Inhalt

OLG München, Endurteil v. 08.02.2024 – 23 U 8130/21
Titel:

Kein Anspruch auf Schadensersatz (auch nicht Differenzschaden) im Zusammenhang mit dem von Audi entwickelten und hergestellten 3,0-Liter-Motor (hier: Audi A6 Avant allroad 3.0 TDI)

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 138, § 286
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; BeckRS 2023, 15119; KG BeckRS 2023, 33393; OLG Celle BeckRS 2023, 34908; OLG Hamm BeckRS 2021, 37295; OLG München BeckRS 2023, 32991; OLG Saarbrücken BeckRS 2022, 34471; OLG Stuttgart BeckRS 2024, 738; OLG Bamberg BeckRS 2023, 31419 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG München BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nur dann, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für die Herstellerin handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3. Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (stRspr BGH BeckRS 2023, 15117). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ist nicht nur der Aussteller der Übereinstimmungsbescheinigung, sondern sind alle mit den Fragen der Zulässigkeit des Emissionskontrollsystems befassten Personen davon ausgegangen, dass das im Fahrzeug eingesetzte Thermofenster nicht als unzulässige Abschalteinrichtung zu beurteilen ist, genügt dies für die schlüssige Darlegung eines Verbotsirrtums der Herstellerin. (Rn. 24 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi, 3.0 l V6 Dieselmotor, EA896Gen1, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, SCR-Katalysator, Kühlmittel-Sollwert-Temperatur, (kein) verpflichtender Rückruf, Differenzschaden, unvermeidbarer Verbotsirrtum
Vorinstanz:
LG Traunstein, Urteil vom 12.10.2021 – 8 O 1669/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 3294

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 12.10.2021, Az. 8 O 1669/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Traunstein ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

1
Von der Fertigung eines Tatbestands wird gemäß § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist. Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Mindestbeschwer für die Nichtzulassungsbeschwerde von über 20.000 € gemäß § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wird von keiner Partei erreicht.
2
Die zulässige Berufung der Klagepartei ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist in den zuletzt noch gestellten Anträgen unbegründet.
3
Über sie allein war noch zu entscheiden. Der zuletzt im Schriftsatz vom 04.01.2024 (Bl. 275 d. A.) niedergelegte Antrag zu Ziff. 1 stellt gegenüber dem ursprünglich angekündigten Berufungsantrag zu Ziff. 1 vom 07.02.2022 (Bl. 109 d.A.) eine jederzeit gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Antragsumstellung dar. Eine ggf. hierzu erforderliche Zustimmung der Beklagten gemäß § 269 Abs. 1 ZPO liegt in deren rügeloser Verhandlung zur Hauptsache (arg. § 267 ZPO).
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1. Die Klagepartei kann hinsichtlich des Kaufvertrags vom 07.06.2012 über einen gebrauchten Audi A6 Avant allroad 3.0 TDI (176 kW), in dem ein 3.0l-V6-Motor der Beklagten (Euronorm 5) verbaut ist, keinen sog. „kleinen Schadensersatz“ von der Beklagten beanspruchen.
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1.1. Ein Anspruch aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB oder § 831 BGB besteht nicht. Es fehlt vorliegend bereits an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten, die Herstellerin, aber nicht Verkäuferin des Fahrzeugs war.
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1.1.1. Das unstreitig vorhandene Thermofenster erfüllt den Tatbestand des § 826 BGB vorliegend nicht.
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1.1.1.1. Der Einsatz einer derart temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems rechtfertigt die Bewertung als sittenwidriges Verhalten für sich genommen auch bei unterstellter Gesetzwidrigkeit der Applikation nicht (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, ZR 433/19, juris Tz. 26 f.; BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az. ZR 190/20, juris Tz. 16). Denn anders als die Umschaltlogik differenziert das Thermofenster nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (BGH, Beschluss vom 19.1.2021, ZR 433/19, juris Tz. 18). Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur dann gerechtfertigt, wenn zu dem – unterstellten – Gesetzesverstoß weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (BGH, Beschluss vom 19.1.2021, ZR 433/19, juris Tz. 19). Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (BGH, Urteil vom 19.1.2021, ZR 433/19, juris Tz. 19; Beschluss vom 9.3.2021, ZR 889/20, juris Tz. 28).
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1.1.1.2. Davon ist hier nicht auszugehen. Zwar könnten sich unter Umständen aus einer etwaigen Verschleierung im Typengenehmigungsverfahren, dass die Abgasrückführungsrate (auch) temperaturabhängig ist, Anhaltspunkte für ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen, eine unzulässige Einrichtung einzusetzen, und mithin für eine Täuschungsabsicht ergeben (BGH, Beschluss vom 19.1.2021, ZR 433/19, juris Tz. 24). Indes lässt sich aus dem Klägervortrag hier keine derartige Verschleierung ableiten, der ein solcher Indizcharakter zukäme. Die Behauptungslast liegt insoweit bei der Klagepartei (BGH, Beschluss vom 19.1.2021, ZR 433/19, juris Tz. 19; Beschluss vom 9.3.2021, ZR 889/20, juris Tz. 29; Beschluss vom 15.09.2021, ZR 2/21, Tz. 16). Hierzu geht der klägerische Vortrag über pauschale Behauptungen nicht hinaus; das genügt nicht. Konkrete Anhaltspunkte für eine Täuschung des KBA durch die Beklagte lassen sich dem nicht entnehmen (BGH, Beschluss vom 15.09.2021, Az. ZR 2/21, Tz. 15). Das gilt umso mehr, als etwa der Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen vom April 2016 die Zulässigkeit des Thermofensters jedenfalls nicht grundsätzlich infrage gestellt hat (BGH, Urteil vom 13.01.2022, ZR 205/20, Tz. 24). Der Bericht ist im Internet abrufbar (www.kba.de/DE/Themen/Marktueberwachung/Abgasthematik/erster_ber_uk_vw_nox.html) und wird vom Senat als offenkundig iSd § 291 ZPO behandelt. In Hinblick auf die danach seinerzeit nicht eindeutige Rechtslage liegt es keineswegs auf der Hand und kann nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Beklagte von der Unzulässigkeit des Thermofensters ausging oder die Augen hiervor bewusst verschlossen hätte, mithin sittenwidrig gehandelt hätte (BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az. ZR 190/20, Tz. 30; Urteil vom 13.01.2022, ZR 205/20, Tz. 24).
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1.1.1.3. Ebenso fehlt es an dem für § 826 BGB erforderlichen Schädigungsvorsatz. Allein aus einer etwaigen objektiven Unzulässigkeit des Thermofensters folgt kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer; im Hinblick auf die unsichere Rechtslage ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen (BGH, Urteil vom 16.09.2021, AZ. ZR 190/20, Tz. 32; Beschluss vom 15. 09.2021, Az. ZR 2/21, Tz. 23).
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1.1.2. Die Behauptungen der Klagepartei zu weiteren unzulässigen Abschalteinrichtungen im Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs sind nicht substantiiert genug, um die Annahme eines Anspruchs aus § 826 BGB oder auch nur eine weitere Beweisaufnahme hierzu zu rechtfertigen.
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1.1.2.1. Zwar ist es einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblicks in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (BGH, Beschluss vom 15.09.2021, Az. ZR 2/21, Tz. 26 f.). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH aaO Tz. 28; BGH, Urteil vom 16. 09.2021, ZR 190/20, Tz. 23).
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1.1.2.2. Auch bei Zugrundelegung dieser strengen Grundsätze verfehlt die Behauptung der Klagepartei zu weiteren unzulässigen Abschalteinrichtungen die Substantiierungsanforderungen.
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Die Beklagte hat den Einbau von unzulässigen Abschalteinrichtungen neben dem Thermofenster bestritten.
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Der Vortrag, dass im Fahrzeug „ein SCR-Katalysator, der mit Ad-Blue betrieben wird, zum Einsatz“ komme (Klageschrift, S. 4 – Bl. 4 d. A.), lässt bereits nicht erkennen, wieso es sich bei dieser gängigen Emissionsminderungsstrategie um eine – noch dazu unzulässige – Abschalteinrichtung handeln soll. Ohnedies liefert der Kläger keine weiteren Hinweise, woraus er auf das Vorhandensein eines SCR-Katalysators in einem EU5-Motor oder einer Kühlmittel-Sollwert-Temperatur schließt. Die Stichworte „Slipguard“, „Bit 13“, „Bit 14“ und „Bit 15“ werden lediglich en passant genannt (Berufungsbegründung, S. 6 – Bl. 114 d. A.). Woraus der Kläger auf die Behauptung schließt, „dass der Grenzwert beim Stickoxid um das 4,7 fache überschritten“ werde, bleibt im Dunkeln. Der Vortrag, dass das Fahrzeug den Rollenprüfstand erkenne und sodann die Abgasreinigung ändere, bleibt damit im luftleeren Raum.
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Ein verpflichtender Rückruf durch das KBA ist zwar nicht Voraussetzung für eine Haftung gem. § 826 BGB. Er kann jedoch einen tatsächlichen Anhaltspunkt bilden, der den klägerischen Vortrag stützt. Daran fehl es vorliegend. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist nicht von einem verpflichtenden Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betroffen.
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Eine freiwillige Kundenmaßnahme (beiläufig behauptet im Schriftsatz vom 30.09.2021, Bl. 65 d. A. sowie in der Berufungsbegründung, S. 7 – Bl. 115 d. A.) bietet keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist (BGH BeckRS 2022, 12054 Rn. 15). Eine solche Maßnahme kann viele Gründe haben.
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Dass die Beklagte in anderen Fahrzeugen unzulässige Abschalteinrichtungen einsetzt, entbindet nicht von einem prozessual ordnungsgemäßen Vortrag. Das streitgegenständliche Fahrzeug weist einen von der Beklagten hergestellten 3.0 Liter V-TDI-Motor der Schadstoffklasse Euro 5 auf. Nach der Übersicht des Kraftfahrtbundesamts mit Stand 09.11.2022 https://www.kba.de/DE/Themen/Marktueberwachung/Abgasthematik/uebersicht2_xls.xlsx? blo b=publicationFile& v=6) besteht zu Fahrzeugen nach der Schadstoffklasse Euro 5 der Beklagten nur ein einziger Eintrag; alle anderen betreffen Fahrzeuge der wesentlich strengeren Schadstoffklasse Euro 6. Die zurückgerufenen Fahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 5 verfügen über eine Leistung von 230 kW, das streitgegenständliche dagegen über eine Leistung von 176 kW. Hierin liegt ein maßgebliches Differenzierungsmerkmal, da mit steigender Leistung auch der Schadstoffausstoß steigt, was die Einhaltung der Grenzwerte erschwert. Die vorgenannte, im Internet veröffentlichte Liste wird als offenkundig im Sinne des § 291 ZPO angesehen.
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Damit bilden die von der Klagepartei vorgetragenen Aspekte – auch in ihrer Gesamtschau – keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine sittenwidrige Schädigung im Sinne der vorstehend zitierten Rechtsprechung.
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1.2. Mangels vorsätzlichen Verhaltens scheidet § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB, 31 BGB oder § 831 BGB als Anspruchsgrundlage aus.
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2. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens zu. Zwar hat der Bundesgerichtshof kürzlich (Urteile vom 26.06.2023, Az. VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21, VIa ZR 1031/22) entschieden, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 versehenen Kraftfahrzeugs unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen den Fahrzeughersteller auf Ersatz des Differenzschadens zustehen kann. Im Fahrzeug ist unstreitig ein Thermofenster vorhanden. Es kann jedoch offenbleiben, ob es sich dabei objektiv um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Denn jedenfalls fehlt es vorliegend an dem gemäß § 823 Abs. 2 Satz 2 BGB erforderlichen Verschulden seitens der Beklagten.
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2.1. Voraussetzung für einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ist ein schuldhaftes Handeln des Anspruchsgegners, wobei ein fahrlässiger Verstoß genügt (BGH NJW 2023, 2259 Rn. 36, 38). Es besteht eine von der objektiven Schutzgesetzverletzung ausgehende Verschuldensvermutung, die von der Beklagten ausgeräumt werden muss (BGH a. a. O. Rn. 59). Insbesondere ist die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet sowohl für einen Verbotsirrtum als auch für dessen Unvermeidbarkeit (BGH a. a. O. Rn. 63).
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Den Nachweis für einen unvermeidbaren Verbotsirrtum kann der Fahrzeughersteller zum einen mittels einer tatsächlich erteilten EG-Typgenehmigung führen, wenn diese Genehmigung die verwendete unzulässige Abschalteinrichtung in allen ihren maßgebenden Einzelheiten umfasst (BGH a. a. O. Rn. 64). Zum anderen kann der Fahrzeughersteller sich dadurch entlasten, dass er darlegt und erforderlichenfalls nachweist, dass seine Rechtsauffassung bei entsprechender Nachfrage von der für die EG-Typgenehmigung oder für anschließende Maßnahmen zuständigen Behörde bestätigt worden wäre (hypothetische Genehmigung, BGH a. a. O. Rn. 65). Steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung des einem Verbotsirrtum unterliegenden Schädigers dessen Fehlvorstellung bestätigt hätte, scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB infolge eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auch dann aus, wenn der Schädiger eine entsprechende Erkundigung nicht eingeholt hat (BGH a. a. O. Rn. 65).
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2.2. Auf dieser Grundlage ist aufgrund der vorliegenden KBA-Auskünfte zum streitgegenständlichen Fahrzeug und zum streitgegenständlichen Aggregat sowie den Untersuchungen des KBA und deren Ergebnissen ein fahrlässiges Handeln der Beklagten im vorliegenden Verfahren zu verneinen, weil sich die Beklagte jedenfalls in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befand.
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2.2.1. Der Senat würdigt das Beklagtenvorbringen (insbesondere im Schriftsatz vom 21.12.2023, S. 43 ff. – Bl. 234 ff. d. A.) dahingehend, dass nicht nur der Aussteller der Übereinstimmungsbescheinigung, sondern alle mit den Fragen der Zulässigkeit des Emissionskontrollsystems befassten Personen davon ausgegangen seien, dass das im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzte Thermofenster nicht als unzulässige Abschalteinrichtung zu beurteilen sei.
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Dies genügt nach Auffassung des Senats auch unter Berücksichtigung der BGH-Entscheidung vom 25.09.2023 (VIa ZR 1/23, BeckRS 2023, 29219) für die schlüssige Darlegung eines Verbotsirrtums der Beklagten. Denn wenn alle Repräsentanten von der Rechtmäßigkeit ausgingen, so befanden sie sich zumindest sachgedanklich mitbewusst über alle für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 bedeutsamen Einzelheiten im Irrtum, ohne dass dies eigens näher ausgeführt werden müsste. Ein Verbotsirrtum ist (für das Strafrecht) legaldefiniert in § 17 Satz 1 StGB: Danach befindet sich im Irrtum, wem „bei Begehung der Tat die Einsicht, Unrecht zu tun“, fehlt. Im Zivilrecht kann nichts anderes gelten. Ein Irrtum erfordert nur fehlendes Unrechtsbewusstsein. Eine darüber hinaus gehende aktive und sorgfältige Vorstellungsbildung über die Rechtslage ist für die Frage, ob ein Irrtum vorliegt, nicht erforderlich, sondern gewinnt Bedeutung erst auf der nächsten Prüfungsstufe der Vermeidbarkeit des Irrtums. Soweit auch in der BGH-Rechtsprechung dafürgehalten wird, dass ein „entlastend wirkender Verbotsirrtum […] vorliegen [kann], wenn der Schädiger die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und er bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte“ (BGH NJW 2023, 2259 Rn. 63 m. w. N.), bedeutet dies nichts anderes: Die Einhaltung der strengen Sorgfaltsanforderungen muss zum Irrtum hinzukommen, damit er entschuldigend wirkt, weil er unvermeidbar war; sie sind jedoch nicht konstitutiv für den Irrtum selbst. Für dieses Verständnis streitet neben dem Aspekt der Einheit der Rechtsordnung (siehe oben zu § 17 StGB) weiterhin, dass gerade der rechtsbewusst Handelnde außerhalb „subjektiver Grauzonen“ wie selbstverständlich und ohne näheres Nachdenken von rechtskonformem Handeln ausgehen mag. Wieso gerade er schlechter stehen soll als derjenige, dem ein riskanteres Handeln womöglich Anlass zum Nachdenken gegeben hat, ist nicht einzusehen. Wohlgemerkt gelten diese Erwägungen für die Darlegung und Feststellung des Irrtums, nicht für die Ebene seiner Vermeidbarkeit.
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2.2.2. Der Senat ist bei Würdigung des derzeitigen Sach- und Streitstandes davon überzeugt im Sinne des § 286 ZPO, dass die Beklagte – die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung unterstellt beim Inverkehrbringen des Fahrzeugs und jedenfalls im Zeitpunkt des Kaufvertrags im Jahr 2012 einem Verbotsirrtum unterlag. Von vorsätzlichem Rechtsbruch geht der Senat in Bezug auf die in Rede stehenden Abschalteinrichtungen gerade nicht aus (siehe oben). Vielmehr ist festzustellen, dass sämtliche für die Beklagte handelnden Repräsentanten in der Annahme tätig wurden, dass sie rechtmäßig handeln. Hierfür spricht die allgemeine seinerzeitige Auffassung, dass Thermofenster zulässig seien; entgegenstehende Gerichtsurteile aus der Zeit vor dem Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klagepartei sind nicht bekannt. Die Rechtslage zur Beurteilung von Thermofenstern war seinerzeit unklar (BGH NJW 2021, 3721 Rn. 31). Dies zeigt sich etwa darin, dass noch im „Untersuchungsbericht Volkswagen “ vom April 2016 (siehe oben Nr. 1.1.1.2) eine rechtswidrige Abschalteinrichtung bei dem dort untersuchten 3.0l-EU5-Motor der Beklagten gerade nicht festgestellt wurde, obwohl gerade auch die temperaturabhängigen Änderungen im Abgasverhalten der Fahrzeuge Gegenstand der Analyse des KBA gewesen waren (Untersuchungsbericht Volkswagenkommission vom April 2016, S. 72 und passim). Anhaltspunkte dafür, dass Repräsentanten der Beklagten demgegenüber im April 2016 oder früher, namentlich im Zeitpunkt des hier streitgegenständlichen Kaufvertragsabschlusses im Jahr 2012, Zweifel an der Zulässigkeit des Thermofensters hatten, erkennt der Senat nicht.
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2.2.3. Der Irrtum war unvermeidbar im Sinne einer hypothetischen Genehmigung. Der Senat hat die Überzeugung gewonnen, dass zum Erwerbszeitpunkt am 07.06.2012 das KBA bei entsprechender Nachfrage durch die Beklagte die Zulässigkeit des hier konkret verwendeten Thermofensters bestätigt hätte.
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Denn das in dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp zum Einsatz kommende Thermofenster wurde vom KBA jedenfalls bis zur Entscheidung des EuGH vom 14. Juli 2022 als rechtmäßig und mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vereinbar angesehen.
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Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass das KBA zu dem streitgegenständlichen Motortyp EA896Gen1 zu keinem Zeitpunkt einen Rückruf angeordnet oder – wie zu dem Motorentyp EA896Gen2 – ein Überprüfungsverfahren durchgeführt hat. Dies tat es in Kenntnis, dass in Dieselmotoren grundsätzlich Thermofenster zum Einsatz kommen und in Kenntnis der konkreten Bedatung im streitgegenständlichen Motortyp: Bei Zugrundelegung des Vortrags der Beklagten hat sie dem KBA im Rahmen des Überprüfungsverfahrens zum Motor EA896Gen2, in dem sämtliche Fahrzeugtypen mit einem V6-TDI EU5 Gen2 Motor über Monate anhand eigener Messungen intensiv überprüft wurden, die genaue Bedatung des Thermofensters im streitgegenständlichen Motor EA896Gen1 mitgeteilt (Schriftsatz vom 21.12.2023, S. 59 – Bl. 250 d. A.). Diese Indiztatsachen sind als unstreitig zu behandeln, weil das pauschale und nicht auf bestimmte Behauptungen bezogene Bestreiten durch die Klagepartei im Schriftsatz vom 04.01.2024 (S. 3 – Bl. 277 d. A.) als Leerfloskel unbeachtlich ist (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 138 ZPO Rn. 10a). Es wäre zumutbar und erforderlich gewesen, dass die Klagepartei – auch beim Bestreiten mit Nichtwissen – im Einzelnen benennt, welche Tatsachen im umfangreichen Beklagtenvortrag sie nicht gelten lassen will. Die Unzulässigkeit des pauschalen Bestreitens ist G.platz und wurde darüber hinaus auch durch die Beklagtenvertreterin im Termin zur mündlichen Verhandlung am 08.02.2024 ausdrücklich benannt. Eines weiteren Hinweises bedurfte es nicht. Dem Schriftsatz vom 29.01.2024 ist ebenfalls kein Bestreiten dieser Tatsachen zu entnehmen.
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Das KBA ist in Kenntnis der vorbenannten Umstände nicht tätig geworden und hat im Gegenteil Thermofenster mit entsprechenden Bedatungen bei den Nachfolgemotoren EA896Gen2 ausdrücklich akzeptiert (siehe die KBA-Auskunft gegenüber dem OLG Stuttgart vom 11.09.2020, Anlage Be3; siehe auch die Angaben zum Thermofenster in dem von der Untersuchungskommission Vorlkswagen untersuchten Audi A6 V6 3.0l EU5 mit 150 PS, S. 72: „bei einer Außentemperatur unter 17°C die AGR-Raten reduziert“). Diese Auskunft wurde erteilt, nachdem das KBA den dort benannten Motortyp mehrfach eingehend und gezielt untersucht hatte, im Rahmen der Untersuchungskommission Volkswagen im April 2016, sowie im Rahmen der freiwilligen Servicemaßnahme des Nationalen Forums Diesel. In beiden Fällen waren gerade auch die temperaturabhängigen Änderungen im Abgasverhalten der Fahrzeuge Gegenstand der Analyse; eine rechtswidrige Abschalteinrichtung wurde daraufhin gerade nicht festgestellt.
31
Das KBA hätte bei der gegebenen Sachlage die EG-Typengenehmigung im Kaufzeitpunkt auch dann erteilt, wenn ihm alle Einzelheiten in der konkreten Ausführung und unter Berücksichtigung etwaiger Kombinationen des – unterstellt – unzulässigen Thermofensters vorher bekannt gegeben worden wären (vgl. BGH NJW 2023, 2259 Rn. 64).
32
Ein weiteres Beweisanzeichen – das für die Überzeugungsbildung allerdings nicht konstitutiv ist ergibt sich unter Zugrundelegung des klägerischen Vortrags, dass ein freiwilliges Software-Update für das Fahrzeug angeboten worden ist (Schriftsatz vom 30.09.2021, Bl. 65 d. A.; Berufungsbegründung, S. 7 – Bl. 115 d. A.). Nach Beklagtenvortrag (Schriftsatz vom 20.12.2023, S. 57 – Bl. 246 d. A.) und gerichtsbekannt werden freiwillige Rückrufe durch das KBA nämlich nur dann freigegeben, wenn die zuvor vorhandene Software keine unzulässige Abschalteinrichtung enthält.
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2.2.4. Vor dem Hintergrund der hypothetischen Genehmigung kommt es nicht darauf an, ob die Voraussetzungen für eine wirksame tatsächliche Genehmigung durch das KBA als weitere Fallgruppe des unvermeidbaren Verbotsirrtums vorliegen.
34
Es kommt auch nicht darauf an, ob die Beklagte die Rechtslage sorgfältiger hätte prüfen können. Aus dem Kontext der BGH-Grundsatzentscheidung vom 26.06.2023 ergibt sich, dass ein Fahrlässigkeitseinwand wegen unterlassener Einholung von rechtlichen Auskünften nicht besteht, wenn sich der Fahrzeughersteller bereits auf eine tatsächliche oder hypothetische Genehmigung beruft (BGH NJW 2023, 2259 Rn. 69).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
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4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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5. Die Revision war nicht nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung. Auch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert die Entscheidung des Revisionsgerichts nicht. Die maßgeblichen Rechtssätze sind höchstrichterlich geklärt. Soweit die Tatsachen namentlich zum Verbotsirrtum von verschiedenen Obergerichten unterschiedlich beurteilt werden, entspringt dies tatrichterlicher Wertung auf Grundlage des jeweiligen Parteivortrags und offenbart keine Divergenz in Rechtsfragen.