Titel:
Einreise auf dem Landweg, Einreiseverweigerung, Asylantrag aus der Zurückweisungshaft, Anspruch auf Einreise nach Asylantragstellung und Selbsteintritt des Bundesamts
Normenketten:
AsylG § 18
AsylG § 14 Abs. 3
Schlagworte:
Einreise auf dem Landweg, Einreiseverweigerung, Asylantrag aus der Zurückweisungshaft, Anspruch auf Einreise nach Asylantragstellung und Selbsteintritt des Bundesamts, örtliche Zuständigkeit, Asylantragsteller
Fundstellen:
BayVBl 2025, 240
LSK 2024, 33300
BeckRS 2024, 33300
Tenor
I. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragssteller die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland zu gestatten.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
1
Der Antragsteller ist tunesischer Staatsangehöriger.
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Am … Oktober 2024 verweigerte ihm die Bundespolizeiinspektion K. unter Berufung auf Art. 14 des Schengener Grenzkodex i.V.m. § 15 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) die Einreise in das Bundesgebiet, als er ohne gültiges Visum am Grenzübergang F. aus Österreich kommend in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollte. Das Amtsgericht K. ordnete mit Beschluss vom 29. Oktober 2024 zur Sicherung der Zurückweisung nach Tunesien die Zurückweisungshaft am Flughafen M. an. Der Antragsteller befindet sich seither in der Abschiebehafteinrichtung am Flughafen M.
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Aus der Haft heraus stellte er am … Oktober 2024 einen Asylantrag, zu dem er am … November 2024 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angehört wurde.
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Am 6. November 2024 übte das Bundesamt das Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO aus.
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Mit Bescheid vom 6. November 2024 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, den Antrag auf Asylanerkennung sowie den Antrag auf subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet ab (Ziffer 1-3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4), forderte den Antragsteller auf, binnen Wochenfrist die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und drohte für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Tunesien oder in einen anderen zur Aufnahme bereiten oder verpflichteten Staat an, wobei die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist bzw. im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt wurde (Ziffer 5). Der Bescheid wurde per Einschreiben zur Post gegeben am 11. November 2024.
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Mit Bescheid vom 8. November 2024 erklärte die Bundespolizeidirektion M. unter Berufung auf § 18 Abs. 2 Nr. 1 des Asylgesetzes (AsylG) die Verweigerung der Einreise. Das vorgebrachte Asylgesuch stehe einer Durchführung der Zurückweisung zwar bis zu dessen Ablehnung entgegen. Der Antragsteller habe sich jedoch zum Zeitpunkt des Asylgesuchs im Sinne von § 14 Abs. 3 AsylG im öffentlichen Gewahrsam befunden, sodass die Zurückweisung anschließend vollzogen werden könne, wenn der Asylantrag innerhalb einer Frist von vier Wochen abgelehnt werde.
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Am 14. November 2024 erhob die Bevollmächtigte des Antragstellers gegen den ablehnenden Asylbescheid vom 6. November 2024 Klage zum Verwaltungsgericht München (M 26b K 24.33639) und stellte gleichzeitig einen Eilantrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Asylklage (M 26b S 24. 33640).
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Gleichzeitig erhob sie Klage gegen den Bescheid vom 8. November betreffend die Einreiseverweigerung (M 26b K 24.33708) und beantragt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO:
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Im Wege einer einstweiligen Anordnung wird dem Antragsteller die Einreise in das Bundesgebiet gestattet.
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Zur Begründung wurde vorgetragen, dass gegen die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet Klage und Eilantrag eingereicht worden sei.
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Am 15. November 2024 beantragte die Bundespolizei die Verlängerung der Zurückweisungshaft längstens bis zum 3. Dezember 2024.
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Die Antragsgegnerin legte die Akten vor und beantragt mit Schriftsatz vom 19. November 2024 im vorliegenden Eilverfahren:
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Der Antrag wird abgelehnt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten des vorliegenden Eilverfahrens sowie der zugehörigen Verfahren M 26b K 24.33708, M 26b K 24. 33639 und 26b S 24.33640 Bezug genommen.
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1. Das Verwaltungsgericht München ist gem. § 53 Nr. 5 VwGO örtlich zuständig, da die für den Antragsgegner handelnde Behörde die Bundespolizeidirektion M. ist. Bei Klagen gegen den Staat ist grundsätzlich auf die Behörde abzustellen, die für ihn gehandelt hat (BVerwGE 71, 183).
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Eine vorrangige Zuständigkeitsvorschrift ist nicht einschlägig. Insbesondere kommt § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, welcher den Regelungen des § 52 Nr. 2 Satz 1 und 2 VwGO vorgeht, hier nicht in Betracht. Zwar handelt es sich hier um eine asylrechtliche Streitigkeit, da die Anwendung des § 18 AsylG inmitten steht, jedoch befindet sich der Antragsteller in Haft und verfügt daher über keine Aufenthaltszuweisung nach dem Asylgesetz. Auch eine Zuständigkeit nach § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO ist nicht gegeben, da die Haft keinen Wohnsitz begründet, so dass gemäß § 52 Nr. 3 Satz 3 VwGO die Auffangvorschrift des § 52 Nr. 5 VwGO Anwendung findet.
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2. Der Antrag auf vorläufige Gestattung der Einreise gemäß § 123 VwGO hat Erfolg.
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2.1. Er ist zulässig, insbesondere statthaft, weil in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage auf Gestattung der Einreise zu erheben ist (BeckOK AuslR/Haderlein, 42. Ed. 1.7.2024, AsylG § 18 Rn. 18, beck-online).
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2.2. Nach § 123 VwGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragspartei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dabei hat die Antragspartei sowohl die Dringlichkeit einer Regelung (Anordnungsgrund) als auch das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) zu bezeichnen und glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 1 und 2, 294 Zivilprozessordnung – ZPO). Der Antrag kann nur Erfolg haben, wenn und soweit sich sowohl Anordnungsanspruch als auch -grund aufgrund der Bezeichnung und Glaubhaftmachung als überwiegend wahrscheinlich erweisen (BayVGH, B.v. 16.8.2010 – 11 CE 10.262 – juris Rn. 20 m.w.N.). Maßgeblich sind die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts.
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Das Gericht kann grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen, es sei denn, dass eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG) schlechterdings notwendig ist, d.h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für die Antragspartei unzumutbar und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein Obsiegen der Antragspartei in der Hauptsache offensichtlich oder doch zumindest überwiegend wahrscheinlich ist.
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2.2.1. Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch auf vorläufige Gestattung der Einreise aus § 18 Abs. 1 AsylG, da von einer Einreiseverweigerung gemäß § 18 Abs. 4 AsylG wegen der Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch das Bundesamt zwingend abzusehen ist.
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Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer, der bei einer Grenzbehörde um Asyl nachsucht, unverzüglich an die zuständige oder, sofern diese nicht bekannt ist, an die nächstgelegene Aufnahmeeinrichtung zur Meldung weiterzuleiten. Es ist ihm somit die Einreise zum Zweck der Prüfung seines Asylgesuchs zu gestatten, es sei denn, es liegen Gründe für eine Einreiseverweigerung vor (§ 18 Abs. 2 AsylG)
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Im vorliegenden Fall hat die Bundespolizei die Einreiseverweigerung auf § 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylG gestützt, wonach dem Ausländer die Einreise verweigert werden kann, wenn er – wie hier – aus einem sicheren Drittstaat im Sinne von § 26a AsylG eingereist ist. Zu den sicheren Drittstaaten gehören nach § 26a Abs. 2 AsyslG die Mitgliedstaaten der EU und somit auch Österreich.
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Allerdings ist nach § 18 Abs. 4 Nr. 1 AsylG von der Einreiseverweigerung abzusehen, wenn die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall seit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts (Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO) durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 6. November 2024 erfüllt. Im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) kann die Einreiseverweigerung daher nicht aufrechterhalten werden.
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Aus § 14 Abs. 3 AsylG, auf den sich die Antragsgegnerin beruft, folgt im Hinblick auf die Einreiseverweigerung nichts Anderes, da diese Vorschrift Fragen der Haft und nicht der Einreiseverweigerung regelt. Gemäß § 14 Abs. 3 AsylG steht die Stellung des Asylantrags der Anordnung oder Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft nicht entgegen, obwohl der Asylbewerber in einem solchen Falle – zumindest vorübergehend – über eine Aufenthaltsgestattung verfügt. Nicht etwa ließe sich mit Verweis auf diese Vorschrift, die bestehende Gestattung zu Fall bringen. Dementsprechend vermag die Vorschrift auch nicht das Recht auf Einreise zu tangieren. Haft und Aufenthaltsgestattung bzw. Recht auf Einreise sind unterschiedliche Regelungsgegenstände. Zur Frage der Fortdauer der Einreiseverweigerung trifft § 14 Abs. 3 AsylG somit gerade keine Regelung, sodass es insoweit beim Verbot der Einreiseverweigerung gemäß § 18 Abs. 4 Nr. 1 AsylG bleibt. Vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass die Prüfung der Haftvoraussetzungen nicht Gegenstand dieses verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist.
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Dem Anspruch auf Einreise auf asylrechtlicher Grundlage steht auch nicht die ursprüngliche, bereits am … Oktober 2024 auf ausländerrechtlicher Rechtsgrundlage ergangene Einreiseverweigerung entgegen. Die Einreiseverweigerung vom … Oktober 2024 hat sich durch die zeitlich nachfolgende Einreiseverweigerung auf asylrechtlicher Grundlage vom … November 2024 erledigt und ist damit gemäß Art. 43 Abs. 2 BayVwVfG unwirksam geworden.
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Der Antragsteller hat daher einen Anordnungsanspruch aus § 18 Abs. 1 AsylG.
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2.2.2. Auch ein Anordnungsgrund im Sinne einer Eilbedürftigkeit liegt vor. Der Antragsteller befindet sich auf Grundlage der zu Unrecht aufrechterhaltenen Einreiseverweigerung weiterhin in Haft. Ausweislich der vorgelegten Behördenakten hat der Antragsgegner am 15. November 2024 eine Verlängerung der Haft als Zurückweisungshaft beantragt und bereitet die Rückführung nach Tunesien noch im November vor. Der Antragsgegner knüpft damit an die zu Unrecht aufrechterhaltene Einreiseverweigerung die Freiheitsentziehung sowie die Rückführung des Antragstellers nach Tunesien und greift daher schwerwiegend in hochrangige Rechtsgüter des Antragstellers ein.
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Vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass eine eventuelle Abschiebung in Vollzug der Abschiebungsandrohung aus dem ablehnenden Asylbescheid vom 6. November 2024 nicht Gegenstand dieser gerichtlichen Entscheidung ist.
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2.4. Im vorliegenden Fall nimmt die vorläufige Gestattung der Einreise die Hauptsache vorweg, da sie vollendete Tatsachen schafft. Dies ist im vorliegenden Fall aber ausnahmsweise zulässig, da der Antragsteller in der Hauptsache zum gegenwärtigen Zeitpunkt aller Voraussicht nach obsiegen würde und die an die Einreiseverweigerung anknüpfende Freiheitsentziehung schwerwiegend in ein hochrangiges Rechtsgut eingreift, sodass ein Abwarten einer Hauptsacheentscheidung für den Antragsteller unzumutbar wäre.
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3. Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).