Inhalt

VG München, Urteil v. 01.10.2024 – M 9 K 20.6878
Titel:

Erfolglose Klage der Nachbarn gegen Boarding-Haus im faktischen reinen Wohngebiet

Normenketten:
BauGB § 31 Abs. 1, § 34 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO § 3 Abs. 3 Nr. 1, § 12 Abs. 2, § 15 Abs. 1
BayBO Art. 6
Leitsätze:
1. Bei der Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn ist grundsätzlich auf die Umstände zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung abzustellen. Änderungen zu Lasten des Bauherrn werden nicht berücksichtigt, selbst wenn sie während eines laufenden Rechtsbehelfsverfahrens eintreten. Hat sich dagegen die Sach- und Rechtslage zugunsten des Bauherrn geändert, ist materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für eine Tiefgarage sind keine Abstandsflächen gem. Art. 6 BayBO erforderlich, da sich aus dem Schutzzweck des Abstandsflächenrechts ergibt, dass nur oberirdische Gebäude eine Abstandsflächenpflicht auslösen. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Boarding-Haus, das vor allem für Personen gedacht ist, die über einen längeren Zeitraum am Ort verweilen müssen und denen dabei eine gewisse Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von hoteltypischen Serviceleistungen auch aus Kostengründen wichtig ist, stellt eine bauplanungsrechtlich nicht näher geregelte Übergangsform zwischen Wohnnutzung und Beherbergungsbetrieb dar, wobei die schwerpunktmäßige Zuordnung von den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls abhängt. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die kleinen Betriebe des Beherbergungsgewerbes (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO) werden dadurch gekennzeichnet, dass sie sich der Vermietung von Wohnräumen annähern, baulich zumeist nicht besonders in Erscheinung treten und infolgedessen auch den Charakter des reinen Wohngebiets nicht beeinflussen. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbarklage, Baugenehmigung, Abstandsflächen, Gebietserhaltungsanspruch, Gebot der Rücksichtnahme, Stellplätze, Boarding-Haus, Nachbar, Faktisches Wohngebiet, kleiner Betrieb des Beherbergungsgewerbes, Rücksichtnahmegebot, Tiefgarage, Einsichtnahmemöglichkeiten, Wertminderung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 03.09.2025 – 1 ZB 24.2087
Fundstelle:
BeckRS 2024, 32418

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.  

Tatbestand

1
Die Kläger wenden sich gegen einen dem Beigeladenen zu 1. erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Boarding-Hauses mit sechs Apartments und einer Wohnung mit Tiefgarage auf dem Grundstück FlNr. 19/3 der Gemarkung E* … (im Folgenden: Vorhabengrundstück).
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Die Kläger sind Eigentümer des westlich an das Vorhabengrundstück angrenzenden Grundstücks FlNr. 19/4 der Gemarkung E* … Dieses ist mit einem Wohnhaus bebaut.
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Für den Bereich, in dem das Vorhabengrundstück liegt, gibt es keinen Bebauungsplan.
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Laut Betriebsbeschreibung vom … Oktober 2020 richtet sich das Vorhaben hinsichtlich des Wohnens auf Zeit hauptsächlich an Geschäftsreisende, Ingenieure und Monteure. Der Aufenthalt sei maximal auf sechs Monate begrenzt. Die Zimmer werde mit Bett, Schrank, Kochgelegenheit, WC und Dusche ausgestattet. Es gibt eine Rezeption, einen Waschraum, in dem Waschmaschinen zur Verfügung gestellt werden, und es werden eine Zimmerreinigung sowie der Wechsel der Bettwäsche angeboten.
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Mit angefochtener Baugenehmigung vom … November 2020 wurde dem Beigeladenen zu 1. eine Baugenehmigung für den Neubau eines Boarding-Hauses mit sechs Apartments und einer Wohnung mit Tiefgarage auf dem Vorhabengrundstück erteilt. Die Genehmigung wurde u.a. unter der Auflage erteilt, dass die Betriebsbeschreibung vom … Oktober 2020 zum Bestandteil der Genehmigung erklärt wird (Nr. 4.3 der Auflagen).
6
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 22. Dezember 2020, bei Gericht am 23. Dezember 2020 eingegangen, ließen die Kläger Klage gegen den Bescheid vom … November 2020 erheben und beantragten,
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den Bescheid vom 19. November 2020 aufzuheben.
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Mit Schriftsätzen vom 10. Mai 2021 und 9. September 2024 wurde im Wesentlichen klagebegründend ausgeführt, dass das Vorhaben die Abstandsflächen von 1 H nicht einhalte und den Mindestabstand von 3 m unterschreite. Man sei von der falschen Höhe von 6,3 m statt von tatsächlich mindestens 10,11 m ausgegangen. Zugleich sei ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme anzunehmen, da durch das deutlich höhere Vorhaben mit mehreren Balkonen auf der westlichen Seite erheblich mehr Einblicke auf das Grundstück der Kläger, gerade im Bereich des Erkers der Kläger, wo der Grenzabstand lediglich 3,50 m betrage, möglich werden würden und den Klägern kein Rückzugsbereich mehr auf ihrem Grundstück verbleibe. Belichtung und Beleuchtung seien mangels ausreichender Abstandsflächen beeinträchtigt, was auch zu erheblichen Einschränkungen der Solaranlage der Kläger führe. Das Bauvorhaben, insbesondere durch die Tiefgarage mit einem Abstand von 25 cm zum Grundstück und 2,30 m zum Wohngebäude der Kläger, würde eine erhebliche größere Frequentierung der anliegenden Straße und höhere Immissionen zur Folge haben. Aufgrund der geplanten Wendeplatte, der zehn auf engstem Raum geplanten Stellplätze und dem Lüfter der Tiefgarage seien erhebliche Geräuschimmissionen und Abgase zu erwarten. Der Lüfter trage die Abluft direkt in das Schlafzimmer der Kläger, obwohl eine Lüftung an anderer Stelle möglich sei. Da die Keller Nr. 2 und Nr. 3 bei nicht vollständigem Verschließen der Kellertüre die Einfahrt versperrten, führe dies zu längeren Standzeiten in der Durchfahrt und stärkeren Immissionen durch Abgase. Weiter drohten infolge der weiteren Versiegelung des Vorhabengrundstücks und der Zerstörung versickerungsfähigen Erdbodens Überschwemmungen des klägerischen Grundstücks. Durch die Errichtung des Bauvorhabens und einer unterirdischen Bohrung könnte der unter den Grundstücken Fl.-Nr. 19/3 und 19/4 befindliche See im Hinblick auf dessen Wasserzu- und Abflüsse verändert und das Erdreich durchnässt werden. Aufgrund der Höhe des Bauvorhabens von 10,11 m gehe von ihm eine erdrückende Wirkung aus. Schließlich führe die Verwirklichung des im Vergleich zum klägerischen Gebäude 2,30 m höheren Bauvorhabens zu einer erheblichen Wertminderung des Grundstücks der Kläger. Auf den Inhalt der Schriftsätze im Übrigen wird Bezug genommen.
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Der Beklagte hat mit Schreiben vom 12. Januar 2024 beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Abstandsflächen durch das Bauvorhaben eingehalten seien. Die vom Kläger genannte Höhe von 10,11 m sei die Firsthöhe, welche an der Traufseite für die Abstandsflächenberechnung aufgrund der Dachneigung von unter 45 Grad unberücksichtigt bliebe. Der Abstand des Vorhabens zur Grundstücksgrenze betrage mindestens 3,50 m, in einem Teilbereich sogar 7,80 m. Auch wenn man den neugefassten Art. 6 Abs. 5a Satz 1 BayBO zugrunde lege, würden die Abstandsflächen dennoch auf dem Baugrundstück eingehalten. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme zu Lasten des Klägers liege nicht vor. Eine erdrückende Wirkung unter Berücksichtigung der Höhe des Bauvorhabens und der Entfernung zum klägerischen Grundstück sei nicht erkennbar. Die sehr hohen Anforderungen der ständigen Rechtsprechung seien vorliegend nicht ansatzweise erfüllt; das Haus des Klägers sei lediglich 2,30 m niedriger. Die Möglichkeit einer gesteigerten Einsichtnahme in das klägerische Grundstück sei hinzunehmen. Die zwei oberirdischen Stellplätze sowie die Einfahrt zur Tiefgarage würden an der vom Klägergrundstück abgewandten Seite errichtet, so dass der damit verbundene Verkehr klägerabgewandt erfolge. Da es sich bei dem Bauvorhaben um ein Boarding-Haus mit sechs Appartements und einer Wohnung handele, sei mit keinem übermäßigen und die Verträglichkeit des Vorhabens störenden Verkehr zu rechnen. Selbst wenn die Türen zu den Kellerräumen offenstehen sollten, handele es sich dabei um einen Ausnahmefall, der wohl auch nicht zu Stauungen und vermehrten Abgasen führen würde, da es sich um eine kleine private Tiefgarage handele und diese nicht ständig befahren und verlassen werde. Hinsichtlich der vorgetragenen drohenden Überschwemmung bestünden keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme einer solchen Gefahr. Auf den Inhalt des Schriftsatzes im Übrigen wird Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 13. Juni 2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen (§ 6 Abs. 1 VwGO), nachdem die Beteiligten im Rahmen der Klageerstzustellung dazu gehört worden waren.
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Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
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Am 1. Oktober 2024 fanden Augenschein und mündliche Verhandlung statt; auf das Protokoll wird Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und auf die vorgelegten Behördenakten samt genehmigter Bauvorlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.
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1. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtene Baugenehmigung vom … November 2020 verletzt keine Rechte, die dem Schutz der Kläger dienen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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In der hier vorliegenden Konstellation der Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn verspricht die Klage nur dann Erfolg, wenn durch die streitgegenständliche Baugenehmigung öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt werden, welche gerade auch dem Schutz der Kläger dienen und Gegenstand des hier einschlägigen vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens gemäß Art. 59 Satz 1 BayBO sind (vgl. BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
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Eine Verletzung von drittschützenden Vorschriften liegt nicht vor. Die Baugenehmigung weist keine materiellen Fehler auf, die die Kläger in ihren Rechten verletzten könnten. Weder liegt eine Verletzung der seitens der Kläger gerügten Abstandsflächenvorschriften mit Blick auf die dem Klägergrundstück zugewandte Seite des Vorhabens vor (a.), noch ist der sogenannte Gebietserhaltungsanspruch verletzt (b.). Schließlich ist eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots zulasten der Kläger ebenfalls nicht gegeben (c.).
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a. Die Vorschriften des – drittschützenden – landesrechtlichen Abstandsflächenrechts des Art. 6 BayBO sind hinsichtlich der den Klägern zugewandten Seite des Bauvorhabens eingehalten.
21
Die Bayerische Bauordnung wurde insbesondere hinsichtlich des Abstandsflächenrechts zum 1. Februar 2021 und somit nach Erteilung der Baugenehmigung geändert. Bei der Anfechtung einer Baugenehmigung durch einen Nachbarn ist grundsätzlich auf die Umstände zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung abzustellen. Änderungen zu Lasten des Bauherrn werden nicht berücksichtigt, selbst wenn sie während eines laufenden Rechtsbehelfsverfahrens eintreten. Hat sich dagegen die Sach- und Rechtslage zugunsten des Bauherrn geändert, ist materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BayVGH, B.v. 18.1.2010 – 1 ZB 07.3187 – juris Rn. 12 m.w.N.).
22
Vorliegend erfüllt das Vorhaben die abstandsflächenrechtlichen Vorgaben sowohl hinsichtlich der zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung maßgeblichen Fassung des Art. 6 BayBO (Art. 6 BayBO a. F.) als auch hinsichtlich der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblichen Fassung des Art. 6. BayBO (Art. 6 BayBO n. F.).
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Das ergibt sich ohne weiteres aus den genehmigten Bauvorlagen, insbesondere aus der genehmigten Bauvorlage „Ansichten, Grundrisse, Schnitt“, in der die Abstandsflächen eingezeichnet sind.
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Der Einwand des Klägerbevollmächtigten, der Beklagte gehe bei der Berechnung der Abstandsflächen von einer falschen Höhe aus, da diese mindestens 10,11 m betrage, ist für das Gericht nicht erkennbar.
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Bei der vom Klägerbevollmächtigten genannten Höhe handelt es sich ausweislich der Bauvorlagen um die maximale Firsthöhe des Bauvorhabens. Da es sich bei der den Klägern zugewandten Westseite des Bauvorhabens um die Traufseite handelt und das insoweit maßgebliche Dach eine Neigung von 45 Grad aufweist, bleibt die (First-)Höhe des Dachs nach der bis zum 31. Januar 2021 geltenden Rechtslage gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 3 BayBO a. F. unberücksichtigt. Die jeweilige Traufhöhe, welche vorliegend maximal 6,50 m beträgt, ist die maßgebliche Wandhöhe.
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Auch nach § 6 Abs. 4 Satz 2 und 3 BayBO n.F. wird die Firsthöhe nicht voll berücksichtigt, sondern die für die Tiefe der Abstandsflächen maßgebliche Wandhöhe berechnet sich aus der maßgeblichen Traufhöhe und der Höhe des Daches, welche aufgrund dessen Neigung von bis zu 70 Grad zu einem Drittel hinzugerechnet wird. Die maßgebliche Wandhöhe beträgt somit gerundet im nordwestlichen Gebäudeeck 7,69 m bzw. im südwestlichen Gebäudeeck 7,66 m.
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Die sich daraus ergebenden Abstandsflächen werden vom Bauvorhaben sowohl nach Art. 6 BayBO a. F. als auch Art. 6 BayBO n.F. eingehalten:
28
Nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 BayBO a. F. ist für die Tiefe der Abstandsfläche die Wandhöhe (1 H, min. 3 m) maßgeblich, wobei vor zwei Außenwänden von nicht mehr als 16 m Länge eine Abstandsflächentiefe von 0,5 H genügt (sog. 16-Meter-Privileg). Das Bauvorhaben kann hinsichtlich seiner Westseite vom 16-Meter-Privileg Gebrauch machen, da es auf einer Länge von weniger als 16 m die Abstandsflächen nur zur Hälfte einhält und vor der östlichen und südlichen Außenwand die Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO a. F. eingehalten sind. Somit ergibt sich hinsichtlich der größtmöglichen Wandhöhe von 6,50 m eine Mindestabstandsfläche von 3,25 m (6,50 m x 0,5).
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Nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO n.F. beträgt Tiefe der Abstandsflächen 0,4 H, mindestens 3 m. Daraus ergibt sich daraus eine Mindestabstandsfläche von gerundet 3,08 m (7,69 m x 0,4) bzw. 3,06 m (7,66 m x 0,4).
30
Das Bauvorhaben hält auf der Westseite einen Mindestabstand zur Grundstücksgrenze von 3,50 m ein.
31
Gleiches gilt für die Dachgaube, die laut genehmigter Bauvorlagen eine Wandhöhe von 8,20 m hat. Daraus ergibt sich eine Mindestabstandsfläche von 4,10 m (8,20 m x 0,5) nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 BayBO a. F. bzw. von 3,28 m (8,20 m x 0,4). Der Abstand zur Grenze beträgt im Bereich der Gaube 7,80 m.
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Soweit der Kläger rügt, dass die Tiefgarage in einem Abstand 25 cm zu klägerzugewandten Grundstücksgrenze errichtet werden soll und dadurch die Abstandsflächen nicht einhält, sind bzgl. der Tiefgarage keine Abstandsflächen gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO a. F. bzw. n. F. erforderlich, da sich aus dem Schutzzweck des Abstandsflächenrechts ergibt, dass nur oberirdische Gebäude eine Abstandsflächenpflicht auslösen (vgl. Kraus in Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, Werkstand: 154 EL Juni 2024, Art. 6 Rn. 17).
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b. Die Kläger werden durch das Vorhaben nicht in einem ihnen zustehenden Gebietserhaltungsanspruch verletzt.
34
Der Anspruch auf Gebietserhaltung verleiht den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten (§ 9 Satz 1 Nr. 1 BauGB, § 1 Abs. 3 BauNVO) oder faktischen Baugebiet das Recht, Vorhaben, welche nach ihrer Art in diesem Gebiet nicht regelhaft zulässig sind und nicht nach § 31 Abs. 1 oder Abs. 2 BauGB im Wege einer Ausnahme oder Befreiung zugelassen werden können, auch ohne konkrete Beeinträchtigung abzuwehren (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.2007 – 4 B 55/07 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 26.2.2014 – 2 ZB 14.101 – juris Rn. 10). Vorliegend fügen sich die streitgegenständlichen Vorhaben aber gerade in die Art des vorhandenen Baugebietes ein, so dass den Klägern kein derartiger Anspruch zur Seite steht.
35
Das Vorhaben befindet sich unstreitig im unbeplanten Innenbereich, so dass sich seine Zulässigkeit nach § 34 BauGB bestimmt. Soweit die Eigenart der näheren Umgebung einem Baugebiet der Baunutzungsverordnung entspricht, beurteilt sich die Zulässigkeit eines Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem jeweiligen Baugebiet allgemein oder ausnahmsweise zulässig wäre (§ 34 Abs. 2 BauGB).
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Die nähere Umgebung des Baugrundstücks ist nahezu ausschließlich von Wohnbebauung geprägt, so dass jedenfalls vom Vorliegen eines faktischen Wohngebiets auszugehen ist.
37
Es kann dahinstehen, ob das Wohngebiet eher als „allgemeines“ i.S.v. § 4 BauNVO und nicht als „reines“ i.S.d. § 3 BauNVO einzuordnen ist, da sich die streitgegenständliche Nutzung Boarding-Haus mit sechs Apartments und einer Wohnung mit Tiefgarage weder in einem allgemeinen noch in einem reinen Wohngebiet als gebietsfremd erweist. Selbst bei einer Einordnung als Dorfgebiet i.S.d. § 5 BauNVO wäre die Nutzung gemäß § 5 Abs. 2 BauNVO regelhaft zulässig.
38
Ein Boarding-Haus, das vor allem für solche Personen gedacht ist, die (meist geschäftlich) über einen längeren Zeitraum am Ort verweilen müssen und denen dabei eine gewisse Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von hoteltypischen Serviceleistungen auch aus Kostengründen wichtig ist (vgl. Hermanns/Hönig, BauR 2001, 1523 ff.), stellt eine bauplanungsrechtlich nicht näher geregelte Übergangsform zwischen Wohnnutzung und Beherbergungsbetrieb dar, wobei die schwerpunktmäßige Zuordnung von den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls abhängt. Für die Beurteilung des Nutzungsschwerpunktes kommt es darauf an, welcher Leistungsumfang vom Nutzungskonzept umfasst ist und ob sich der angegebene Nutzungszweck des Vorhabens innerhalb des objektiv Möglichen hält. Der Nutzungszweck lässt sich vor allem an der Größe und Ausstattung der Räume ablesen und ergibt sich außerdem aus dem Verhältnis der Gesamtzahl der Räume zu eventuellen Serviceräumen (vgl. VGH BW, B.v. 17.1.2017 – 8 S 1641/16 – juris Rn. 17). Für einen gewerblichen Nutzungsschwerpunkt könnte hier sprechen, dass nach der Betriebsbeschreibung des Beigeladenen die Wohneinheiten voll möbliert und nur mittelfristig für maximal sechs Monate vermietet werden sollen. Überdies sollen Serviceleistungen angeboten werden, auch wenn diese auf eine Zimmerreinigung sowie den Wechsel der Bettwäsche beschränkt sind. Dass die Wohneinheiten recht großzügig geschnitten und jeweils mit eigenen Küchenzeilen ausgestattet sind, ist eher Beleg dafür, dass sie insgesamt einer Wohnnutzung stark angeglichen sind.
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Soweit man hier das Boarding-Haus schwerpunktmäßig als Wohnen qualifizieren mag, läge dies innerhalb der einer Wohnnutzung eigenen Variationsbreite und wäre damit sowohl in einem allgemeinen wie auch in einem reinen Wohngebiet sowie in einem Dorfgebiet bereits regelhaft zulässig.
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Soweit man hingegen mit Blick auf die Betriebsbeschreibung des Beigeladenen hinsichtlich des Boarding-Hauses die Nutzung als Beherbergungsbetrieb qualifizieren würde, wäre das Vorhaben seiner Art nach jedenfalls im Rahmen einer Ausnahme bzw. regelhaft zulässig. Denn auch im unbeplanten Innenbereich können gemäß § 31 Abs. 1 BauGB solche Ausnahmen zugelassen werden, die in der BauNVO in dem jeweiligen Gebiet nach Art und Umfang ausdrücklich vorgesehen sind. Dies ergibt sich ausdrücklich aus § 34 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BauGB, wonach auf die nach der BauNVO ausnahmsweise zulässigen Vorhaben § 31 Abs. 1 BauGB und im Übrigen § 31 Abs. 2 BauGB entsprechend anzuwenden sind. Auch bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist das Vorhaben der Art nach ausnahmsweise zulässig, wobei es auch hier nicht streitentscheidend auf die konkrete Gebietseinstufung ankommt. Geht man nämlich von einem allgemeinen Wohngebiet aus, läge schon wegen der ausnahmsweisen Zulässigkeit von Beherbergungsbetrieben nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO keine gebietsfremde Nutzung vor. Aber auch bei Vorliegen eines reinen Wohngebiets wären das Vorhaben ausnahmsweise nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO zulässig. Eine Nutzung als Boarding-Haus selbst mit insgesamt sechs Appartements für maximal 12 Personen hält sich noch im Rahmen dessen, was als „kleiner Beherbergungsbetrieb“ i.S.d. Norm angesehen werden kann. Was in diesem Sinne „klein“ ist, lässt sich nicht allgemein umschreiben, weil der Bedeutungsgehalt auch von den tatsächlichen Auswirkungen des (festgesetzten oder faktischen) Baugebiets und der konkreten örtlichen Situation abhängt (BVerwG, B.v. 27.11.1987 – 4 B 230.87 – juris Rn. 3). Maßgeblich ist, ob sich der Betrieb nach Erscheinungsform, Betriebsform und Betriebsführung sowie unter Berücksichtigung der Zahl der Benutzer unauffällig in das Gebiet einordnet, wobei dem Schutz der Wohnruhe besondere Bedeutung zukommt. Wesentlicher Gesichtspunkt ist dabei, wie sich der Betrieb auf seine Umgebung auswirkt und welche Störungen von ihm ausgehen. Die kleinen Betriebe des Beherbergungsgewerbes werden dadurch gekennzeichnet, dass sie sich der Vermietung von Wohnräumen annähern, baulich zumeist nicht besonders in Erscheinung treten und infolgedessen auch den Charakter des reinen Wohngebiets nicht beeinflussen (vgl. VGH BW, B.v. 11.5.2015 – 3 S 2420/14 – juris Rn. 31, Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Werkstand: 154. EL April 2024, § 3 BauNVO Rn. 76c).
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Mit Blick hierauf ist das Vorhaben noch als kleiner Beherbergungsbetrieb in diesem Sinne zu qualifizieren. Nach der Betriebsbeschreibung des Beigeladenen dürfte bei dem streitgegenständlichen Vorhaben auch eher die bloße Übernachtungsmöglichkeit im Vordergrund stehen. Die Apartments sollen vor allem Personen zur Verfügung gestellt werden, die als Geschäftsreisende, Ingenieure und Monteure vorübergehend geschäftlich in der weiteren und näheren Umgebung des Vorhabenstandorts tätig sind, so dass davon auszugehen ist, dass sich die betreffenden Mieter oder Gäste vorwiegend abends und nachts zum Schlafen dort aufhalten werden. Es werden jedenfalls keine weiteren Leistungen wie Freizeitveranstaltungen angeboten. Das von den Mietern auch durch die Nutzung der Außenanlagen sowie durch den zu erwartenden An- und Abfahrtsverkehr verursachte Geräuschniveau dürfte sich damit nicht wesentlich von dem einer typischen Wohnnutzung durch die Bewohner und Besucher in einem reinen Wohngebiet unterscheiden. Der Betriebsbeschreibung zufolge wird hier auch keine kurzfristige, nur tage- oder wochenweise Vermietung an einen häufig wechselnden Personenkreis angestrebt, sondern das Betriebskonzept ist vielmehr auf eine regelmäßige Mietdauer von bis zu 6 Monaten ausgelegt, so dass die ausgeübte Nutzung durchaus noch mit der eines Wohngebäudes vergleichbar ist. Auch mit Blick auf die Benutzerzahl dürfte sich das Vorhaben, wie es sich nach jetziger Aktenlage darstellt, unauffällig in den Charakter eines reinen Wohngebiets einordnen. Auch wenn aus den Unterlagen insoweit keine maximale Belegungszahl hervorgeht, dürfte aufgrund der anvisierten Kundenstruktur davon auszugehen sein, dass die Zimmer im Wesentlichen durch eine Person bzw. gegebenenfalls als Doppelzimmer belegt sein werden. Hierfür sprechen auch die Planvorlagen der Vorhaben. Aus der dort vorhandenen Zimmeraufteilung und den eingezeichneten Betten ergibt sich, dass in den Wohnungen eine Belegung mit maximal zwei Personen beabsichtigt bzw. möglich ist.
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Auch aus dem Umstand, dass der Beklagte die möglicherweise erforderliche Ausnahme gem. § 34 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2, § 31 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO bzw. § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO nicht erteilt und damit keine Ermessensentscheidung getroffen hat, ergibt sich keine Rechtsverletzung der Kläger (BayVGH, U.v. 16.1.2014 – 9 B 10.2528 – juris Rn. 34; BayVGH, B.v. 30.4.2008 – 15 ZB 07.2914 – juris Rn. 10). Eine solche Rechtsverletzung ergibt sich auch nicht aus der grundsätzlich nachbarschützenden Qualität des § 34 Abs. 2 BauGB und dem damit verbundenen Anspruch des Nachbarn auf Bewahrung der Gebietsart. Denn eine Verletzung nachbarlicher Rechte kann nur vorliegen, wenn die Voraussetzungen der ausnahmsweisen Zulässigkeit des Vorhabens nicht gegeben sind, was sich bereits aus dem Inhalt des Anspruchs des Nachbarn auf Wahrung der Gebietsart ergibt, der darauf gerichtet (und beschränkt) ist, Vorhaben zu verhindern, die weder regelmäßig noch ausnahmsweise in einem Baugebiet zulässig sind (vgl. BayVGH, B.v. 30.4.2008 – 15 ZB 07.2914 – juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 16.1.2014 – 9 B 10.2528 – juris Rn. 34). Weiter kann der Nachbaranspruch daher auch nicht gegenüber einer Genehmigung vorgehen, in der diese Ausnahme nicht ausdrücklich ausgesprochen wird, weil die Baugenehmigungsbehörde das Erfordernis einer Ausnahme – aus welchen Gründen auch immer – verkannt hat (vgl. BayVGH, B.v. 30.4.2008 – 15 ZB 07.2914 – juris Rn. 10; BayVGH, U.v. 16.1.2014 – 9 B 10.2528 – juris Rn. 34).
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Eine Nutzung als Boarding-Haus im Sinne einer Qualifizierung als Beherbergungsbetrieb ist auch nicht nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig, unabhängig davon, ob sich die Kläger darauf im Wege einer Verletzung eines sogenannten Gebietsprägungserhaltungsanspruchs darauf berufen können (siehe hierzu BayVGH, B. v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris Rn. 9 m.w.N.). Danach sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Dies ist jedoch vorliegend nicht der Fall, da nicht ersichtlich bzw. von den Beteiligten vorgetragen, dass in dem Gebiet bereits ein Beherbergungsbetrieb oder gar eine Mehrzahl solcher vorhanden sind, so dass die streitgegenständlichen Vorhaben nicht „nach Anzahl“ der Eigenart des vorhandenen Wohngebiets widersprechen. Auch bei Errichtung des Vorhabens bleibt das Gebiet von der Wohnnutzung geprägt und eine derartige Nutzung zu Beherbergungszwecken stellt weiterhin eine Ausnahme dar.
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c. Ein Verstoß gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der nachbarschaftlichen Rücksichtnahme im Hinblick auf die Kläger ist vorliegend nicht gegeben.
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Unter Berücksichtigung der Aktenlage sowie des Ergebnisses des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung am 1. Oktober 2024 werden die Kläger durch das streitgegenständliche Vorhaben nicht über das zumutbare Maß in ihren nachbarlichen Interessen beeinträchtigt. Das Gebot der Rücksichtnahme leitet sich für das streitgegenständliche, sich im unbeplanten Innenbereich befindliche Vorhaben entweder aus dem Begriff des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO ab; welche Vorschriften zur Anwendung kommen, kann dahinstehen, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4).
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Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris, Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Zur Bestimmung dessen, was dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, ist insbesondere auch die nähere Umgebung als (städte-)baulicher Rahmen, in den das Vorhaben- und das Nachbargrundstück eingebettet sind, sowie die jeweilige besondere bauliche Situation der betroffenen Grundstücke in den Blick zu nehmen (vgl. VG München, U.v. 14.6.2021 – M 8 K 19.2266 – juris Rn. 41; vgl. auch BayVGH, B.v. 30.11.2023 – 2 ZB 21.2099 – BeckRS 2023, 37961 Rn. 11). Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17).
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aa. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots insbesondere dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens aufgrund seiner Höhe bzw. seines Volumens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ würde (vgl. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 38; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 15; BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 28; B.v. 10.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 27). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „erdrückenden“ bzw. „abriegelnden“ Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9; B.v. 10.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 27). Für die Annahme der „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als das betroffene Gebäude. Dies gilt insbesondere, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (vgl. BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5). Damit ist eine „erdrückende“ oder „abriegelnde“ Wirkung nur anzunehmen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, in dem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls derart übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden Gebäude“ dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 2.10.2018 – 2 ZB 16.2168 – juris Rn. 4).
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Das ist hier nicht der Fall. Unter Berücksichtigung der soeben genannten Kriterien ist hinsichtlich der geplanten Bebauung bereits aufgrund der Höhenverhältnisse und aufgrund der Situierung des Vorhabens und der Grundstücke zueinander eine einmauernde oder erdrückende Wirkung nicht zu befürchten. Vorliegend sind die landesrechtlichen Vorschriften über die Abstandsflächen auf der an das Klägergrundstück angrenzenden Seite des Vorhabens eingehalten (s.o.). Dies spricht regelmäßig durchgreifend – indiziell bzw. in tatsächlicher Hinsicht – gegen eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots (vgl. BayVGH, B.v. 2.3.2018 – 9 CS 17.2597 – juris Rn. 21). Auf dieser Grundlage der eingehaltenen landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften ist vorliegend keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots erkennbar. Es ist nicht erkennbar, dass von dem Vorhaben hinsichtlich der Kläger und insbesondere ihres Wohnhauses eine erdrückende Wirkung vorläge. Denn der Baukörper führt – so wie beantragt und genehmigt – auch unter Berücksichtigung der abweichenden Größenverhältnisse des Vorhabens und der klägerischen Bebauung westlich des Vorhabens nicht dazu, dass sich hinsichtlich der Kläger ein Effekt des „Einmauerns“, eines „Gefängnishofes“ oder allgemein des „Erdrückens“ einstellen würde. Das streitgegenständliche Vorhaben ist mit einem Höhenunterschied von 2,30 m nicht erheblich höher als das klägerische Wohngebäude. Auch eine unzumutbare Verschattung ist nicht substantiiert geltend gemacht worden oder sonst ersichtlich. Die regelmäßig mit einer die Abstandsflächen einhaltenden Nachbarbebauung einhergehende Verschattung ist hinzunehmen. Das Vorhaben weist nach genehmigten Plan zum westlichen Nachbargrundstück an der schmalsten Stelle einen Abstand von etwa 3,50 m, im Obergeschoss bezogen auf die Dachgaube von etwa 7,80 m, bezogen auf die Balkone an der Südwand des Vorhabens von etwa 5,70 m und bezogen auf den Balkon an nordwestlichen Gebäudeecke des Vorhabens von 3,50 m bei einer Firsthöhe des Vorhabens von etwa 10,11 m auf. Das klägerische Wohngebäude weist an der schmalsten Stelle einen Abstand von etwa 3 m ein. Es verbleibt auch und gerade im Grenzbereich eine ausreichende Freifläche. Eine „erdrückende Wirkung“ ist bei einer Gesamtschau aller Umstände hinsichtlich des klägerischen Grundstücks ausgeschlossen.
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Gleiches gilt hinsichtlich der vorgetragenen mangelhaften Belichtung und Belüftung des klägerischen Grundstücks. Es besteht grundsätzlich kein Anspruch aus Bauplanungsrecht, von jeder Beeinträchtigung der Belichtung, Belüftung und Besonnung verschont zu bleiben. Mögliche Verringerungen des Lichteinfalls bzw. eine weiter zunehmende Verschattung sind vielmehr in aller Regel im Rahmen der Veränderung der baulichen Situation in bebauten Ortslagen und insbesondere – wie hier – in dicht bebauten innerstädtischen Bereichen grundsätzlich hinzunehmen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 31; B.v. 9.12.2016 – 15 CS 16.1417 – juris Rn. 16; B.v. 15.12.2016 – 9 ZB 15.376 – juris Rn. 15; B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 19; B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 28; B.v. 12.2.2020 – 15 CS 20.45 – BayVBl 2020, 444 = juris Rn. 23); das gilt grundsätzlich selbst dann, wenn Verschattungen zu finanziellen Einbußen hinsichtlich der Energiegewinnung durch Photovoltaikanlagen führen (vgl. BayVGH, B.v. 12.12.2013 – 15 CS 13.1561 – juris Rn. 15; B.v. 20.3.2018 a.a.O.; VG Köln, B.v. 5.10.2017 – 23 L 3346/17 – juris Rn. 22 m.w.N.). Auch mit Blick auf eine zu prognostizierende Beeinträchtigung durch eine Verschattung durch ein geplantes Gebäude gilt zumindest indiziell, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots regelmäßig aus tatsächlichen Gründen ausscheidet, sofern die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten sind (speziell zur Verschattungsproblematik vgl. auch BayVGH, B.v. 9.12.2016 a.a.O.; B.v. 12.2.2020 a.a.O.; B.v. 22.4.2022 – 15 CS 22.872 – juris Rn. 54). Sofern in besonderen Ausnahmefällen selbst bei Einhaltung der Anforderungen des Art. 6 BayBO eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots aufgrund des Heranrückens eines größeren Vorhabens möglich bleibt, sind vorliegend keine besonderen Umstände des Einzelfalls ersichtlich, die dennoch eine unzumutbare Betroffenheit der Kläger begründen könnten. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass mit Blick auf den täglichen Sonnenverlauf von Osten (morgens) über Süden (mittags) nach Westen (abends) eine Besonnung des Gebäudes der Kläger jedenfalls ab Mittag gewährleistet ist und nur morgens mit einer Verschattung des Gebäudes zu rechnen ist, die dann mit fortschreitender Uhrzeit allmählich abnimmt, ist nicht ansatzweise substantiell durch die Kläger vorgetragen, warum sie durch eine Beeinträchtigung der Belichtung, Belüftung und Besonnung in qualifizierter und individualisierter Weise betroffen sind.
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bb. Auch die durch die Kläger vorgetragenen Einsichtnahmemöglichkeiten führen zu keiner Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Zum einen ist der Umstand, dass die Abstandsflächen eingehalten sind, im Regelfall ein Indiz dafür, dass auch das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt ist. Zum anderen vermittelt weder das Bauplanungsrecht im Allgemeinen noch das Gebot der Rücksichtnahme im Speziellen einen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken (vgl. BayVGH, B.v. 13.4.2018 – 15 ZB 17.342 – juris Rn. 15 m.w.N.). Dies gilt grundsätzlich auch im Falle einer neu geschaffenen Einsichtnahmemöglichkeit (vgl. BayVGH, B.v. 11.11.2021 – 9 ZB 21.2434 – juris; B.v. 26.11.2018 – 9 ZB 18.912 – juris Rn. 8). Gerade im Wohngebiet entspricht es der Regel, dass der einzelne Grundstückseigentümer nicht für sich alleine, gleichsam in einem von der Außenwelt abgeschotteten Bereich lebt, sondern in eine Nachbarschaft eingebettet ist (VG Ansbach, U. v. 23. Mai 2024 – AN 17 K 23.1291 – juris Rn. 26). Im vorliegenden Einzelfall ist eine Unzumutbarkeit der entstehenden Einsichtsmöglichkeiten durch das Vorhaben schon unter Berücksichtigung der Abstände zur Grundstücksgrenze und der Einhaltung der Abstandsflächen (s.o.) nicht erkennbar. Dies auch vor dem Hintergrund, dass gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten im dicht bebauten Bereich ohnehin unvermeidlich sind und die Zumutbarkeitsschwelle hoch ist. Die Betroffenen können sich generell durch das Anbringen von Jalousien, Vorhängen oder verspiegelten Fenstern sowie Bepflanzungen behelfen (vgl. hierzu auch ausführlich OVG Münster, U.v. 8.4.2020 – 10 A 352/19 – BeckRS 2020, 10287, Rn. 28 ff.). Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall, in dem Einblickmöglichkeiten in das Nachbargrundstück, die durch ein neues Bauvorhaben geschaffen werden, unter besonders gravierenden Umständen als Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme angesehen werden, sind hier nicht ersichtlich (vgl. BayVGH, B.v. 6.4.2018 – 15 ZB 17.36 – juris Rn. 26). Insofern ist auch zu berücksichtigen, dass das Bauvorhaben samt dem klägerischen Grundstück zugewandten Balkonen und Dachgaube mit einigem Abstand zum Grundstück der Kläger hin situiert und nicht direkt an der gemeinsamen Grundstücksgrenze geplant sind. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der konkreten Abstände der Nutzungen im vorliegenden Einzelfall zueinander ist nicht ersichtlich, inwieweit sich eine das Rücksichtnahmegebot verletzende Unzumutbarkeit mit Blick auf die Einsichtsmöglichkeiten auf das klägerische Grundstück ergeben sollte.
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cc. Auch die Situierung der Stellplätze und der Tiefgarage sowie die damit einhergehende Lärm- und Verkehrsbelassung lassen keine für den Kläger unzumutbaren Auswirkungen erwarten.
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Nach § 12 Abs. 2 BauNVO sind in Wohngebieten Stellplätze und Garagen für den durch die zugelassene Nutzung notwendigen Bedarf zulässig. Die Vorschrift begründet für den Regelfall auch hinsichtlich der durch die Nutzung verursachten Lärmimmissionen eine Vermutung der Nachbarverträglichkeit. Der Grundstücksnachbar hat deshalb die Errichtung notwendiger Garagen und Stellplätze für ein Bauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Immissionen der zu- und abfahrenden Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen (vgl. BVerwG, B.v. 20.3.2003 – 4 B 59.02 – juris Rn. 6 ff.; BayVGH, B.v. 29.1.2016 – 15 ZB 13.1759 – juris Rn. 23 m.w.N.).
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Das hiervon in diesem Fall eine Ausnahme zu machen wäre, ist nicht ersichtlich. Denn die Stellplätze sollen nach dem genehmigten Plan zum Teil in der Tiefgarage und zum Teil vom klägerischen Grundstück abgewandt im Südosten und Nordosten des Vorhabengrundstücks errichtet werden. Darüber hinaus entspricht der Lärm im Wesentlichen dem Lärm, der von einer vergleichbar großen Wohnanlage zu erwarten wäre, da die Anzahl der Fahrbewegungen durch die Gäste des Boarding-Hauses sowie Bewohner der Wohnung zu keinem im Vergleich zu einer Wohnnutzung erhöhten Verkehrsaufkommen führt. Denn es handelt sich bei dem Boarding-Haus mit sechs Appartements für maximal 12 Personen um einen Beherbergungsbetrieb von geringer Größe (vgl. z. B. OVG NRW, B.v. 31.1.2024 – 10 B 1456/23 – juris Rn. 10 ff.; B.v. 30.9.2022 – 10 B 980/22 – juris Rn. 7). Die Anzahl der Fahrbewegungen ist somit mit denen bei einer Wohnnutzung durch z. B. Arbeitnehmer vergleichbar.
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Gleiches gilt für die Zufahrt zur Tiefgarage bzw. die Tiefgarage selbst, zumal durch die Tiefgarage im Vergleich zu oberirdischen Garagen der Vorteil besteht, dass bestimmte, mit dem Parken und Abfahren verbundene Geräuschbelästigungen, wie z.B. Schlagen von Autotüren, Starten von Motoren, weitgehend abschirmen und damit schon grundsätzlich als rücksichtsvoller einzustufen sein dürften (BayVGH, B. v. 25.5.2021 – 15 ZB 20.2128 – juris Rn. 19). Ein Ausnahmefall ist weder ersichtlich noch vorgebracht. Besondere Umstände bzw. örtliche Verhältnisse, die zu unzumutbaren Belästigungen durch die Tiefgaragennutzung führen würden, liegen hier nicht vor. Im Gegenteil sprechen die vorherrschenden Umstände gerade gegen eine unzumutbare Abgas- und Lärmbelastung. Die Tiefgaragenzufahrt und -abfahrt soll nach dem genehmigten Plan vom klägerischen Grundstück abgewandt an der nordöstlichen Ecke des Vorhabengrundstücks erfolgen. Aufgrund der Entfernung des Wohngebäudes der Kläger von der Tiefgaragenzufahrt und der geringen Stellplatzanzahl in der Tiefgarage von sieben sind unzumutbare Lärmimmissionen nicht zu erwarten. Die Lüftungsschächte der Tiefgarage sollen nach dem genehmigten Plan vom klägerischen Grundstück abgewandt im Südosten und Nordosten des Vorhabengrundstücks errichtet werden und sind etwa 13 m bzw. 19 m von der Grundstücksgrenze der Kläger entfernt, sodass auch dadurch keine unzumutbaren Störungen in Form von Abluft, die durch die Lüfter der Tiefgarage in Richtung des Schlafzimmer getragen werden würde, entstehen können. Daher führt auch der Einwand der Kläger, dass die Keller Nr. 2 und Nr. 3 bei nicht vollständigem Verschließen der Kellertüre die Einfahrt versperrten und dies zu längeren Standzeiten in der Durchfahrt und stärkeren Immissionen durch Abgase führe, zu keiner anderen Bewertung, zumal es sich dabei um Situation handeln dürfte, welche insbesondere aufgrund der oben dargestellten Anzahl der Fahrbewegungen einen absoluten Ausnahmefall darstellen dürfte. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass in der Tiefgarage eine Fahrzeugwendeplatte geplant ist, welche nach dem genehmigten Plan einen Abstand von 1,20 m zur Grundstücksgrenze der Kläger hat. Die Klagepartei trägt nicht ansatzweise substantiiert vor, wie es durch die Bewegungen der Wendeplatte zu Beeinträchtigungen für die Kläger kommen soll und warum diese unzumutbar sind. Vor dem Hintergrund, dass sich die Wendeplatte unterirdisch befindet soll und somit eine geräuschdämpfende Wirkung in Richtung des klägerischen Grundstücks bestehen dürfte, die Tiefgarage laut genehmigten Plan selbst über keinerlei Lichtschächte oder Lüftungsöffnungen auf der den Klägern zugewandten Westseite verfügt und, wie bereits dargestellt, die Fahrzeugbewegungen denen einer Wohnanlage mit einer vergleichbaren Größe entspricht, ist für das Gericht auch insoweit keine entgegen dem Regelfall des § 12 Abs. 2 BauNVO unzumutbare Beeinträchtigung der Kläger ersichtlich.
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dd) Das Gebot der Rücksichtnahme ist vorliegend auch nicht durch eine, wie klägerischerseits vorgetragen unzureichende Ableitung von Niederschlagswasser verletzt. Eine ausreichende Versickerungsmöglichkeit von Niederschlagswasser gehört zunächst zur gesicherten Erschließung eines Bauvorhabens und ist damit prinzipiell nicht drittschützend (vgl. VG München, U.v. 18.12.2014 – M 11 K 13.505 – juris Rn. 31 m.w.N.). Das öffentliche Baurecht gewährt grundsätzlich keinen Schutz vor dem Abfluss von Wasser auf das Grundstück eines Nachbarn. Der Schutz des Nachbarn richtet sich vielmehr nach den Regelungen des Privatrechts, vgl. Art. 68 Abs. 4 BayBO und § 37 WHG als Vorschrift des Privatrechts (vgl. VG Würzburg, U.v. 06.12.2012 – W 5 K 11.514 – juris Rn.49). Da die Baugenehmigung dem Beigeladenen nicht das Recht vermittelt, das Niederschlagswasser auf Nachbargrundstücke abzuleiten und die Kläger sich zivilrechtlich zur Wehr setzen können, geht mit dem genehmigten Maß der baulichen Nutzung und der genehmigten überbaubaren Grundstücksfläche grundsätzlich gerade nicht die unmittelbare Folge einher, dass die Nachbarn eine zu Lasten ihrer Grundstücke gehende unzumutbare Form der Niederschlagswasserbeseitigung hinnehmen müssen. Insoweit ist die Situation anders als etwa in dem Fall, in dem das genehmigte Maß der baulichen Nutzung selbst rücksichtslos ist (wie im Falle einer „erdrückenden“ Wirkung der Kubatur), was zivilrechtlich entweder überhaupt nicht mehr oder nur noch durch einen Anspruch des Nachbarn auf einen Rückbau oder ein Nichtgebrauchmachen von der Baugenehmigung korrigiert werden könnte.
56
Allerdings kann, wenn durch die unzureichende Erschließung ein unmittelbares Nachbargrundstück gravierend betroffen wird, etwa wenn das Niederschlagswasser auf das Grundstück des Nachbarn abgeleitet wird und es dadurch zu Überschwemmungen auf dem Nachbargrundstück kommt, ausnahmsweise ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 29.11.2006 – 1 Cs 06.2717 – juris Rn. 20). Dies ist hier jedoch weder ansatzweise substantiiert noch für das Gericht ersichtlich. Die Kläger haben hierzu lediglich vorgetragen, dass im Fall eines Starkregenereignisses die Überflutung des klägerischen Grundstücks drohe, da durch die Versiegelung infolge des Bauvorhabens versickerungsfähiger Boden zerstört werde. Sie haben nicht vorgetragen, worin genau und konkret gerade durch das streitgegenständlich genehmigten Bauvorhaben nun für die Kläger vor dem Hintergrund der naturgegebenen Geländesituation Nachteile von solchem Gewicht eintreten, dass die Schwelle der Unzumutbarkeit überschritten ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass nicht jede durch ein Vorhaben verursachte Veränderung des Wasserabflusses zugleich eine nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung nachbarlicher Rechte begründet. Gewisse Veränderungen der Wasserverhältnisse durch ein in der Nähe des eigenen Grundstücks geplantes Vorhaben muss der Nachbar hinnehmen (vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2012 – 15 CS 12.634 – juris Rn. 14; B. v. 29.11.2010 – 9 CS 10.2197 – juris Rn. 15 a.E.). Eine substantiierte Besorgnis künftiger Überschwemmungssituationen durch aufgrund des hier streitgegenständlichen Bauvorhabens vom Nachbargrundstück abfließendem Niederschlagswasser lässt sich hieraus somit nicht begründen. Da das öffentliche Baurecht, wie oben bereits dargestellt, generell – vorbehaltlich einer Prüfung des Rücksichtnahmegebots – keinen Schutz gegen den Abfluss von Wasser auf das Nachbargrundstück gewährt, äußert sich auch die angefochtene Baugenehmigung nicht verbindlich regelnd zur Oberflächenentwässerung und muss dies auch nicht. Sie trifft keine Aussage dazu, dass die Abführung von Oberflächenwasser beim Vorhaben den Vorschriften des öffentlichen Rechts entspricht. Denn die technische Ausgestaltung der Entwässerung des Baugrundstücks ist ohnehin schon nicht Gegenstand der Bauvorlagen und der im vereinfachten Verfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO zu prüfenden Umstände. Auch die Anwendung der zum bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebot entwickelten Grundsätze wird demnach durch den Regelungsumfang der jeweils erteilten Baugenehmigung begrenzt. Auch insofern geht die Anfechtung der Baugenehmigung aufgrund der Befürchtung der Kläger, durch das Bauvorhaben werde das anfallende Niederschlagswasser ihr Grundstück überschwemmen und eine Beeinträchtigung desselben sowie ihrer Rechte in Form des Rücksichtnahmegebots zur Folge haben, von vornherein ins Leere, weil die Baugenehmigung diesen Umstand gar nicht regelt.
57
Soweit die Kläger des Weiteren befürchten, dass infolge des Vorhabens der unter den Grundstücken Fl.-Nr. 19/3 und 19/4 befindliche See im Hinblick auf dessen Wasserzu- und Abflüsse verändert werde und das Erdreich durchnässt würde, ist festzustellen, dass die angefochtene Baugenehmigung eine solche Veränderung nicht erfasst. Eine solche Veränderung ist weder Gegenstand der Bauvorlagen noch im Übrigen Regelungsgegenstand der Baugenehmigung. Die Kläger können sich daher auch diesbezüglich nicht mit Erfolg gegen die Baugenehmigung wenden. Zudem hat die Klägerseite nicht ansatzweise substantiiert vorgetragen, wie eine solche Veränderung entstehen soll, warum dann das Erdreich durchnässt wird und wie sich die Veränderung bzw. die Durchnässung nachteilig auf ihre Recht auswirken wird.
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ee) Auch die vorgetragene erhebliche Wertminderung des klägerischen Grundstücks durch das Bauvorhaben begründet für sich genommen keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2021 – 9 CS 21.2175 – juris Rn. 23; B.v. 29.12.2017 – 9 ZB 16.1480 – juris Rn. 5). Da sich jede Nachbarbebauung unabhängig von ihrer Rechtmäßigkeit auf den Wert der umliegenden Grundstücke auswirken kann, kommt einer Wertminderung allenfalls eine Indizwirkung für die Interessenabwägung zu. Ein Abwehranspruch kann jedoch nur gegeben sein, wenn die Wertminderung die Folge einer dem Betroffenen unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit des Grundstücks ist (vgl. BayVGH, B.v. 21.8.2015 – 9 CE 15.1318 – juris Rn. 19 m.w.N.) Eine solche Beeinträchtigung liegt, wie oben bereits dargelegt, nicht vor. Unabhängig davon wurde die von den Klägern in diesem Zusammenhang vorgetragene erhebliche Wertminderung durch Verwirklichung des Bauvorhabens nicht – über das Maß allgemein gehaltener Befürchtungen hinaus – substantiiert dargelegt bzw. belegt.
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2. Die Klage wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgewiesen. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst tragen, weil sie keinen Antrag gestellt und sich damit nicht dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 Hs. 1 VwGO ausgesetzt haben (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO sowie § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.