Titel:
Anforderungen an Pflichtteilsentziehungsgrund des § 2331 Abs. 1 Nr. 1 BGB
Normenkette:
BGB § 2314 Abs. 1 S. 1, § 2333 Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz:
Bloße mündliche Äußerungen der Tötungsabsicht etwa in Form von Bedrohungen, stellen noch keine Lebensnachstellung iSd § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB dar. Nicht ausreichend ist daher, dass der Pflichtteilsberechtigte die Tötung nur ankündigt oder damit droht, ohne diese dann tatsächlich zu erstreben, oder den Tod des Erblassers lediglich herbeiwünscht. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pflichtteil, Auskunftsanspruch, Pflichtteilsentziehung, Lebensnachstellung
Fundstellen:
ErbR 2025, 158
ZEV 2025, 63
BeckRS 2024, 32935
LSK 2024, 32935
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am ... 2023 in München verstorbenen Herrn M… (geb. am …) durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses zu erteilen, welches folgende Punkte umfasst:
- sämtliche beim Erbfall vorhandene Sachen und Forderungen (Aktiva)
- sämtliche beim Erbfall vorhandene Nachlassverbindlichkeiten, Erblasser- und Erbfallschulden (Passiva)
- alle ergänzungspflichtigen Zuwendungen (§ 2325 BGB), die det Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 11.400,00 € vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 100.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Frage, ob dem Kläger vom Erblasser der Pflichtteil wirksam entzogen wurde.
2
Der Kläger ist der Vater des Erblassers, Herr M…, welcher am … in München verstarb. Der Erblasser war nicht verheiratet und hatte keine Abkömmlinge. Die Mutter des Erblassers ist vorverstorben.
3
Mit handschriftlichem Testament vom 09.03.2022 setzte der Erblasser den Beklagten, seinen Lebensgefährten, zum Alleinerben ein. Zudem ordnete der Erblasser an: „Meinen Vater enterbe ich, da wir uns in einem unüberwindbaren Zustand befinden. Er trachtet mir sogar nach dem Leben: O-Ton: „du sollst verrecken, oder ich mache es!“ Wegen meiner Homosexualität“ (Anlage K1)
4
Im Juli 2022 gratulierte der Erblasser seinem Vater per WhatsApp zum Geburtstag. Ferner teilte er mit, dass er einen Schlaganfall erlitten hatte. Er würde sich nach der Reha melden. (Anlage K7).
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Mit Schreiben vom 25.09.2023 forderte der Kläger Auskunft unter Fristsetzung bis 30.10.2023 vom Beklagten (Anlage K3). Mit weiterem Schreiben vom 06.11.2023 setzte der Kläger eine Nachfrist zur Auskunft bis zum 24.11.2023 (Anlage K4). Der Beklagte teilte zunächst mit Schreiben vom 25.11.2023 mit, dass ein Nachlassverzeichnis bis Ende März 2024 vorgelegt werde (Anlage K5). Schließlich teilte er mit Schreiben vom 07.02.2024 mit, dass ein Nachlassverzeichnis nicht erstellt werde (Anlage K6).
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Der Kläger behauptet, mit dem Erblasser eine gute Vater-Sohn-Beziehung gehabt zu haben. Der Kläger bestreitet homophob zu sein. Er bestreitet weiter, die im Testament als O-Ton angegebene Äußerung getätigt zu haben. Er bestreitet insbesondere auch, dem Erblasser nach dem Leben getrachtet zu haben bzw. die Absicht gehabt zu haben, den Erblasser zu töten.
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Der Kläger ist der Auffassung eine Entziehung des Pflichtteils sei bereits nach dem Wortlaut nicht vom Erblasser beabsichtigt worden, sondern lediglich die Entziehung des Erbrechts.
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Die Voraussetzungen des § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB lägen nicht vor. Eine bloße Androhung von Gewalt würde ohnehin nicht genügen.
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Jedenfalls habe der Erblasser dem Kläger verziehen.
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Der Kläger beantragte:
Der Beklagte wird verurteilt, Auskunft über den Bestand des Nachlasses des am 07.07.2023 in München verstorbenen Herrn M… S… (geb. am …) durch Vorlage eines Bestandsverzeichnisses zu erteilen, welches folgende Punkte umfasst:
- sämtliche beim Erbfall vorhandene Sachen und Forderungen (Aktiva)
- sämtliche beim Erbfall vorhandene Nachlassverbindlichkeiten, Erblasser- und Erbfallschulden (Passiva)
- alle ergänzungspflichtigen Zuwendungen (§ 2325 BGB), die der Erblasser zu Lebzeiten getätigt hat
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Der Beklagte beantragte:
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Der Beklagte behauptet, dass der Kläger den Erblasser wegen dessen Homosexualität abgrundtief gehasst habe. Der Erblasser habe panische Angst davor gehabt, dass der Kläger ihn umbringen werde.
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Der Beklagte ist der Auffassung, der Wortlaut „enterben“ sei hier im Sinne einer Pflichtteilsentziehung zu verstehen. Auch sei vorliegend der Kernsachverhalt im Testament angegeben. Zudem habe der Erblasser den Wortlaut des § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB verwendet.
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Die Voraussetzungen des § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB seien vorliegend erfüllt, da die Schwelle zum Versuch noch nicht überschritten sein müsse. Vorliegend sei es auch nicht lediglich der Wunsch des Klägers gewesen, sondern eine echte Willensbetätigung einer ernsthaften Tötungsabsicht (oder ich mache es). Bei einem engeren Verständnis von Nummer 1 würde es kaum einen Anwendungsbereich gegenüber der Nummer 2 geben.
15
Das Gericht hat den Kläger sowie den Beklagten im Termin vom 19.06.2024 informatorisch angehört. Auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 19.06.2024 wird verwiesen.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen Bezug genommen auf die zwischen den Parteivertretern gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 19.06.2024.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Auskunft gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB zu, da eine wirksame Entziehung des Pflichtteils nach § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht erfolgt ist.
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I) Der Kläger ist pflichtteilsberechtigt gemäß § 2303 Abs. 2 S. 1 BGB. Er ist durch Verfügung von Todes wegen vom 09.03.2022 von der Erbfolge ausgeschlossen. Auch ist kein Abkömmling vorhanden, der den Kläger im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde (§ 2309 BGB).
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II) Der Beklagte ist Alleinerbe des Erblassers. Er hat die Erbschaft nicht ausgeschlagen. Er ist damit der richtige Anspruchsgegner.
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III) Entgegen der Auffassung der Klagepartei sind die Voraussetzungen des § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorliegend nicht erfüllt, da ein „nach dem Leben trachten“ im Sinne der Norm nicht vorliegt, selbst wenn die beklagtenseits behauptete Äußerung als wahr unterstellt werden würde.
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1) Das mit § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB zum Pflichtteilsentziehungsrecht gemachte „nach dem Leben trachten“ erfordert eine Betätigung des ernstlichen Willens, den Tod herbeizuführen. Es kommt nicht darauf an, dass der Erblasser sich bedroht gefühlt hat. Der Begriff erfordert auch nicht ein mit gewisser Beharrlichkeit versehenes Vorbedacht des Handeln. Auch durch bloßes unterlassen kann „nach dem Leben getrachtet“ werden, jedenfalls dann, wenn für den Pflichtteilsberechtigten eine Pflicht zum Handeln aus Garantenstellung (§ 13 StGB) besteht, (vgl. Staudinger/Olshausen (2021) BGB § 2333 Rn. 6, 7). Mitwirken als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe genügt ebenso wie eine straflose Vorbereitungshandlung oder ein untauglicher Versuch, wenn nur eine ernsthafte Tötungsabsicht vorhanden ist (vgl. MüKoBGB/Lange, 9. Aufl. 2022, BGB § 2333 Rn. 21).
22
Bloße mündliche Äußerungen der Tötungsabsicht etwa in Form von Bedrohungen, stellen noch keine Lebensnachstellung im Sinne des § 2333 Abs. 1 Nr. 1 BGB dar (vgl. Staudinger/Olshausen (2021) BGB § 2333 Rn. 7; MüKoBGB/Lange, 9. Aufl. 2022, BGB § 2333 Rn. 21). Nicht ausreichend ist daher, dass der Pflichtteilsberechtigte die Tötung nur ankündigt oder damit droht, ohne diese dann tatsächlich zu erstreben, oder den Tod des Erblassers lediglich herbeiwünscht (BeckOGK/Rudy, 1.3.2024, BGB § 2333 Rn. 22; LG Landshut (5. Zivilkammer), Endurteil vom 04.03.2016 – 54 O 2287/12).
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2) Selbst bei Wahrunterstellung, dass der Kläger gegenüber dem Beklagten wegen dessen Homosexualität gesagt habe: „du sollst verrecken, oder ich mache es“ genügt dies für eine Pflichtteilsentziehung allein daher noch nicht. Denn hierbei handelt es sich allenfalls um eine Drohung. Einen Umstand, aus dem sich ergeben würde, dass der Kläger dies tatsächlich auch erstrebt habe, konnte der Beklagte nicht aufzeigen. Nach seinen Angaben im Rahmen der informatorischen Anhörung kannte der Beklagte den Erblasser bereits seit 10 Jahren. Die hier streitgegenständlichen Äußerungen hatte der Beklagte nach seinen Angaben selbst nicht wahrgenommen, sondern kannte diese Äußerungen lediglich vom Hörensagen durch den Erblasser. Er vermutete, dass diese gefallen seien, bevor sie sich kennengelernt hätten. Aufgrund des Verhaltens des Erblassers habe der Erblasser ein Trauma erlitten, sei depressiv und alkoholkrank geworden. Eine konkrete Handlung des Klägers schilderte er indes nicht.
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Zudem gab der Beklagte an, der Erblasser habe seit seinem 15. Lebensjahr keinen persönlichen Kontakt mehr zu seinem Vater mit Ausnahme von WhatsApp-Kontakten ab Juli 2022, nachdem der Erblasser erkrankt und Schlaganfälle erlitten hatte. Auch der Kläger gab an, dass über mehrere Jahrzehnte er keinen Kontakt zum Kläger gehabt habe, wenn auch erst nach dessen Angaben ab dem 23. Lebensjahr des Erblassers. Der Kläger gab weiter an, vor ca. 4 Jahren bei der Beerdigung seiner Exfrau den Erblasser das erste und einzige Mal wieder gesehen zu haben; der Erblasser habe aber ihn nicht gesehen. Sonstige Kontakte hätten lediglich per WhatsApp bestanden.
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Eine Beweisaufnahme durch Einvernahme der erstmals im Termin konkret angebotenen Ärzte und Psychologen bedurfte es vorliegend nicht, da die Behauptungen der Beklagtenpartei vorliegend als wahr unterstellt werden konnten. Mit der Beweisaufnahme hätte allenfalls ein noch unbekannter Sachverhalt erforscht werden können, der über die Äußerungen hinausgegangen wäre. Sie war daher in Form eines Ausforschungsbeweises nicht zulässig. Die beweisführende Partei muss die Tatsachen, zu denen der Zeuge vernommen werden soll, hinreichend substantiiert bezeichnen. Dafür genügt es nicht, die abstrakte Tatbestandstatsache zu nennen; angegeben werden muss die konkrete Tatsache des Einzelfalls. Sind die behaupteten Tatsachen zu allgemein gehalten und zielt der Beweisantritt erst auf die Ermittlung von Einzelheiten, welche der Partei die schlüssige Darlegung des Sachverhalts ermöglichen sollen, liegt – wie hier – ein unzulässiger Ausforschungsbeweisantritt oder Beweisermittlungsantrag vor (vgl. Ahrens in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 2024, § 373 ZPO Rn. 13). Dies wäre vorliegend der Fall gewesen. Dass der Erblasser auch aufgrund des Verhaltens des Klägers depressiv und alkoholkrank geworden war, er Trauma erlitt, konnte ebenfalls als wahr unterstellt werden; ein „nach-dem-Leben-trachten“ ergibt sich hieraus in substantiierter Weise jedoch nicht.
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IV) Auf die Frage, ob die Enterbung im Testament vorliegend auch als Entziehung des Pflichtteilrechts auszulegen und die Angabe des Kernsachverhalts im Testament ausreichend ist, bedarf vorliegend daher keiner Entscheidung.
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Der Klage war daher stattzugeben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 S. 1 ZPO. Die Gerichtskosten bei einem Streitwert von 100.000 € betragen vorliegend 3387 €; die Kosten des gegnerischen Anwalts mindestens 4.947,43 €. Für die Erstellung der Auskunft hat das Gericht vorliegend eine Sicherheit von ca. 3.000 € angenommen.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 GKG. Maßgeblich war das Interesse des Klägers bei Klageerhebung. Vorliegend ging der Kläger von einem Pflichtteilsanspruch von ca. 500.000 € aus; hiervon wurde 20 % angesetzt, da es sich lediglich um eine Auskunfts- und keine Zahlungsklage handelt.