Titel:
Fehlender Nachweis einer Prozessvollmacht
Normenketten:
FGO § 62 Abs. 6, § 78, § 79a Abs. 2 u. 4, § 115 Abs. 2, § 135 Abs. 1
StBerG § 3 S. 1 Nr. 1
ZPO § 173
Leitsatz:
Die Klageabweisung als unzulässig aufgrund des Fehlens des Nachweises der Vollmacht als Sachentscheidungsvoraussetzung führt der Mangel ergeht gegenüber dem angeblich Vertretenen als Beteiligtem und ist diesem zuzustellen (vgl. BFH-Beschluss vom 2. Juni 1998 VII B 28/98, BFH/NV 1999, 52, BeckRS 1998, 30015292). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fehlt der Nachweis der Vollmacht als Sachentscheidungsvoraussetzung führt der Mangel nach § 62 Abs. 6 Satz 4 FGO zur Abweisung des Klagebegehrens als unzulässig., Die Entscheidung ergeht gegenüber dem angeblich Vertretenen als Beteiligtem und ist diesem zuzustellen., Ermessensreduzierung, Ermessen, Empfangsbekenntnis, Akteneinsicht, Nachweis, Postzustellungsurkunde, unzulässige Klage, richterliche Anordnung, Zugang, Stellungnahme, Zugangsnachweis
Fundstelle:
BeckRS 2024, 32529
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die als vollmachtlose Vertreterin aufgetretene [… StB].
Entscheidungsgründe
1
Mit Schriftsatz vom 17. August 2023 erhob die Steuerberaterin […] (StB) im Namen des Klägers Klage gegen die Einkommensteuerbescheide für 2016, 2017, 2018 und 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2023 (Donnerstag). Begehrt wird die antragsgemäße Berücksichtigung der geltend gemachten Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit ohne Hinzurechnung von ausländischem Arbeitslohn wegen Anwendung des Freistellungsverfahrens.
2
Ausweislich des Prüfvermerks (Dok-Nr. 8) ging die aus dem besonderen elektronischen Steuerberater-Postfach der StB übermittelte Klageschrift am 18. August 2023 um 10:40 Uhr beim Finanzgericht ein. In diesem Schriftsatz wurde darauf hingewiesen, dass die Einspruchsentscheidung am 18. Juli 2023 zugegangen sei. Außerdem kündigte StB an, die Klagebegründung und Prozessvollmacht binnen eines Monats nachzureichen. Mit Schriftsatz vom 10. Oktober 2023 wurde die Klage – nach Gewährung einer Fristverlängerung – begründet. In den Schreiben vom 17. August 2023 und 10. Oktober 2023 wurde von StB Akteneinsicht beantragt.
3
Der Kläger beantragt derzeit,
die Einkommensteuerfestsetzungen für 2016, 2017, 2018 und 2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2023 aufzuheben,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
4
Der Beklagte beantragt,
5
In seiner Stellungnahme vom 8. November 2023 wies der Beklagte, das Finanzamt, darauf hin, dass die Klagefrist versäumt worden sei.
6
Am 15. November 2023 übersandte der Beklagte die Steuerakten zum Streitfall.
7
Mit Anordnung vom 8. November 2023 wurde der Kläger (vertreten durch StB) aufgefordert, den Zugang der Einspruchsentscheidung am 18. Juli 2023 nachzuweisen. Ausweislich des Zustellprotokolls (Dok-Nr. 38) ging diese Anordnung am 9. November 2023 auf dem Server der StB ein. Mit gerichtlichem Schreiben vom 21. November 2023 wurde StB darüber informiert, dass die Steuerakten des Beklagten beim Finanzgericht eingegangen sind und das Akteneinsicht nach Vorlage einer Prozessvollmacht genommen werden kann (Dok-Nr. 43). Da auf die richterliche Anordnung vom 8. November 2023 keine Stellungnahme erfolgte, wurde der Kläger (vertreten durch StB) erneut mit Anordnung vom 15. Januar 2024 aufgefordert, den Zugang der Einspruchsentscheidung am 18. Juli 2023 nachzuweisen. Ausweislich des Zustellprotokolls (Dok-Nr. 46) ging diese Anordnung am 16. Januar 2024 auf dem Server der StB ein; das elektronisches Empfangsbekenntnis wurde nicht zurückgesendet. Mit Schreiben vom 1. März 2024 wurde StB vom Berichterstatter darauf hingewiesen, dass die Anordnungen vom 8. November 2023 und vom 16. Januar 2024 noch nicht beantwortet sind und dass auch das elektronischen Empfangsbekenntnis zu der Anordnung vom 15. Januar 2024 nicht zurückgesendet wurde.
8
Mit Schreiben vom 28. Februar 2024 führte StB für den Kläger aus, dass der Beklagte bereits im Vorfeld der Klage über den verspäteten Zugang der Einspruchsentscheidung informiert worden sei. Zusätzlich wurde erneut Akteneinsicht beantragt und gebeten, die Akten zum Finanzamt [… G-Stadt] zu übersenden.
9
Mit weiterer Anordnung vom 1. März 2024 wurde der Kläger (vertreten durch StB) erneut aufgefordert, den Zugang der Einspruchsentscheidung am 18. Juli 2023 nachzuweisen und außerdem aufgefordert, den Ansprechpartner beim Beklagten zu benennen, der über den verspäteten Zugang der Einspruchsentscheidung informiert worden sei. Diese Anordnung wurde der StB mit Postzustellungsurkunde am 6. März 2024 (Dok-Nr. 59) zugestellt. Ausweislich des Zustellprotokolls ging diese Anordnung am 4. März 2024 (Dok-Nr. 55) auf dem Server der StB ein; das elektronisches Empfangsbekenntnis wurde nicht zurückgesendet.
10
Mit Schreiben vom 4. März 2024 wurde StB von der Senatsgeschäftsstelle nochmals aufgefordert, vor die Gewährung von Akteneinsicht eine Prozessvollmacht vorzulegen. Eine Vorlage der Prozessvollmacht erfolgte jedoch nicht.
11
Mit Anordnung vom 2. Mai 2024 wurde der Kläger vertreten durch StB mit richterlicher Anordnung aufgefordert, in der Frist bis zum 6. Juni 2024 eine Prozessvollmacht nachzureichen. In der Anordnung wurde darauf hingewiesen, dass bei Nichtvorlage der Prozessvollmacht die Klage als unzulässig abgewiesen werden kann. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde dir Anordnung vom 2. Mai 2024 am 7. Mai 2024 zugestellt; das elektronische Empfangsbekenntnis wurde nicht zurückgesendet. Eine Vorlage der Prozessvollmacht erfolgte nicht.
12
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die ausgetauschten Schriftsätze und die Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2023 verwiesen.
13
Die Klage ist unzulässig.
14
Das Vorliegen einer Prozessvollmacht wurde nicht nachgewiesen.
15
Bei Bevollmächtigten, die nicht zu den in § 62 Abs. 2 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3 Steuerberatungsgesetz (StBerG) genannten Personen (oder Gesellschaften) gehören, hat das Gericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen, ob eine Vollmacht vorliegt (§ 62 Abs. 6 Satz 3 FGO). Da die Bevollmächtigung nur durch schriftliche Vollmacht nachgewiesen werden kann (§ 62 Abs. 6 Satz 1 FGO), ist die schriftliche Vollmacht Prozesshandlungsvoraussetzung.
16
Tritt – wie im Streitfall – eine Person i.S. des § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO i.V.m. § 3 Satz 1 Nr. 1 StBerG als Bevollmächtigter auf, hat das Gericht den Mangel der Vollmacht nicht von Amts wegen zu berücksichtigen (§ 62 Abs. 6 Satz 3 FGO). Die Entscheidung, den Nachweis der Vollmacht zu fordern, steht dann im Ermessen des Gerichts (BFH-Beschluss vom 7. Mai 2014 II B 117/13, BFH/NV 2014, 1232). Der Nachweis der Bevollmächtigung einer Person nach § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO kann ausnahmsweise dann verlangt werden, wenn begründete Zweifel an der Bevollmächtigung bestehen. Für die Annahme begründeter Zweifel müssen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, abstrakte Mutmaßungen reichen nicht aus. Besteht ein (wenn auch nur geringer) Zweifel daran, dass der als Bevollmächtigter Auftretende tatsächlich bevollmächtigt ist, muss das Gericht den Nachweis der Vollmacht verlangen (Ermessensreduzierung auf null; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 62 FGO Rz. 53 [Nov. 2023] m.w.N.). Die Anforderung der Vollmacht hat keinen strengen Ausnahmecharakter (BFH-Beschluss vom 24. Juni 2008 IV B 83/07, BFH/NV 2008, 1856; Leipold in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, AO/FGO, § 62 FGO Rz. 474 [Feb. 2019]).
17
Begehrt eine in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO bezeichnete Person als Bevollmächtigte des Klägers Akteneinsicht (§ 78 FGO), ohne zugleich eine schriftliche Vollmacht vorzulegen, hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob die Gewährung der Akteneinsicht von der Vorlage einer Vollmacht abhängig gemacht wird (BFH-Beschluss vom 19. Januar 2017 IV B 84/16, BFH/NV 2017, 605). In der Weigerung zur Vorlage der Vollmacht nach § 62 Abs. 6 Satz 1 FGO kann ein Indiz für das Fehlen der Bevollmächtigung zu sehen sein. Dies ist jedoch im Rahmen der Gesamtumstände zu würdigen und darf nicht in jedem Fall die Annahme fehlender Bevollmächtigung rechtfertigen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2017, 605).
18
Fehlt der Nachweis der Vollmacht als Sachentscheidungsvoraussetzung führt der Mangel nach § 62 Abs. 6 Satz 4 FGO zur Abweisung des Klagebegehrens als unzulässig (Brandt in Gosch, AO/FGO § 62 FGO Rz. 236 [März 2023]). Die Entscheidung ergeht gegenüber dem angeblich Vertretenen als Beteiligtem und ist diesem zuzustellen (BFH-Beschluss vom 2. Juni 1998 VII B 28/98, BFH/NV 1999, 52; Brandt in Gosch, AO/FGO, § 62 FGO Rz. 236 [März 2023]).
19
Daraus folgt für den Streitfall: Die Klage ist unzulässig. Denn die schriftliche Vollmacht für die als Prozessbevollmächtigte des Klägers aufgetretene Steuerberaterin StB wurde nach der richterlichen Anordnung vom 2. Mai 2024 nicht vorgelegt. Im Streitfall hat das Gericht das eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, dass der Nachweis der Prozessvollmacht durch die Vorlage einer schriftlichen Vollmachtsurkunde im Original zu erfolgen hat. Die Steuerberaterin begehrt nämlich Akteneinsicht in die Gerichtsakte und die vom Beklagten vorgelegten Akten (§ 78 FGO) und hat trotz wiederholter Anforderung durch die Senatsgeschäftsstelle eine Prozessvollmacht nicht vorgelegt. Im Interesse des Klägers an der Wahrung des Steuergeheimnisses (§ 30 Abgabenordnung <AO>) durfte die Senatsgeschäftsstelle auf die Vorlage einer Prozessvollmacht vor der Gewährung der Akteneinsicht bestehen (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 62 FGO Rz. 54 [Nov. 2023]). Die Nichtvorlage der schriftlichen Vollmachtsurkunde wertet das Gericht als ein Indiz für das Fehlen der Vollmacht. Weiter werden die Zweifel des Gerichts an einer fehlenden Prozessvollmacht dadurch erhärtet, dass die Steuerberaterin StB im Schriftsatz vom 17. August 2023 die Vorlage der Vollmachtsurkunde binnen eines Monats angekündigt hat; das Gericht schließt daraus und aus dem Umstand, dass die Vollmachtsurkunde nach den Aufforderungen durch die Senatsgeschäftsstelle nicht vorgelegt wurde darauf, dass die Vollmachtsurkunde zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht vorgelegen hat. Außerdem hat das Gericht deshalb Zweifel am Vorliegen einer Prozessvollmacht, da StB keines der elektronischen Empfangsbekenntnisses zu den richterlichen Anordnungen an das Gericht zurück gesendet hat, obwohl sie zur unverzüglichen Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses berufsrechtlich verpflichtet ist (vgl. allgemein Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Auflage 2024, § 173 ZPO Rz. 17 zu § 14 Berufsordnung für Rechtsanwälte <BORA>; ebenso § 23 Abs. 1 Berufsordnung Steuerberater <BOStB>). Wenn eine Steuerberaterin mehrfach berufsrechtliche Pflicht gegenüber dem Gericht verletzt, sind auch Zweifel des Gerichts daran berechtigt, dass die Klageerhebung mit einer aktuellen Prozessvollmacht des Klägers erfolgt ist.
20
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Kosten hat derjenige zu tragen, der das vollmachtlose Auftreten veranlasst hat. Dies ist bei fehlender Vollmacht in der Regel der Vertreter (Brandt in Gosch, AO/FGO, § 62 FGO Rz. 237 [März 2023]).
21
Es erscheint sachgerecht, durch Gerichtsbescheid des Berichterstatters zu entscheiden (§ 90a i.V.m. § 79a Abs. 2 und 4 FGO). Die Revision war nicht zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO).