Titel:
Gerichtsstandsbestimmung bei Ansprüchen auf Einsicht und Rechenschaft gegen die Mitglieder der Erbengemeinschaft eines verstorbenen Liegenschaftsverwalters
Normenketten:
ZPO § 12, § 13, § 27 Abs. 1, § 28, § 29, § 36 Abs. 1 Nr. 2, § 36 Abs. 2, § 59
EGZPO § 9
BGB § 269, § 666, § 673, § 675 Abs. 1, § 1967, § 2058
Leitsätze:
1. Nachlassverbindlichkeiten iSd § 28 ZPO sind die nach § 1967 BGB vom Erblasser herrührenden Schulden (Erblasserschulden) sowie die den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten (Erbfallschulden und Nachlasserbenschulden). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erblasserschulden sind im Zeitpunkt des Erbfalls schon in der Person des Erblassers begründete vererbliche Verpflichtungen gesetzlicher oder vertraglicher Natur, auch wenn die Folgen erst nach dem Erbfall eintreten. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zu den von § 28 ZPO umfassten Nachlasserbenschulden zählen alle Verbindlichkeiten, die auf eine ordnungsgemäße Verwaltung des Nachlasses zurückgehen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ansprüche auf Einsicht und Rechenschaftslegung aus einem mit der Erblasserin abgeschlossenen Verwaltervertrag sind auch dann, wenn sie aus der tatsächlichen Weiterführung der Verwaltertätigkeit nach dem Tod der Erblasserin herrühren, Nachlasserbenschulden. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
5. Der Erbfall führt nicht zu einer Änderung des Erfüllungsorts iSd § 269 BGB. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuständigkeitsbestimmung, Nachlassverbindlichkeiten, ungeteilte Erbengemeinschaft, Gerichtsstand, Bayerische Oberste Landesgericht, Erfüllungsort, Verwaltertätigkeit, Weiterführung der Verwaltertätigkeit, Nachlasserbenschulden, Einsicht, Rechenschaft
Vorinstanz:
AG München vom -- – 154 C 14078/24
Fundstellen:
ErbR 2025, 418
FamRZ 2025, 1046
ZEV 2025, 275
BeckRS 2024, 33084
LSK 2024, 33084
Tenor
Der Antrag auf Bestimmung eines örtlich zuständigen Gerichts wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Der in E. wohnhafte Kläger reichte beim Amtsgericht München eine Klageschrift vom 14. März 2024 ein, gerichtet gegen die Beklagte J. mit Wohnsitz in M.. Er beantragte, diese zu verurteilen, ihm Einsicht zu gewähren in sämtliche Verwaltungsunterlagen seines Grundbesitzes in W., eingetragen im Grundbuch von G., insbesondere in sämtliche Kontoauszüge aller Bankkonten für die Verwaltung der Liegenschaft und in sämtliche Belege für die in den Jahresabrechnungen 2001 bis 2023 eingestellten Einnahmen und Ausgaben. Ferner solle die Beklagte J. ihm über ihre Verwaltungstätigkeit vollständige Rechenschaft und vollständige und richtige Abrechnung erteilen. Der Kläger sei Eigentümer der genannten Liegenschaft. Mit Verwaltervertrag vom 28./29. Dezember 2000 sei die Beklagte mit der Verwaltung der Liegenschaft betraut worden. Sie habe trotz Fremdvermietung der Liegenschaft zu keinem Zeitpunkt Abrechnung über ihre Tätigkeit erteilt. Nach Kenntnis des Klägers habe die Beklagte J. ihre Verwaltertätigkeit mit Ablauf des Jahres 2023 eingestellt. Die ihr vom Kläger gesetzte Frist zur Auskunftserteilung und Abrechnung sei fruchtlos verstrichen.
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Nachdem die vom Amtsgericht München am 12. April 2024 verfügte Zustellung nicht möglich war, erklärte der Kläger mit Schriftsatz vom 24. Juni 2024, er „berichtige“ das Passivrubrum dahingehend, dass die oben genannten Antragsgegner nunmehr als Beklagte in ungeteilter Erbengemeinschaft in Anspruch genommen würden. Ausweislich der Mitteilung des Amtsgerichts München, Abteilung für Nachlasssachen, vom 19. Juni 2024 sei die beklagte J. am 16. Januar 2020 verstorben und von den oben genannten Antragsgegnern zu je 1/2 beerbt worden. Das Amtsgericht München verfügte am 25. Juni 2024 die Eintragung der Antragsgegner als Beklagte. Die Klageschrift wurde der Beklagten zu 2) am 29. Juni 2024 und dem Prozessvertreter des Beklagten zu 1) für diesen am 21. August 2024 zugestellt.
3
Die Beklagten beantragten Klageabweisung. Der Verwaltervertrag sei nicht mit der Erblasserin J., sondern mit J. e. K. abgeschlossen worden. Inhaber der Firma seien seit dem Erbfall die Beklagten in ungeteilter Erbengemeinschaft. Im Übrigen sei die Klage unzulässig. Bei einer Klage gegen beide Beklagten persönlich als Streitgenossen sei M. nicht der gemeinschaftliche Gerichtsstand, da die beiden Beklagten bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand hätten.
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Mit an das Oberlandesgericht München gerichtetem Schriftsatz vom 28. August 2024 hat der Kläger beantragt, in dem Rechtsstreit „das zuständige Gericht“ zu bestimmen. Der Beklagte zu 1) habe seinen Wohnsitz im Bezirk des Amtsgerichts Kelheim, die Beklagte zu 2) in M.. Ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand sei nicht begründet. Die Beklagten haben übereinstimmend beantragt, das Amtsgericht Kelheim als zuständiges Gericht zu bestimmen. Der Beklagte zu 1) erledige die Geschäfte nach der verstorbenen Mutter. Die Immobilie liege in der Nähe. In München habe sich zuletzt nur noch der Wohnsitz der Verstorbenen befunden. Nach Anhörung der Parteien hat das Oberlandesgericht München das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren mit Beschluss vom 2. September 2024 an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben.
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Der Kläger hat im hiesigen Verfahren ausgeführt, es möge dem Antrag der Beklagten auf Bestimmung des Amtsgerichts Kelheim gefolgt werden. Die Beklagten haben ihre Bitte um Bestimmung dieses Gerichts als das sachnächste Gericht wiederholt.
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Der Antrag auf Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts ist zurückzuweisen, da die Voraussetzungen nicht vorliegen.
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1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist bzw. wäre gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO für die Bestimmung des gemeinsam örtlich zuständigen Gerichts zuständig. Die Antragsgegner haben ihren allgemeinen Gerichtsstand, §§ 12, 13 ZPO, beim Amtsgericht Kelheim (Landgerichtsbezirk Regensburg) bzw. Amtsgericht München (Landgerichtsbezirk München I), sodass das im Instanzenzug nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht in der hier vorliegenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeit der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle entscheidet das Bayerische Oberste Landesgericht, weil das mit der Sache bereits befasste Gericht in Bayern liegt.
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2. Eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt über den Wortlaut der Vorschrift („verklagt werden sollen“) hinaus auch noch in Betracht, wenn gegen alle Beklagten bereits eine Klage vor demselben Gericht erhoben worden ist (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2020, X ARZ 156/20, NJW-RR 2020, 1070 Rn. 10; BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 105/22, juris Rn. 17; jeweils m. w. N.). Der Verfahrensstand stünde vorliegend einer Zuständigkeitsbestimmung nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 1983, I ARZ 334/83, BGHZ 88, 331 [juris Rn. 9]; BayObLG, Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 105/22, juris Rn. 18).
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3. Nach dem insoweit allein maßgeblichen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 24. August 2023, 102 AR 154/23 e, juris Rn. 20; Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 105/22, juris Rn. 19) und schlüssigen Vorbringen des Klägers sollen die Beklagten als Streitgenossen im Sinne von § 59 ZPO in Anspruch genommen werden. Der Kläger stützt seine Klage auf Einsichtsrechte und Rechenschaftspflichten, die sich aus dem nach seinem Vortrag mit der verstorbenen Erblasserin selbst geschlossenen Verwaltervertrag ergäben. Die jetzigen Beklagten werden vom Kläger aufgrund ihrer Stellung als gemeinsame Erben in ungeteilter Erbengemeinschaft in Anspruch genommen (vgl. §§ 1967, 2058 BGB).
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4. Eine Gerichtsstandsbestimmung kommt aber vorliegend nicht in Betracht, da eine gerichtliche Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO voraussetzt, dass für den Rechtsstreit kein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand im Inland eröffnet ist. Vorliegend ist für die Klage gegen beide Antragsgegner jedoch das Amtsgericht München nach § 28 ZPO örtlich zuständig.
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a) Gemäß § 28 ZPO können im Gerichtsstand der Erbschaft Klagen wegen anderer, also nicht unter § 27 ZPO fallender Nachlassverbindlichkeiten erhoben werden, solange sich der Nachlass noch ganz oder teilweise im Bezirk des Gerichts befindet oder die vorhandenen mehreren Erben noch als Gesamtschuldner haften. Nachlassverbindlichkeiten im Sinne des § 28 ZPO sind die nach § 1967 BGB vom Erblasser herrührenden Schulden (Erblasserschulden) sowie die den Erben als solchen treffenden Verbindlichkeiten (Erbfallschulden und Nachlasserbenschulden) (Roth in Stein, ZPO, 24. Aufl. 2024, § 28 Rn. 2; Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 28 Rn. 2; Toussaint in BeckOK ZPO, 54. Ed. 1. September 2024, § 28 Rn. 2 f.; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 28 Rn. 2). Erblasserschulden sind im Zeitpunkt des Erbfalls schon in der Person des Erblassers begründete vererbliche Verpflichtungen gesetzlicher oder vertraglicher Natur, auch wenn die Folgen erst nach dem Erbfall eintreten (OLG Celle, Beschluss vom 22. März 2021, 17 AR 3/21, juris Rn. 13). Zu den von § 28 ZPO umfassten Nachlasserbenschulden zählen alle Verbindlichkeiten, die auf eine ordnungsgemäße Verwaltung des Nachlasses zurückgehen (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2008, X ARZ 69/08, NJW-RR 2008, 1516 Rn. 11; Roth in Stein, ZPO, § 28 Rn. 2; Schultzky in Zöller, ZPO, § 28 Rn. 2; Toussaint in BeckOK ZPO, § 28 Rn. 2; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, § 28 Rn. 2). Dazu gehören auch Schadensersatzansprüche nach § 280 BGB aus Pflichtverletzungen eines Erben hinsichtlich der im Rahmen der Nachlassabwicklung geschlossenen Verträge (Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, § 28 Rn. 5). Die schlüssige Darlegung einer Nachlassverbindlichkeit durch den Kläger genügt (BGH NJW-RR 2008, 1516 Rn. 10). Handelt es sich um mehrere Erben, kommt es für die Anwendbarkeit des § 28 ZPO nicht darauf an, ob sich ein Nachlassgegenstand im Gerichtsbezirk befindet; entscheidend ist allein, dass die vorhandenen Erben noch als Gesamtschuldner haften (BGH NJW-RR 2008, 1516 Rn. 12). Gerichtsstand der Erbschaft ist gemäß §§ 28, 27 Abs. 1 ZPO dort, wo der Erblasser zur Zeit seines Todes den allgemeinen Gerichtsstand hatte (BGH NJW-RR 2008, 1516 Rn. 13; BayObLG, Beschluss vom 4. August 2005, 1Z AR 145/05, NJW-RR 2006, 15 [juris Rn. 4]).
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b) Nach diesen Grundsätzen sind vorliegend die Voraussetzungen einer Nachlassverbindlichkeit im Sinne des § 28 ZPO vom Kläger schlüssig dargelegt.
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Der Kläger macht Ansprüche auf Einsicht und Rechenschaftslegung gemäß §§ 666, 675 Abs. 1 BGB gegen die Beklagten aus dem Verwaltervertrag geltend, den noch die Erblasserin selbst abgeschlossen hatte. Beim Tod des Beauftragten bereits entstandene Verbindlichkeiten nach § 666 BGB gehen auf die Erben über (BGH, Urt. v. 8. Juni 1988, IVa ZR 57/87, BGHZ 104, 369 [juris Rn. 8]; F. Schäfer in Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2023, § 673 Rn. 8; D. Fischer in BeckOK BGB, 71. Ed. 1. Mai 2024, § 28 Rn. 2), so dass es sich grundsätzlich um Erblasserschulden handelt. Allerdings ist die Erblasserin nach klägerischem Vortrag bereits im Januar 2020 verstorben und die eingeklagten Ansprüche beziehen sich auch auf spätere Zeiträume bis 2023. Insoweit handelt es sich aber nach dem Vortrag des Klägers um Nachlasserbenschulden, da nach dem Vortrag des Klägers die Verwaltertätigkeit bis Ende 2023 fortgeführt wurde. Ob dabei der Verwaltervertrag nach § 675 Abs. 1, § 673 BGB durch den Tod der Erblasserin endete und es sich gegebenenfalls noch um Maßnahmen nach § 673 Satz 2 BGB handelte oder ob der Vertrag entgegen der Auslegungsregel nach § 675 Abs. 1, § 673 Satz 1 BGB mit den Erben als Gesamtrechtsnachfolgern nach § 1922 BGB fortbestand, ist nicht maßgeblich. Unabhängig davon sind aus der tatsächlichen Weiterführung der Verwaltertätigkeit nach dem Tod der Erblasserin herrührende Verpflichtungen solche aus der (ordnungsgemäßen) Verwaltung des Nachlasses und damit Nachlasserbenschulden. Des Weiteren ist nach dem Vortrag des Klägers die Erbengemeinschaft der Beklagten bislang nicht auseinandergesetzt, so dass diese gemäß §§ 1967, 2058 BGB gesamtschuldnerisch für Nachlassverbindlichkeiten haften.
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Gerichtsstand der Erbschaft nach §§ 28, 27 Abs. 1 ZPO ist M.. Der Kläger hat die Erblasserin unter einer Adresse in München verklagt; auch die jetzigen Beklagten haben im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren vorgetragen, der Wohnsitz der Verstorbenen habe sich zuletzt in München befunden.
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Nur ergänzend sei darauf verwiesen, dass sich auch aus § 29 ZPO, § 269 BGB ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand für eine Klage gegen die Beklagten ergab. Da der Kläger Ansprüche aus dem Verwaltervertrag gegen die Beklagten geltend macht, kommt es nach § 269 BGB darauf an, wo die Verbindlichkeiten der Erblasserin zu erfüllen waren. Der Erbfall führt nicht zu einer Änderung des Erfüllungsorts (Beurskens in beck-online.OGK, Stand: 1. August 2024, BGB, § 269 Rn. 74). Dieser Erfüllungsort besteht mithin unabhängig von den unterschiedlichen allgemeinen Gerichtsständen der Beklagten einheitlich für sämtliche eingeklagten Ansprüche.
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c) Eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO kommt daher in Hinblick auf den gemeinsamen besonderen Gerichtsstand (in München) nicht in Betracht. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die verwaltete Liegenschaft sich in der Nähe des allgemeinen Gerichtsstands des Antragsgegners zu 1) beim Amtsgericht Kelheim befindet und daher nach Ansicht der Parteien eine Zuständigkeit dieses Gerichts sinnvoll erschiene. § 36 Abs. 1 ZPO enthält keine Generalklausel dahingehend, dass eine Zuständigkeitsbestimmung immer dann zulässig ist, wenn die Bestimmung eines einheitlichen (bestimmten) Gerichts aus prozessökonomischen Gründen zweckmäßig erscheint (vgl. BayObLG, Beschluss vom 30. August 2024, 102 AR 99/24 e, juris Rn. 36 m. w. N.).
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. BayObLG, Beschluss vom 12. Juni 2019, 1 AR 12/18, NJW-RR 2019, 957 Rn. 4 ff.).