Titel:
Asylklage, Uganda, Homosexualität, Glaubhaft
Normenkette:
AsylG § 3
Schlagworte:
Asylklage, Uganda, Homosexualität, Glaubhaft
Fundstelle:
BeckRS 2024, 32410
Tenor
I. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom **. September 2020 wird in den Nrn. 1 und 3 bis 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der Kläger ist ugandischer Staatsangehöriger. Er reiste am … März 2020 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am *. April 2020 einen unbeschränkten Asylantrag.
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Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am … Juli 2020 gab er an, dass er Uganda aufgrund seiner sexuellen Orientierung verlassen habe. Er sei am Donnerstag, den … Dezember 2019 in seinem Zimmer in K* …i beim Liebesakt mit seinem Partner von seinem Nachbarn J* … erwischt worden. Sie seien beide nackt gewesen, als J* … unangemeldet in das Zimmer gekommen sei und angefangen habe zu schreien. Es hätten sich Leute vor seiner Wohnung versammelt. Sie hätten Steine geworfen und den Kläger und seinen Freund beschimpft und beide hätten nicht gewusst was sie hätten tun sollen. Sie seien aus Angst im Zimmer geblieben bis die Polizei gekommen sei, diese habe beide mitgenommen und eingesperrt. Im Gefängnis seien sie geschlagen, mit Wasser übergossen und getreten worden. Sein Freund P* … sei zur Polizei gekommen und habe die Polizisten mit 1 Million Schilling bestochen, sodass er frei gekommen sei. Er sei in der Folge aus Uganda ausgereizt.
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Mit Bescheid vom … September 2020 erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Nr.1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Nr. 2) und erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Nr. 3). Zudem stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4) und forderte die Klagepartei auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen, andernfalls wurde der Klagepartei die Abschiebung nach Uganda oder in einen anderen Staat, in den die Klagepartei einreisen darf oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet ist, angedroht (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Am 13. Oktober 2020 hat der Kläger Klage erhoben und beantragt,
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Der Bescheid der Beklagten vom … September 2020, zugestellt am … Oktober 2020, wird aufgehoben.
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Unter Aufhebung des Bescheides wird die Beklagte verpflichtet, festgestellt, dass der Kläger asylberechtigt ist. Die Flüchtlingseigenschaft bei ihm vorliegt. Der subsidiäre Schutzstatus bei ihm vorliegt. Abschiebungshindernisse gem. 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG bei ihm vorliegen.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen auf die Angaben gegenüber dem Bundesamt Bezug genommen.
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Die Beklagte hat die Akten vorgelegt, ohne sich in der Sache zu äußern.
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Mit Beschluss vom 17. September 2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen, § 76 Abs. 1 AsylG.
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Der Kläger ist im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 29. Oktober 2024 informatorisch angehört worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte sowie die Niederschrift vom 29. Oktober 2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage, über die trotz Fernbleibens eines Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO), ist begründet. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 des Asylgesetzes/AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch das Bundesamt gem. § 3 AsylG (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Bescheid des Bundesamtes ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist deshalb insoweit aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Flüchtling anzuerkennen.
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1. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG. Das Gericht ist nach dem persönlichen Eindruck, den es von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, von der Glaubhaftigkeit seines Vortrags und der Glaubwürdigkeit des Klägers überzeugt.
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Nach § 3 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine Verfolgung i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG liegt nach § 3a AsylG bei Handlungen vor, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1959 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Als Verfolgung im Sinne des Abs. 1 können unter anderem gemäß § 3a Abs. 2 AsylG die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden oder auch unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung gelten. Dabei muss zwischen den genannten Verfolgungsgründen und den als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen gemäß § 3a Abs. 3 AsylG eine Verknüpfung bestehen.
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Die Verfolgung kann gemäß § 3c AsylG vom Staat oder von Parteien oder Organisationen ausgehen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder aber von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob im Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
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Die Flüchtlingseigenschaft wird nicht zuerkannt, wenn im Herkunftsland eine interne Schutzmöglichkeit besteht, § 3e AsylG.
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Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich drohen; das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Dieser Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzuwenden. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris Rn. 32; B.v. 7.2.2008 – 10 C 33/07 – juris Rn. 37).
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Die begründete Furcht vor Verfolgung kann dabei sowohl auf tatsächlich erlittener oder unmittelbar drohender Verfolgung bereits vor der Ausreise im Herkunftsstaat (Vorverfolgung) oder auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat (Nachfluchtgründe), insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist (§ 28 Abs. 1a AsylG).
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Der der Prognose zugrunde zu legende Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit bleibt auch dann unverändert, wenn der Ausländer bereits Vorverfolgung erlitten hat. Allerdings ist nach Art. 4 Abs. 4 der RL 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 – Qualifikationsrichtlinie – (ABl. L 337 S. 9) die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde bzw. von solcher Verfolgung unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Ausländers vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung bedroht wird. Dies ist im Sinne einer widerlegbaren tatsächlichen Vermutung zu verstehen (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – juris Rn. 23).
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Das Gericht muss auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage von der Richtigkeit seiner gewonnenen Prognose drohender Verfolgung die volle richterliche Überzeugung erlangt haben (vgl. BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6/13 – juris Rn. 18).
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Für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Vorbringens gilt nach den in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, die sich in Art. 4 Abs. 1, 2 und 5 der Qualifikationsrichtlinie widerspiegeln, dass es dem Ausländer obliegt, von sich aus umfassend die Gründe für das verfolgungsbedingte Verlassen der Heimat substantiiert, unter Angabe genauer Einzelheiten und in sich stimmig darzulegen.
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Der Vortrag, insbesondere zu den in die eigene Sphäre fallenden Ereignissen, muss geeignet sein, den Schutzanspruch lückenlos zu tragen (vgl. BVerwG, U.v. 24.3.1987 – 9 C 321/85 – juris Rn. 9).
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Das Gericht muss sich in vollem Umfang die Überzeugung von der Wahrheit des von dem Ausländer behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals verschaffen, wobei allerdings der typische Beweisnotstand hinsichtlich der Vorgänge im Herkunftsland bei der Auswahl der Beweismittel und bei der Würdigung des Vortrags und der Beweise angemessen zu berücksichtigen ist. Unauflösbare Widersprüche und erhebliche Steigerungen des Vorbringens sind hiermit unvereinbar und können dazu führen, dass dem Vortrag im Ganzen nicht geglaubt werden kann, es sei denn, die Widersprüche und Unstimmigkeiten können überzeugend aufgelöst werden (vgl. BVerwG, U.v. 12.11.1985 – 9 C 27/85 – juris Rn. 11 ff.; B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – juris Rn. 3).
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a) Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bei dem Kläger vor. Der Kläger hat glaubhaft vorgetragen, dass er homosexuell ist und bei einer Rückkehr nach Uganda mit Verfolgung rechnen muss.
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Das Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger homosexuell ist. Diese Einschätzung beruht auf dem persönlichen Eindruck, den der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung auf das Gericht gemacht hat. Der Kläger hat bei seiner informatorischen Anhörung Fragen umgehend widerspruchsfrei beantwortet und insgesamt einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Insbesondere das Erkennen und Ausleben seiner Sexualität sowie das „innere Ringen“ zwischen den erwarteten gesellschaftlichen Konventionen und der Erkenntnis bzw. dem Nachgeben der eigenen sexuellen Veranlagung hat er plausibel und überzeugend dargetan.
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Homosexuelle bilden in Uganda eine soziale Gruppe i. S. d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Nach dieser Vorschrift gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemeinsam haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird; als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter. Diese gesetzlichen Vorgaben entsprechen auch dem europäischen Recht, wie es Niederschlag in Art. 10 Abs. 1 Buchst. der Qualifikationsrichtlinie gefunden hat.
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b) Darüber hinaus ist das Gericht auch davon überzeugt, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in Uganda aufgrund seiner Homosexualität mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht. Eine Vorverfolgung ist dabei nicht zwingend erforderlich (VG München, U.v. 10.6.2022 – M 5 K 17.46131 – Rn. 42).
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Diese Verfolgung droht ihm zumindest durch nichtstaatliche Akteure, ohne dass der ugandische Staat wirksamen Schutz hiervor bietet (§§ 3c, 3d AsylG), und ohne dass ihm interner Schutz zur Verfügung steht (§ 3e AsylG).
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aa) Den maßgeblichen Erkenntnismitteln ist zur Situation Homosexueller in Uganda insoweit Folgendes zu entnehmen und bei der Beurteilung des Sachvortrags des Klägers zu Grunde zu legen:
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Aus den Erkenntnismitteln gehen zahlreiche Übergriffe nichtstaatlicher Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG gegen Angehörige sexueller Minderheiten, darunter Homosexuelle, hervor. Homosexualität ist in der ugandischen Gesellschaft geächtet, ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird nicht anerkannt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an den BayVGH vom 19. Februar 2019 zu der Fragen 3 a). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes besteht bei offen gelebter Homosexualität vermutlich eine erhöhte Gefahr dafür, Opfer von Übergriffen zu werden (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an den BayVGH vom 19. Februar 2019 zu der Fragen 3 e). Homosexuelle sind Diskriminierung, Anfeindungen und Repressalien ausgesetzt (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an den BayVGH vom 19. Februar 2019 zu der Fragen 3 a). Insbesondere sind Homosexuelle nach den Erkenntnismitteln körperlichen und verbalen Angriffen, Mobgewalt, Vertreibungen, Erpressung, Entführungen, Drohungen und Belästigungen durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt (vgl. etwa Amnesty International, Auskunft an den BayVGH vom 30. August 2019, zu der Frage 3 b).
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Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes haben Vertreter Ugandas mehrfach versichert, staatliche Stellen tolerierten keine Übergriffe nichtstaatlicher Akteure („Mobjustiz“) gegen Homosexuelle (vgl. Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Karlsruhe vom 3. April 2014, zu Frage 3 b). Trotz dieses erklärten Schutzwillens Ugandas ist den Erkenntnismitteln jedenfalls nur eine unzureichende Schutzfähigkeit des Staates zu entnehmen. Gegen die Übergriffe bieten die ugandischen Polizeikräfte nur in Einzelfällen Schutz, in einer Vielzahl an Fällen bleiben Homosexuelle schutzlos (vgl. Amnesty International, Auskunft an den BayVGH vom 30. August 2019, zu der Frage 3 c). Ein Bericht des britischen Innenministeriums von 2019 bestätigt, dass die Polizei Fälle von Gewalt gegen LGBTI-Personen in der Regel nicht untersuche und stattdessen die Opfer festnehme. Dort wird ausgeführt, dass der Staat im Falle von begründeter Angst vor Verfolgung einer Person durch nichtstaatliche Akteur(innen) in der Regel in der Lage, aber nicht bereit sei, einen wirksamen Schutz zu bieten (vgl. United Kingdom: Home Office (2019), Country Police and Information Note – Uganda: sexual orientation and gender identity and expression, S. 10; allgm. zugänglich unter https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/792036/CPIN_Uganda_SOGIE_EXT_April_2019.pdf).
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Homophobie ist in der ugandischen Gesellschaft weit verbreitet. Der Anti-Homosexuality Act von 2014 befeuerte über die rechtlichen Auswirkungen hinaus eine homosexualitätsfeindliche gesellschaftliche Stimmung und legitimierte Übergriffe und Gewalt gegen LGBTI-Personen durch nichtstaatliche Akteur(innen), die für ihre Taten meist nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Die allgemeine Homophobie in der Gesellschaft hat sich im Zuge der Verabschiedung des Anti-Homosexuality Acts und in den Folgejahren weiter verschärft (vgl. Amnesty International, Rule by law. Discriminatory Legislation and legitimized abuses in Uganda, Oktober 2014, S. 29 f.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Entscheiderbrief 10/2023, Die Situation von LGBTIQ-Personen in Ostafrika, insbesondere Uganda, S. 3). Private Akteure können sich bei ihren Verfolgungsmaßnahmen staatlich legitimiert fühlen. Sie berufen sich auf die Strafbarkeit nach Section 145 des Penal Code Act und drohen den Opfern mit Strafanzeigen (vgl. Amnesty International, Rule by law. Discriminatory Legislation and legitimized abuses in Uganda, Oktober 2014, S. 46 f.). Am 2. Mai 2023 hat das ugandische Parlament ein überarbeitetes Antihomosexuellengesetz verabschiedet, nachdem ein erster Entwurf durch den Präsidenten zurückgewiesen wurde. Der neue Gesetzentwurf sieht hohe Strafen vor. Bei einer Beteiligung an homosexuellen Handlungen sieht der Entwurf vor, dass dies mit lebenslanger Haft und in manchen Fällen mit der Todesstrafe geahndet werden kann (zum Ganzen: „Parlament in Uganda beschließt überarbeitetes Antihomosexuellengesetz“, https://www.zeit.de/politik/ausland/2023-05/uganda-anti-homosexuellengesetz-parlament-ueberarbeit…, Abruf am 8.5.2023). Dieses Gesetz ist inzwischen vom Präsidenten unterzeichnet worden und somit in Kraft getreten (zum Ganzen: „Todesstrafe für „schwere Homosexualität“, https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/uganda-lgbtq-gesetz-100.html, Stand 29.5.2023, Abruf: 8.11.2023). Das Gesetz verbietet jegliche Form gleichgeschlechtlicher Beziehungen sowie die Unterstützung oder Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen und sieht hohe Haftstrafen vor. In bestimmten Fällen der „schweren Homosexualität“ („aggravated homosexuality“) sieht das Gesetz die Todesstrafe vor. Die „Begünstigung von Homosexualität“ („promotion of homosexuality“), die eine bis zu 20-jährige Haftstrafe nach sich ziehen kann, betrifft u. a. die wissentliche finanzielle Unterstützung von Homosexualität, die wissentliche Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten (z.B. Mietwohnungen), in denen homosexuelle Handlungen durchgeführt werden, oder das Betreiben einer Organisation, die Homosexualität begünstigt (zum Ganzen: Republic of Uganda, The Anti-Homosexuality-Act mit Übersetzung in die deutsche Sprache; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge: Entscheiderbrief 10/2023, Die Situation von LGBTIQ-Personen in Ostafrika, insbesondere Uganda, S. 3).
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Die gesellschaftliche Verfolgung wird durch ugandische Massenmedien begleitet, die mehrfach Angehörige sexueller Minderheiten bloßgestellt haben. Im Jahr 2010 hat die Boulevardzeitung „Rolling Stone“ Fotos und Adressen von 100 angeblich Homosexuellen veröffentlicht. Auf der Titelseite rief das Magazin dazu auf, die abgebildeten Personen zu erhängen. Drei Monate später wurde David Kato, einer der Bloßgestellten und ein Homosexuellen-Aktivist, ermordet (vgl. Amnesty International, Auskunft an den BayVGH vom 30.8.2019, zu der Frage 3 a).
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Einige ugandische Medien setzen ihre anprangernde Berichterstattung über Angehörige sexueller Minderheiten fort, ohne dass hinreichender staatlicher bzw. gerichtlicher Schutz gegen die Medien ersichtlich ist. Vielmehr zahlten festgenommene Beschuldigte, denen Homosexualität zur Last gelegt wurde, Bestechungsgelder an die Polizei, um eine Veröffentlichung der Polizeifotos bzw. Weitergabe an die Medien zu vermeiden. Falls die Polizei die Medien benachrichtigt oder den Beschuldigten den Medien vorführt, berichten diese regelmäßig unter Preisgabe der Identität des Beschuldigten. Auf Initiative evangelikaler Gemeinden werden Angehörige sexueller Minderheiten zudem in den sozialen Medien, wie etwa Facebook und Twitter, ohne ihre Zustimmung geoutet. Nach solch einem unfreiwilligen Outing in den Medien drohen ihnen Belästigungen, gesellschaftliche Ausgrenzung und Gewalt (vgl. VG Berlin, U.v. 13. November 2015 – 34 K 55.12 A – juris Rn. 61 m.w.N.).
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bb) Die Angaben des Klägers gegenüber dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung stehen im Einklang mit der Auskunftslage und tragen den Vortrag zu seiner sexuellen Orientierung und Verfolgung vor der Ausreise.
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Der Kläger hat glaubhaft, detailliert und widerspruchsfrei vorgetragen, dass er in Uganda aufgrund seiner Homosexualität durch die Polizei verfolgt worden ist, wobei eine Vorverfolgung nicht zwingend erforderlich ist (VG München, U.v. 10.6.2022 – M 5 K 17.46131 – Rn. 42).
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Da die Homosexualität des Klägers in Uganda bekannt wurde und nicht im Geheimen geblieben ist, ist eine Geheimhaltung seiner Homosexualität nur schwerlich möglich und es ist ihm jedenfalls nicht zuzumuten, seine identitätsprägende, offen gelebte Homosexualität zu unterdrücken, droht ihm nach den vorstehenden Ausführungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine private oder staatliche Verfolgung in Uganda wegen seiner sexuellen Ausrichtung
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cc) Weiter spricht für die Glaubhaftigkeit des Vortrages des Klägers, dass der Kläger im August 2019 (Blatt 45 der Behördenakte), also vier Monate vor dem Vorfall mit der Polizei im Dezember 2019 und nur sieben Monate vor seiner Flucht aus Uganda im März 2020 ein Visum für die Schweiz erhalten hat und in der mündlichen Verhandlung angegeben hat auch tatsächlich in der Schweiz gewesen zu sein. Die Rückreise nach Uganda stellt für das Gericht einen – kleinen zusätzlichen – Anhaltspunkt dafür dar, dass der Kläger nicht aus asylfremden Gründen im März 2020 aus Uganda ausgereist ist, da er bereits während seines Aufenthaltes in der Schweiz hätte um Asyl nachsuchen können dies jedoch nicht getan hat.
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c) Wirksamer staatlicher bzw. hoheitlicher Schutz i.S.v. § 3d Abs. 1 und 2 AsylG steht dem Kläger bei Rückkehr – wie oben dargestellt – nicht zur Verfügung.
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d) Auf internen Schutz kann der Kläger nicht verwiesen werden. Das Gericht geht davon aus, dass das Ausleben der homosexuellen Identität in ganz Uganda verfolgt wird. Ein Geheimhalten der sexuellen Orientierung zur Vermeidung der Verfolgung ist dem Kläger nicht zumutbar (vgl. EuGH, U.v. 7.11.2013 – C-199/12 bis C 201/12 – juris).
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Nach alledem ist dem Kläger Flüchtlingsschutz zuzuerkennen und der Bescheid des Bundesamtes aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
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2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Eine Anerkennung als Asylberechtigter scheitert bereits daran, dass er nach seinen Angaben auf dem Landweg und damit zwangsläufig über einen sicheren Drittstaat in das Bundesgebiet eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG). Insoweit war die Klage abzuweisen
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3. Einer Entscheidung über die weiteren Anträge bedurfte es nicht, da diese entsprechend einer Auslegung nach § 88 VwGO nur hilfsweise gestellt waren und der Kläger mit seinem Hauptantrag Erfolg hat.
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.