Titel:
Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschaltvorrichtung
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsatz:
Von einem Kläger kann nicht verlangt werden, dass er im Einzelnen darlegt, weshalb er von dem Vorhandensein einer oder mehrerer Abschalteinrichtungen ausgeht und wie diese konkret funktionieren. Vielmehr ist von ihm nur – aber dies dann auch unbedingt – zu fordern, dass er "greifbare Umstände" anführt, auf die er den Verdacht gründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Thermofenster, AGR-Rate, unzulässige Abschalteinrichtung, aufs Geratewohl, ins Blaue hinein, sekundäre Darlegungslast
Fundstelle:
BeckRS 2024, 32877
Tenor
1. Die beklagte Partei erhält den Schriftsatz der Klagepartei vom 05.09.2024.
2. In Vorbereitung auf den Termin wird gem § 139 ZPO auf folgendes hingewiesen:
Die Klagepartei trägt zu möglicherweise im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten unzulässigen Abschalteinrichtungen im Sinne der Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unter Angebot des Sachverständigenbeweises vor.
Neben dem Vortrag zur Fahrkurvenerkennung wird vorgebracht, die Thermofenster-Software steuere in einem bestimmten niedrigen Außentemperaturbereich unter 20°Celsius und über 30° Celsius die Abgasreinigungsanlage so, dass die Abgasrückführung (AGR) reduziert wird. Auch werde die AGR drehzahlabhängig ab 2750 Umdrehungen (pro Minute) zurückgefahren. Weiter arbeite die AGR je nach Fahrprofil unterschiedlich, wobei es neben dem eigentlichen Thermofenster und der Steuerung mittels Fahrkurve einen weitere, von der Beklagten nicht offengelegte Abschalteinrichtung gebe, die dazu führe, dass der zulässige Grenzwert im normalen Fahrbetrieb nicht in allen Betriebszuständen eingehalten werde. Der Vortrag der Beklagten, wonach zwischen – 24°C und +70°C keine umgebungslufttemperaturabhängige Korrektur der AGR-Rate (in der jeweiligen Motorbetriebsart) stattfinde, sei unvollständig.
Der Sachvortrag der Klagepartei erschöpft sich damit bereits nicht dahingehend, dass es nur bei gemessenen Außentemperaturen zu einer Reduktion der AGR-Rate komme.
Dem Vortrag zu einem möglicherweise verbauten Thermofenster tritt die Beklagte entgegen, wonach die Abgasrückführung bei gemessenen Außentemperaturen zwischen -24 und +70 Grad Celsius in den jeweils aktiven Motorbetriebsarten zu 100 Prozent aktiv sei.
Der Senat weist unter Berücksichtigung des Sachvortrags mit Blick auf § 291 ZPO (gerichtskundige Tatsachen) darauf hin, dass ihm aus einer Vielzahl anderer Verfahren ein ergänzender Sachvortrag der Beklagten zur AGR-Bedatung und Korrektur der AGR-Rate aus jüngster Zeit bekannt ist, wonach es (stark verkürzt beschrieben) in Abhängigkeit bestimmter Parameter wie von innermotorischen Temperaturgrößen (interne Faktoren wie: Temperatur des Kühlmittels, des Motoröls, des rückgeführten Abgases) und auch von sich verändernden Umweltbedingungen (externe Faktoren wie: Umgebungstemperatur, Temperatur der angesaugten Frischluft) bei EA 288 MoSeite 2 – toren zu einer Verringerung oder Erhöhung der AGR-Raten kommen könne, was letztlich in drei unterschiedlichen Schritten geschehe (Basiskennfeldbedatung, Korrektur aufgrund Umgebungs- und Betriebsbedingungen sowie unterschiedlichen Betriebsarten) und was, soweit die aufgrund innermotorischer Temperaturgrößen veranlasste Anpassung der AGR-Rate überhaupt zu einer Erhöhung der NOx-Emissionen im normalen Fahrbetrieb führe, aus Gründen, die nach der Rechtsprechung des EuGH unter den Ausnahmetatbestand des Motorschutzes fielen, erfolge.
Der Senat erachtet das klägerische Vorbringen zu einer möglicherweise implementierten Abschalteinrichtung im Bereich der AGR unter Berücksichtigung dieses Vortrags jedenfalls nicht mehr als einen Vortrag, der „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Von einem Kläger kann nicht verlangt werden, dass er im Einzelnen darlegt, weshalb er von dem Vorhandensein einer oder mehrerer Abschalteinrichtungen ausgeht und wie diese konkret funktionieren. Vielmehr ist von ihm nur – aber dies dann auch unbedingt – zu fordern, dass er „greifbare Umstände“ anführt, auf die er den Verdacht gründet, sein Fahrzeug weise eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen auf (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 – VIII ZR 57/19, Rn. 10 bei juris). Solche greifbaren Umstände sind aufgrund des bisherigen Vortrags der Klagepartei bei Berücksichtigung der (aus anderen Verfahren) gerichtsbekannten Funktionsweise der AGR zu bejahen.
Nach Auffassung des Senats greifen unter den gegebenen Umständen die Grundsätze der sog. sekundären Darlegungslast ein (vgl. hierzu: Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 138 Rn. 8b m.w.N.) Es obliegt dem beklagten Fahrzeughersteller hiernach, konkret zur Funktionsweise und den Auswirkungen der implementierten Funktionsänderung in allen maßgebenden Einzelheiten vorzutragen, die eine Beurteilung unter Berücksichtigung der hierzu vom Bundesgerichtshof aufgestellten Maßstäbe (BGH, Urteil vom 26.06.2023-VIa ZR 335/21 Rn. 51, juris) ermöglicht.