Titel:
Gegenstandswert bei Unterlassungsanspruch des Betriebsrats in einer mitbestimmungsrechtlichen Angelegenheit
Normenketten:
RVG § 23 Abs. 3 S. 2 Hs. 2, § 33
BetrVG § 9, § 87 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3
Leitsatz:
Die Kammer folgt der Empfehlung in Ziff. II Nr. 17 iVm Nr. 11 des Streitwertkatalogs für die Arbeitsgerichte 2024, den Gegenstandswert des Unterlassungsantrags des Betriebsrats in einer mitbestimmungsrechtlichen Angelegenheit "ohne Staffelung" festzusetzen. Auch wenn die streitwertmäßige Bedeutung einer Auseinandersetzung um das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts nach der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer zu bemessen ist, erfordert dies nicht, sich an der Staffel des § 9 BetrVG zu orientieren (entgegen LAG Hamm BeckRS 2009, 60494; BeckRS 2005, 42664; LAG Hamburg BeckRS 2023, 11990; BeckRS 2021, 6226; BeckRS 2016, 65272; BeckRS 2010, 68790). (Rn. 22 und 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gegenstandswert, Unterlassungsanspruch, Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Streitwertkatalog, Staffelung
Vorinstanz:
ArbG München, Beschluss vom 13.05.2024 – 30 BV 62/22
Fundstelle:
BeckRS 2024, 32953
Tenor
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 13.05.2024 – 30 BV 62/22 – wird dieser abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe
1
Im vorliegenden Beschwerdeverfahren begehrt die Beteiligte zu 2 (= Antragsgegnerin, im Folgenden: Arbeitgeberin) die Festsetzung eines niedrigeren Gegenstandswertes.
2
Die Arbeitgeberin beschäftigt in ihrem Betrieb Zentrale (Verwaltung und sonstige zentrale Dienste wie technische Leistungen), in dem der zu 2. beteiligte Betriebsrat gewählt ist, ca. 1.700 Arbeitnehmer. Dabei sind 973 Arbeitnehmer 66 Dienstplänen zugeordnet. Im Dezember 2021 stimmte der Betriebsrat dem Dienstplan für die Abteilung Leitwarte zu. Mit Antrag vom 02.02.2022 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zur Einteilung des Arbeitnehmers D. aus der Abteilung Leitwarte an seinen ursprünglich dienstfreien Tagen am 05.02.2022 und 06.02.2022, was der Betriebsrat ablehnte. Der Arbeitnehmer D. leistete seine Arbeit an beiden Tagen. Ebenfalls unter dem 02.02.2022 informierte die Arbeitgeberin den Betriebsrat darüber, dass dieser Arbeitnehmer am 08.02.2022 zur Ableistung von Diensten eingeteilt werde, die eine Unterschreitung der gesetzlichen Mindestruhezeit zwischen zwei Diensten zur Folge habe würde; die Ruhezeit betrage lediglich 8 Stunden. Der Betriebsrat stimmte dem nicht zu. Mit einem weiteren Antrag vom 22.12.2022 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung zur Ableistung einer verlängerten Dienstzeit am 22.12. und 23.12.2022 auf 10 bzw. 12 Dienststunden durch den Arbeitnehmer H. aus der Abteilung Leitwarte. Mit weiterem Antrag vom 22.12.2022 beantragte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zur Einteilung der Arbeitnehmerin E. aus der Abteilung Leitwarte an ihrem ursprünglich dienstfreien Tag am 22.12.2022 im Umfang von vier Arbeitsstunden und am 23.12.2022 zur Ableistung einer verlängerten Dienstzeit von 12 Dienststunden. Der Betriebsrat stimmte beiden Anträgen in seiner Sitzung am 28.12.2022 nicht zu; die Arbeitsleistung wurde in beiden Fällen abgefordert und erbracht.
3
Im Ausgangsverfahren hat der Betriebsrat nachfolgenden Antrag angekündigt:
I. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es zu unterlassen, Arbeitnehmer:Innen zu Zeiten zur Arbeitsleistung heranzuziehen oder diese entgegenzunehmen, zu denen vereinbarte Dienstpläne keine Arbeitsleistung vorgesehen haben, ohne dass diesem vom Betriebsrat zugestimmt wurde oder dass dessen Zustimmung durch eine Einigungsstelle ersetzt worden wäre.
II. Der Beteiligten zu 2. wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Antrag Ziffer I ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu € 10.000,00 angedroht.
4
Durch Beschluss vom 16.05.2023 hat das Arbeitsgericht München antragsgemäß den Anhörungstermin aufgehoben und bestimmt, dass ein neuer Termin auf Antrag einer der Beteiligten bestimmt werde.
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Mit Schriftsatz vom 09.04.2024 hat der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats beantragt, den Gegenstandswert gem. §§ 8 Abs. 1 S. 2, 33 Abs. 1 RVG auf mindestens 35.000,00 € festzusetzen. Im Rahmen der Wertfestsetzung nach § 23 Abs. 3 RVG biete bei Streitigkeiten um Beteiligungsrechte aus § 87 Abs. 1 BetrVG die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer einen gewichtigen Anhaltspunkt für die Bedeutung der Angelegenheit. Ausgehend vom Grundfall (bis zu 20 Arbeitnehmer) könnten für die weiteren in § 9 BetrVG vorgesehenen Staffelungen jeweils zusätzlich 5.000,00 € zu berücksichtigen sein. Da die Heranziehung zu Arbeitszeiten, zu denen vereinbarte Dienstpläne keine Arbeitsleistung vorsähen, ohne dass diesem vom Betriebsrat zugestimmt wurde oder dass dessen Zustimmung durch eine Einigungsstelle ersetzt worden wäre, grundsätzlich jeden Arbeitnehmer des Betriebs treffen könne, der in eine Dienstplangruppe eingeteilt sei, führe dies bei 973 Beschäftigten zur 7. Stufe des § 9 BetrVG und einem Gegenstandswert von 35.000,00 €.
6
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
den Gegenstandswert auf 10.000,00 € festzusetzen.
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Es sei nur um eine Abteilung gegangen; eine Generalisierung sei nicht angebracht. Gegenstand des Verfahrens sei nicht die Dienstplanung der einzelnen Beschäftigten, sondern das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Ganzen. Es bestehe in betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten ein Kostenbegrenzungsgebot. Der weit gefasste Antrag rechtfertige nur eine Verdopplung des Regelwertes nach § 23 Abs. 3 S. 2 RVG.
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Das Arbeitsgericht hat den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit durch Beschluss vom 13.05.2024 – 30 BV 62/22 – gem. § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG und unter Berücksichtigung der §§ 9, 87 BetrVG auf 35.000,00 € festgesetzt. Es sei von ca. 970 potentiell durch die Dienstplanregelung betroffenen Arbeitnehmer auszugehen. Der Antrag beschränke sich nicht auf eine Abteilung der Arbeitgeberin, sondern betreffe letztlich sämtliche Arbeitnehmer, deren Arbeitszeiten über Dienstpläne geregelt würden.
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Gegen diesen, ihr am 15.05.2024 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am 29.05.2024 Beschwerde eingelegt. Der Gegenstandswert sei auf 10.000,00 € festzusetzen. Die weite Fassung des Antrags sei verfahrenstechnisch fraglich, da sich aus dem Sachvortrag ergebe, dass nur eine Abteilung betroffen gewesen sei. Zudem wirke die weite Fassung vor dem Hintergrund des Kostenbegrenzungsgebots „etwas“ willkürlich.
10
Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landesarbeitsgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Es lägen weder nach dem Wortlaut noch nach der Begründung Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antrag auf eine geringere Anzahl von Arbeitnehmern bezogen gewesen sei. Dass die herangezogenen Verstöße ggf. lediglich eine Abteilung getroffen hätten, schränke das Begehren des Antragstellers nicht ein.
11
Der Betriebsrat hat hervorgehoben, dass sich die Antragstellung auf Abweichungen von Dienstplänen an sich bezogen habe und nicht nur auf die einer Abteilung.
12
Die nach § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthafte Beschwerde ist zulässig und begründet.
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1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden, § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG. Der Beschwerdewert des § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG ist bei einem um 15.000,00 € niedrigeren Gegenstandswert erreicht.
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2. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Gegenstandswert ist auf 5.000,00 € festzusetzen, §§ 33 Abs. 1, 23 Abs. 3 S. 2 HS 2 RVG.
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a) Die seit dem 01.06.2023 für Gegenstands- und Streitwertbeschwerden zuständige Kammer gibt die von ihr bisher vertretene Auffassung ausdrücklich auf, dass die Entscheidung des Erstgerichts vom Beschwerdegericht nur auf Ermessensfehler zu überprüfen ist und das Beschwerdegericht keine eigene hiervon unabhängige Ermessensentscheidung zu treffen hat (vgl. LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 50 f.).
16
b) Die Beschwerdekammer folgt im Interesse der bundesweiten Vereinheitlichung der Rechtsprechung zur Wertfestsetzung und damit verbunden im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit bei bestimmten typischen Fallkonstellationen den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission, die im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte niedergelegt sind, derzeit in der Fassung vom 01.02.2024 (im Folgenden: Streitwertkatalog 2024, abgedruckt in NZA 2024, 307 ff.; ebenso LAG Nürnberg, Beschluss vom 30.07.2014 – 4 Ta 83/14 – Rn. 18 und Beschluss vom 29.07.2021 – 2 Ta 72/21 – Rn. 9; LAG Hessen, Beschluss vom 04.12.2015 – 1 Ta 280/15 – Rn. 7 m.w.Nachw.; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 09.02.2016 – 5 Ta 264/15 – Rn. 4; LAG Hamburg, Beschluss vom 20.5.2016 – 5 Ta 7/16 – Rn. 10; LAG Sachsen, Beschluss vom 28.10.2013 – 4 Ta 172/13 (2) unter II. 1 der Gründe¸ LAG Hamm Beschluss vom 26.10.2022 – 8 Ta 198/22 – Rn. 11; LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 52 f.). Dabei wird nicht verkannt, dass der Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichte nicht bindend ist.
17
c) Der aktuell gültige Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit enthält in Ziff. II. 17 die Empfehlung, dass der Gegenstandswert bei einem Beschlussverfahren mit dem Streitgegenstand „Unterlassungsanspruch“ entsprechend dem Wert des streitigen Mitbestimmungsrechts in sozialen Angelegenheit nach II. Nr. 11 Streitwertkatalog 2024 ausgehend vom Hilfswert nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG festgesetzt wird und hierbei abhängig vom Gegenstand des Mitbestimmungsrechts und der Bedeutung des Einzelfalls (organisatorische und wirtschaftliche Auswirkungen, Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer u. a.) eine Herauf- oder Herabsetzung des Wertes ohne Staffelung erfolgen kann.
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Diese Empfehlung des Streitwertkatalogs 2024 wird auch von der erkennenden Beschwerdekammer zugrunde gelegt. Bei Anträgen auf Unterlassung mitbestimmungswidrigen Verhaltens handelt es sich um nichtvermögensrechtliche Gegenstände, da sie weder auf einer vermögensrechtlichen Beziehung beruhen noch auf Geld oder Geldeswert gerichtet sind (vgl. LAG Hamburg, Beschluss vom 13.01.2014 – 6 Ta 22/13 – unter II. 2. a) der Gründe; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.03.2010 – 1 Ta 24/10 – unter II. 2 der Gründe).
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Für die Bewertung nichtvermögensrechtlicher Gegenstände bestimmt § 23 Abs. 3 S. 2 HS 2 RVG ausdrücklich, dass der Gegenstandswert mit 5.000,00 €, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000,00 € anzunehmen ist (ebenso NK-ArbR/Müller, 2. Aufl. 2023, RVG § 23 Rn. 35 und 36; GK-ArbGG/Schleusener, Januar 2024, § 12 ArbGG Rn. 467). In Anlehnung an § 48 Abs. 2 GKG wird dieser Wert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Bedeutung der Sache bestimmt (vgl. Riedel/Sußbauer RVG/Potthoff, 10. Aufl. 2015, RVG § 23 Rn. 268; TZA ArbR-Streitwert/Paschke, Teil 1 B. Rn. 121; BAG, Beschluss vom 14.12.2016 – 7 ABR 8/15 – Rn. 40). Dabei können der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit regelmäßig keine Herauf- oder Herabsetzung des Gegenstandswertes rechtfertigen (so auch GKArbGG/Schleusener, Januar 2024, § 12 Rn. 427; Ralf Henssen/Thomas Gerretz in: Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, 5. Auflage 2022, § 80 ArbGG Rn. 13; a.A. aber BAG, Beschluss vom 14.12.2016 – 7 ABR 8/15 – Rn. 40). Auch der Einwand, die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers sei (sehr) angespannt, kann die Höhe des Gegenstandswertes regelmäßig nicht mindern (vgl. LAG Hamm, Beschluss vom 02.02.2009 – 10 Ta 801/08 –). Die Bedeutung eines Mitbestimmungsrechts steht nicht in Relation zur finanziellen Lage des Arbeitgebers, der dies verletzt (zu allem vgl. LAG München, Beschluss vom 19.10.2023 – 3 Ta 172/23 – Rn. 15 ff.).
20
In der landesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung wurde eine Erhöhung bzw. Vervielfachung des Gegenstandswerts in den Fällen durchgeführt, in denen es um die Verletzung grundlegender Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats von erheblicher Bedeutung ging (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 01.03.2010 – 1 Ta 24/10 – für das Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG;), eine Vielzahl von Arbeitnehmern betroffen war (vgl. LAG Hamburg, Beschluss vom 13.01.2014 – 6 Ta 22/13 –) und der Arbeitgeber wiederholt und beständig gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten verstoßen hatte (vgl. LAG Köln, Beschluss vom 04.06. 2007 – 9 Ta 104/07242 –).
21
d) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist für den Gegenstandswert des hiesigen Beschlussverfahrens ein einfacher Wert i. S. d. § 23 Abs. 3 S. 2 HS 2 RVG, d. h. 5.000,00 €, festzusetzen.
22
aa) Der Empfehlung der Ziff. II Nr. 17 i. V. m. Nr. 11 Streitwertkatalog 2024, den Gegenstandswert des Unterlassungsantrags „ohne Staffelung“ festzusetzen, ist zu folgen. Auch wenn die streitwertmäßige Bedeutung einer Auseinandersetzung um das Bestehen eines Mitbestimmungsrechtes nach der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer zu bemessen ist, erfordert dies nicht, sich an der Staffel des § 9 BetrVG zu orientieren (so aber LAG Hamm, Beschluss vom 02.08.2005 – 13 TaBV 10/05 –; vom 23.03.2009 – 10 Ta 83/09 –; vom 23.03.2009 – 10 Ta 83/09 –; ihm folgend LAG Hamburg, Beschluss vom 30.11.2009 – 4 Ta 12/09 – unter II. 2. b) cc); Beschluss vom 28.12.2015 – 6 Ta 24/15 – Rn.; Beschluss vom 31.03.2021 – 5 TaBV 12/19 – Rn. 7; Beschluss vom 12.04.2023 – 7 Ta 4/23 – Rn. 39). Eine Begründung für diese Orientierung wird nicht gegeben und ist auch nicht ersichtlich.
23
Die schematische Erhöhung des Gegenstandswerts um den Regelwert von 5.000,00 € bei Erreichen einer weiteren Stufe des § 9 BetrVG lässt außer Acht, dass die Erhöhung und Herabsetzung des Wertes des § 23 Abs. 3 S. 2 HS 2 RVG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls („nach Lage des Falles“) zu erfolgen hat und damit im Rahmen der Wertfestsetzung eine wertende Betrachtung aller Umstände und die Einbeziehung auch weiterer Umstände als die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer geboten ist. Darüber hinaus geht es um das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 BetrVG und nicht um die Arbeitszeit der einzelnen Beschäftigten. Schließlich ist bei der Gegenstandswertfestsetzung der Grundtendenz des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zu entsprechen, wonach die der Arbeitgeberin obliegende Verpflichtung, die außergerichtlichen Kosten des Betriebsrats zu tragen, nicht zu einer unangemessenen Belastung führen darf (vgl. LAG Hamm, Beschluss vom 23.01.2006 – 13 TaBV 200/05 – unter II. 2. der Gründe; Altenburg in: Münchner Anwaltshandbuch Arbeitsrecht, Hrsg. Moll, 5. Auflage 2021, Teil A § 3 Rn. 139). In Betrieben mit einer hohen Anzahl von Beschäftigten besteht bei Anwendung der Staffelung nach § 9 BetrVG aber die Gefahr, dass der Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht in wenigen Fällen wegen der Beschäftigtenzahl zu einem Vielfachen des Regelwertes des § 23 Abs. 3 S. 2 2. HS RVG führt. Diese Gründe sprechen dafür, bei steigender Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer den Wert i. S. d. § 23 Abs. 3 S. 2 2. HS RVG losgelöst von der Staffel des § 9 BetrVG zu vervielfältigen (so auch für Beschlussverfahren in Zusammenhang mit Unterlassungsansprüchen LAG Köln, Beschluss vom 04.06. 2007 – 9 Ta 104/07 – Überstundenanordnungen; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 04.05.2006 – 6 Ta 233/06 – Sonderschichtenanordnungen; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 23.02.2016 – 1 Ta 19/16 – nicht genehmigtes „Holen aus dem Frei“; LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 26.07.2010 – 5 Ta 137/10 – Durchführung von Dienstplänen; LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 19.07.2007 – 1 Ta 162/07 – Sonderschichten; ArbG Dresden, Beschluss vom 12.02.2008 – 6 BVGa 8/07 –).
24
bb) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze wird der einfache Ausgangswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG der Bedeutung der vorliegenden Angelegenheit gerecht.
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Die Arbeitgeberin hat das Beteiligungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 BetrVG missachtet, aber lediglich in sieben Fällen in Bezug auf drei Arbeitnehmer aus einer Abteilung. Dies ist bei 973 Arbeitnehmern, die 66 Abteilungen zugeordnet sind, ein geringer Anteil von betroffenen Arbeitnehmern, so dass die Bedeutung der Angelegenheit für die Beteiligten nicht über den einfachen Ausgangswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG hinausgeht. Die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats legen auch nicht dar, warum die sieben Fälle in Bezug auf drei Arbeitnehmer ein Indiz für das künftige Verhalten der Arbeitgeberin in Bezug auf alle 973 Arbeitnehmer, die auf der Grundlage von 66 Dienstplänen beschäftigt werden, sind. Alle drei Arbeitnehmer gehörten der Abteilung Leitwarte an; es sind keine Umstände vorgetragen oder ersichtlich, dass die Arbeitgeberin Arbeitnehmer anderer Abteilungen in vergleichbarer Art und Weise zu Diensten heranziehen werde. Derartige Sachverhalte sind im Laufe des Verfahrens, dass bis zur Ruhendstellung über ein Jahr dauerte, nicht eingetreten. Die sieben Fällen ereigneten sich zudem nicht in einem engen zeitlichen Zusammenhang, so dass bei Antragstellung nicht hatte angenommen werden können, im Verlaufe des Verfahrens werde sich eine Vielzahl von betroffenen Arbeitnehmern ergeben. Vielmehr lagen zwischen den ersten drei Fällen betreffend den Arbeitnehmer D. und den vier Fällen betreffend die Arbeitnehmer H. und E. ca. 10 Monate.
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Schließlich kann im Streitfall nicht von einer derartigen Hartnäckigkeit des mitbestimmungswidrigen Verhaltens der Arbeitgeberin ausgegangen werden, dass eine Verdoppelung des Hilfsstreitwertes gerechtfertigt wäre. Die Arbeitgeberin verhandelte seit Herbst 2021 mit dem Betriebsrat über Lösungen des Personalmangels allgemein und insbesondere in der Abteilung Leitwarte, was schließlich zu dem BV-Entwurf „Dienstplangestaltung inklusive Ausfallkonzept“ im Frühjahr 2023 führte. Dieser Umstand spricht dagegen, dass die Arbeitgeberin das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nachhaltig missachten wollte. Bei der Abteilung Leitwarte handelt es sich zudem um einen Bereich, dessen Besetzung für den Betrieb des Klinikums insgesamt essentiell ist, so dass die Arbeitgeberin angab, sich in einem „Konflikt zwischen Mitbestimmung und Versorgungsauftrag“ befunden zu haben.
27
cc) Bei Beschwerden gem. § 33 Abs. 3 RVG gegen die Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren ist nach st. Rspr. der Beschwerdekammer (vgl. LAG München, Beschluss vom 06.06.2023 – 3 Ta 59/23 – Rn. 88) auch eine Verschlechterung (reformatio in peius) möglich.
28
e) Die Androhung von Ordnungsmitteln im Beschlussverfahren ist hinsichtlich des Gegenstandswertes nicht werterhöhend zu berücksichtigen (vgl. LAG Hamburg, Beschluss vom 28.12.2015 – 6 Ta 24/15 – Rn.19). Gebührenrechtlich ist die der Verurteilung vorausgehende Androhung keine besondere Angelegenheit im Sinne von § 18 RVG und mit der Verfahrensgebühr abgegolten, § 19 Abs. 2 Nr. 5 RVG (vgl. LAG Düsseldorf, Beschluss vom 04.05.2006 – 6 Ta 233/06 –; Seibel in: Zöller, ZPO, 23. Aufl. § 890 Rn. 28).
29
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, weil den Beteiligten Kosten nicht erstattet werden, § 33 Abs. 9 S. 2 RVG. Da die Beschwerde Erfolg hatte, ist die Gebühr nach Nr. 8614 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG nicht zu erheben.
30
Diese Entscheidung, die gem. § 78 S. 3 ArbGG durch die Vorsitzende der Beschwerdekammer allein ergeht, ist unanfechtbar, § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG.