Titel:
Feststellung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit
Normenketten:
VVG § 172
BUZ § 2 Abs. 1
ZPO § 286
Leitsätze:
1. Die Diagnose einer psychischen Erkrankung besagt als solche nichts über das Vorliegen von Berufsunfähigkeit. Ergeben sich bei der Symptomvalidierung auffällige und in erster Linie auf ein starkes Rentenbegehren deutende Antwortverzerrungen, schließt das regelmäßig den Beweis eines bedingungsgemäßen Maßes der beruflichen Beeinträchtigung aus (Anschluss an OLG Saarbrücken BeckRS 2016, 10274; OLG Frankfurt BeckRS 2005, 33316). (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Setzt sich die berufliche Tätigkeit des Versicherten aus mehreren Einzelverrichtungen zusammen, denen sowohl zeitlich als auch qualitativ unterschiedliches Gewicht zukommt, ist maßgeblich, ob der Versicherte seine Arbeit mit den sie prägenden Merkmalen noch in dem bedingungsgemäß maßgeblichen Umfang wahrnehmen kann (Anschluss an BGH BeckRS 2017, 120124). (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufsunfähigkeitsversicherung, psychische Erkrankung, querulatorisch dissoziale Persönlichkeitsstörung, Symptomvalidierung, Berufstätigkeit, prägende Merkmale, Zeitanteile
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 20.12.2023 – 20 O 2822/21
Fundstelle:
BeckRS 2024, 32562
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 20.12.2023, Az. 20 O 2822/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, die der Kläger gemeinsam mit einer Rentenversicherung seit 2004 bei der Beklagten unterhält (Anlage K 1).
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Der bis Dezember 2044 laufenden Zusatzversicherung liegen die Besonderen Bedingungen der Beklagten für die Bausteine zur Berufsunfähigkeitsvorsorge (im Folgenden: BUZ; Anlage B.. 1) zugrunde. Für den Fall der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit sind die Zahlung einer Rente von monatlich 400,00 € sowie die Befreiung von der Beitragszahlungspflicht für Haupt- und Zusatzversicherung vereinbart. Die monatliche Gesamtprämie betrug zuletzt 36,81 €.
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Der zuletzt als „Anlagenfahrer Backwerk“ (Maschinenführer) im Vollzeit-Schichtbetrieb bei einem Lebensmittelhersteller tätige Kläger machte im Juni 2020 gegenüber der Beklagten Ansprüche aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung geltend (Anlage B.. 2a). Daraufhin trat die Beklagte in die Leistungsprüfung ein, erholte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Facharztes Dr. H (Anlage B.. 4) und lehnte die geltend gemachten Ansprüche mit Schreiben vom 12.01.2021 ab (Anlage B.. 5).
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Der Kläger macht geltend, er sei aufgrund diverser körperlicher und psychischer Beeinträchtigungen (insbesondere depressive Störung, chronische Schmerzstörung, Spondylarthrose, Bandscheibenprotrusion und Schmerzen am rechten Oberschenkel) seit spätestens Dezember 2018 bedingungsgemäß berufsunfähig. Er begehrt die Zahlung rückständiger BU-Rente von 10.800,00 € (Januar 2019 bis März 2021), Erstattung von Beiträgen in Höhe von 993,87 €, Zahlung weiterer BU-Rente von monatlich 400,00 € (ab April 2021) und die künftige Gewährung von Beitragsfreiheit. Schließlich fordert er Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 750,60 €.
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Das Landgericht hat diese Klage nach Beweisaufnahme vollständig abgewiesen. Es hat dabei im Wesentlichen darauf abgestellt, dass der Kläger die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit nicht nachgewiesen habe. Zwar liege bei dem Kläger eine leichte rezidivierende depressive Störung vor. Im Vordergrund stehe aber die querulatorisch dissoziale Persönlichkeitsstörung des Klägers. Im Übrigen sei eine deutliche Aggravationstendenz zu beobachten. Schwerwiegende orthopädische Erkrankungen seien nicht festzustellen. Lediglich für die Teiltätigkeit der Mitarbeiterführung liege eine Beeinträchtigung von 50% vor. Dabei handele es sich jedoch nicht um das Hauptarbeitsgebiet des Klägers.
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Hiergegen wendet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlich gestellten Klageanträge weiterverfolgt.
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Der Senat ist gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich an die in erster Instanz festgestellten Tatsachen gebunden. Durchgreifende und entscheidungserhebliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen ergeben sich nicht. Die maßgeblichen Tatsachen rechtfertigen keine von der des Landgerichts abweichende Entscheidung und dessen Entscheidung beruht auch nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Zu Recht und mit überzeugender Begründung hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers aus § 1 Abs. 1 BUZ verneint und aus diesem Grund die gesamte Klage abgewiesen. Mit den hiergegen erhobenen Einwendungen kann die Berufung nicht durchdringen.
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1. Als Versicherungsnehmer oblag dem Kläger nach allgemeinen Grundsätzen der Beweis der anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 05.07.1995 – IV ZR 196/94, r+s 1996, 374; BeckOK-VVG/ Mangen/Marlow, § 172 Rn. 87 [Stand: 22.04.2024]). Er hatte also nachzuweisen, dass er infolge Krankheit voraussichtlich mindestens 3 Jahre und mit einem Grad von mindestens 50% außerstande ist, seinen versicherten Beruf auszuüben (§ 2 Abs. 1 BUZ). Wann erstmals ein solcher Zustand gegeben war, der nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft keine Erwartungen mehr auf eine Besserung rechtfertigte, ist rückschauend festzustellen bzw. zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 11.10.2006 – IV ZR 66/05, NJW-RR 2007, 93 Rn. 10 m.w.N.). Es gilt das Beweismaß des § 286 Abs. 1 ZPO, was jedoch – zumal bei Umständen auf dem Fachgebiet der Psychiatrie – keine 100%-ige Sicherheit im naturwissenschaftlichen Sinne erfordert (vgl. OLG Hamm, r+s 1997, 126). Weder die Kriterien einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) im Versorgungsrecht noch des Grades der Behinderung (GdB) im Schwerbehindertenrecht sind für die private Berufsunfähigkeitsversicherung maßgebend (vgl. Ernst/Rogler, Berufsunfähigkeitsversicherung, 2. Aufl., § 2 BUV Rn. 14 ff.).
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Den notwendigen Beweis hat die Vorinstanz fehlerfrei als nicht geführt angesehen (LGU 7-10).
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a) Die Berufungsinstanz stellt einerseits keine vollständige zweite Tatsacheninstanz dar. Daher ist die Beweiswürdigung des Erstgerichts im Rahmen der §§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO im Wesentlichen darauf zu untersuchen, ob erhebliches Parteivorbringen übergangen worden ist, notwendige Beweise nicht erhoben worden sind, die Beweislast oder das Beweismaß verkannt worden sind oder im Rahmen der Würdigung gegen Denk- oder Naturgesetze verstoßen worden ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 21.06.2016 – VI ZR 403/14, NJW-RR 2017, 219 Rn. 10 m.w.N.; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 21. Aufl., § 529 Rn. 5).
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Andererseits dient auch die Berufungsinstanz der Gewinnung einer fehlerfreien und überzeugenden und damit richtigen Entscheidung des Einzelfalls. Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 04.09.2019 – VII ZR 69/17, NJW-RR 2019, 1343 Rn. 11 m.w.N.).
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Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der vom erstinstanzlichen Gericht aufgrund erhobener Beweise getroffenen Feststellungen sind allerdings nur begründet, wenn aus der Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass eine (ergänzende oder wiederholte) Beweisaufnahme in zweiter Instanz zu abweichenden Feststellungen führen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 21.03.2018 – VII ZR 170/17, NJW-RR 2018, 651 Rn. 15 m.w.N.). Lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit begründen eine solche Wahrscheinlichkeit nicht.
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Um im Rahmen der Berufungsbegründung Zweifel an der Beweiswürdigung des Erstgerichts darzulegen (§§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), genügt es regelmäßig nicht, der plausiblen Auffassung eines Sachverständigen lediglich die abweichende Meinung des Berufungsführers entgegenzuhalten (vgl. OLG Dresden, BeckRS 2020, 28356 Rn. 15.).
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Solange die Beweiswürdigung innerhalb der zuvor genannten Grenzen sachlich überzeugt, wird die Berufung keinen Erfolg haben (vgl. OLG Koblenz, BeckRS 2018, 28845 Rn. 9; Jäckel, Das Beweisrecht der ZPO, 3. Aufl., Rn. 857).
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Dies ist hier der Fall:
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b) Auf der Grundlage des klägerischen Sachvortrags hat das Landgericht zunächst Beweis erhoben über Art und Umfang der zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten beruflichen Tätigkeit des Klägers. Es hat im Rahmen des Termins vom 02.03.2022 den Kläger ausführlich informatorisch befragt und außerdem den Zeugen Z – einen ehemaligen Arbeitskollegen des Klägers – vernommen.
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Sodann hat das Landgericht am 23.03.2022 einen Beweisbeschluss erlassen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet. Dabei wurden dem Sachverständigen die rechtlichen Rahmenbedingungen erläutert und das maßgebliche Berufsbild vorgegeben (§ 404a Abs. 3 ZPO).
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Der Sachverständige Dr. A, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Chefarzt im Klinikum am E, E, hat unter dem 14.11.2022 ein schriftliches Gutachten erstattet. An der Sachkunde und der forensischen Erfahrung des Sachverständigen bestehen keine Zweifel. Er hat den Kläger persönlich untersucht, eine ergänzende testpsychologische Begutachtung veranlasst sowie alle zur Verfügung gestellten Behandlungsberichte und Befunde ausgewertet.
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Der Sachverständige gelangte zu der Einschätzung, dass in neurologischer Hinsicht keine Auffälligkeiten festzustellen gewesen seien. Die Stimmung des Probanden sei gereizt, aber nicht depressiv gewesen. Insgesamt habe sich die Untersuchung und Exploration des Klägers schwierig gestaltet, weil dieser teilweise nicht bereit gewesen sei, Angaben zu seiner Lebenssituation und Anamnese zu machen. Zwänge, Sinnestäuschungen oder psychopathologische Störungen lägen nicht vor. Die weitere Testung habe eine allenfalls leicht ausgeprägte depressive Symptomatik ergeben (ICD-10: F33.0), mit deutlichen Hinweisen auf eine Aggravationstendenz beim Kläger. Die psycho-physische Belastbarkeit sei als leicht vermindert einzuschätzen. Bei dem Kläger liege sicherlich ein Schmerzsyndrom vor, das jedoch nicht die Kriterien einer Somatisierungsstörung o.ä. erfülle. Relevante Einschränkungen beim Heben oder Tragen schwerer Gegenstände konnte der Sachverständige nicht feststellen. Bei dem Kläger stehe eine querulatorisch dissoziale Persönlichkeitsstörung im Vordergrund (ICD-10: F60.0 und F60.2). Er habe daher zwar Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu führen. Dies sei ihm aber prinzipiell ebenso möglich wie das Bewältigen von Störungen im Produktionsablauf. Letztlich handele es sich um willentlich kontrollierte Verhaltenseinflüsse, d.h. der Kläger sei aktiv zu der Entscheidung gekommen, nicht mehr in seinem alten Beruf arbeiten zu wollen. Die Kriterien für eine Berufsunfähigkeit seien von Dezember 2018 bis zum Zeitpunkt der Begutachtung im September 2022 durchgehend nicht erfüllt gewesen.
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In seinem schriftlichen Ergänzungsgutachten vom 10.03.2023 hat der Sachverständige Dr. A erneut die fehlende Validität der anamnestischen Angaben des Klägers hervorgehoben. Ferner hat er die Bewertung der festgestellten Persönlichkeitsstörung näher erläutert. Die Arbeits- oder Berufsfähigkeit werde hierdurch keinesfalls ausgeschlossen. Die ebenfalls festgestellten Aggravationstendenzen seien primär Ausdruck eines starken Rentenbegehrens. Die von dem Kläger vorgetragene Schmerzschilderung erscheine äußerst diffus und habe keinem konkreten orthopädischen Krankheitsbild zugeordnet werden können. Daher müssten die aktenkundigen schmerzrelevanten Diagnosen der Vorbehandler kritisch hinterfragt werden. Das unspezifische Schmerzsyndrom habe jedenfalls keine Auswirkungen auf die Arbeitserbringung des Klägers. Von einer Somatisierungsstörung könne nicht gesprochen werden. Hinzu komme auch hier eine erhebliche Aggravationstendenz, so dass – so der Sachverständige Dr. A – ein orthopädisches Zusatzgutachten nicht erforderlich sei.
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Schließlich ist der Sachverständige am 06.11.2023 vor dem Landgericht mündlich befragt worden. Hier hat er nochmals die Kriterien erläutert, die aus seiner Sicht für eine bei dem Kläger festzustellende Persönlichkeitsstörung sprechen. Für eine vorprozessual teilweise diagnostizierte posttraumatische Belastungsstörung gebe es hingegen keinerlei Anhaltspunkte; die geschilderten Schwierigkeiten des Klägers an verschiedenen Arbeitsplätzen seien hierfür nicht als Auslöser geeignet. Die Persönlichkeitsstörung führe auch nicht zu einer Verstärkung der depressiven Symptomatik. Die aktenkundigen orthopädischen Befunde seien bei einem Patienten im Alter des Klägers (geboren 1985) die Regel, d.h. es handele sich um alterstypische Abnutzungen ohne relevanten Krankheitswert. Das gelte namentlich für Beeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule, welche er – der Sachverständige Dr. A – als Neurologe selbst beurteilen könne. Für das geltend gemachte Schmerzsyndrom gebe es keinen wirklichen klinischen Hinweis.
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c) Diese Einschätzung des Sachverständigen stimmt in wesentlichen Punkten der Begründung und im Ergebnis mit der vorgerichtlichen fachärztlichen Begutachtung durch Dr. H überein (Anlage B.. 4). Nach eigener kritischer Würdigung der umfangreichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. A gelangt auch der Senat zu dem Ergebnis, dass der zweifelsfreie Nachweis einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit nicht geführt worden ist.
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Die Diagnose einer psychischen Erkrankung besagt als solche nichts über das Vorliegen von Berufsunfähigkeit. Ergeben sich bei der Symptomvalidierung – wie hier – auffällige und in erster Linie auf ein starkes Rentenbegehren deutende Antwortverzerrungen, schließt das regelmäßig den Beweis eines bedingungsgemäßen Maßes der beruflichen Beeinträchtigung aus (vgl. OLG Saarbrücken, r+s 2017, 429; OLG Frankfurt, BeckRS 2005, 33316).
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d) Die Einwendungen der Berufung rechtfertigen keine andere Sichtweise.
26
Die Bemessung eines konkreten Grades von Berufsunfähigkeit ist keine mathematisch zu bewältigende Aufgabe (vgl. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl., Kap. 5 Rn. 55). Setzt sich die berufliche Tätigkeit aus mehreren Einzelverrichtungen zusammen, denen sowohl zeitlich als auch qualitativ unterschiedliches Gewicht zukommt, ist maßgeblich, ob der Versicherte seine Arbeit mit den sie prägenden Merkmalen noch in dem bedingungsgemäß maßgeblichen Umfang wahrnehmen kann (vgl. BGH, Urteil vom 19.07.2017 – IV ZR 535/15, NJW-RR 2017, 1066 Rn. 17 f.).
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Der Sachverständige Dr. A gelangte zu der überzeugenden Einschätzung, dass bei dem Kläger die Teiltätigkeiten
- Maschinen säubern, reinigen und überwachen zu 10%,
- Mitarbeiterführung (Posten zuteilen, Anlernen und Beaufsichtigung) zu 50%,
- Produktion (Pläne bearbeiten, Maschinen einstellen und führen, Zutaten anfordern und bereitstellen) zu 10% und
- Schichtübergabe zu 0% beeinträchtigt seien (Hauptgutachten, Seite 40).
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Anhand der Angaben des Klägers im Rahmen seiner informatorischen Befragung vor dem Landgericht und der Aussagen des Zeugen Z ist davon auszugehen, dass der Kläger in gesunden Tagen eine überwiegend körperlich geprägte Tätigkeit ausgeübt hat, die in dem Überprüfen und Führen einer Maschine zur Herstellung von Fertigblätterteig bestand. Beim Auf- und Abbau der Maschine waren schwere Teile und Säcke mit Zutaten zu heben und zu tragen. Dies sei – so der Zeuge – körperlich fordernd gewesen. Darüber hinaus hatte der Kläger das Personal der Schicht einzuteilen und darauf zu achten, dass diese Kollegen ihre Aufgaben fachgerecht erledigen. Nach den Angaben des Klägers seien durchschnittlich 8 Mitarbeiter anwesend gewesen. Demgegenüber hat der Zeuge Z bekundet, dass ein Linienführer für 5 Personen verantwortlich gewesen sei.
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Danach ist zunächst festzustellen, dass der Kläger trotz der vom Sachverständigen ausgeführten Beeinträchtigungen im Teilbereich „Mitarbeiterführung“ noch Tätigkeiten ausüben konnte, mit denen weiterhin ein sinnvolles Arbeitsergebnis zu erzielen war. Dass die Einteilung und Überwachung von 5 bis 8 Personen pro Schicht ein prägendes Kernelelement der maßgeblichen Tätigkeit des Klägers darstellte und als untrennbarer Bestandteil eines beruflichen Gesamtvorgangs erscheint, vermag der Senat nicht zu erkennen (zutreffend auch Berufungserwiderung, Seite 4).
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Hinzu kommt, dass die vom Sachverständigen Dr. A festgestellten Beeinträchtigungen der beruflichen Tätigkeit nur zu einem geringen Teil auf einer Krankheit i.S.d. § 2 Abs. 1 BUZ – nämlich einer leichtgradigen rezidivierenden depressiven Störung – beruhen. Im Vordergrund steht nach dem zweifelsfreien Beweisergebnis eine querulatorisch dissoziale Persönlichkeitsstörung bei dem Kläger. Dieses Persönlichkeitsmerkmal besteht bei dem Kläger stabil über Jahrzehnte und kann nicht als einen Versicherungsfall auslösende Krankheit eingeordnet werden (Hauptgutachten, Seite 40). Es handelt sich somit um ein „mitgebrachtes“ Charaktermerkmal des Klägers. Wenn aber die für einen Versicherungsfall gem. § 2 Abs. 1 BUZ nicht maßgebliche Persönlichkeitsstörung derart im Vordergrund steht wie im Streitfall, kann die einzig relevante Krankheit denklogisch nicht zu einer Einschränkung führen, die bei der Teiltätigkeit „Mitarbeiterführung“ mindestens 50% erreicht. Nicht anders sind die ergänzenden mündlichen Ausführungen des Sachverständigen zu verstehen (Sitzungsprotokoll vom 06.11.2023, Seite 4). Dort hat er deutlich gemacht, dass die Einschränkung der Mitarbeiterführung durch die Persönlichkeitsstörung des Klägers bedingt sei. Hierauf kann eine Berufsunfähigkeit im konkreten Fall daher nicht gestützt werden.
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2. Mangels Hauptforderung schuldet die Beklagte auch keine Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
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Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Senat, die Berufung zurückzunehmen. Hierdurch würden sich die Gerichtskosten von 4,0 auf 2,0 Gebühren reduzieren (Nr. 1222 KV GKG).