 Cs 10 Js 6469/23, wird wie folgt abgeändert:
a) im Schuldspruch dahingehend, dass die Angeklagte schuldig ist der versuchten Nötigung,
b) im Rechtsfolgenausspruch dahingehend, dass die Angeklagte deshalb zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt wird. Der Angeklagten wird nachgelassen, die Geldstrafe in monatlichen Raten zu je 100 Euro, fällig jeweils am 10. des Monats, erstmals am 10. des auf die Rechtskraft folgenden Monats zu bezahlen.
II. Im Übrigen werden die Berufungen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft verworfen.
III. Die Angeklagte trägt die Kosten ihrer Berufung und die ihr erwachsenen notwendigen Auslagen zu 2/3; im Übrigen werden die Kosten des Berufungsverfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse auferlegt. Die Berufungsgebühr wird um 1/3 ermäßigt.
IV. Die Staatskasse trägt die Kosten der Berufung der Staatsanwaltschaft und die der Angeklagten durch diese im Berufungsverfahren entstanden notwendigen Auslagen.
Entscheidungsgründe
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Das Amtsgericht Deggendorf – Strafrichter – hat die Angeklagte mit Urteil vom 27.12.2023, Az: 6 Cs 10 Js 6469/23, schuldig gesprochen der versuchten Erpressung und deswegen zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20 EUR und zur Tragung der Verfahrenskosten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte mit Schreiben vom 31.12.2023, eingegangen am selben Tage, „Revision“ eingelegt. Mit Schreiben vom 02.01.2024, eingegangen am 03.01.2024, hat die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Die Berufung der Staatsanwaltschaft wurde von Anfang an auf das Strafmaß beschränkt. Gemäß § 335 III S. 1 StPO war die von der Angeklagten eingelegte Revision als Berufung zu behandeln. Die Berufung der Angeklagten war teilweise erfolgreich und führte zu einer Änderung des Schuldspruchs und einer Reduzierung der Tagessatzanzahl bei Erhöhung der Tagessatzhöhe. Die Berufung der Staatsanwaltschaft war überwiegend erfolglos. Sie führte lediglich zu einer Erhöhung der Tagessatzhöhe ohne Änderung der Höhe der Gesamtstrafe.
B) Persönliche Verhältnisse
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Die verheiratete Angeklagte hat zunächst die Grundschule in … besucht, dann die Hauptschule in … Anschließend erwarb sie einen Realschulabschluss an der Realschule in … Daran schloss sich eine Ausbildung zur zahnmedizinischen Fachangestellten über drei Jahre an, die die Angeklagte mit einem Gesellenbrief abschloss. Die Angeklagte, die zunächst in diesem Beruf in verschiedenen Orten, u.a. in … und … tätig war, ist derzeit Hausfrau und Mutter. Sie hat zwei Töchter, die am XX.XX.2016 geborene A. und eine 2 1/2-jährige Tochter S.. Die Angeklagte ist mit Herrn K. verheiratet. Dieser ist im Einkauf bei der Firma … tätig und bezieht ein monatliches Nettoeinkommen von … bis … EUR. Die Angeklagte selbst erhält monatlich von ihrem Ehemann eine Zahlung von … EUR für Unterhalt, Miete, Strom usw. Daneben bezieht sie von der Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit monatlich … EUR und vom Zentrum Bayern Familie und Soziales monatlich … EUR. Die Angeklagte hat keine Schulden.
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Die Angeklagte ist nicht vorbestraft.
C) Festgestellter Sachverhalt
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Am 26.5.2023 erließ das Landratsamt D. – Kommunalreferat Ausbildungsförderung – unter dem Aktenzeichen … gegen die Angeklagte einen Bußgeldbescheid, da sie es als Erziehungsberechtigte unterlassen hatte, ihre minderjährige Tochter A. zum gemäß § 2 I und II GrSO festgesetzten Anmeldetermin der Grundschule X. am 29.3.2023 anzumelden. Festgesetzt wurde eine Geldbuße von 200 EUR sowie Gebühren und Auslagen in Höhe von insgesamt 28,50 EUR. Der Bescheid wurde erlassen von Frau Regierungsdirektorin Dr. B.. Mit einem Schreiben vom 7.6.2023, eingegangen beim Landratsamt D., … am 12.06.2023, wandte sich die Angeklagte persönlich an Dr. B., … Als Absenderin des Schreibens gab sie an:
„n. [n.] Mensch mit Natürlicher Person entspr. § 1 des staatlichen BGB, Stand 1896 … […] …“.
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Das Schreiben hat im übrigen folgenden Inhalt:
„AKZEPTANZ Mein Aktenzeichen:Liebe-n83-001 (Bitte immer bei Korrespondenz angeben!)
Ihr Schreiben mit angeblichen Datum vom 26.05.2024 Sehr geehrte Frau DR. B., vielen Dank für ihr Schreiben im Anhang. Es wurde nach rechtlicher Würdigung des Absenders und des Inhaltes als Angebot erkannt.
Ein Einspruch oder Widerspruch liegt nicht vor; Ihr Angebot wird unter folgenden Voraussetzungen angenommen:
a) Sie erbringen Ihre amtliche Legitimation. Sie weisen darin in notariell beglaubigter Form nach, wofür, wie, wodurch und von wem sie Rechte zur Vornahme hoheitlicher Handlungen übertragen bekommen haben. Gleichzeitig weisen Sie nach, auf welchen Staat Sie vereidigt worden sind.
b) Sie erbringen eine notarielle Beglaubigung der Gründungsurkunde des Staates, auf den Sie Ihre Verteidigung begründen.
c) Sie erbringen eine notarielle Beglaubigung der Gründungsurkunde des Bundeslandes, sowie des Regierungspräsidiums der Stadt auf den Sie ihre Vereidigung begründen.
Ihnen wird hiermit Gelegenheit gegeben, dieses innerhalb einer angemessenen Frist von 21 Tagen unter Eid und unter unbeschränkter Haftung zu erbringen.
Sollte dies nicht erfolgen, wird davon ausgegangen, daß Sie selbst privat- und vertragsrechtlich und Ihre Firma ect. nach Firmen- und Vertragsrecht als Unternehmen (Seerecht/Handelsrecht/UCC/HGB) handeln und arbeiten oder für solche im Auftrag handeln, da sie oder übergeordnete Entitäten in internationalen Verzeichnissen als solche und damit gewerblich gelistet sind.
Nutzen Sie diese Frist nicht oder erbringen Sie nicht die geforderten Beweise und widerlegen letztere Tatsachen/Annahmen nicht rechtskräftig und/oder unvollständig oder nicht in dieser Frist, gilt dies sowohl; als Ihre unwiderrufliche und absolute Zustimmung zu oben genannten Tatsachen und Annahmen mit allen daraus folgenden Konsequenzen:
a) als Ihre unwiderrufliche und absolute Zustimmung zu einem privaten, kommerziellen Pfandrecht in Höhe von 700.000,00 € von N.N., Person gemäß staatlichem BGB § 1 vom 18. August 1896, Ihnen persönlich gegenüber, als auch Ihrer Behörde/Amt/Service/Center ect. in Höhe von 7.000.000,00 € (Haftung gemäß BGB § 823).
b) als Ihre unwiderrufliche und absolute Zustimmung zur Publikation dieser Notiz in einem von N.N. frei wählbaren internationalen Schuldnerverzeichnis und zur Publikation in den Freien Medien.
c) als Ihren unwiderruflichen und absoluten Verzicht auf jegliche rechtliche oder anderweitige Mittel Ihrerseits.
Kann der oben genannte Nachweis von Ihnen nicht innerhalb der oben genannten Frist erbracht werden, zeigen Sie damit an, daß es zwischen den bezeichneten „Ämtern“ und „Behörden“ etc. und N.N., Person gemäß staatlichem BGB § 1 vom 18. August 1896, keine öffentlich-rechtliche Vertragsbasis gibt, auf der sich eine gesetzliche und/oder staatliche Forderung begründen ließe. Ebenso fehlt eine Vertragsbasis zwischen dem jeweiligen Mitarbeiter sämtlicher „Ämter“, „Behörden“ etc. und N.N., Person gemäß staatlichem BGB § 1 vom 18. August 1896.
Ihr Angebot erhalten Sie zur Entlastung von N.N., Person gemäß staatlichem BGB § 1 vom 18. August 1896, bis zur Erfüllung der oben genannten Voraussetzungen zur Annahme des Angebots vorerst zurück.
Alle Verträge, die eventuell versehentlich und unter Täuschung im Rechtsverkehr Ihrerseits durch konkludentes Handeln der Person N.N. in der Vergangenheit zustande gekommen sind, zum Beispiel durch Annahme von Steuernummern oder Akten- und Geschäftszeichen, Beitragskonten, werden hiermit ausdrücklich widerrufen und gekündigt. Es wird vorsorglich § 119 des staatlichen BGB vom 18. August 1896 geltend gemacht.
(n.: a.d.H. [n.] without prejudice UCC 1-308
Alle Rechte vorbehalten.“
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Die Angeklagte wollte Frau Dr. B. durch ihr Schreiben davon abhalten, die Vollstreckung der gegen sie verhängten Geldbuße nebst Gebühren und Auslagen weiter zu betreiben. Sie handelte ferner in der Absicht, sich selbst entsprechende Zahlungen zu ersparen. Ihr war bewusst, dass die angedrohten Schadensersatzansprüche keine rechtlichen Grundlagen hatten. Sie nahm zumindest billigend in Kauf, dass die begehrte Einstellung des Bußgeldverfahrens auf Grundlage ihres Schreibens pflichtwidrig gewesen wäre und sie durch die Drohung mit einer persönlichen Haftung in rechtswidriger Weise Druck auf eine Amtsträgerin ausübte. Entgegen ihrer vorgefassten Absicht wurde das Bußgeldverfahren nicht eingestellt, sondern über die Staatsanwaltschaft Deggendorf an das Amtsgericht Deggendorf übersandt.
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Die Feststellungen unter B) zu den persönlichen Verhältnissen der Angeklagten beruhen auf deren Angaben in der Hauptverhandlung, dem im Wege des Urkundenbeweises verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister, sowie der Verlesung der Auskunft der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), wonach die Angeklagte ein Konto bei der … am … errichtet hat, das die Kontonummer … führt (Bl. 77 d.A.). Zu diesem Konto wurden zudem die Kontoauszüge (siehe Sonderheft Bankauskünfte) für den Zeitraum von Januar 2024 bis April 2024 auszugsweise verlesen, soweit sie die Einkünfte der Angeklagten in Höhe von Zahlungen von jeweils monatlich … EUR durch den Ehemann, … EUR durch die Familienkasse und … EUR durch das Zentrum Bayern – Familie und Soziales – betreffen. Diese Zahlungen hat die Kammer danach für die Monate Januar bis einschließlich April 2024 fortlaufend festgestellt. Die Angaben zum Einkommen des Ehemannes beruhen auf den Aussagen der Angeklagten, die angegeben hat, dass sie nicht genau wisse, was ihr Ehemann verdiene, sie meine aber, dass die Einkünfte zwischen … und … EUR netto lägen.
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Die Feststellungen unter C) zum Tatgeschehen beruhen auf der teilgeständigen Einlassung der Angeklagten, der Aussage der Zeugin Dr. B. sowie der im Urkundenbeweis erfolgten Verlesung des Bußgeldbescheides des Landratsamtes D. vom 26.5.2023 (Bl. 15/17 d.A.) und des Schreibens der Angeklagten vom 17.06.2023 (Bl. 13/14 d.A.). Dieses Schreiben, das sich in Kopie bei der Akte befindet, wurde von Frau Dr. B. im Original im Hauptverhandlungstermin vorgelegt und mit der Kopie abgeglichen. Dadurch hat die Kammer festgestellt, dass die Kopie dem Original entspricht.
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1.) Die Angeklagte hat sich dahingehend eingelassen, dass sie ihre Tochter A. zum festgesetzten Anmeldetermin bei der Grundschule X. nicht angemeldet habe und deswegen den Bußgeldbescheid vom 26.05.2023 erhalten habe. Sie habe keine passende Grundschule für ihre Tochter gefunden. Die Tochter habe nicht auf die Grundschule X. gehen wollen.
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Nach Erhalt des Bußgeldbescheides habe sie das Schreiben vom 07.06.2023, das mit Akzeptanz überschrieben sei, aus dem Internet heruntergeladen. Sie sei deswegen so vorgegangen, weil nach ihrer Kenntnis viele falsche Schreiben von angeblichen Behördenmitarbeitern verschickt würden und sie sich habe absichern wollen, dass es sich bei Frau Dr. B. tatsächlich um eine Amtsperson handele. Sie sei keine „Reichsbürgerin.“ Auf Frage der Vorsitzenden, ob sie mit Frau Dr. B. telefonischen Kontakt aufgenommen habe, um diese Frage zu erklären oder sie aufgesucht habe, erklärte sie, sie habe mit Frau Dr. B. vor Versendung des Schreibens nicht telefoniert und sie auch nicht in der Behörde aufgesucht.
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Sie habe das Schreiben gelesen, bevor sie es abgeschickt habe. Sie sei jedoch davon ausgegangen, dass Frau Dr. B. innerhalb der gesetzten Frist ihre amtliche Legitimation nachweisen werde und es daher nicht zu der Entstehung von Pfandrechten kommen werde. Ihr Ehemann habe auch einen Bußgeldbescheid erhalten und mit dem gleichen Schreiben reagiert.
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2.) Die Einlassungen der Angeklagten, dass sie das „Akzeptanz-Schreiben“ an das Landratsamt versandt habe, weil sie Zweifel gehabt habe, dass es sich bei Frau Dr. B. um eine Regierungsdirektorin des Landratsamtes D. handele und, dass sie davon ausgegangen sei, dass sie sich amtlich legitimieren werde, so dass es nicht zur Entstehung von Pfandrechten kommen werde, sind zur Überzeugung der Kammer reine Schutzbehauptungen. Die Kammer hat vielmehr durch die Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, dass die Angeklagte staatliche Institutionen ablehnt und auf deren Ansinnen mit Schreiben reagiert, die inhaltlich dem Vorgehen der sog. „Reichsbürger“ entsprechen. Dies ergibt sich einmal daraus, dass die Angeklagte auf dem Schreiben an das Landratsamt D. vom 07.06.2023 sich selbst als N. [N.], Mensch mit natürlicher Person entsprechend § 1 des staatlichen BGB, Stand 1896 bezeichnet bzw. mit dem Namen N. aus dem Hause N. und das Schreiben wie folgt unterzeichnet hat:
(n.: a.d.H. [n.]without prejudice UCC 1-308
Alle Rechte vorbehalten.“
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Dieses Vorgehen zeigt, dass die Angeklagte keineswegs einfach ein Schreiben aus dem Internet kritiklos übernommen hat. Sie hat dieses persönlich angepasst. Diese Selbstbezeichnungen sind für die angebliche Überprüfung der Frage, ob es sich bei Dr. B. um eine Beamtin des Landratsamtes D. handelt, nicht im Ansatz zielführend. Sie sprechen vielmehr ebenso wie das in dem Schreiben enthaltene Verlangen eines Nachweises zur Legitimation der Vornahme hoheitlicher Handlungen in Form von notariell beglaubigten Gründungsurkunden des Staates inhaltlich den üblicherweise von Reichsbürgern an Behörden adressierten Schreiben. Dies gilt auch für die Folgen der unwiderruflichen Zustimmung zu einer privatrechtlichen Haftung im Fall der Nichtvorlage des angeforderten Legitimationsnachweises und die behauptete Konsequenz, dass die staatliche Behörde als Firma angesehen werde und ebenfalls einem privaten, kommerziellen Pfandrecht unwiderruflich und absolut zustimme.
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Hätte die Angeklagte – wie behauptet – nur die Frage überprüfen wollen, ob es sich bei Frau Dr. B. um eine „echte“ Beamtin des Landratsamts D. handelt, hätte es ausgereicht, dafür einen Nachweis zu verlangen. Der weitere Inhalt des Schreibens vom 07.06.2023 ist bei dieser Einlassung überflüssig und nicht erklärbar.
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Zudem ist das Schreiben an Dr. B. ausdrücklich persönlich gerichtet, so dass naheliegt, dass der Angeklagten diese Person bereits bekannt war.
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3.) Diese Einschätzung wurde zur Überzeugung der Kammer bestätigt durch die Aussage der Zeugin Dr. B.. Diese hat angegeben, dass die Angeklagte ihre Tochter A. nicht in der Grundschule X. angemeldet habe. Nachdem die Angeklagte zum offiziellen Anmeldetermin in der Schule nicht erschienen sei, habe die Rektorin sie persönlich aufgesucht. Dies habe die Angeklagte als unpassend empfunden und mit ihr nicht gesprochen. Sie selbst habe mit der Angeklagten ein Telefonat geführt. Sie habe zunächst versucht, das Gespräch konstruktiv zu gestalten. Sie habe deswegen die Angeklagte darauf hingewiesen, dass sie ihre Tochter bei der Grundschule in X. anmelden könne und dann die Möglichkeit habe, eine Schule ihrer Wahl für die Tochter zu suchen. Diese Schule müsse auch nicht im Schulsprengel liegen. Wenn sie eine entsprechende Schule gefunden habe, könne sie die Tochter jederzeit bei der Grundschule X. wieder abmelden.
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Sie habe bei dem Telefonat mit der Angeklagten festgestellt, dass diese zu einem konstruktiven Gespräch auf der Sachebene nicht bereit gewesen sei. Die Angeklagte habe ihr erklärt, dass das Kind zu Hause bleiben solle. Auf ein Internat solle es nicht gehen. Die Angeklagte habe die Tochter nicht in einer staatlichen Schule anmelden wollen. Die Angeklagte habe laufend danach gefragt, wo die einzelnen Regelungen, auf die Bezug genommen werde, denn stehen und ob diese auf sie überhaupt anwendbar seien. Dies sei aus Ihrer Sicht ein typisches Verhalten von Personen aus der Reichsbürger-Szene. Die Angeklagte habe in dem Telefonat ihr gegenüber schon angekündigt, dass sie beantragen werde, dass ein in Aussicht gestelltes Bußgeldverfahren eingestellt werde. Nach Ihrer Legitimation habe die Angeklagte nicht gefragt und sie habe auch keine Zweifel geäußert, dass sie wirklich eine am Landratsamt tätige Beamtin sei. Nachdem die Anmeldung der Tochter weiterhin nicht erfolgt sei, seien gegen jeden Elternteil Bußgeldbescheide ergangen. Der Bußgeldbescheid, der sich als Kopie (Bl. 15/17 d.A.) in der Akte befinde, entspreche dem Originalschreiben. Die Angeklagte habe auf den Bußgeldbescheid mit dem Schreiben vom 07.06.2023 reagiert und erreichen wollen, dass der Bußgeldbescheid zurückgenommen werde. Dies habe sie ja schon telefonisch angekündigt. Sie habe versucht, mit dem Schreiben Druck aufzubauen, damit sie sich so verhalte, wie die Angeklagte es erwarte. Da die Tochter nicht angemeldet worden sei, sie der Vorgang der Schulaufsicht beim Jugendamt übergeben worden und es sei ein Teilentzug der elterlichen Sorge erfolgt. Die Tochter habe die Schule nicht besucht. Die Angeklagte habe zwischenzeitlich beantragt, dass die Tochter im nächsten Schuljahr beurlaubt werde, damit sie auf eine „Online-Fernschule“ gehen könne.
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Die Zeugin Dr. B. wurde durch die Kammer auch zu den Folgen der Tat befragt.
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Dr. B. hat ausgesagt, dass im Blick auf die ihr angedrohte persönliche Haftung in Höhe von 700.000 EUR ein anderer Mitarbeiter des Landratsamtes regelmäßig das UCC-Register überprüfe. Eintragungen seien nach ihrer Kenntnis nicht erfolgt. Auf die Frage, ob die Zeugin durch die Tat der Angeklagten psychische Folgen erlitten habe, gab diese an, dass die Summe von 700.000 EUR schon sehr hoch sei. Der Umgang mit der „Reichsbürger-Klientel“ sei für sie allgemein sehr belastend. Man könne mit diesen Personen nicht konstruktiv umgehen. Das erschwere die Verfahren erheblich. Für den Umgang mit diesen Schreiben gebe es beim Landratsamt entsprechende Vorgaben. Eine Legitimation wie gefordert, habe sie der Angeklagten nicht vorgelegt.
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Angesichts dieser Sachlage hat die Kammer die Überzeugung gewonnen, dass die Angeklagte bereits vor Erlass des Bußgeldbescheides wusste, dass es sich bei Frau Dr. B. um eine Beamtin des Landratsamtes D. handelte, da sie entgegen ihrer Einlassung mit dieser telefoniert hatte. Bei diesem Gespräch hat sie die Frage nach einer Legitimation nicht gestellt. Die Angeklagte strebte daher gar nicht an, von dieser eine amtliche Legitimation zu erhalten, um zu überprüfen, ob sie eine „echte“ Beamtin ist. Dies war ihr aufgrund des Telefonat bereits bekannt. Es ging ihr zur Überzeugung der Kammer vielmehr darum, mit dem Schreiben zu erreichen, dass Frau Dr. B. sich durch das der Höhe nach erhebliche Pfandrecht von 700.000 Euro unter Druck gesetzt fühlt und den Bußgeldbescheid aufhebt. Dieses Ziel hatte sie nämlich bereits im Telefonat mit Frau Dr. B. angekündigt.
21
Die Angeklagte ist daher schuldig der versuchten Nötigung gemäß §§ 240 I, III, 22, 23, StGB.
22
Das Verhalten der Angeklagten verwirklicht nicht den Tatbestand der Erpressung nach § 253 I StGB. Der Schuldspruch war daher entsprechend zu berichtigen. Die Erpressung ist ein Vermögensdelikt. Dies hat zur Folge, dass ein Nachteil im Sinne des § 253 I StGB nur ein Vermögensnachteil sein kann. Entsprechend muss auch der Vorteil, den der Täter erlangen will, wirtschaftlicher Natur sein. Eine Betroffene, die sich der Zahlung einer rechtskräftig festgesetzten Geldbuße zu entziehen versucht, erstrebt im Rechtssinn keine Bereicherung, selbst wenn sie sich den erforderlichen Geldbetrag zu eigener Verfügung erhalten möchte. Nicht nur eine Strafe, sondern auch eine Geldbuße wird um ihrer selbst Willen verhängt und dient nicht dem Vermögensverkehr. Die Geldbuße ist eine Unrechtsfolge für eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige und vorwerfbare Handlung. Sie hat damit repressiven Charakter. Ziel der Geldbuße ist es, ein bestimmtes Ordnungssystem durchzusetzen. Mit der Sanktion soll die Betroffene an ihre Pflichten gemahnt werden, zum Schutz von Rechtsgütern erlassene Ge- und Verbote zu beachten (vgl. Schleswig-Holsteinisches-Oberlandesgericht, Beschluss vom 17.10.1977- 1 Ss 628/77 in BeckRS 1977, 2138).
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Auch der untaugliche Versuch ist strafbar. Dies ergibt sich aus § 23 III StGB, der eine Spezialregelung für einen Versuch aus groben Unverstand enthält. Es liegt ein untauglicher, gleichwohl strafbarer Versuch vor, wenn eine an sich tatbestandsmäßige Drohung nicht zu dem vom Täter angestrebten Erfolg führt, weil das Opfer sie nicht ernst nimmt (vgl. Fischer, Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 22 RdNr. 39 ff.).
24
Der Tatentschluss, einen Menschen rechtswidrig durch eine Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung zu nötigen, lag bei der Angeklagten vor. Sie hat in dem „Akzeptanz-Schreiben“ vom 07.06.2023 Frau Dr. B. mit einem empfindlichen Übel, nämlich der persönlichen Haftung durch unwiderrufliche und absolute Zustimmung zu einem privaten, kommerziellen Pfandrecht in Höhe von 700. 000,00 Euro und ihrer Behörde gegenüber in Höhe von 7.000.000,00 Euro gedroht. Des Weiteren wurde als empfindliches Übel die Publikation dieser Forderungen in einem von der Angeklagten frei wählbaren internationalen Schuldnerverzeichnis und der unwiderrufliche und absolute Verzicht auf alle rechtlichen und anderweitigen Mittel bestimmt. Der Angeklagten kam es darauf an, mit ihrem Schreiben Frau Dr. B. durch die Drohung unter Druck zu setzen, damit sie das Bußgeldverfahren nicht weiter betreibt.
25
Nötigungshandlungen gegenüber Amtsträgern sind auch grundsätzlich als verwerflich anzusehen, dies gilt insbesondere, wenn der Amtsträger zu einer rechtswidrigen Diensthandlung genötigt werden soll. Die Freiheit amtlicher Entschließung muss grundsätzlich gesichert sein (vergl. BayObLSt 1988, 7 ff.). Die Regierungsdirektorin Dr. B. ist eine Amtsträgerin gemäß § 11 I Nr. 2 a) StGB. Ziel war der Verzicht auf die Fortsetzung des Bußgeldverfahrens wegen Unterlassens der Anmeldung ihrer Tochter zum festgesetzten Anmeldetermin an der Grundschule X..
26
Die Angeklagte hat zu der versuchten Nötigung auch unmittelbar angesetzt. Sie hat den Tatentschluss durch Absendung des vorgenannten Schreibens bereits verwirklicht. Der Versuch ist beendet.
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Bei der Strafzumessung ist die Kammer vom Strafrahmen des § 240 I StGB ausgegangen, der von einer Geldstrafe von 5 Tagessätzen (§ 40 I S. 2 StGB) bis zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren reicht. Die Kammer hat dann von der Möglichkeit der fakultativen Strafmilderung nach §§ 22, 23, 49 StGB Gebrauch gemacht. Diese Entscheidung hat die Kammer aufgrund einer Gesamtwürdigung der Tatumstände, mit besonderem Gewicht auf den versuchsbezogenen Umständen, sowie der Persönlichkeit der Angeklagten getroffen. Dafür war im Rahmen der Gesamtabwägung maßgeblich, dass der Versuch zwar beendet war, die Angeklagte hinsichtlich des Versandes des Schreibens jedoch geständig und nicht vorbestraft war.
28
Innerhalb dieses gemilderten Strafrahmens wurde zugunsten der Angeklagten die teilgeständige Einlassung hinsichtlich der Absendung des Schreibens an das Landratsamt und die Vorstrafenfreiheit gewürdigt. Zu Lasten der Angeklagten sprach, dass sie den Druck auf die Beamtin durch Inaussichtstellung mehrere empfindliche Übel, nämlich einmal eines privates, kommerzielles Pfandrecht in Höhe von 700.000 EUR gegenüber der Beamtin sowie in Höhe von 7.000.000,00 EUR gegenüber der Behörde und deren Publikation in einem frei wählbaren Schuldnerverzeichnis und in den freien Medien erhöht hat. Ein entsprechendes Übel hätte zur Verwirklichung des Tatbestandes ausgereicht. Bei Abwägung sämtlicher für und gegen die Angeklagte sprechenden Umständen hielt die Kammer eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen.
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Die Tagessatzhöhe hat die Kammer aus folgenden Erwägungen auf 30 EUR bemessen. Die Kammer ist davon ausgegangen, dass der Ehemann der Angeklagten… EUR verdient. Die Angeklagte erhält… und… EUR Einkommen, soweit sie es nicht vom Ehemann erhält. Daraus ergibt sich ein Gesamtfamlieneinkommen von… EUR.
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Nach dem Halbteilungsgrundsatz erhält jeder Ehegatte damit… EUR. Die Kammer ist dann weiter davon ausgegangen, dass jeder Ehegatte eines der Kinder unterhält. Für den Unterhalt des Kindes hat die Kammer einen 15%igen Abschlag vom Einkommen der Angeklagten vorgenommen, der sich auf… EUR beläuft. Danach verbleibt der Angeklagten ein Resteinkommen von… EUR. Die Kammer hat die Tagessatzhöhe daher abgerundet auf 30 EUR (exakt berechnet… EUR) festgesetzt.
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Angesichts der Tatsache, dass die Angeklagte den Betrag der Geldstrafe nicht aus laufendem Einkommen, Rücklagen oder Vermögen sofort begleichen kann, hat die Kammer Ratenzahlung bewilligt (§ 42 StGB). § 42 StGB sieht eine zeitliche Höchstgrenze von Ratenzahlungen nicht vor. Die Kammer hat bei der Festsetzung der Ratenzahlungshöhe gewürdigt, dass die Angeklagte nicht übermäßig bestraft werden darf. Die Monatsrate von 100 Euro ermöglicht der Angeklagten die Strafe innerhalb von 18 Monaten vollständig zu bezahlen. Dieser Zeitraum ist aus Sicht der Kammer ohne weiteres zumutbar (vgl. dazu BayObLG, Beschluss v. 06.11.2023 – 204 StRR 470/23).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 I und IV StPO. Die Kammer hat den Erfolg der Angeklagten durch die Reduzierung der Tagessatzanzahl für den geänderten Schuldspruch mit 1/3 bewertet und die Berufungsgebühr entsprechend ermäßigt.
33
Im Blick auf die Berufung der Staatsanwaltschaft ist aus Sicht der Kammer der Teilerfolg der Erhöhung der Tagessatzhöhe insgesamt im Ergebnis so gering, dass es nicht unbillig ist, die Staatskasse damit zu belasten. Dabei hat die Kammer insbesondere auch gewürdigt, dass die Geldstrafe im Ergebnis ihrer Höhe nach gleich geblieben ist, da ursprünglich gegen die Angeklagte 90 Tagessätze zu je 20 EUR und nun durch das Urteil 60 Tagessätze zu je 30 EUR verhängt wurden.