Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 04.07.2024 – W 5 K 23.328
Titel:

Erfolglose Klage des Nachbarn gegen Doppelhaushälfte

Normenketten:
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3, Art. 28, Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, Abs. 5, Art. 81 Abs. 1
BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO § 22 Abs. 4
VwGO § 124a Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Die Regelung des Art. 6 Abs. 1 S. 3 BayBO räumt dem Städtebaurecht den Vorrang ein, soweit es die Errichtung von Gebäuden ohne Grenzabstand regelt. Dazu gehören die Vorschriften über die offene (§ 22 Abs. 2 BauNVO), die geschlossene (§ 22 Abs. 3 BauNVO) und die abweichende Bauweise (§ 22 Abs. 4 BauNVO). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Fenster in einer Grenzwand müssen nicht in jedem Fall erhalten bleiben, sondern es ist vielmehr auch mit ihrem Verlust zu rechnen, wenn beidseitig in etwa deckungsgleich an die Grenze angebaut wird. (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
3. In der bloßen Unterschrift auf den Bauplänen kann keine Abstandsflächenübernahme erkannt werden. Einer derartigen Erklärung muss aufgrund ihrer weitreichenden Wirkungen eindeutig entnommen werden können, dass und in welchem Umfang die Abstandsflächen für das Nachbarbauvorhaben übernommen werden. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
4. Regelungen in örtlichen Bauvorschriften nach Art. 81 Abs. 1 BayBO sind grundsätzlich nicht nachbarschützend sind. Sie dienen insbesondere dem Erhalt oder der Gestaltung eines Ortsbildes, nicht aber dem Schutz von Einzelinteressen. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
baurechtliche Nachbarklage, Neubau einer Doppelhaushälfte mit Garagen und Abbruch des Wohnhauses, Abstandsflächen, regellose Bebauung, Rücksichtnahmegebot, Beeinträchtigung eines Fensters, „Lichtrecht“, Brandschutz, Antrag auf Zulassung der Berufung
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33344

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen als Gesamtschuldner zu tragen.
III.    Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten.
IV.    Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
...

Tatbestand

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Die Kläger wenden sich als (Mit-)Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks Fl.Nr. *4 der Gemarkung R. , …straße … in R. , gegen die der Beigeladenen mit Bescheid vom 11. Februar 2022 erteilte Baugenehmigung für den Neubau einer Doppelhaushälfte mit Garagen und Abbruch des vorhandenen Wohnhauses auf Fl.Nr. *5 der Gemarkung R. (Baugrundstück).
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1. Das Grundstück Fl.Nr. *4 der Gemarkung R. der Kläger befindet sich südlich der …straße und ist zur Straßenseite hin traufständig mit einem Wohnhaus bebaut, das sowohl zur Straße hin als auch auf der Westseite auf der Grundstücksgrenze steht. Östlich des Wohnhauses schließt sich im vorderen Bereich eine offene Hoffläche und zur östlichen Grenze ein grenzständiges Nebengebäude und im zentralen und rückwärtigen Bereich ein ehemals landwirtschaftlich genutztes Gebäude (Stall und Scheune) an, das von der östlichen Wand des Wohnhauses bis zur östlichen Grundstücksgrenze reicht. Auf dem sich Richtung Osten anschließenden Grundstück befindet sich ein Pfarrheim („…“), das sowohl zur Straße hin als auch auf seiner Ost- und seiner Westseite grenzständig errichtet ist.
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Das Baugrundstück ist durch einen ca. 1,00 m breiten Grundstücksstreifen, der als Fußweg dient (Fl.Nr. … der Gemarkung R. ...) vom Grundstück Fl.Nr. *4 der Kläger getrennt und auf seiner Westseite grenzständig mit einem Wohnhaus bebaut. Hieran schließt sich Richtung Osten bis zur Grundstücksgrenze ein Nebengebäude und zur Straße hin eine kleine Freifläche an. An das Baugrundstück schließt sich Richtung Westen das Grundstück Fl.Nr. *8 an, das im östlichen Bereich grenznah mit einem Wohnhaus bebaut ist. Hierauf folgt das Grundstück Fl.Nr. *1 mit einem grenzständigen Wohnhaus auf der Westseite.
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2. Mit Bauantrag vom 31. Mai 2021 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den „Neubau Zweifamilienwohnhaus mit Garagen Doppelhaushälfte 1“ für die östliche Hälfte des Grundstücks Fl.Nr. *5 der Gemarkung R. Ausweislich der Planzeichnungen soll die östliche Gebäudewand mit einer Länge von 8,50 m in unmittelbarer Nähe (im Norden ca. 10 cm, im Süden ca. 80 cm) zur Grenze des östlich anschließenden Grundstücks Fl.Nr. … errichtet werden; im weiteren Verlauf Richtung Süden macht die Außenwand einen Versatz und hält dann einen Abstand von 3 m zur östlichen Grundstücksgrenze ein.
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Mit Bescheid vom 11. Februar 2022 erteilte das Landratsamt ... der Beigeladenen die Baugenehmigung für das Vorhaben Neubau Zweifamilienwohnhaus mit Garagen Doppelhaushälfte 1 und Abbruch des vorhandenen Wohnhauses. Den Klägern wurde eine Ausfertigung der Baugenehmigung (erst) am 14. Februar 2023 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt.
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3. Gegen den Bescheid vom 11. Februar 2022 ließen die Kläger am 13. März 2023 durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben mit dem A n t r a g, den Bescheid des Landratsamts ... vom 11. Februar 2022 aufzuheben.
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Zur Begründung der Klage wurde vorgetragen: Der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig und verletze insbesondere die zugunsten der Kläger bestehenden nachbarschützenden Vorschriften der Bayerischen Bauordnung. Das Gebot der Rücksichtnahme werde nicht berücksichtigt. Das geplante Bauvorhaben eines Doppelhauses erzeuge bezüglich des Grundstücks der Kläger aufgrund seiner Höhe und aufgrund der grundflächenmäßigen Ausdehnung einen sogenannten „Einmauerungseffekt“. Das Wohnhaus der Kläger werde nicht mehr ausreichend mit Licht und Luft versorgt. Mit dem geplanten Bauvorhaben würden Fenster in der Außenwand des klägerischen Wohnhauses, denen der Voreigentümer des Beigeladenen schriftlich zugestimmt habe, vollständig verbaut. Ein Lichteinlass durch das vorhandene und genehmigte Fenster der Kläger sei, auch zeitlich begrenzt, nicht mehr gegeben. Diese Baugenehmigung verletze das durch die damalige Baugenehmigung begründete nachbarrechtliche Verhältnis der vorliegenden Klageparteien. Das neu geplante Gebäude übertreffe größenmäßig die jetzt vorhandenen Gebäude erheblich. Die im Jahr 1956 genehmigte Fensterfront am Wohnhaus der Kläger würden vollständig verbaut. Mit dieser Genehmigung sei dem klägerischen Wohnhaus ein „Lichtrecht“ gewährt worden, das jetzt funktionslos werde. Das Vorhaben füge sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. In einem alten Dorfgebiet mit offener Bauweise und landwirtschaftlichen Gebäuden sei ein übergroßes Doppelhaus mit vier Wohnungen samt Garagen verteilt über drei Geschosse unpassend. Weiterhin sei auch Art. 28 BayBO in die Überlegung zur Prüfung des hier vorliegenden Baugenehmigungsbescheides einzubeziehen. Durch das direkte Errichten des neuen Gebäudes an der Grundstücksgrenze würden brandschutzrechtliche Vorgaben der ursprünglichen Baugenehmigung ad absurdum geführt. Des Weiteren stellten die im Baubescheid zugelassenen Abweichungen von der maximal zulässigen Dachneigung, vom Fensterformat und der Kniestockhöhe ebenfalls eine Verletzung nachbarschaftsschützender Vorschriften dar. Die erteilten Befreiungen seien mit nachbarlichen Belangen nicht vereinbar. Gerügt werde eine fehlerhafte Ausübung des Ermessens. Die inkriminierte Baugenehmigung lasse weitere nachbarschützende Vorschriften, insbesondere das Abstandsflächengebot zum Grundstück, außer Acht. Die Abstandsflächen des Wohnhauses der Klägerseite hätten sich aufgrund der schriftlichen Zustimmung des damaligen Nachbarn gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO auf das Nachbargrundstück erstrecken dürfen. Dies habe aus der schriftlichen Zustimmung des damaligen Nachbarn gegenüber der Bauaufsichtsbehörde gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO resultiert. Abstandsflächen könnten laut Gestaltungssatzung bei nachbarschaftlicher Einwilligung verringert werden. Die tatsächlich vorhandene Bauweise habe Vorrang vor dem Abstandsflächenrecht. In der näheren Umgebung liege eine offene Bauweise vor. Bezüglich der Umplanung sei die Einholung des gemeindlichen Einvernehmens erneut erforderlich gewesen. Der Kläger sei nicht über das Bauvorhaben informiert worden, obwohl er sich an die Bauaufsichtsbehörde gewandt habe. Gerügt werde eine fehlerhafte Ausübung des Ermessens bei erteilten Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB und Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Aufgrund des fehlenden Bebauungsplans gelte in Retzbach die Baugestaltungssatzung, die dazu diene, die Interessen der Nachbarn zu schützen und Beeinträchtigungen zu vermeiden. Der Bauplan der Beigeladenen verstoße insbesondere gegen § 3 der Gestaltungssatzung. Die Kläger seien auch nicht am Baugenehmigungsverfahren beteiligt worden, sie seien nicht als Nachbarn eingestuft worden und hätten eine Ausfertigung der Baugenehmigung erst nach mehreren E-Mails an das Landratsamt erhalten.
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4. Das Landratsamt ... stellte für den Freistaat Bayern als Beklagten den A n t r a g,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde vorgetragen: Die zulässige Klage sei unbegründet, da die Baugenehmigung nicht rechtswidrig sei und die Kläger nicht in ihren Rechten verletze. Die Ausführungen der Kläger, es bestehe eine schriftliche Zustimmung des vormaligen Eigentümers des in Rede stehenden Grundstücks insbesondere zur eigenen baulichen Beschränkung durch die Errichtung der Fensterfront am klägerischen Wohnhaus, werde bestritten. Die Kläger hätten dies bislang pauschal behauptet. In diesem Zusammenhang sei festzustellen, dass weder dessen Unterschrift auf den Plänen vom 15. Dezember 1956 noch der damalige Genehmigungsbescheid vom 11. Februar 1957 einen solchen Erklärungswert innehätten. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass diese Beschränkung existiere und die Bauherrin binde, würde es sich im Ergebnis um eine rein privatrechtliche Vereinbarung handeln. lnsoweit werde auf Art. 68 Abs. 5 BayBO verwiesen. Auch fänden sich vorliegend keine Anhaltspunkte für das klägerischerseits angeführte „Lichtrecht“, das der vormalige Eigentümer des streitbefangenen Grundstücks zugestanden haben solle. Es sei vom Nachbarn zu fordern, sein Gebäude so anzuordnen, dass die für die Belichtung und Belüftung notwendige freie Fläche auf seinem eigenen Grundstück erhalten bleibe; er könne nicht vom Bauherrn verlangen, dass dieser einen Grenzabstand einhalte, weil er selbst bis an die Grenze gebaut habe. Die brandschutzbezogenen Einwände der Kläger seien schlichtweg nicht vom Prüfungsumfang umfasst. Das Vorhaben erweise sich auch nicht gegenüber nachbarlichen Belangen als rücksichtslos. Das Bauvorhaben füge sich in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung mit seiner Höhe, der Grundfläche, der Bauweise und den zwei Geschossen nach § 34 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Gemessen daran bewege sich der Grenzbau auf dem Flurstück 15 der Gemarkung Retzbach in seiner Bauweise innerhalb des von der Umgebungsbebauung gezogenen Rahmens. Wie sich aus dem Lageplan ergebe, befänden sich in der näheren Umgebung einige Gebäude (FI.Nrn. *3, *4, *8), die keinen bzw. keinen ausreichenden Grenzabstand einhielten. Gerade auch im Hinblick auf die gegenseitige Grenzbebauung und grenznahe Bebauung könnten die Kläger nicht aufgrund des Rücksichtnahmegebots in ihren Rechten verletzt sein. Die Kläger hätten selbst Grenzbebauung, so dass sie selbst für sich auch nur den Schutz verlangen könnten, den sie selbst einhielten. Die genehmigten Pläne eines zweigeschossigen Wohnhauses zeigten keine „erdrückende“ oder „einmauernde“ Wirkung für das Klägergrundstück. Das Vorhaben füge sich auch von seiner Höhe in die nähere Umgebung ein. Eine Verletzung der Vorschriften über Abstandsflächen sei vorliegend nicht gegeben. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO sei eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden müsse oder gebaut werden dürfe. In der näheren Umgebung des Bauvorhabens befänden sich hauptsächlich Baukörper, die mindestens an einer Grenze Grenzbebauung aufwiesen (bspw. Hauptgebäude auf Fl.Nr. *8, Hauptgebäude der Kläger auf Fl.Nr. *4 und Gebäude auf Fl.Nr. *3 an beiden Seiten grenzständig). Abweichungen von Art. 6 BayBO seien deshalb nicht erforderlich gewesen und seien auch nicht erteilt worden. Eine Verletzung drittschützender Rechte aufgrund der erteilten Abweichungen sei vorliegend nicht gegeben (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. c BayBO und Nr. 2 BayBO i.V.m. Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO i.V.m. § 4 der Baugestaltungssatzung Retzbach Zellingen/Main vom 01.01.2013). Die von der Gemeinde getroffenen Festsetzungen zu Dachneigung, Fensterformate, usw. vermittelten keinen Drittschutz, da sie von der Gemeinde rein aus gestalterischen Gründen getroffen worden seien. Der klägerische Einwand, dass das gemeindliche Einvernehmen vor dem Hintergrund der erfolgten Umplanung erneut einzuholen gewesen wäre, sei unbehelflich, da § 36 BauGB keine privaten Belange schütze.
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5. Die Beigeladene stellte durch ihre Bevollmächtigte den A n t r a g,
die Klage abzuweisen.
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6. Mit Beschluss vom 5./12. März 2024 ordnete das Bayer. Verwaltungsgericht Würzburg die Durchführung eines Augenscheintermins an. Das Gericht hat entsprechend Beweis erhoben am 9. April 2024. Auf das Protokoll über diesen Termin wird verwiesen.
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Mit den Beteiligten wurde in der mündlichen Verhandlung vom 4. Juli 2024 die Sach- und Rechtslage erörtert. Die Klägerseite hat beantragt, die Berufung zuzulassen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das gefertigte Protokoll verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da die angefochtene Baugenehmigung des Landratsamts ... vom 11. Februar 2022 nicht rechtswidrig ist und damit die Kläger nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Insoweit ist das Landratsamt ... hier zutreffender Weise vom vereinfachten Genehmigungsverfahren des Art. 59 BayBO ausgegangen.
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Die Baugenehmigung ist nur dann aufzuheben, wenn sie rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Nachbar eines Vorhabens kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332; B.v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94; U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84; U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77; alle juris).
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2. Der Vortrag der Klägerseite, dass die angegriffene Baugenehmigung die Kläger in ihrem Recht auf Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften der Bayer. Bauordnung verletze, kann nicht zum Erfolg der Klage führen. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verstößt nicht zu Lasten der Kläger gegen nachbarschützende abstandsflächenrechtliche Vorschriften (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. Art. 6 BayBO).
Im Einzelnen:
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2.1. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Diese Abstandsflächen müssen auf dem Grundstück selbst liegen, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO. Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO nach der Wandhöhe und beträgt gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO (in der seit dem 1. Februar 2021 geltenden Fassung – G. v. 23.12.2020, GVBl. S. 663) grundsätzlich 0,4 H, mindestens 3 m.
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Ausweislich der Planzeichnungen soll die östliche Gebäudewand des Bauvorhabens der Beigeladenen mit einer Länge von 8,50 m in unmittelbarer Nähe (im Norden ca. 10 cm, im Süden ca. 80 cm) zur Grenze des östlich anschließenden und nur ca. 1,00 m breiten Grundstücks Fl.Nr. … errichtet werden, so dass die nach Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO erforderlichen Abstandsflächen von 0,4 H, mindestens 3 m, an der östlichen Grundstücksgrenze des Baugrundstücks nicht eingehalten werden und sich (auch) auf das Grundstück der Kläger erstrecken.
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Allerdings liegt hier ein Fall des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO vor, wonach eine Abstandsfläche nicht erforderlich ist vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Die Regelung des Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO räumt dem Städtebaurecht den Vorrang ein, soweit es die Errichtung von Gebäuden ohne Grenzabstand regelt. Dazu gehören die Vorschriften über die offene (§ 22 Abs. 2 BauNVO), die geschlossene (§ 22 Abs. 3 BauNVO) und die abweichende Bauweise (§ 22 Abs. 4 BauNVO). Nach § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO werden in der offenen Bauweise die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder als Hausgruppen mit einer Länge von höchstens 50 m errichtet. Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 BauNVO werden in der geschlossenen Bauweise die Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand errichtet, es sei denn, dass die vorhandene Bebauung eine Abweichung erfordert.
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Dieser Vorrang des Planungsrechts gilt nicht nur für Festsetzungen in Bebauungsplänen, vielmehr kommt auch der tatsächlich vorhandenen Bauweise im nicht überplanten Innenbereich grundsätzlich der Vorrang vor dem Abstandsflächenrecht zu (vgl. Kraus in Busse/Kraus, BayBO, 153. EL Jan. 2024, Art. 6 Rn. 47). Eine solche geschlossene Bauweise (Bebauung der seitlichen Grundstücksgrenzen) bzw. abweichende Bauweise kann also nicht nur in einem Bebauungsplan festgesetzt werden, sondern sie kann sich in den Fällen, in denen nach § 34 BauGB der planungsrechtliche Beurteilungsmaßstab für die Zulässigkeit eines Bauvorhabens – wie hier – die vorhandene Bebauung ist, auch aus dieser ergeben, mit der Folge, dass sie dann die verbindliche Bauweise ist.
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Ein Vorhaben fügt sich hinsichtlich der Bauweise i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB grundsätzlich ein, wenn es sich hinsichtlich dieses Zulässigkeitskriteriums innerhalb des Rahmens hält, der durch die in der Umgebung vorhandene Bebauung gezogen wird (Laser in Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 5. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 25). Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO kommt nach zutreffender Auffassung auch dann zur Anwendung, wenn die vorhandene Mischung von Gebäuden in der Umgebung des Baugrundstücks mit und ohne seitlichen Grenzabstand „regellos“ erscheint (BayVGH, B.v. 8.10.2013 – 9 CS 13.1636; U.v. 23.3.2010 – 1 BV 07.2363; U.v. 20.10.2010 – 14 B 09.1616; alle juris). Ergibt die im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB durchzuführende, „Fremdkörper“ außer Betracht lassende Bestandsaufnahme des Vorhandenen, dass die den Maßstab bildende Bebauung Gebäude mit und ohne seitlichen Grenzabstand umfasst, ohne dass eine Ordnung zu erkennen ist, die als abweichende Bauweise (vgl. § 22 Abs. 4 Satz 1 BauNVO) eingestuft werden kann, dann hält sich sowohl ein Gebäude mit als auch ein Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand im Rahmen des Vorhandenen. Vorbehaltlich der Einhaltung des Gebots der Rücksichtnahme darf daher in diesen Fällen mit den in Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO geregelten abstandsflächenrechtlichen Folgen nach bauplanungsrechtlichen Vorschriften an die seitlichen Grenzen bzw. an eine seitliche Grenze gebaut werden (BayVGH, U.v. 25.11.2013 – 9 B 09.952 – juris Rn. 46).
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2.2. Die nähere Umgebung lässt sich entsprechend dem beim gerichtlichen Augenschein sowie anhand der in den Akten vorhandenen Lagepläne und Luftbilder gewonnenen Eindruck von der wechselseitig prägenden Wirkung zwischen dem Anwesen auf dem Baugrundstück einerseits und der Umgebungsbebauung andererseits (zum Begriff der „näheren Umgebung“ im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – IV C 9.77 – BVerwGE 55, 369 ff., BayVGH, U.v. 24.11.2010 – 9 B 10.363 – juris m.w.N.) auf die beidseitige Bebauung entlang der …straße ausgehend von dem Einmündungs- bzw. Kreuzungsbereich der …straße mit dem …weg westlich des derzeit unbebauten Grundstücks Fl.Nr. *4 im Westen bis zu den Grundstücken Fl.Nrn. *3 im Südosten und * im Nordosten eingrenzen.
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Bei der Bestimmung des planungsrechtlich relevanten Rahmens hinsichtlich der Bauweise in diesem Bereich können zum Teil freistehende Gebäude, aber auch eine halboffene und eine geschlossene Bauweise verortet werden. Das Baugrundstück (Fl.Nr. 15) selbst zeigt bisher eine halboffene Bauweise, denn auf der Westseite wird von dem Wohnhaus kein seitlicher Grenzabstand eingehalten während sich auf der Ostseite an der Grenze lediglich ein Nebengebäude befindet. Auf den sich in westlicher Richtung anschließenden Grundstücken Fl.Nr. *8 und Fl.Nr. *1 findet sich ebenfalls eine halboffene Bauweise. Das gleich gilt für das diesen Grundstücken gegenüberliegende Grundstück Fl.Nr. *2. Gegenüber dem Baugrundstück und östlich des vg. Grundstücks liegt das Grundstück Fl.Nr. *1, auf dem das Wohnhaus zu beiden seitlichen Grenzen die erforderlichen Abstandsflächen einhält, mithin in offener Bauweise bebaut ist.
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Demgegenüber ist das Grundstück Fl.Nr. *3 (östlich an das Grundstück der Kläger angrenzend) auf beiden seitlichen Grundstücksgrenzen bebaut. Hier befindet sich ein Pfarrheim („…“), das sowohl zur Straße hin als auch auf seiner Ost- und seiner Westseite grenzständig errichtet ist. Auf der unmittelbar dem Pfarrheim gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich das Grundstück Fl.Nr., das zur …straße hin, also in seinem rückwärtigen Grundstücksbereich (die Erschließung des Grundstücks erfolgt über den nördlich gelegenen K. weg) auf seiner ganzen Breite und damit auf beiden seitlichen Grundstücksgrenzen bebaut ist. Auf dem klägerischen Grundstück (Fl. Nr. *4) reicht das Wohngebäude an der Westseite auf die seitliche Grenze. Östlich des Wohnhauses schließt sich im vorderen Bereich in einer Tiefe von ca. 5 m eine offene Hoffläche und zur östlichen Grenze ein grenzständiges Nebengebäude an. Dahinter, also im zentralen Bereich schließt sich an das Wohnhaus ein ehemals landwirtschaftlich genutztes Gebäude (Stall und Scheune) an, das von der östlichen Wand des Wohnhauses bis zur östlichen Grundstücksgrenze reicht. Da es sich hierbei nicht um eine Garage bzw. eine (untergeordnete) Nebenanlage (vgl. zum Gebäudebegriff des § 22 BauNVO Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand 153. EL Jan 2024, § 22 BauNVO Rn. 7) handelt, muss hier ebenfalls von einer geschlossenen Bauweise ausgegangen werden. Von einem „Fremdkörper“ oder „Ausreißer“, der bei einer Bestandsaufnahme des Vorhandenen außer Betracht zu lassen wäre (vgl. hierzu auch Laser in Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 5. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 26), kann bei allen drei vg. Grundstücken nicht gesprochen werden.
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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass im Umgriff des Bauvorhabens zwar die halboffene Bauweise zahlenmäßig etwas überwiegt. Es ist aber auch sowohl die offene als auch die geschlossene Bauweise zu erkennen. Mithin ist im Umgriff des Baugrundstücks von einer regellosen Bauweise auszugehen, womit gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO das Bauvorhaben der Beigeladenen vor seiner östlichen Außenwand zum Grundstück der Kläger hin keine Abstandsfläche einzuhalten hat. Die Errichtung des streitgegenständlichen Wohnhauses ohne Einhaltung einer Abstandsfläche nach Art. 6 Abs. 1 BayBO hält sich innerhalb des sich aus der Umgebung hervorgehenden Rahmens. Das Gebäude darf bauplanungsrechtlich an die Grundstücksgrenze gebaut werden.
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2.3. Nachdem es einer Abweichung von den Anforderungen des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO i.V.m. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO nicht bedurfte und eine solche auch von Seiten des Landratsamts ... nicht erteilt wurde, geht die Rüge der Klägerseite, dass die Bauaufsichtsbehörde bei der Erteilung der Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe, ins Leere.
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3. Das Vorhaben verstößt auch in bauplanungsrechtlicher Hinsicht nicht gegen die Rechte der Kläger (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO i.V.m. §§ 29 ff. BauGB).
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3.1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich nach § 34 BauGB, da für das Baugrundstück kein qualifizierter Bebauungsplan existiert und es auch nicht dem Außenbereich nach § 35 BauGB zuzuweisen ist.
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Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der Baunutzungsverordnung bezeichnet sind, entspricht, beurteilt sich nach § 34 Abs. 2 BauGB die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig ist.
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3.2. Eine Verletzung drittschützender Rechte hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung ist nicht ersichtlich. Eine Rechtsverletzung der Kläger ergibt sich insbesondere nicht aus dem sogenannten Gebietsbewahrungs- oder Gebietserhaltungsanspruch.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann sich ein Nachbar im Plangebiet gegen die Zulässigkeit einer gebietswidrigen Nutzung im Plangebiet wenden, auch wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Der Nachbar hat also bereits dann einen Abwehranspruch, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung führt. Der Abwehranspruch wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens ausgelöst (vgl. BVerwG, B.v. 2.2.2000 – 4 B 87/99 – NVwZ 2000, 679; U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151). Derselbe Nachbarschutz besteht auch im unbeplanten Innenbereich, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht, § 34 Abs. 2 BauGB (BVerwG, U.v. 16. 9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151; Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 153. EL Jan. 2024, Art. 66 Rn. 347 und 395). § 34 Abs. 2 BauGB besitzt grundsätzlich nachbarschützenden Charakter (vgl. BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151; Hofherr in Berliner Kommentar zum BauGB, § 34 Rn. 88). Danach hat der Nachbar in einem Gebiet, auf das § 34 Abs. 2 BauGB entsprechend Anwendung findet, einen Schutzanspruch auf Bewahrung der Gebietsart. Der Gebietserhaltungsanspruch bezieht sich also nur auf die Art, nicht auf das nicht nachbarschützende Maß der baulichen Nutzung (OVG Lüneburg, B.v. 28.5.2014 – 1 ME 47/14 – juris).
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Vorliegend steht aber nicht in Rede, dass die Gebietsart, welche maßgeblich durch das „Wohnen“ geprägt wird, durch das Vorhaben nicht bewahrt werden könnte. Der Anspruch scheitert daher daran, dass das Bauvorhaben – eine Doppelhaushälfte mit zwei Wohneinheiten – ebenfalls als Wohngebäude im Sinne der § 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO zu qualifizieren ist. Das Vorhaben dient, was insoweit alleinentscheidend ist, dem dauerhaften Wohnen (BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 9 CS 19.1767 – juris). Anders als die Kläger meinen handelt es sich hier nicht um ein „altes Dorfgebiet“. Vielmehr ist die nähere Umgebung des Baugrundstücks in bauplanungsrechtlicher Hinsicht als ein faktisches Wohngebiet zu qualifizieren.
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Auch soweit die Kläger mit ihrem Vorbringen, das Vorhaben füge sich nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, denn in einem alten Dorfgebiet mit offener Bauweise und landwirtschaftlichen Gebäuden sei ein übergroßes Doppelhaus mit vier Wohnungen samt Garagen verteilt über drei Geschosse unpassend, sinngemäß einen aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO abgeleiteten Anspruch auf Wahrung der typischen Prägung des Gebiets (Gebietsprägungsanspruch) geltend machen, bleibt die Klage ohne Erfolg. Unabhängig davon, ob ein solcher Anspruch überhaupt infrage kommt (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482; BayVGH, B.v. 9.10.2012 – 2 ZB 11.2653 – beide juris), wird die gebietstypische Prägung „Wohnen“ im Sinne von § 4 BauNVO durch das Bauvorhaben, das ebenfalls dem Wohnen dient, nicht verletzt.
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Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Selbst wenn man für die Rechtsanwendung dieser Regelung annimmt, dass im Einzelfall „Quantität in Qualität“ umschlagen kann, dass also die Größe einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung erfassen kann (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1995 – 4 C 3.94 – juris), ist davon nach Auffassung der Kammer in der vorliegenden Fallkonstellation nicht auszugehen. Die Größe des streitgegenständlichen Wohnhauses zieht hier keine Veränderung des Gebietscharakters nach sich. Die Zahl der Wohnungen ist – jedenfalls im hier vorliegenden Anwendungsbereich des § 34 BauGB – kein Merkmal, das die Art der baulichen Nutzung prägt (BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 9 CS 19.1767 – juris: Studentenheim mit 91 Studentenappartements). Die Anzahl von zwei oder – wenn man mit den Klägern die zweite Doppelhaushälfte mitrechnen würde – vier Wohneinheiten erlaubt es nicht, von einer gegenüber Ein- und Zweifamilienhäusern andersartigen Nutzungsart zu sprechen (vgl. BayVGH, B.v. 28.4.2020 – 9 ZB 18.2074 – juris).
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3.3. Des Weiteren können die Kläger keinen Drittschutz über eine Verletzung der Vorgaben zum Maß der baulichen Nutzung, den überbaubaren Grundstücksflächen und zur Bauweise herleiten. Zum einen ist davon auszugehen, dass die Vorschriften über das Maß der baulichen Nutzung, die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, und die Bauweise grundsätzlich schon nicht drittschützend sind (vgl. BVerwG, B.v. 11.3.1994 – 4 B 53/94 – juris Rn. 4; B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 29.9.2008 – 1 CS 08.2201 – juris Rn. 1; B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9; B.v. 5.12.2012 - 2 CS 12.2290 – juris Rn. 3; B.v. 30.9.2014 – 2 ZB 13.2276 – juris Rn. 4; VG München, B.v. 5.4.2017 – M 8 S7 17.1207 – juris Rn. 22), weshalb sich die Kläger auf eine subjektive Rechtsverletzung diesbezüglich nicht berufen können. Zum anderen ist durch die Ausführung des Bauvorhabens der Beigeladenen, d.h. den Grenzanbau, ein Verstoß gegen die Vorgaben zur Bauweise im einschlägigen Umgriff des Bauvorhabens – wie bereits ausführlich dargelegt – nicht gegeben.
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3.4. Ein Abwehranspruch der Kläger resultiert auch nicht aus dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme.
39
Das Vorhaben verletzt weder in Bezug auf eine „erdrückende Wirkung“ noch hinsichtlich der Bauweise bzw. des geltend gemachten „Fensterrechts“ das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme, das im Begriff des „Einfügens“ gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB enthalten ist. § 34 Abs. 1 BauGB vermittelt ausnahmsweise dann Drittschutz, wenn das darin verankerte Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme verletzt ist. Dies ist dann der Fall, wenn sich das Vorhaben nach Abwägung aller Belange, insbesondere der Interessen des Bauherrn und des Nachbarn, als rücksichtslos darstellt, weil es auf besonders schutzbedürftige und qualifizierte Belange des Nachbarn intensiv einwirkt (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22/75 – BVerwGE 52, 122 – juris).
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Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, a.a.O.) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Nachbarn aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm billigerweise noch zumutbar ist (BayVGH, B.v. 5.11.2019 – 9 CS 19.1767 – juris m.w.N.).
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3.4.1. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots insbesondere dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft z.B. befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78; B.v. 20.9.1984 – 4 B 181/84; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – alle juris). Dass vorliegend das Bauvorhaben der Beigeladenen den Klägern gegenüber insgesamt eine solche einmauernde oder erdrückende Wirkung entfaltet, ist jedoch nicht der Fall. Das anzunehmen kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn die genehmigte Anlage das Nachbargrundstück aufgrund einer außergewöhnlichen Dimension regelrecht abriegelt, d.h. dort ein Gefühl des „Eingemauertseins“ oder eine „Gefängnishofsituation“ hervorruft und das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden“ Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird; dem Grundstück muss gleichsam die „Luft zum Atmen“ genommen werden (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 18.2.2009 – 1 ME 282/08 – NordÖR 2009, 179; B.v. 15.1.2007 – 1 ME 80/07 – BauR 2007, 758; OVG Münster, U.v. 9.2.2009 – 10 B 1713/08 – NVwZ-RR 2009, 374). Eine solche Wirkung hat die Rechtsprechung vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden angenommen (vgl. BayVGH, B.v. 8.8.2007 – 14 AS 07.1855 – juris), so bei einem zwölfgeschossigen Hochhaus in Entfernung von 15 m zum zweigeschossigen Nachbarwohnhaus (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – DVBl. 1981, 928).
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Derartig gravierende Auswirkungen gehen von dem geplanten Vorhaben der Beigeladenen auf das Anwesen der Kläger aber nicht aus. Soweit der Klägerbevollmächtigte vorbringt, dass das geplante Vorhaben aufgrund seiner Höhe und der grundflächenmäßigen Ausdehnung einen „Einmauerungseffekt“ bzgl. des klägerischen Grundstücks erzeuge, kann dem nicht gefolgt werden. Denn die Grundfläche des streitgegenständlichen Bauvorhabens entspricht in etwa der Grundfläche des Wohnhauses der Kläger. Auch unter Berücksichtigung der auf dem Baugrundstück in westlicher Richtung geplanten zweiten Doppelhaushälfte und der auf dem klägerischen Grundstück vorhandenen weiteren Gebäude dürfte sich die überbaute Grundfläche des Grundstücks der Beigeladenen allenfalls geringfügig über der des klägerischen Grundstücks bewegen. Was die Frage der Gebäudehöhe anbelangt ist den Klägern zunächst darin beizupflichten, dass die Firsthöhe ihres Wohnhauses in den Eingabeplänen (wohl) zu hoch eingezeichnet ist. Legt man die (überzeugenden) Angaben der Kläger zugrunde, wonach die Firsthöhe ihres Wohngebäudes – anders als die Eingabepläne vermuten lassen – nicht nur in geringer Höhe unter dem First des streitgegenständlichen Gebäudes, der mit 11,69 m ab dem Bezugspunkt vermaßt ist, sondern tatsächlich nur 9,50 m ab Bezugspunkt betrage, führt auch dies zu keiner erdrückenden Wirkung. Denn auch in der Gebäudehöhe stehen beide Gebäude in keinem solchen Missverhältnis, welches eine unzumutbare nachbarliche Situation für die Klägerseite begründen könnte, zumal die Traufhöhe des klägerischen Wohnhauses nur ca. 1,00 m unter der des Wohnhauses des Beigeladenen liegen dürfte. Aus den weiteren Einzelfallumständen (z.B. Lage, Topografie, Grundflächenzahl oder Kubatur des Gebäudes) resultieren ebenfalls keine Gesichtspunkte, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten.
43
3.4.2. Mit ihrem Vorbringen, dass mit dem geplanten Bauvorhaben Fenster in der Außenwand ihres Wohnhauses, denen der Voreigentümer des Beigeladenen schriftlich zugestimmt habe, vollständig verbaut würden, ein Lichteinlass durch das vorhandene und genehmigte Fenster nicht mehr gegeben sei, die im Jahr 1956 genehmigte Fensterfront am Wohnhaus der Kläger vollständig verbaut würde und mit dieser Genehmigung dem klägerischen Wohnhaus ein „Lichtrecht“ gewährt worden sei, das jetzt funktionslos werde, lässt sich ebenfalls kein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme begründen.
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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat bezüglich eines in etwa deckungsgleichen Anbaus einer Grenzwand an eine bestehende Grenzwand, mit der Fenster in dieser Grenzwand zugebaut werden (beidseitiger Grenzanbau) in ständiger Rechtsprechung zum Ausdruck gebracht, dass Fenster in einer Grenzwand nicht in jedem Fall erhalten bleiben müssen, sondern es vielmehr auch mit ihrem Verlust zu rechnen ist, wenn beidseitig in etwa deckungsgleich an die Grenze angebaut wird. Dies beruht auf der Überlegung, dass derjenige, der mit einem Grenzanbau sein Grundstück intensiv baulich nutzt und nicht unter Wahrung gesetzlich vorgeschriebener Grenzabstände selbst für ausreichende Belichtung, Belüftung und Besonnung seines Bauwerks sorgt, im Regelfall aus Billigkeitsgründen nicht auch noch die Einhaltung von Grenzabständen durch ein Gebäude des Nachbarn verlangen kann. Diese regelhafte Interessengewichtung ist jedoch offen für Sonderfälle, in denen ein besonderer Vertrauensschutz des Nachbarn begründet ist oder bodenrechtlich absolut unhaltbare Zustände durch den fensterverbauenden Grenzanbau ausgelöst würden (vgl. BayVGH, B.v. 22.10.2002 – 26 ZB 00.2571 – juris Rn. 14 m.w.N.).
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Diese regelhafte Interessengewichtung zugunsten eines hinzukommenden Bauvorhabens bzgl. eines beidseitigen Grenzanbaus kann auf den vorliegenden Fall, bei dem ein Fenster nicht zugebaut, sondern nur dessen Belichtung verschlechtert wird, bei der Beurteilung der Anforderungen an die gegenseitige Rücksichtnahme Anwendung finden, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass in einem derartigen Fall die Belastungen des Nachbarn deutlich geringer ausfallen als bei einem vollständigen Verbauen eines Fensters.
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So ist als Ausgangspunkt der rechtlichen Bewertung zunächst festzuhalten, dass es sich hier nicht um einen beidseitigen Grenzanbau im vg. Sinn handelt, und – anders als die Klägerseite vorbringt – hier nicht davon gesprochen werden kann, dass durch die grenzständige östliche Giebelwand der Doppelhaushälfte auf dem Grundstück der Beigeladenen in der Giebelwand des klägerischen Wohnhauses „diese Fenster vollständig verbaut“ und ein „Lichteinlass durch das Vorhanden und genehmigte Fenster (…) nicht mehr gegeben“ ist. Ein fensterverbauender Grenzanbau wird durch die streitgegenständliche Baugenehmigung gerade nicht erlaubt. Vielmehr ist die östliche – der klägerischen Giebelwand mit dem Fenster gegenüberliegende – Giebelwand des geplanten und genehmigten Wohnhauses der Beigeladenen nämlich durch einen ca. 1,00 m breiten Grundstücksstreifen, einem Fußweg (Fl.Nr. … der Gemarkung R. *) vom Grundstück Fl.Nr. *4 der Kläger getrennt. Hinzu kommt, dass ausweislich der Planzeichnungen die Außenwand des Wohnhauses der Beigeladenen im Bereich des klägerischen Fensters um ca. 50 cm von der Grundstücksgrenze zurückspringt, so dass das Fenster in der westlichen Giebelwand des klägerischen Wohnhauses einen Abstand von ca. 1,50 m von der neu zu errichtenden Außenwand auf dem Baugrundstück aufweist. Darüber hinaus macht die Giebelwand im weiteren Verlauf Richtung Süden (ca. 2 m ab dem fraglichen Fenster) einen Versatz Richtung Westen und hält dann einen Abstand von ca. 4 m zur westlichen Grundstücksgrenze des Anwesens der Kläger ein. Damit nimmt das Vorhaben die gebotene Rücksicht auf die vorhandene Bebauung auf dem Nachbargrundstück. Allein aus der Situierung des vorhandenen Baubestands – mag dieser auch legal errichtet worden sein – ergibt sich keine Einschränkung der Bebauungsmöglichkeiten des Grundstücks der Beigeladenen dergestalt, dass nicht nur das Fenster als solches schutzwürdig ist, sondern darüber hinaus auch jegliche Beeinträchtigung des Lichteinfalls vermieden werden müsste. Denn die Kläger bzw. ihre Rechtsvorgänger mussten bei Errichtung ihres grenzständigen Gebäudes jederzeit damit rechnen, dass auch auf dem Grundstück Fl.Nr. *5 auf der anderen Seite des Grundstücksstreifens an die Grenze gebaut wird.
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Darüber hinaus können die Kläger auch aus der ihren Voreigentümern erteilten Baugenehmigung vom 11. Februar 1957 nicht auf einen besonderen Schutz ihres Vertrauens hinsichtlich des Fortbestehens der Situation an der westlichen Grenzwand ihres Gebäudes auf dem Grundstück Fl.Nr. … ableiten. Zwar sind im Obergeschoss der westlichen Giebelwand zwei Fenster – das eine wohl in der aktuell existierenden Form, das andere wurde wohl nicht ausgeführt – aufgrund der vg. Baugenehmigung (vgl. Baugenehmigung, Bl. 39 der Gerichtsakte) bestandskräftig genehmigt. Trotzdem kann die Klägerseite einen aus dem Bestandsschutz folgenden Vertrauensschutz gegenüber dem streitgegenständlichen Vorhaben nicht herleiten. Das beruht zum einen darauf, dass sich der Bestandschutz per se nur auf die genehmigte Anlage, nicht aber auf das Nachbargrundstück und die dort befindlichen Anlagen beziehen kann. Zum anderen ist nichts dafür ersichtlich, dass vorliegend eine dingliche Sicherung erfolgt wäre oder der Voreigentümer des Baugrundstücks auch nur erklärt hätte, auf einen Grenzanbau jenseits des ca. 1,00 m breiten Grundstücksstreifens zu verzichten. Vielmehr findet sich bei Sichtung der von Klägerseite vorgelegten Bauantragsunterlagen zu der Baugenehmigung für das klägerische Wohnhaus (Bl. 34 ff. der Gerichtsakte) zwar eine Nachbarunterschrift auf den Bauzeichnungen im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens vor Erteilung der Baugenehmigung. Soweit die Klägerseite darin aber eine Abstandsflächenübernahmeerklärung i.S.v. Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO erkennen will („Die Abstandsflächen des Wohnhauses der Klägerseite durften sich (…) auf das Grundstück der Beigeladenen (…) erstrecken (…) Dies resultiert aus der schriftlichen Zustimmung des damaligen Nachbarn (…) gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO“), geht dies schon deshalb ins Leere, weil die zitierte Regelung in der Bayerischen Bauordnung zum Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung im Jahr 1957 noch gar keine Geltung hatte. Vielmehr galt zum damaligen Zeitpunkt die Bayerische Bauordnung von 1901, die weder den Begriff der Abstandsfläche noch den der Abweichung gekannt hat und in der die Gebäudeabstände der Würdigung der Baubehörde überlassen gewesen sind (vgl. VG München, U.v. 7.10.2010 – M 11 K 09.4004 – BeckRS 2010, 36299). Ein entsprechender Regelungsinhalt findet sich erst in den Abstandsflächenvorschriften, die die Bayerische Bauordnung erstmals in ihrer Fassung vom 1. August 1962 enthält, vgl. Art. 6 BayBO 1962 (VG Würzburg, U.v. 25.6.2020 – W 5 K 19.1354 – BeckRS 2020, 48627). Darüber hinaus kann in der bloßen Unterschrift auf den Bauplänen keine Abstandsflächenübernahme erkannt werden. Einer derartigen Erklärung muss nämlich aufgrund ihrer weitreichenden Wirkungen eindeutig entnommen werden können, dass und in welchem Umfang die Abstandsflächen für das Nachbarbauvorhaben übernommen werden. Alleine die Erteilung der Nachbarunterschrift zu den Bauunterlagen genügt keinesfalls. Der textlichen Erklärung muss entnommen werden können, dass sich der Erklärende der Wirkung dieser Erklärung – Nichtüberbaubarkeit der Fläche und keine Nutzung für eigene Abstandsflächen – bewusst ist. Der Umfang der Abstandsflächenübernahme ist zeichnerisch darzustellen (Schönfeld in BeckOK Spannowsky/Manssen, 29. Ed. 1.10.2023, Art. 6 Rn. 105). Schließlich scheitert eine Abstandsflächenübernahme auch daran, dass der fragliche Bereich des Grundstücks des Beigeladenen tatsächlich bebaut ist.
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Letztendlich vermag auch der Hinweis der Kläger auf ihr vermeintliches „Lichtrecht“ nicht zum Erfolg der Klage führen. Zu Recht weist der Beklagte in diesem Zusammenhang auf Art. 68 Abs. 5 BayBO hin. Nach dieser Vorschrift wird die Baugenehmigung unbeschadet der Rechte Dritter erteilt. Rechte Dritter meint in diesem Zusammenhang private, also privatrechtliche Rechte und umfasst private Rechte von am Baugrundstück Berechtigten, von Nachbarn oder sonstigen Dritten. Im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens wird nur die Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften geprüft. Die Baugenehmigung trifft dagegen keine Aussage zur privatrechtlichen Realisierbarkeit des Bauvorhabens. Dem entspricht es, dass privatrechtliche Rechtsbeziehungen keine wehrfähige Rechtsposition im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes begründen können, sondern vor den Zivilgerichten geltend zu machen sind.
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Insgesamt ist daher festzuhalten, dass keine Umstände ersichtlich sind, aufgrund derer die Kläger ein besonderes Vertrauen auf den Fortbestand des bestehenden Zustands der Bebauung herleiten können.
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Das Errichten der östlichen Giebelwand des geplanten und genehmigten Wohnhauses in einem Abstand von ca. 1,50 m vom klägerischen Wohnhauses ruft auch keine absolut unhaltbaren Zustände in dem Anwesen der Kläger hervor bzw. Zustände, die dem Ziel, gesunde Wohn- bzw. Arbeitsverhältnisse zu schaffen, diametral entgegenlaufen würden (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.1995 – 4 B 197/94 – juris; BayVGH, B.v. 22.10.2002 – 26 ZB 00.2571 – juris). Zu ungesunden Wohnverhältnissen kommt es im klägerischen Gebäude durch die Einschränkung des Fensters in der Westfassade nicht. Es ist davon auszugehen, dass auch nach dieser baulichen Veränderung eine insgesamt ausreichende Belichtungssituation erhalten bleibt, zumal die Giebelwand im Wohnhaus der Beigeladenen im weiteren Verlauf Richtung Süden (ca. 2 m ab dem fraglichen Fenster) einen Versatz Richtung Westen macht und dann einen Abstand von ca. 4 m zur westlichen Grundstücksgrenze des Anwesens der Kläger einhält. Auch kann die infolge des Bauvorhabens eingeschränkte Belichtungssituation durch den Einbau eines Fensters in der südlichen Außenwand des klägerischen Gebäudes spürbar verbessert werden.
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4. Auch das weitere Vorbringen der Kläger kann der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Im Einzelnen:
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4.1. So muss der klägerische Einwand, dass Art. 28 BayBO in die Überlegung zur Prüfung des angefochtenen Baugenehmigungsbescheids miteinzubeziehen sei, und durch das direkte Errichten des neuen Gebäudes an der Grundstücksgrenze brandschutzrechtliche Vorgaben ad absurdum geführt würden, erfolglos bleiben. Denn in dem hier richtigerweise vom Landratsamt ... zur Anwendung gebrachten vereinfachten Genehmigungsverfahren (vgl. Art. 59 Satz 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 4 Nrn. 1 – 20 BayBO) ist der Umfang der bauaufsichtlichen Prüfung und damit auch der Regelungsgehalt der Baugenehmigung eingeschränkt. Der von der Bauaufsichtsbehörde insoweit vorzunehmende Umfang der Prüfung wird allein durch Art. 59 BayBO bestimmt (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244.96 – NVwZ 1998, 58; BayVGH, B.v. 12.7.2016 – 15 ZB 14.1108 – juris Rn. 18). Die Regelungen über den Brandschutz in der Bayer. Bauordnung und damit auch die Vorschrift des Art. 28 BayBO zählen nicht dazu (vgl. Art. 59 Satz 1 Nrn. 1 – 3 BayBO). Die Baugenehmigung entfaltet daher insoweit keine Feststellungswirkung, so dass der Nachbar hierdurch nicht in seinen Rechten bzgl. der Brandschutzanforderungen verletzt sein kann (vgl. zum Nachbarschutz im Rahmen des Art. 59 BayBO allgemein Wolf in Busse/Kraus, BayBO, 153. EL Jan. 2024, Art. 59 Rn. 115; Robl in Spannowsky/Manssen, BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, Stand 1.4.2024, Art. 59 Rn. 12.). Ob das Gebäude der Kläger brandschutzrechtliche Vorschriften einhält, ist im Übrigen nicht Prüfungsgegenstand der Bauaufsichtsbehörde im Rahmen der Prüfung des Bauvorhabens des Beigeladenen.
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4.2. Soweit die Klägerseite die vom Landratsamt ... erteilten Abweichungen von den Festsetzungen der örtlichen Bauvorschrift bzgl. der Überschreitung der maximal zulässigen Kniestockhöhe, des maximal zulässigen Fensterformats, der maximal zulässigen Dachneigung und des maximal zulässigen Stauraums als eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften rügt und darüber hinaus einen Verstoß gegen § 3 der Baugestaltungssatzung des Marktes Z. für den Ort R. („Baukörper/Baumasse“), können sie hiermit schon deshalb nicht durchdringen, weil Regelungen in örtlichen Bauvorschriften nach Art. 81 Abs. 1 BayBO grundsätzlich nicht nachbarschützend sind. Dies gilt insbesondere für Gestaltungsanforderungen nach Art. 81 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BayBO (Weber in Schwarzer/König, Bayerische Bauordnung, 5. Aufl. 2022, Art. 81 Rn. 16; Decker in Busse/Kraus, BayBO, 153. EL Jan. 2024, Art. 81 Rn. 314; BayVGH, B.v. 29.8.2006 – 15 CS 06.1943 – BeckRS 2009, 41178). Sie dienen insbesondere dem Erhalt oder der Gestaltung eines Ortsbildes, nicht aber dem Schutz von Einzelinteressen (Grünewald/Manssen, in BeckOK Spannowsky/Manssen, BayBO, 29. Ed. 1.4.2024, Art. 81 Rn. 80). Zu den nicht grundsätzlich nachbarschützenden Gestaltungsanforderungen nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 1 BayBO zählen auch Regelungen über Dachform und -neigung, Größe und Form von Fenstern und zu Kniestöcken (Decker in Busse/Kraus, BayBO, 153. EL Jan. 2024, Art. 81 Rn. 113, 314). Anhaltspunkte dafür, dass die Marktgemeinde Zellingen ausnahmsweise die Gestaltungsvorschrift über die Kniestockhöhe, die Fensterformate, die Dachneigung und über Baukörper bzw. Baumasse mit drittschützender Wirkung habe ausgestalten wollen, lassen sich der Baugestaltungssatzung nicht entnehmen.
54
4.3. Der Einwand der Klägerseite, bzgl. der Umplanung sei das gemeindliche Einvernehmen erneut einzuholen gewesen, kann ebenfalls nicht durchdringen. Denn die vorgeschriebene Mitwirkung der Gemeinde nach § 36 BauGB dient ausschließlich der Sicherung der gemeindlichen Planungshoheit. Die Nichtbeteiligung der Gemeinde kann Rechte anderer Personen nicht verletzen (Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 153. EL Jan. 2024, Art. 66 Rn. 407). § 36 Abs. 1 BauGB ist keine Schutznorm für die Bürger der Gemeinde, sondern nur für die Gemeinde selbst, ist also nicht nachbarschützend (BVerwG, B.v. 7.5.1997 – 4 B 73.97 – NVwZ 1997, 991; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, 153. EL Jan. 2024, § 36 Rn. 44).
55
4.4. Wenn die Kläger schließlich rügen, dass sie nicht am Baugenehmigungsverfahren beteiligt worden seien, sie nicht als Nachbarn eingestuft worden seien und sie eine Ausfertigung der Baugenehmigung erst nach mehreren E-Mails an das Landratsamt erhalten hätten, kann dies der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Zwar ist der Klägerseite darin zuzustimmen, dass das Landratsamt ... gemäß Art. 66 Abs. 1 Satz 4 BayBO den Nachbarn, die dem Bauantrag nicht zugestimmt haben – mithin hier den Klägern – eine Ausfertigung der Baugenehmigung zuzustellen haben. Dies ist aber erfolgt, wenn auch erst nach mehreren Eingaben der Klägerseite und ein Jahr nach Erteilung der Baugenehmigung. Nach Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind den Eigentümern der benachbarten Grundstücke vom Bauherrn oder seinem Beauftragten der Lageplan und die Bauzeichnungen zur Unterschrift vorzulegen. Dies ist, wie die Klägerseite erklärt hat, am 12. Juni 2021 erfolgt. Nach Eingabe der geänderten Pläne durch den Beigeladenen war vorliegend eine erneute Nachbarbeteiligung nach Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BayBO erforderlich. Eine darüberhinausgehende Beteiligung der Nachbarn ist der Baugenehmigungsbehörde allerdings nicht auferlegt. Selbst eine unterlassene Nachbarbeteiligung durch den Bauherrn, also ein diesbezüglicher Verfahrensmangel allein, begründet aber nicht die materiell-rechtliche Fehlerhaftigkeit der Baugenehmigung. Er hat lediglich zur Folge, dass der Baugenehmigungsbescheid dem Nachbarn zuzustellen ist, wobei die Zustellung den Fristlauf für eine Klageerhebung auslöst (vgl. BayVGH, B.v. 14.3.2019 – 9 ZB 17.2005 – juris Rn. 10). Unabhängig davon ist die Vorschrift des Art. 66 BayBO nicht nachbarschützend (BayVGH, B.v. 7.4.2022 – 9 ZB 22.165 – BeckRS 2022, 8438 Rn.7; Edenharter in BeckOK Spannowsky/Manssen, 29. Ed. 1.10.2023, Art. 66 Rn. 6; Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 153. EL Jan. 2024, Art. 66 Rn. 208).
56
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Da sich die Beigeladene durch eine Antragstellung am Prozessrisiko beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, die ihr entstandenen Kosten gemäß § 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO den Klägern aufzuerlegen.
57
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
58
6. Die Ablehnung des Antrags der Kläger auf Zulassung der Berufung resultiert aus § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO, da hier weder der Berufungszulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache) noch der des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Abweichen des Urteils von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes und des Bundesverfassungsgerichts und Beruhen des Urteils auf dieser Abweichung) vorliegt. Die Klägerseite hat zur Begründung ihres Antrags auf Zulassung der Berufung auch nicht das Geringste vorgetragen.