Inhalt

VG München, Beschluss v. 22.11.2024 – M 5 E 24.5866
Titel:

Untersuchungsanordnung bei Zweifeln an der Dienstfähigkeit

Normenketten:
VwGO § 123 Abs. 1
BayBG Art. 65 Abs. 2
GG Art. 19 Abs. 4 S. 1
BGB § 242
Leitsätze:
1. Die Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung und die dadurch eingetretene grundsätzliche Befolgungspflicht bestehen unabhängig von der isoliert ausgesprochenen Frist fort. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Angebot des Dienstherrn, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, steht der Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung nicht entgegen und begründet kein Vertrauen darauf, dass von der Untersuchung abgesehen wird. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3. die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist nicht zwingende Voraussetzung für eine rechtmäßige Ruhestandsversetzung wegen Dienstunfähigkeit. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Amtsärztliche Untersuchung, Beamte, Erkrankung, Dienstunfähigkeit, amtsärztliche Untersuchung, Untersuchungsanordnung, Frist, betriebliches Eingliederungsmanagemant, Verwirkung, Treu und Glauben, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 27.02.2025 – 3 CE 24.2113
Fundstelle:
BeckRS 2024, 33306

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die 1968 geborene Antragstellerin steht als Obergerichtsvollzieherin beim Amtsgericht X. in den Diensten des Antragsgegners. Sie ist seit dem 24. September 2021 dienstunfähig erkrankt.
2
Der Antragsgegner ordnete aufgrund dessen bereits mehrfach amtsärztliche Untersuchungen zur Überprüfung der Dienstfähigkeit der Antragstellerin an. Zuletzt hat das Verwaltungsgericht München die Antragstellerin von der Befolgung der Untersuchungsanordnung vom 10. März 2023 vorläufig freigestellt (M 5 E 23.3236). Eine amtsärztliche Untersuchung der Antragstellerin hat bislang nicht stattgefunden.
3
Mit Schreiben des Antragsgegners vom 27. Oktober 2023 wurde die Antragstellerin zu einem Genesungsgespräch geladen. Mit Schreiben vom 28. November 2023 informierte die Direktorin des Amtsgerichts X. die Antragstellerin über die Möglichkeit des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM). Am 30. November 2023 fand ein Genesungsgespräch mit der Antragstellerin statt. In diesem Gespräch verwies die Antragstellerin darauf, dass ihre Beschwerden ausschließlich psychischer Natur seien und sich in Panik- und Angstattacken äußerten.
4
Mit Schreiben vom 15. Dezember 2023 stimmte die Antragstellerin der Durchführung eines BEM-Verfahrens zu.
5
Mit Schreiben der Direktorin des Amtsgerichts X. vom 22. Januar 2024 ordnete der Antragsgegner eine psychiatrische Untersuchung der Antragstellerin bei der Medizinischen Untersuchungsstelle der Regierung von Oberbayern (MUS) an. Die Antragstellerin habe mehr als zwei Jahre keinen Dienst geleistet, sodass ihre Dienstfähigkeit bezweifelt werde. Da die vorgelegten Atteste überwiegend von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie ausgestellt worden seien und sich die Antragstellerin vom 30. November 2021 bis Ende Januar 2022 in stationärer Behandlung in der Schön-Klinik, einer Fachklinik für Psychosomatik befunden habe und die Antragstellerin in einem Genesungsgespräch vom 30. November 2023 angegeben habe, Beschwerden ausschließlich auf psychiatrischem Fachgebiet aufzuweisen, sei eine psychiatrische Untersuchung erforderlich. Diese Untersuchung beschränke sich auf ein amtsärztliches Anamnesegespräch sowie auf die Aktenlage.
6
Diese Untersuchungsanordnung vom 22. Januar 2024 wurde in Abschrift am 26. Januar 2024 an die MUS versandt (Bl. 371 der Behördenakte). Am 20. März 2024 teilte die MUS mit, dass das Schreiben vom 22. Januar 2024 nicht bei der Untersuchungsstelle eingegangen sei. Mit E-Mail vom 20. März 2024 versandte der Geschäftsleiter des Amtsgerichts X. die Untersuchungsanordnung vom 22. Januar 2024 an die MUS mit der Bitte um weitere Veranlassung. Ein förmlicher Untersuchungsauftrag wurde erstmals mit Schreiben der Direktorin des Amtsgerichts X. vom 25. Juli 2024 an die MUS gestellt.
7
Mit Schreiben vom 2. April 2024 informierte die Direktorin des Amtsgerichts X. die Antragstellerin erneut über die Möglichkeit der Durchführung eines BEM. Diese stimmte mit Schreiben vom 16. April 2024 erneut der Durchführung eines BEM zu.
8
Die MUS teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom 26. August 2024 mit, dass die Gutachtenanfertigung aktuell nur nach Aktenlage erfolge und forderte diese auf, übersandte Formulare (Beurteilungsgrundlage, Fragebogen) sowie Befundberichte behandelnder Ärzte und Abschlussberichte von Krankenhausaufenthalten und schriftliche Befunde technischer Untersuchungen bis 27. September 2024 zu übersenden. Dem kam die Antragstellerin nicht nach.
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Der Antragstellerbevollmächtigte forderte den Antragsgegner mit E-Mail vom 24. September 2024 – die aufgrund eines Versehens der Antragstellerseite nicht zugestellt werden konnte – auf, die Untersuchungsanordnung zurückzunehmen. Mit Schreiben vom 16. Oktober 2024 wurde die Aufforderung, die Anordnung zurückzunehmen, an den Antragsgegner versandt, der mit Schreiben vom 21. Oktober 2024 die Rücknahme der Untersuchungsanordnung ablehnte.
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Die Antragstellerseite hat mit Schriftsatz vom 27. September 2024 den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt und dies wie folgt begründet: Auch wenn der Antragsgegner nicht vorgerichtlich aufgefordert worden sei, die Untersuchungsanordnung aufzuheben, fehle es nicht an der Zulässigkeit des Antrags. Denn dies sei während des gerichtlichen Verfahrens nachgeholt worden. Wenn nach dem Bundesverwaltungsgericht ein Widerspruchsverfahren nach Klageerhebung nachholbar sei, so müsse dies erst recht für die der Behörde zu gewährende Gelegenheit zur Stellungnahme gelten. Die Antragstellerin sei nicht verpflichtet, die Untersuchungsanordnung zu befolgen, da Verwirkung eingetreten sei. Das hierfür erforderliche Zeitmoment liege vor, da seit dem Erlass der Untersuchungsanordnung bereits mehr als acht Monate vergangen seien. Hierbei handele es sich um einen ganz erheblichen Zeitraum, was aus Fürsorgegesichtspunkten nicht hinzunehmen sei. Als Anhaltspunkt in zeitlicher Hinsicht könnten die in § 26 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG bzw. § 75 VwGO geregelten zeitlichen Vorgaben von drei bzw. sechs Monaten herangezogen werden. Auch der Praxis würden Untersuchungstermine regelmäßig innerhalb weniger Wochen angesetzt. Zudem sei das Umstandsmoment der Verwirkung gegeben. Der Erlass einer Untersuchungsanordnung gehöre zum Ruhestandsversetzungsverfahren. Das Entschließungsermessen des Dienstherrn darüber, ob ein Ruhestandsversetzungsverfahren in Gang gesetzt werde, sei im Abschnitt 8 der VV-BeamtR konkretisiert. Aus Ziff. 1.1.2 ergebe sich, dass betriebliche Eingliederungsmaßnahmen im Sinne von § 167 Abs. 2 des Neunten Sozialgesetzbuchs (SGB IX) Präventionsmaßnahmen im Sinne der Ziff. 1.1.1 des 8. Abschnitts der VV-BeamtR darstellten. Die Dienstfähigkeit sei nach Ziff. 1.2.1 erst nach erfolglosen Maßnahmen zur Erhaltung der Dienstfähigkeit zu prüfen. Aus Ziff. 1.3.6 des 8. Abschnitts VV-BeamtR, der Regelungen zum Gutachtenauftrag betreffe, sei abzuleiten, dass der Gutachtenauftrag die Durchführung von Präventionsmaßnahmen zwingend voraussetze. Vor diesem Hintergrund habe die Antragstellerin davon ausgehen dürfen, dass mit der erneuten Initiierung eines BEM-Verfahrens im April 2024 im Nachgang des Erlasses der Untersuchungsanordnung aus Januar 2024 das bereits im November 2023 eingeleitete BEM-Verfahren fortgeführt und vom Vollzug der Untersuchungsanordnung abgesehen werde. Dementsprechend habe die Antragstellerin annehmen können, dass der Antragsgegner vom Ruhestandsversetzungsverfahren abgerückt sei und stattdessen im niederschwelligen Verfahren mit geeigneten Maßnahmen die Dienstfähigkeit der Antragstellerin wiederherstellen wolle. Während des BEM-Verfahrens dürften ärztliche Stellungnahmen lediglich Präventionsmaßnahmen betreffen, nicht jedoch die allumfassende Prüfung der Dienstfähigkeit.
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Die Antragstellerin hat beantragt,
12
Die Antragstellerin wird vorläufig von der Verpflichtung zur Durchführung einer amtsärztlichen Untersuchung aufgrund der Untersuchungsanordnung des Antragsgegners vom 22. Januar 2024 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens über die Feststellung der Verpflichtung der Antragstellerin, die Untersuchungsanordnung des Antragsgegners zu befolgen, freigestellt.
13
Der Antragsgegner hat beantragt,
14
Der Antrag wird abgelehnt.
15
Es bestehe schon kein Anordnungsgrund. Da sich die Antragstellerin erstmals mit Schreiben vom 24. bzw. 27. September 2024 gegen die Untersuchungsanordnung vom 22. Januar 2024 gewendet habe, könne nicht von einer Eilbedürftigkeit ausgegangen werden. Daneben liege keine Verwirkung vor. Es fehle bereits am Zeitmoment. Die Verzögerung sei nicht auf die Untätigkeit des Antragsgegners zurückzuführen. Die MUS habe sieben Monate nach Erlass der Untersuchungsanordnung die Antragstellerin zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert. Dieser Zeitraum sei nicht unverhältnismäßig lang. Die MUS habe im normalen Geschäftsablauf terminiert. Daneben habe sich die Antragstellerin nicht darauf einstellen können, dass der Antragsgegner aus der Untersuchungsanordnung keine Rechte mehr ableiten werde. Es gebe keinen Rechtssatz, wonach die Durchführung eines BEM-Verfahrens die Überprüfung der Dienstfähigkeit ausschließe. Das BEM-Verfahren sei keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für eine vorzeitige Ruhestandsversetzung (BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22.13). Es sei unabhängig von der Untersuchungsanordnung durchgeführt worden. Dies sei der Antragstellerin auch im Genesungsgespräch vom 30. November 2023 mitgeteilt worden. Die Antragstellerin habe sich zwar am 16. April 2024 mit einer Teilnahme am BEM bereit erklärt, habe jedoch am 17. April 2024 feststellen lassen, dass sie arbeitsunfähig sei. Die Antragstellerin habe weder einen ärztlichen Wiedereingliederungsplan vorgelegt, noch eine zeitliche Perspektive zur Arbeitsfähigkeit genannt, sondern weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. BEM-Maßnahmen seien weder angefragt, noch tatsächlich durchgeführt worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und vorgelegte Behördenakte verwiesen.
II.
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Der zulässige Antrag ist unbegründet.
18
1. Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) statthaft, weil es sich bei der Anordnung gegenüber einem Beamten, sich gemäß Art. 65 Abs. 2 Satz 1 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) zur Klärung der Dienstfähigkeit ärztlich untersuchen und, falls ein Amtsarzt dies für erforderlich hält, beobachten zu lassen, mangels unmittelbarer Rechtswirkung nach außen nicht um einen Verwaltungsakt im Sinne von Art. 35 Satz 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG), sondern um eine gemischt dienstlich-persönliche Weisung handelt. Die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes richtet sich daher nach § 123 VwGO (vgl. BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 3 CE 15.1042 – juris Rn. 22).
19
Wegen des Gedankens des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes/GG) ist die Untersuchungsanordnung auch selbständig anfechtbar (so BVerfG, B.v. 14.1.2022 – 2 BvR 1528/21 – NVwZ 2022, 401, juris Rn. 17 ff.; nun auch BayVGH, B.v. 24.3.2022 – 6 CE 21.2753 – IÖD 2022, 152, juris Rn. 10; anders noch BVerwG, B.v. 14.3.2019 – 2 VR 5/18 – BVerwGE 165, 65, juris Rn. 18 f.). Denn § 44a VwGO ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass die Vorschrift der Zulässigkeit einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Untersuchungsanordnung nicht entgegensteht, weil die angeordnete ärztliche Untersuchung zu Verletzungen materieller Rechtspositionen führen könnte, die nicht mit den durch die abschließende Sachentscheidung berührten materiellen Rechtspositionen identisch sind und die im Rechtsschutzverfahren gegen eine Zurruhesetzungsverfügung nicht vollständig beseitigt werden könnten (BVerfG, B.v. 14.1.2022 – 2 BvR 1528/21 – NVwZ 2022, 401, juris Rn. 24).
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2. Dem Antrag fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Unabhängig davon, ob der Antrag mangels behördlicher Vorbefassung unzulässig gewesen sein sollte, ist der Antrag jedenfalls im Entscheidungszeitpunkt zulässig. Denn der Antragsgegner hat im laufenden Verfahren die Aufforderung, die Untersuchungsanordnung aufzuheben, abgelehnt und damit seine Befassung mit der Sache nachgeholt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 14; Kuhla in Posser/Wolff/Decker, BeckOK VwGO, § 123 Rn. 37c). Wenn selbst ein Widerspruchsverfahren nach Klageerhebung nachgeholt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 11.4.2024 – 2 A 6.23 – juris Rn. 16 f. m.w.N.), so muss dies auch für die Gelegenheit der Behörde gelten, sich zum Anliegen des Rechtsschutzsuchenden zu äußern.
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3. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, das heißt ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes in Form der Gefährdung eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, das heißt, die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Die Antragstellerin hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
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4. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
23
Dem steht nicht entgegen, dass die mit Schreiben der MUS vom 26. August 2024 gesetzte Frist zur Übermittlung übersandter Formulare (Beurteilungsgrundlage und Fragebogen) und von Befundberichten der behandelnden Ärzte, Abschlussberichten von Krankenhausaufenthalten und Befunden technischer Untersuchungen bis 27. September 2024 bereits verstrichen ist. Denn die Untersuchungsanordnung und die dadurch eingetretene grundsätzliche Befolgungspflicht zulasten der Antragstellerin bestehen unabhängig von der isoliert ausgesprochenen Frist fort (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2013 – 3 CE 11.2345 – juris Rn. 18 – zur Weisung, sich einer stationären Behandlung zu unterziehen). Nur die isolierte Fristbestimmung ist durch Zeitablauf verstrichen. Dem Antragsgegner ist es nicht verwehrt, unter Verweis auf die Mitwirkungspflicht auf Grund der dienstrechtlichen Treuepflichten auf Übermittlung der angeforderten Unterlagen auch nach Fristablauf zu bestehen. Auch kann der Antragsgegner aufgrund der streitgegenständlichen Untersuchungsanordnung jederzeit einen Untersuchungstermin ansetzen.
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5. Die Antragstellerin hat jedoch keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die streitgegenständliche Untersuchungsanordnung erweist sich bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig.
25
a) Ein Beamter hat nach Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG die Dienstpflicht, sich ärztlich untersuchen zu lassen, wenn Zweifel hinsichtlich seiner Dienstunfähigkeit bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 28.5.1984 – 2 B 205.82 – Buchholz 237.5 § 51 LBG Hessen Nr. 1, juris Rn. 3). Diese Zweifel des Dienstherrn an der Dienstunfähigkeit des Beamten müssen sich auf konkrete Umstände stützen, die eine derartige Untersuchung rechtfertigen und dürfen nicht „aus der Luft gegriffen“ sein (BayVGH, B.v. 14.1.2014 – 6 CE 13.2352 – juris Rn. 10; VG München, B.v. 31.7.2018 – M 5 E 18.2781 – juris Rn. 23). Die Anordnung muss sich folglich auf solche Umstände beziehen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, der betroffene Beamte sei dienstunfähig oder jedenfalls nur begrenzt dienstfähig (BVerwG, U.v. 26.4.2012 – 2 C 17/10 – ZBR 2013, 128, juris Rn. 19).
26
Die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung gemäß Art. 65 Abs. 2 Satz 1 BayBG muss nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit inhaltlichen und formellen Anforderungen genügen (BVerwG, U.v. 26.4.2012 – 2 C-17/10 – ZBR 2013, 128, juris Rn. 20; U.v. 30.5.2013 – 2 C-68/11 – BVerwGE 146, 347, juris Rn. 18 ff.; B.v. 10.4.2014 – 2 B 80/13 – NVwZ 2014, 892, juris Rn. 8). Sie hat zur Voraussetzung, dass aufgrund hinreichend gewichtiger tatsächlicher Umstände zweifelhaft ist, ob der Beamte wegen seines körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, die Dienstpflichten seines abstrakt-funktionellen Amtes zu erfüllen (BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 2 C 68/11 – BVerwGE 146, 347, juris Rn. 19). Die Behörde muss die tatsächlichen Umstände, auf die sie die Zweifel an der Dienstfähigkeit stützt, sowie Art und Umfang der beabsichtigten Untersuchungsmaßnahmen in der Anordnung angeben (BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 2 C 68/11 – BVerwGE 146, 347, juris Rn. 20; U.v. 26.4.2012 – 2 C 17/10 – ZBR 2013, 128, juris Rn. 19). Der Beamte muss anhand der darin gegebenen Begründung entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das in der Anordnung Verlautbarte die Zweifel an seiner Dienstfähigkeit zu rechtfertigen vermag (BVerwG, U.v. 23.10.1980 – 2 A 4.78 – ZBR 1981, 220, juris Rn. 27; U.v. 26.4.2012 – 2 C 17/10 – ZBR 2013, 128, juris Rn. 19 ff.; B.v. 10.4.2014 – 2 B 80/13 – NVwZ 2014, 892, juris Rn. 10). Gleichermaßen muss es für den Beamten überprüfbar sein, ob die beabsichtigten Untersuchungsmaßnahmen verhältnismäßig sind, so dass diese nicht frei dem Amtsarzt überlassen werden dürfen. Dementsprechend muss sich der Dienstherr bereits im Vorfeld des Erlasses einer Untersuchungsanordnung nach entsprechender sachkundiger ärztlicher Beratung zumindest in den Grundzügen darüber klarwerden, in welcher Hinsicht Zweifel am körperlichen Zustand oder der Gesundheit des Beamten bestehen und welche ärztlichen Untersuchungen zur endgültigen Klärung geboten sind (BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 2 C 68.11 – NVwZ 2013, 1619/1621, juris Rn. 23). Entspricht die Anordnung nicht diesen Anforderungen, können Mängel nicht nachträglich durch Nachschieben von Gründen geheilt werden (BVerwG, U.v. 26.4.2012 – 2 C 17/10 – ZBR 2013, 128, juris Rn. 21).
27
b) Die Untersuchungsanordnung vom 22. Januar 2024 genügt diesen Anforderungen. Dass Anlass, Art und Umfang der Untersuchung in der Untersuchungsanordnung hinreichend bestimmt sind, wird auch von der Antragstellerseite nicht in Frage gestellt.
28
aa) Der Anlass der Untersuchung ist der Anordnung vom 22. Januar 2024 hinreichend zu entnehmen. Denn in der Untersuchungsanordnung werden tatsächliche Umstände benannt, die die Zweifel an der Dienstfähigkeit begründen, sodass die Beamtin prüfen kann, ob diese Umstände Zweifel an der Dienstfähigkeit zu rechtfertigen vermögen (siehe nur BVerwG, B.v. 10.4.2014 – 2 B 80/13 – NVwZ 2014, 892, juris Rn. 10). Eine über zwei Jahre andauernde Krankschreibung rechtfertigt es, eine amtsärztliche Untersuchung anzuordnen, da letztlich nur der Amtsarzt beurteilen kann, ob die Antragstellerin den Anforderungen des Amts im abstrakt-funktionellem Sinn gewachsen ist. Denn dieser kennt im Gegensatz zum Privatarzt die Anforderungen an das konkrete Amt und kann damit beurteilen, ob die Antragstellerin dienstfähig ist (vgl. BayVGH, B.v. 23.2.2015 – 3 CE 15.172 – juris Rn. 19).
29
bb) Die Untersuchungsanordnung enthält auch hinreichende Ausführungen zu Art und Umfang der Untersuchung. Denn ihr ist zu entnehmen, dass eine psychiatrische Untersuchung durchgeführt wird, die auf die Aktenlage sowie ein amtsärztliches Anamnesegespräch beschränkt werden soll. Aus ihr geht hervor, dass der Dienstherr aufgrund der eigenen Angaben der Antragstellerin, sie weise ausschließlich Beschwerden psychischer Natur auf und leide an wiederkehrenden Panik- und Angstattacken sowie der Tatsache, dass sich die Antragstellerin Ende 2021/Anfang 2022 für zwei Monate in stationärer Behandlung in einer Fachklinik für Psychosomatik befunden hat, darüber klar geworden ist, in welcher Hinsicht Zweifel am körperlichen Zustand oder der Gesundheit der Antragstellerin bestehen und welche ärztlichen Untersuchungen zur endgültigen Klärung geboten sind (BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 2 C 68.11 – NVwZ 2013, 1619/1621, juris Rn. 23). Folgerichtig hat der Dienstherr in einer rechtlich nicht zu beanstandenden Weise eine psychiatrische Untersuchung angeordnet.
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c) Der streitgegenständlichen Untersuchungsanordnung steht auch nicht der Einwand der Verwirkung entgegen.
31
Die Verwirkung, eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 des Bürgerlichen Gesetzbuchs/BGB) bedeutet, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, weil seit der Möglichkeit der Geltendmachung eine längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung des Rechts unter Berücksichtigung des beim Verpflichteten oder bei einem Dritten daraus erwachsenden Vertrauens als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Seit der Entstehung des Rechts und der Möglichkeit seiner Geltendmachung muss längere Zeit verstrichen sein (Zeitmoment) und der Berechtigte muss unter Verhältnissen untätig geblieben sein, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt (Umstandsmoment). Erst hierdurch wird die Situation geschaffen, auf die ein Beteiligter – entweder der Dienstherr oder ein begünstigter Dritter – vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (Vertrauensmoment). Zeit-, Umstands- und Vertrauensmoment sind nicht präzise voneinander zu trennen. Maßgeblich ist eine Gesamtbewertung aller zeitlichen und sonstigen Umstände (stRspr, zuletzt BVerwG, B.v. 15.1.2020 – 2 B 38.19 – juris Rn. 12).
32
Unter umfassender Einbeziehung aller zeitlichen und sonstigen Umstände liegen die Voraussetzungen für eine Verwirkung des Vollzugs der Untersuchungsanordnung nicht vor. Es ist bereits zweifelhaft, ob seit dem Erlass der Untersuchungsanordnung vom 22. Januar 2024 bis zum Schreiben der MUS an die Antragstellerin vom 26. August 2024 eine längere Zeit im Sinne des Grundsatzes der Verwirkung verstrichen ist. Jedenfalls sind keine besonderen Umstände eingetreten, die unter Berücksichtigung dieser Zeitspanne die Vollziehung der Untersuchungsanordnung als einen Verstoß gegen Treu und Glauben erschienen ließen.
33
Insbesondere durfte die Antragstellerin aufgrund des Umstands, dass der Dienstherr die Antragstellerin zwei Monate nach Erlass der Untersuchungsanordnung (erneut) auf die Möglichkeit der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) hingewiesen hat, nicht darauf vertrauen, dass er von dem Vorhaben, die Antragstellerin amtsärztlich untersuchen zu wollen, abgerückt ist. Durch das Angebot eines BEM wird nicht etwa die Untersuchungsanordnung implizit aufgehoben. Diese hat vielmehr weiterhin Bestand, bis der Dienstherr sich dazu entschließt, diese – etwa wegen eines erfolgreich durchgeführten BEM-Verfahrens – aufzuheben.
34
Auch schließen sich der Erlass einer Untersuchungsanordnung wegen Zweifeln an der Dienstfähigkeit und das Angebot eines BEM-Verfahrens in rechtlicher Hinsicht nicht zwingend aus. Zwar ist richtig, dass das BEM niederschwellige Vorfeldmaßnahmen umfasst, die dem Ruhestandsversetzungsverfahren in der Regel zeitlich vorgelagert sind (vgl. „zeitlich gestaffeltes Stufenverhältnis“, BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22/13 – BVerwGE 150, 1, juris Rn. 40), was sich auch aus den Ziff. 1.1.2, 1.2.1, 1.3.6 der Verwaltungsvorschriften zum Beamtenrecht (VV-BeamtR) ergibt. So heißt es insbesondere unter Ziff. 1.2.1 VV-BeamtR, dass „nach erfolglosen Maßnahmen zur Erhaltung der Dienstfähigkeit“ die Dienstfähigkeit im Einzelfall und die Unabweisbarkeit einer Versetzung in den Ruhestand zu prüfen ist. Gleichwohl ist die Durchführung eines BEM in rechtlicher Hinsicht nicht zwingende Voraussetzung für eine rechtmäßige Ruhestandsversetzung (vgl. BVerwG, U.v. 5.6.2014 – 2 C 22/13 – BVerwGE 150, 1, juris Rn. 46). Dementsprechend kann aus dem tatsächlichen Angebot eines BEM auch nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass die amtsärztliche Untersuchungsanordnung (zunächst) nicht mehr vollzogen wird, bis das BEM (erfolgreich) durchgeführt worden ist. Da insbesondere die Dienstunfähigkeit der Antragstellerin jedenfalls bis zur Erstellung eines Gesundheitszeugnisses nicht final feststeht, sind – ungeachtet der bestehenden Zweifel an der Dienstfähigkeit – Maßnahmen zulässig, die dazu beitragen, die – bisher lediglich angezweifelte – Dienstfähigkeit der Antragstellerin aufrechtzuerhalten.
35
Es liegen auch im Übrigen keine Umstände vor, die den Anschein hätten erwecken können, dass die Zweifel des Dienstherrn an der Dienstfähigkeit der Antragstellerin ausgeräumt worden wären. Denn die Antragstellerin ist zum Entscheidungszeitpunkt seit mehr als drei Jahren ununterbrochen mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen krankgeschrieben. Auch nachdem ein erneutes BEM-Verfahren von der Antragsgegnerseite initiiert worden ist, sind fortlaufend Krankschreibungen eingegangen, sodass BEM-Maßnahmen nicht haben stattfinden können. Die Antragstellerin hat auch nicht zu erkennen gegeben, alsbald ihren Dienst wieder antreten zu können. Nach alledem konnte bei der Antragstellerin nicht das Vertrauen entstehen, der Dienstherr werde in der Folge von einer Überprüfung ihrer Dienstfähigkeit absehen.
36
Auch der Umstand, dass die Direktorin des Amtsgerichts nach Aktenlage erst am 25. Juli 2024 und damit fünf Monate nach der Erstellung der Untersuchungsanordnung einen förmlichen Untersuchungsauftrag an die MUS gesendet hat, erweckt nicht den Anschein, dass der Dienstherr an der Untersuchungsanordnung kein Interesse mehr hat. Denn zum einen stand der Dienstherr seit dem Erlass der Untersuchungsanordnung in Kontakt mit der MUS mit dem Ziel, eine Untersuchung zu veranlassen, was den in den Akten befindlichen Sachstandsanfragen entnommen werden kann. Zum anderen ist dieser Umstand der Antragstellerin nicht nach außen bekannt gegeben worden, sodass ein Vertrauen auf eine unterbleibende Vollziehung der Untersuchungsanordnung nicht hat entstehen können.
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6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) wobei im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes nur die Hälfte des Wertes eines Hauptsacheverfahrens festzusetzen ist.